Freitag, 30. November 2018
Das Leben - was soll das sein?
Für die exakten Wissenschaften ist Leben = Stoffwechsel & Fortpflanzung. Alles andre ist Hokuspokus.
Wenn der dogmatische Logiker an eine Stelle kommt, wo es offenbar um Gehalte geht und nicht um Formeln, wird er blaß um die Nase und haucht verlegen: "das Leben!" Fragt man zurück, was das sei, antwortet er froh: Das Leben ist Alles!
Wenn das Leben Alles ist, unterscheidet es sich von nichts. Wenn es sich von nichts unterscheidet, unterschei- det es sich nicht von Nichts. Anders gesagt, es ist ohne Bedeutung. Es ist ideal für die Formeldoktoren: Sie stecken vorne rein, was sie hinten rauszuholen gedenken - und hoffen im Ernst, dass es keiner merkt.
Das Leben ist das, was zu erklären wäre. Selber erklärt es nichts.
Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE
Donnerstag, 29. November 2018
Ist das Selbstverständliche die Grenze meiner Welt?
47 Daß uns nichts auffällt, wenn wir uns umsehen, im Raum herumgehen, unseren eigenen Körper fühlen etc., etc., das zeigt, wie natürlich uns eben diese Dinge sind. Wir nehmen nicht wahr, daß wir den Raum perspekti- visch sehen, oder daß das Gesichtsbild gegen den Rand zu in irgendeinem Sinne verschwommen ist. Es fällt uns nie auf und kann uns nie auffallen, weil es die Art der Wahrnehmung ist. Wir denken nie darüber nach, und es ist uns unmöglich, weil es zu der Form unserer Welt keinen Gegensatz gibt.
Ich wollte sagen, es ist merkwürdig, daß die, die nur den Dingen, nicht unseren Vorstellungen, Realität zuschrei- ben, sich in der Vorstellungswelt so selbstverständlich bewegen und sich nie aus ihr heraussehen.
D. h., wie selbstverständlich ist doch das Gegebene. Es müßte mit allen Teufeln zugehen, wenn das das kleine, aus einem schiefen Winkel aufgenommene Bildchen wäre.
Dieses Selbstverständliche, das Leben, soll etwas Zufälliges, Nebensächliches sein; dagegen etwas worüber ich mir normalerweise nie den Kopf zeerbreche, das Eigentliche!
D. h., das, worüber hinaus man nicht gehen kann noch gehen will, wäre nicht die Welt.
Immer wieder ist es der Versuch, die Welt in der Sprache abzugrenzen und hervorzuheben - was aber nicht geht. Die Selbstverständlichkeit der Welt drückt sich eben darin aus, daß die Sprache nur sie bedeutet und bedeuten kann.
Denn, daß die Sprache die Art ihres Bedeutens erst von ihrer Bedeutung, von der Welt, erhält, so ist keine Sprache denkbar, die nicht diese Welt darstellt.
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Ludwig Wittgenstein, Philosophische Bemerkungen, Frankfurt/M., 1984, S. 80
Nota. - 'Es fällt uns nie auf und kann uns nie auffallen' - ihm aber ist es aufgefallen. 'Uns' ist es unmöglich und ihm nicht. Wie das? Offenbar doch durch Reflexion - nämlich sprachliche Operationen.
Wir nehmen die Welt auf diese eine und bestimmte Weise 'wahr', und wie wir sie wahrnehmen, so stellen wir sie uns vor. Das sei das Gegebene, 'das Leben', und etwas anderes könnten wir uns nicht vorstellen!
Das ist eine dunkle Mystifikation. Es bedeutet nichts anderes, als dass wir mit der Sprache nur das aussagen können, was uns gegeben ist. Was darüber hinausgeht, könnten wir... nur sprachlos anstaunen?* Nein, dazu müss- ten wir es ja auf irgendeine Weise wahrgenommen haben. Für ihn ist wahrnehmen in-Empfang-nehmen dessen, was gegeben ist.
Die Hirnphysiologie kann das nicht bestätigen, und die Transzendentalphilosophie hat es schon zweihundert Jahre vorher gewusst: Wahrnehmen ist Tätigkeit, sie besteht darin, einem physiologischen Reiz eine Bedeutung ein zu bilden. Wahrnehmen ist Absicht. Absichten kann ich - nicht immer erschöpfend - in Worten ausdrücken. Aber nie kann ich eine Absicht aus Worten bilden. Worte sind keine Taten.
Und die Philosophie kann und soll über 'das Leben' allerdings hinausgehen, sonst könnte sie nicht über es nachdenken.
*) siehe Tractatus, 6.522
JE
Mittwoch, 28. November 2018
Das Unsagbare.
1. 10. 1931
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Ludwig Wittgenstein, Vermischte Bemerkungen, Frankfurt/M., 1994, S. 52
Nota. - Alles, was ich aussprechen kann, ist nicht alles, was ich mir vorstellen kann. Aussprechen kann ich, was in mein Sprachspiel mit den Andern eingegangen ist. Gibt es etwas, das ich mir nicht vorstellen kann? Kann ich mir gar nicht vorstellen.
Wenn ein anderer sich etwas vorstellt, das ich mir nicht vorstelle, muss er es sagen. Kann ich es mir dann im- mer noch nicht vorstellen, habe ich ihn nicht verstanden. Das mag die Schuld des Sprachspiels sein. Ob es et- was gibt, das ich mir nicht vorstellen kann, kann ich gar nicht wissen, denn dazu müsste ich es mir vorstellen.
Etwas, das mir rätselhaft erscheint, kann ich mir gottlob vorstellen. Aussprechen kann ich es nicht, weil ich es nicht bestimmen kann; sonst wäre es ja nicht rätselhaft.
JE
Dienstag, 27. November 2018
Reden und handeln.
Worte sind Taten.
ca. 1945
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Ludwig Wittgenstein, Vermischte Bemerkungen, Frankfurt/M., 1994, S. 94
Nota. - Da liegt ein ganz dicker Hund begraben. Gedacht ist es als Spitze gegen den gesunden Menschenver- stand, der zwischen beiden einen großen Unterschied macht. Wieder kann Fichte helfen. Er unterscheidet näm- lich Tätigkeit von Handeln: Handeln sei eine Tätigkeit, der widerstanden wird, und nur so werde sie real. Sind Worte also Taten, die keine Handlungen sind?
Sagen wir mal so: Reden ist auch Tätigsein. Eine ganze philosophische Schule lebt davon.
JE
Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE
Montag, 26. November 2018
Die Absicht und ihr Bild.
Joshua Reynolds, Self
Wenn man das Element der Intention aus der Sprache entfernt, so bricht damit ihre ganze Funktion zusam- men.
Das Wesentliche an der Intention, an der Absicht, ist das Bild. Das Bild des Beabsichtigten.
Es kann sein, als brächte man mit der Absicht ein unkontrollierbares, sozusagen metaphysisches Element in unsere Betrachtung. Der wesentliche Unterschied der Bild-Auffassung Russells, Ogden und Richards' ist aber, dass jene das Wiedererkennen als das Erkennen einer internen Relation sieht, während diese das Wiedererken- nen für ein externe Relation hält.
D. h., für mich sind in der Tatsache, dass ein Gedanke wahr ist, nur zwei Dinge involviert, nämlich der Gedan- ke und die Tatsache; für Russell dagegen drei, nämlich, Gedanke, Tatsache und ein drittes Ereignis, welches, wenn es eintrifft, eben das wiederkennen ist. Dieses dritte Ereignis, gleicham die Stillung des Hingers (die zwei andern sind deer Hunger und das Essen eine bestimmten Speise), dieses dritte Ereignis könnte zum Besipiel das Auftreten eines Gefühls der Freude sein. Es ist hier ganz gleichgültig, wie wir dieses dritte Ereignis beschrei- ben; für das Wesen der Theorie ist das ohne Bedeutung.
Die Kausalität zwischen Sprache und Handlung ist eine externe Relation, während wir eine interne Relation brauchen.
_________________________________________________________
Wittgenstein, Philosophische Bemerkungen, Franfurt/M, 1984, S. 63f.
Nota. - Die interne Relation ist das Wollen, das, indem es zugleich ein Machen ist, zu einer externen Relation wird. Darauf kommt er aber nicht, weil er dem zu Grunde liegend sich ein Ich vorstellen müsste.
Doch kommt ein Ich nach W. erst dadurch in die Philosophie, 'dass die Welt meine Welt ist' (Tractatus, 5. 642 ), und von einer Welt war hier noch gar nicht die Rede; also auch nicht von einem Ich, 'dessen' sie wäre. Das Ich kam indessen schon 'zu Stande', indem es sich ein/em Nichtich entgegensetzte. Aus beiden wurde eine Welt. Ein Tun und daher ein Tätiges ist immer schon vorausgesetzt. Doch ein Tätiges tut nie überhaupt. Es tut immer die- ses oder das. Was es werden soll, bestimmt es in einem Bild. Im Machen wird es das Bild nach-machen - und, wenn alles gut geht, wiedererkennen.
Wenn man die Intention aus der Sprache entfernt, so bricht ihre ganze Funkion zusammen.
Wenn man die Intention aus dem Denken entfernt, so bricht seine ganze Funktion zusammen.
Wenn man die Intention aus dem Bilden entfernt, dann gibt es kein Bild.
JE
Wenn man das Element der Intention aus der Sprache entfernt, so bricht damit ihre ganze Funktion zusam- men.
Das Wesentliche an der Intention, an der Absicht, ist das Bild. Das Bild des Beabsichtigten.
Es kann sein, als brächte man mit der Absicht ein unkontrollierbares, sozusagen metaphysisches Element in unsere Betrachtung. Der wesentliche Unterschied der Bild-Auffassung Russells, Ogden und Richards' ist aber, dass jene das Wiedererkennen als das Erkennen einer internen Relation sieht, während diese das Wiedererken- nen für ein externe Relation hält.
D. h., für mich sind in der Tatsache, dass ein Gedanke wahr ist, nur zwei Dinge involviert, nämlich der Gedan- ke und die Tatsache; für Russell dagegen drei, nämlich, Gedanke, Tatsache und ein drittes Ereignis, welches, wenn es eintrifft, eben das wiederkennen ist. Dieses dritte Ereignis, gleicham die Stillung des Hingers (die zwei andern sind deer Hunger und das Essen eine bestimmten Speise), dieses dritte Ereignis könnte zum Besipiel das Auftreten eines Gefühls der Freude sein. Es ist hier ganz gleichgültig, wie wir dieses dritte Ereignis beschrei- ben; für das Wesen der Theorie ist das ohne Bedeutung.
Die Kausalität zwischen Sprache und Handlung ist eine externe Relation, während wir eine interne Relation brauchen.
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Wittgenstein, Philosophische Bemerkungen, Franfurt/M, 1984, S. 63f.
Nota. - Die interne Relation ist das Wollen, das, indem es zugleich ein Machen ist, zu einer externen Relation wird. Darauf kommt er aber nicht, weil er dem zu Grunde liegend sich ein Ich vorstellen müsste.
Doch kommt ein Ich nach W. erst dadurch in die Philosophie, 'dass die Welt meine Welt ist' (Tractatus, 5. 642 ), und von einer Welt war hier noch gar nicht die Rede; also auch nicht von einem Ich, 'dessen' sie wäre. Das Ich kam indessen schon 'zu Stande', indem es sich ein/em Nichtich entgegensetzte. Aus beiden wurde eine Welt. Ein Tun und daher ein Tätiges ist immer schon vorausgesetzt. Doch ein Tätiges tut nie überhaupt. Es tut immer die- ses oder das. Was es werden soll, bestimmt es in einem Bild. Im Machen wird es das Bild nach-machen - und, wenn alles gut geht, wiedererkennen.
Wenn man die Intention aus der Sprache entfernt, so bricht ihre ganze Funkion zusammen.
Wenn man die Intention aus dem Denken entfernt, so bricht seine ganze Funktion zusammen.
Wenn man die Intention aus dem Bilden entfernt, dann gibt es kein Bild.
JE
Sonntag, 25. November 2018
Apologie des bloggenden Philosophierers.
Rembrandt, Titus schreibend
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Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher Heft J, N°19Nota. - Nehmen Sie meine Blogs nicht als eine Publikation. Nehmen Sie sie selber als Sudelbücher, nehmen Sie sie als works in progress. Und stoßen Sie sich nicht am oftmals dozierenden Tonfall: Wer sich selber recht ver- stehen will, tut gut daran, seine Gedanken so zu formulieren, als müsse er sie einem andern erklären; das hilft ihm auf die Sprünge.
Und außerdem ist es wirklich so, dass sein Gedanke erst dann etwas wert ist, sobald ein anderer ihn verstanden hat.
JE
Samstag, 24. November 2018
Sich taub stellen.
Dürer
331 Lieber taub, als betäubt. — Ehemals wollte man sich einen Ruf machen: das genügt jetzt nicht mehr, da der Markt zu gross geworden ist, — es muss ein Geschrei sein. Die Folge ist, dass auch gute Kehlen sich überschrei- en, und die besten Waaren von heiseren Stimmen ausgeboten werden; ohne Marktschreierei und Heiserkeit giebt es jetzt kein Genie mehr. — Das ist nun freilich ein böses Zeitalter für den Denker: er muss lernen, zwis- chen zwei Lärmen noch seine Stille zu finden, und sich so lange taub stellen, bis er es ist. So lange er diess noch nicht gelernt hat, ist er freilich in Gefahr, vor Ungeduld und Kopfschmerzen zu Grunde zu gehen.
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Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft. 4. Buch 1882
Nota I. - Dies als Erläuterung, weshalb auf diesem Blog die Gegenwartsphilosophien überhaupt nicht erwähnt werden.
Nota II. - Letzteres hat sich inzwischen geändert; aber, dem Anlass entsprechend, nur ein bisschen.
JE
331 Lieber taub, als betäubt. — Ehemals wollte man sich einen Ruf machen: das genügt jetzt nicht mehr, da der Markt zu gross geworden ist, — es muss ein Geschrei sein. Die Folge ist, dass auch gute Kehlen sich überschrei- en, und die besten Waaren von heiseren Stimmen ausgeboten werden; ohne Marktschreierei und Heiserkeit giebt es jetzt kein Genie mehr. — Das ist nun freilich ein böses Zeitalter für den Denker: er muss lernen, zwis- chen zwei Lärmen noch seine Stille zu finden, und sich so lange taub stellen, bis er es ist. So lange er diess noch nicht gelernt hat, ist er freilich in Gefahr, vor Ungeduld und Kopfschmerzen zu Grunde zu gehen.
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Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft. 4. Buch 1882
Nota I. - Dies als Erläuterung, weshalb auf diesem Blog die Gegenwartsphilosophien überhaupt nicht erwähnt werden.
29. Juli 2014
Nota II. - Letzteres hat sich inzwischen geändert; aber, dem Anlass entsprechend, nur ein bisschen.
JE
Freitag, 23. November 2018
Pascals Wette.
Wenn du dein Leben so führst, als ob es einen Sinn hätte, wird es einen Sinn gehabt haben.
Donnerstag, 22. November 2018
Reflektieren ist absehen.
Wir nehmen keine Erscheinungen wahr. Wir nehmen keine Bedeutungen wahr. Wir nehmen Dieses oder Das wahr. Was ist Dies oder Das? Eine Erscheinung, die etwas bedeutet. Könnte sie mir nichts bedeuten, würde sie mir nicht erscheinen.*
Die Unterscheidung geschieht nicht in der Anschauung, sondern in der Reflexion. Wahrnehmung ist das Pro- dukt beider. Die Reflexion rechnet auf eine Bedeutung. Wenn sie keine erkennen kann, fragt sie; sogar, wenn sie döst. Reflexion ist Absicht.
Bis sie in Diesem oder Jenem ein 'Ding' erkennt, hat sie noch tüchtig zu tun.
April 20, 2009
*) Der von Schiller so genannte ästhetische Zustand entsteht bei einem absichtsvollen Absehen von aller Bedeu- tung. Er wird möglich durch Bildung und entstand ursprünglich wohl aus dem Befremden. Er ist ein ge- wünschtes und gesuchtes Befremden.
Nota I. - Absehen auf das eine heißt absehen von allem andern. Reflektieren und Abstrahieren sind dasselbe - jeweils von hinten und vorn.
26. 2. 15
Nota II. - Dies zum gestrigen Eintrag: Reflektieren heißt passend machen. - Ich habe eine Absicht und ich habe einen Gegenstand. Was zuerst da war, ist egal. Einiges an dem Gegenstand kommt meiner Absicht entgegen, einiges widersteht ihr. Ich achte auf das Günstige, von dem Ungünstigen sehe ich ab. Zuerst in meiner Vor- stellung; dann nehme ich meine Hände und mach das Ding passend.
Es ist nichts anderes als was Nietzsche sagt; aber es klingt nicht so böse: Logik stammt nicht aus dem Denken selbst, sondern aus der Reflexion auf das Denken. Und ihr einziger Zweck ist das Reflektieren.
JE
Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.
Mittwoch, 21. November 2018
...wird passend gemacht.
111 Herkunft des Logischen. – Woher ist die Logik im menschlichen Kopfe entstanden? Gewiß aus der Unlogik, deren Reich ursprünglich ungeheuer gewesen sein muß. Aber unzählig viele Wesen, welche anders schlossen, als wir jetzt schließen, gingen zugrunde: es könnte immer noch wahrer gewesen sein!
Wer zum Beispiel das »Gleiche« nicht oft genug aufzufinden wußte, in betreff der Nahrung oder in betreff der ihm feindlichen Tiere, wer also zu langsam subsumierte, zu vorsichtig in der Subsumption war, hatte nur gerin- gere Wahrscheinlichkeit des Fortlebens als der, welcher bei allem Ähnlichen sofort auf Gleichheit riet. Der überwiegende Hang aber, das Ähnliche als gleich zu behandeln, ein unlogischer Hang – denn es gibt an sich nichts Gleiches –, hat erst alle Grundlage der Logik geschaffen.
Ebenso mußte, damit der Begriff der Substanz entstehe, der unentbehrlich für die Logik ist, ob ihm gleich im strengsten Sinne nichts Wirkliches entspricht, – lange Zeit das Wechselnde an den Dingen nicht gesehen, nicht empfunden worden sein; die nicht genau sehenden Wesen hatten einen Vorsprung vor denen, welche alles »im Flusse« sahen.
An und für sich ist schon jeder hohe Grad von Vorsicht im Schließen, jeder skeptische Hang eine große Gefahr für das Leben. Es würden keine lebenden Wesen erhalten sein, wenn nicht der entgegengesetzte Hang, lieber zu bejahen als das Urteil auszusetzen, lieber zu irren und zu dichten als abzuwarten, lieber zuzustimmen als zu ver- neinen, lieber zu urteilen als gerecht zu sein – außerordentlich stark angezüchtet worden wäre. –
Der Verlauf logischer Gedanken und Schlüsse in unserem jetzigen Gehirn entspricht einem Prozesse und Kampfe von Trieben, die an sich einzeln alle sehr unlogisch und ungerecht sind; wir erfahren gewöhnlich nur das Resultat des Kampfes: so schnell und so versteckt spielt sich jetzt dieser uralte Mechanismus in uns ab.
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Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, 3. Buch, N° 111
Nota. - Hans Vaihinger hat neben Kant und Darwin als den dritten Inspirator seiner Philosophie des Als Ob Friedrich Nietzsche genannt.
JE
Dienstag, 20. November 2018
Das Rückgrat der Anthropologie.
Dieter Schütz / pixelio.de
Die Transzendentalphilosophie ist gewissermaßen die Wirbelsäule der Anthropologie. Sie lehrt erstens, welche Fragen zu stellen sind, und zweitens, welche Antworten nicht akzeptiert werden können.
26. 6. 14
Kommentar. Anthropologie ist sowohl Anfang als auch Ziel der Philosophie. Der Ursprung philosophischer Fragestellung ist die Sorge um das wahre Ziel des Lebens. Die erste Vermutung ist, dass, wenn wir das eigent- liche Wesen des Menschen erkannt haben, wir auch seine Bestimmung kennen. Das Wesen des Menschen sei sein Platz im Kosmos, meinten die Griechen. Den Kosmos durchschauen und den Menschen darin situieren, war der Zweck der metaphysischen Systeme.
Das Wesen des Menschen ist gar nicht, was er ist, sondern was er tut; sein Wesen ist tätigsein: Das war ein im wesentlichen neuzeitlicher, bürgerlicher Gedanke. Sein Wesen ist nichts als der Inbegriff seiner möglichen Zwecke. Auf seine Zwecke kommt es an, die sind ihm nicht vorbestimmt durch die Ordnung des Kosmos, sondern die gibt er sich aus Freiheit.
An der Stelle - in Frankreich war gerade Revolution - kam mit Kant die Transzendentalphilosophie in die Welt. Was alles bisher gewusst wurde, muss seither über ihren Seziertisch; und alles, was neu dazukommt: als Kritik ist sie nie zu Ende. Sie lehrt, welche Fragen zu stellen waren, und auf welchen Antworten man weiterbauen kann. Nämlich nur solche, die Freiheit zu ihrer Prämisse haben, denn nur durch sie kommt Sinn in die Welt.
Die Transzendentalphilosophie ist gewissermaßen die Wirbelsäule der Anthropologie. Sie lehrt erstens, welche Fragen zu stellen sind, und zweitens, welche Antworten nicht akzeptiert werden können.
26. 6. 14
Kommentar. Anthropologie ist sowohl Anfang als auch Ziel der Philosophie. Der Ursprung philosophischer Fragestellung ist die Sorge um das wahre Ziel des Lebens. Die erste Vermutung ist, dass, wenn wir das eigent- liche Wesen des Menschen erkannt haben, wir auch seine Bestimmung kennen. Das Wesen des Menschen sei sein Platz im Kosmos, meinten die Griechen. Den Kosmos durchschauen und den Menschen darin situieren, war der Zweck der metaphysischen Systeme.
Das Wesen des Menschen ist gar nicht, was er ist, sondern was er tut; sein Wesen ist tätigsein: Das war ein im wesentlichen neuzeitlicher, bürgerlicher Gedanke. Sein Wesen ist nichts als der Inbegriff seiner möglichen Zwecke. Auf seine Zwecke kommt es an, die sind ihm nicht vorbestimmt durch die Ordnung des Kosmos, sondern die gibt er sich aus Freiheit.
An der Stelle - in Frankreich war gerade Revolution - kam mit Kant die Transzendentalphilosophie in die Welt. Was alles bisher gewusst wurde, muss seither über ihren Seziertisch; und alles, was neu dazukommt: als Kritik ist sie nie zu Ende. Sie lehrt, welche Fragen zu stellen waren, und auf welchen Antworten man weiterbauen kann. Nämlich nur solche, die Freiheit zu ihrer Prämisse haben, denn nur durch sie kommt Sinn in die Welt.
Montag, 19. November 2018
Idealismus und Rationalismus.
Helene Souza, pixelio.de
aus einer online-Diskussion, in der die deutschen Romantiker als "Antirationalisten" dargestellt worden waren:
... Sicher waren die Romantiker weder Materialisten noch Rationalisten. Aber weder ist Idealismus der Gegensatz zum Materialismus, noch ist Irrationalismus der Gegensatz zum Rationalismus.
Der Reihe nach. Materialismus ist ein Antwort auf die Frage nach der Beschaffenheit der Welt: Ist sie eines geisti- gen oder eines gegenständlichen, "materiellen" Ursprungs? Das ist eine ontologische Frage. Die eine Antwort ist der Materialismus. Die andere Antwort ist der Spiritualismus.
Idealismus heißt die eine Antwort auf die Frage nach dem Ursprung des Wissens: Stammt es aus den Dingen, oder stammt es aus der Vorstellung? Es ist die erkentnislogische Grundfrage. Der Idealismus (von gr. ídein=sehen) lei- tet das Wissen aus einem ursprünglichen Akt eines Subjekts ab, das sich absichtsvoll den Dingen zuwendet und von ihnen etwas will. Die andere Antwort - Das Wissen nimmt seinen Anfang in den Mitteilungen, die uns die Dinge selber machen - ist der Realismus (von lat. res=das Ding).
Die erkenntnislogische Frage hat unmittelbar nichts mit der ontologischen Frage zu tun. Aber mittelbar. Ein Spi- ritualist muß Realist sein. Wenn das Wesen der Dinge ein Geistiges ist, kann die Wahrnehmung der Subjekte nur dessen "Vernehmen" sein und kein setzender Akt. Und in der Tat war der Begründer allen Realismus, Plato, ein Spiritualist. Die "wahren Dinge" nannte er "Ideen" (von gr. eídos=Bild), die sich den Menschen, wenn auch in ent- stellter Form, "mitteilen".
Ein Idealist kann kein Materialist sein.* Aber auch kein Spiritualist: Er muß die ontologische Fragestellung als buchstäblich Gegenstands-los ansehen. Wenn das Wissen seinen Ursprung in einer ursprünglichen Handlung des Subjekts hat, kann von einem "Ding an sich" kein Gedanke, sondern höchstens noch ein Gerede sein. Denn aus den Dingen an sich (oder der "Welt" oder der "Natur") wird man allenfalls immer das herauslesen können, was man klammheimlich vorher in sie hineinprojiziert hat. Egal, ob man es dann "Materie" nennt oder "Leben" oder "Organismus"...
Der Begründer des modernen, "kritischen" Idealismus war Kant, den Fichte, der Vordenker der "frühen" Roman- tik, vollenden wollte (weil jener selbst nicht mehr dazu gekommen war). Kants Kritiken gehen gegen den "Dogma- tismus". Darunter versteht er alle Philosophie, die glaubt, aus der Analyse und der Kombination bloßer Begriffe wahre Einsichten gewinnen zu können. Und alle Philosophen vor ihm waren so verfahren. Namentlich die Ratio- nalisten der Aufklärungsepoche. Die waren Realisten. Die Logik in unserm Denken galt ihnen als "Ausdruck" und Niederschlag des Kausalitätsgesetzes in der Natur; während Kant umgekehrt die Kausalitäts- vorstellung als ein Konstrukt unserer Einbildungskraft darstellt.
Materialisten und Rationalisten waren die Romantiker also bestimmt nicht. Sie waren Idealisten, aber eben kri- tische Idealisten, und sofern sich Kritik allezeit nur der Vernunft bedienen kann, ist sie eo ipso rational. ...
Die Quantenphysik kann zu philosophischen Fragen unmittelbar gar nichts beitragen. Sie hat lediglich das Dog- ma der Kausalität in den Naturwissenschaften gebrochen. Auf die "Natur" können sich die philosophischen Rationa- listen nun nicht mehr berufen. Aber das hätten sie - siehe oben - ohnehin nicht gesollt.
aus e. online-Forum, 22. 9. 07
*) Allerdings wird er sich, sobald er Naturwissenschaft betreibt, eines strikten Positivismus befleißigen: Nichts lässt er gelten, als was sich in Raum und Zeit unseren Sinnen nachweisen lässt. Und das könnte man in pragma- tischer Hinsicht "materialistisch" nennen.
aus einer online-Diskussion, in der die deutschen Romantiker als "Antirationalisten" dargestellt worden waren:
... Sicher waren die Romantiker weder Materialisten noch Rationalisten. Aber weder ist Idealismus der Gegensatz zum Materialismus, noch ist Irrationalismus der Gegensatz zum Rationalismus.
Der Reihe nach. Materialismus ist ein Antwort auf die Frage nach der Beschaffenheit der Welt: Ist sie eines geisti- gen oder eines gegenständlichen, "materiellen" Ursprungs? Das ist eine ontologische Frage. Die eine Antwort ist der Materialismus. Die andere Antwort ist der Spiritualismus.
Idealismus heißt die eine Antwort auf die Frage nach dem Ursprung des Wissens: Stammt es aus den Dingen, oder stammt es aus der Vorstellung? Es ist die erkentnislogische Grundfrage. Der Idealismus (von gr. ídein=sehen) lei- tet das Wissen aus einem ursprünglichen Akt eines Subjekts ab, das sich absichtsvoll den Dingen zuwendet und von ihnen etwas will. Die andere Antwort - Das Wissen nimmt seinen Anfang in den Mitteilungen, die uns die Dinge selber machen - ist der Realismus (von lat. res=das Ding).
Die erkenntnislogische Frage hat unmittelbar nichts mit der ontologischen Frage zu tun. Aber mittelbar. Ein Spi- ritualist muß Realist sein. Wenn das Wesen der Dinge ein Geistiges ist, kann die Wahrnehmung der Subjekte nur dessen "Vernehmen" sein und kein setzender Akt. Und in der Tat war der Begründer allen Realismus, Plato, ein Spiritualist. Die "wahren Dinge" nannte er "Ideen" (von gr. eídos=Bild), die sich den Menschen, wenn auch in ent- stellter Form, "mitteilen".
Ein Idealist kann kein Materialist sein.* Aber auch kein Spiritualist: Er muß die ontologische Fragestellung als buchstäblich Gegenstands-los ansehen. Wenn das Wissen seinen Ursprung in einer ursprünglichen Handlung des Subjekts hat, kann von einem "Ding an sich" kein Gedanke, sondern höchstens noch ein Gerede sein. Denn aus den Dingen an sich (oder der "Welt" oder der "Natur") wird man allenfalls immer das herauslesen können, was man klammheimlich vorher in sie hineinprojiziert hat. Egal, ob man es dann "Materie" nennt oder "Leben" oder "Organismus"...
Der Begründer des modernen, "kritischen" Idealismus war Kant, den Fichte, der Vordenker der "frühen" Roman- tik, vollenden wollte (weil jener selbst nicht mehr dazu gekommen war). Kants Kritiken gehen gegen den "Dogma- tismus". Darunter versteht er alle Philosophie, die glaubt, aus der Analyse und der Kombination bloßer Begriffe wahre Einsichten gewinnen zu können. Und alle Philosophen vor ihm waren so verfahren. Namentlich die Ratio- nalisten der Aufklärungsepoche. Die waren Realisten. Die Logik in unserm Denken galt ihnen als "Ausdruck" und Niederschlag des Kausalitätsgesetzes in der Natur; während Kant umgekehrt die Kausalitäts- vorstellung als ein Konstrukt unserer Einbildungskraft darstellt.
Materialisten und Rationalisten waren die Romantiker also bestimmt nicht. Sie waren Idealisten, aber eben kri- tische Idealisten, und sofern sich Kritik allezeit nur der Vernunft bedienen kann, ist sie eo ipso rational. ...
Die Quantenphysik kann zu philosophischen Fragen unmittelbar gar nichts beitragen. Sie hat lediglich das Dog- ma der Kausalität in den Naturwissenschaften gebrochen. Auf die "Natur" können sich die philosophischen Rationa- listen nun nicht mehr berufen. Aber das hätten sie - siehe oben - ohnehin nicht gesollt.
aus e. online-Forum, 22. 9. 07
*) Allerdings wird er sich, sobald er Naturwissenschaft betreibt, eines strikten Positivismus befleißigen: Nichts lässt er gelten, als was sich in Raum und Zeit unseren Sinnen nachweisen lässt. Und das könnte man in pragma- tischer Hinsicht "materialistisch" nennen.
29. 11. 13
Sonntag, 18. November 2018
Konsensfindung und Vernunfturteil.
Vernunft kann nur herrschen, wo Öffentlichkeit ist. Sie ist das allgemeinste Verständigungsmittel. Ohne sie kann es keine Gesellschaft geben, die auf dem Verkehr aller mit allen beruht.
Mit andern Worten, Vernunft ist der ausgezeichnete Charakter von Unserer Welt. Ihr sinnfälligster Ausdruck ist die Wissenschaft, in der die bürgerliche Gesellschaft ihr oberstes Maß erkennt.
Hat also Vernunft in Meiner Welt nichts zu suchen?
Das Unterscheidungsmerkmal ist, auf welchem Weg typischerweise Entscheidungen zustande kommen: durch Übereinkunft oder durch Vernunfturteil. Vernunft fragt nach Gründen, das Vernunfturteil beruht auf dem prozessierenden Ausscheiden des Falschen: desjenigen, dessen Gründe der öffentlichen Kritik auf die Dauer nicht standgehalten haben. So entsteht Wissen, gesammelt und konzentriert in der öffentliche Instanz 'Wissen-schaft'. Deren Modus ist die unendliche Revision alles einmal Gegebenen. Ihre Richtsprüche gelten immer 'einstweilen endgültig'; nämlich solange, bis sie durch Gründe widerlegt (oder auch nur erübrigt) werden. Ihre Schlüsse erscheinen im gegebenen Moment als notwendig.
So ist es in Unserer Welt. Ihr Platz ist Öffentlickeit. Da gehören Alle zu, ob es ihnen recht ist oder nicht.
Was zu Meiner Welt gehört, entscheidet sich nicht durch geprüftes Wissen, sondern durch geteiltes Erleben. Die Entscheidungen, die hier getroffen werden, beruhen typischerweise nicht auf Gründen, die der Kritik unterzo-gen wurden, sondern auf Motiven, die Beifall gefunden haben; Leidenschaften, Neigungen, momentane Lau-nen. Man findet sich zusammen auf einem gemeinsamen Boden von Werturteilen, und die sind im Kern ästhe-tisch – doch über das Ästhetische lässt sich nicht vernünfteln.
Es zählt hier nicht, was Alle wissen und einsehen können, sondern das, was Einige meinen. Urteile entstehen nicht auf dem Wege kritischer Reduktion, sondern durch Kumulation und Anlagerung. Sie sind willkürlich und zu-fällig. Sie gelten immer ganz und gar, aber nur im Augenblick, doch der kann ewig dauern: willkürlich und zu-fällig. Es mögen auch immer Vernunftgründe zu ihnen beigetragen haben; aber nicht, weil sie begründet wa-ren, sondern weil sie Beifall gefunden haben. Denn was stört, kommt unter den Teppich, und wenn es noch so vernünftig wäre. Es bleibt alles privat, wem es nicht gefällt, der kann ja gehen.
*
In den achtziger Jahren trat in Deutschland eine Partei auf, die die Konsensfindung anstelle von Mehrheitsbe-schlüssen zum politischen Prinzip machte. Politisch heißt öffentlich par excellence, Einvernehmen ist die typische Entscheidungsfindung im Privatbereich. Aufgelöst wurde der Widerspruch durch die Losung Das Private ist poli-tisch, doch praktisch lief es auf die Privatisierung des Politischen hinaus.
Das müssen Sie sich so vorstellen: Wenn alles 'ausdiskutiert' werden muss, bis keine Meinungsunterschiede mehr übrigbleiben, dann dauern Sitzungen bis in die Nacht; die, die am nächsten Tag früh aus den Federn müssen, gehen abends zwischen zehn und elf, wer zäh ist oder lange schlafen kann, bleibt bis nach Mitternacht, und wegen eintretender Müdigkeit werden die Meinungsverschiedenheiten immer kleiner. Es behalten diejeni-gen das letzte Wort, die am längsten ausharren. So kommen "konsensuell" Beschlüsse zustande, die willkürli-cher und zufälliger sind, als es ein Mehrheitsvotum je sein könnte.
*
Das konnte nicht lange dauern, schon gar nicht, seit die Grünen hier und da in Regierungen einrückten. So ab-surd es war – ganz aus der Luft gegriffen war die Grundidee nicht. Denn tatsächlich konstituiert das Politische in gewissem Sinn ein Zwischenreich zwischen Unserer Welt und der Meinen. Es bleibt das Öffentliche par excel-lence, davon ist nichts zurückzunehmen. Aber der Modus der Entscheidungsfindung ist in der Politik nicht der der Wissenschaft. Der Politiker kann nicht warten, bis im stetigen Prozess kritischer Reduktion einmal ein Punkt erreicht ist, wo man sagen kann: Das ist 'einstweilen endgültig'. Politische Entscheidungen müssen fallen, wenn sie fällig sind, ob ausdiskutiert oder noch ganz in der Schwebe.
Anders als im wissenschaftlichen Bereich gelten sie ganz und gar, nicht unter Vorbehalt; und anders als im privaten, sind sie terminiert: bis zur nächsten Wegbiegung. Sie sind nicht notwendig, sondern zufällig. Es werden nicht Gründe bis zu ihrer Erschöpfung geprüft, sondern Meinungen gesammelt; Motive, Werturteile, Ästhetisches. Doch wenn die Revision auch nicht permanent ist wie in der Wissenschaft, ist sie in 'vernünftig' organisierten Gemeinwesen immerhin periodisch.
Denn dieser Unterschied zum Privaten, diese Verbindung zu Vernunft, Wissen und Wissenschaft bleibt unbe-schadet: Alle Akteure, idealiter auch die privaten Wahlberechtigten, erkennen und messen einander als einem höheren Zweck und allgemeingültigen Gründen verpflichtet. Anders als in Meiner Welt gilt auch im Politischen der Hinblick auf ein Absolutes, und darum gehört es zu Unserer Welt.
16. 2. 16
Samstag, 17. November 2018
Das einzige Vermögen.
Miginfo / pixelio.de
Menschliche Vernunft können wir zwar in Gedanken und Worten zu einem gewissen Zweck von anderen Kräften unserer Natur sondern; nie aber dürfen wir vergessen, daß sie in ihr abgesondert von anderen Kräften nicht existiert. Es ist dieselbe Seele, die denkt und will, die versteht und empfindet, die Vernunft übt und begehrt.
Alle diese Kräfte sind nicht nur im Gebrauch, sondern auch in ihrer Entwicklung, vielleicht auch in ihrem Ursprung einander so nah, so mitwirkend und verwickelt ineinander, daß wir nicht glauben dürfen, wir haben ein anderes Subjekt genannt, wenn wir eine andere Verrichtung desselben nannten. Mit Namen zimmern wir keine Fächer in unserer Seele; wir teilen sie nicht ein, sondern bezeichnen ihre Wirkungen, die Anwendung ihrer Kräfte, die empfindende und sich Bilder erschaffende, die denkende und sich Grundsätze erschaffende Seele sind ein lebendiges Vermögen in verschiedener Wirkung.
_______________________________________________________________________________
Johann Gottfried Herder, Eine Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft, I. Kapitel: Titel und Einleitung
Nota. - Herders Übereinstimmung in diesem Punkt ausgerechnet mit Fichte dürfte dem einen so unerfreulich wie dem andern gewesen sein.
JE. 20. 6. 14
Menschliche Vernunft können wir zwar in Gedanken und Worten zu einem gewissen Zweck von anderen Kräften unserer Natur sondern; nie aber dürfen wir vergessen, daß sie in ihr abgesondert von anderen Kräften nicht existiert. Es ist dieselbe Seele, die denkt und will, die versteht und empfindet, die Vernunft übt und begehrt.
Alle diese Kräfte sind nicht nur im Gebrauch, sondern auch in ihrer Entwicklung, vielleicht auch in ihrem Ursprung einander so nah, so mitwirkend und verwickelt ineinander, daß wir nicht glauben dürfen, wir haben ein anderes Subjekt genannt, wenn wir eine andere Verrichtung desselben nannten. Mit Namen zimmern wir keine Fächer in unserer Seele; wir teilen sie nicht ein, sondern bezeichnen ihre Wirkungen, die Anwendung ihrer Kräfte, die empfindende und sich Bilder erschaffende, die denkende und sich Grundsätze erschaffende Seele sind ein lebendiges Vermögen in verschiedener Wirkung.
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Johann Gottfried Herder, Eine Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft, I. Kapitel: Titel und Einleitung
Nota. - Herders Übereinstimmung in diesem Punkt ausgerechnet mit Fichte dürfte dem einen so unerfreulich wie dem andern gewesen sein.
JE. 20. 6. 14
Freitag, 16. November 2018
Philologen und Systematiker, II.
encycopediavirginia
Wahr ist aber auch, dass sich im universitären Alltag philologischer Fleiß oft wie ein Nebel über das philosophi-sche Staunen legt und der Stachel, Probleme nicht nur explizieren, sondern womöglich auch lösen zu wollen, gar nicht mehr sticht. Die Wunder, die sich oft im Allerkleinsten verbergen, sind aber auf die Dauer kein Ersatz für den Schwindel, den der Blick ins Weite erregt. Philologie mag der Brennstoff der Philosophie sein, aber ihr Mo- tor ist sie nicht.
Doch das ist eine Innere Angelegenheit der pp. kontinentalen Philosophie. Das ist nicht neu, das wusste ich längst:
Philologen und Systematiker.
Dass die Philologen das philosophische Feld beherrschen, ist für einen wie mich ärgerlich; aber es ist unver- meidlich. Anders als zu Zeiten von Kant und Fichte ist Wissenschaft heute ein Betrieb. Das ist die Folge des Übergreifens wissenschaftlicher Erkenntnisresultate auf das ganze Leben in der industriellen Gesellschaft, und als solche war es nicht nur unvermeidlich, sondern auch begrüßenswert.
Nur in ihrer philologischen Bearbeitungsweise kann die Philosophie eine Erkenntnis- und Arbeitsgemeinschaft sein. Sie können sich untereinander nur über das austauschen, was allen geläufig ist. Nur so gibt es prozessie- renden Zusammenhang. Wenn aber alle Philosophen Systematiker wären, müsste jeder – anders geht’s ja nicht – annehmen, dass er erkannt hat, was keiner vor ihm und keiner neben ihm eingesehen hat. Darauf müsste er bauen. Das Verständigen mit Andern wäre ihm allenfalls ein persönliches – charakterliches, temperamentliches – Bedürfnis, aber ein sachliches Erfordernis wäre es nicht.
Damit ließe sich ein in Raum und Zeit kontinuierlicher Betrieb nicht unterhalten. In dem Maß, wie die Universi- täten nicht als isolierte Herde, sondern als akademisches Netz zur Stätte des Philosophierens wurden, konnte nur das Philologische ihren Zusammenhalt gewährleisten. Systematiker waren immer Eigenbrötler, je mehr einer beim Philosophieren systematisiert, weil er wissen will, was wahr ist, umso mehr isoliert er sich von allen andern. Dass ihm einer dreinredet, stört ihn und lenkt ihn ab. Er braucht die andern als Spiegel und Resonanz- kisten; weniger als Stichwortgeber und Besserwisser.
Will er die Folge nicht in Kauf nehmen, darf er die Ursache nicht wählen. Und muss schlimmstenfalls seine Wahl rückgängig machen: Noch jeder der Sache verschworene Philosophiestudent dürfte als anmaßlicher Sys- tematiker begonnen haben. Aber mit erfolgreichem Eintritt in den akademischen Betrieb – und anders lässt sich Philosophie nicht zum Beruf machen – bleiben es die wenigsten. Dass sie ihre anfängliche Wahl im Lauf der Zeit tagtäglich ein bisschen revidiert und sich zu Philologen beschieden haben, merken die wenigsten; mit dem Ergebnis, dass hartnäckige Systematiker zu Außenseitern und Störern der Philosophie werden.
28. Mai 2015
Wahr ist aber auch, dass sich im universitären Alltag philologischer Fleiß oft wie ein Nebel über das philosophi-sche Staunen legt und der Stachel, Probleme nicht nur explizieren, sondern womöglich auch lösen zu wollen, gar nicht mehr sticht. Die Wunder, die sich oft im Allerkleinsten verbergen, sind aber auf die Dauer kein Ersatz für den Schwindel, den der Blick ins Weite erregt. Philologie mag der Brennstoff der Philosophie sein, aber ihr Mo- tor ist sie nicht.
Doch das ist eine Innere Angelegenheit der pp. kontinentalen Philosophie. Das ist nicht neu, das wusste ich längst:
Philologen und Systematiker.
Dass die Philologen das philosophische Feld beherrschen, ist für einen wie mich ärgerlich; aber es ist unver- meidlich. Anders als zu Zeiten von Kant und Fichte ist Wissenschaft heute ein Betrieb. Das ist die Folge des Übergreifens wissenschaftlicher Erkenntnisresultate auf das ganze Leben in der industriellen Gesellschaft, und als solche war es nicht nur unvermeidlich, sondern auch begrüßenswert.
Nur in ihrer philologischen Bearbeitungsweise kann die Philosophie eine Erkenntnis- und Arbeitsgemeinschaft sein. Sie können sich untereinander nur über das austauschen, was allen geläufig ist. Nur so gibt es prozessie- renden Zusammenhang. Wenn aber alle Philosophen Systematiker wären, müsste jeder – anders geht’s ja nicht – annehmen, dass er erkannt hat, was keiner vor ihm und keiner neben ihm eingesehen hat. Darauf müsste er bauen. Das Verständigen mit Andern wäre ihm allenfalls ein persönliches – charakterliches, temperamentliches – Bedürfnis, aber ein sachliches Erfordernis wäre es nicht.
Damit ließe sich ein in Raum und Zeit kontinuierlicher Betrieb nicht unterhalten. In dem Maß, wie die Universi- täten nicht als isolierte Herde, sondern als akademisches Netz zur Stätte des Philosophierens wurden, konnte nur das Philologische ihren Zusammenhalt gewährleisten. Systematiker waren immer Eigenbrötler, je mehr einer beim Philosophieren systematisiert, weil er wissen will, was wahr ist, umso mehr isoliert er sich von allen andern. Dass ihm einer dreinredet, stört ihn und lenkt ihn ab. Er braucht die andern als Spiegel und Resonanz- kisten; weniger als Stichwortgeber und Besserwisser.
Will er die Folge nicht in Kauf nehmen, darf er die Ursache nicht wählen. Und muss schlimmstenfalls seine Wahl rückgängig machen: Noch jeder der Sache verschworene Philosophiestudent dürfte als anmaßlicher Sys- tematiker begonnen haben. Aber mit erfolgreichem Eintritt in den akademischen Betrieb – und anders lässt sich Philosophie nicht zum Beruf machen – bleiben es die wenigsten. Dass sie ihre anfängliche Wahl im Lauf der Zeit tagtäglich ein bisschen revidiert und sich zu Philologen beschieden haben, merken die wenigsten; mit dem Ergebnis, dass hartnäckige Systematiker zu Außenseitern und Störern der Philosophie werden.
28. Mai 2015
Donnerstag, 15. November 2018
Philologen und Systematiker.
Von Mikrologien und Flohknackerei ist herablassend – und durchaus ungerechtfertigt – die Rede. Denn die Systematiker – die, die aus fremden und eigenen Gedanken neue Gebäude errichten – brauchen das Material, das ihnen die Philologen zubereiten, als den Stoff, aus dem sie selber bauen. Und als die Messlatte, an der sie sich prüfen können.
In gewisser Hinsicht handelt es sich um dasselbe Verhältnis wie zwischen Experimenteller und Theoretischer Physik: Ohne die Empiriker hätten die Theoretiker keinen Stoff zum Theoretisieren. Aber ohne die Theoreti- ker wüssten die Empiriker nicht, was ihre Experimente eigentlich beweisen – und nicht einmal, welche Expe- rimente sie überhaupt veranstalten sollen. Wer von beiden ist wichtiger?
Wer war zuerst da – das Ei oder die Henne?
Wahr bleibt immer nur: Für das eine braucht man mehr Fleiß, für das andere mehr Einbildungkraft. (Für das eine mehr Scharfsinn, für das andre mehr Humor.)
Juni 2, 2009
Nachtrag. Damals - und selbst 2013, als ich die Notiz zum erstenmal gepostet habe - war mir noch nicht ins Bewusstsein gedrungen, dass Systematiker neuerdings das Firmenschild ist, unter dem sich ausgerechnet die atomistische Schule der sprachanalytischen Flohknacker sammelt. Und ich kann es noch heute nicht recht glauben.
Mittwoch, 14. November 2018
Wo die Vernunft an ihrem Platz ist und wo nicht.
zoom, pixelio.de
...Übereinstimmung, der große Zweck der Vernunft...
J. G. Fichte in: Rückerinnerungen, Antworten, Fragen [S. 136]
I. Vernunft ist nicht an sich, sondern sie dient einem Zweck. Für diesen Zweck ist sie in die Welt gekommen und nur für den ist sie da.
II. Mit andern Worten: Vernunft ist immer da an ihrem Platz, wo Übereinstimmung angebracht ist. Alles andere liegt nicht in ihrem Zweck.
III. Im sittlichen Bereich ist Übereinstimmung nicht nötig. Das Sittengesetz lautet: Tu das, was dein Gewissen dir gebietet, oder, mit andern Worten: Handle aus Freiheit. Aus Freiheit kann ich nicht handeln, wenn ich zuerst frage, was den andern ihr Gewissen gebiete, und mich mit ihnen darüber ins Benehmen setze. Es kommt auch gar nicht darauf an, ob es dasselbe gebietet, sondern darauf, dass es das Gewissen ist, das gebietet.
IV. Übereinstimmen müssen wir nicht über Gott und die Welt. Es reicht, wenn wir in dem Teil der Welt, in dem wir miteinander verkehren, übereinstimmen über die Angelegenheiten des Teils der Welt, in dem wir miteinander verkehren. Übereinstimmen müssen wir nicht über Gott und nicht über jenen Teil der Welt, in dem ein jeder von uns nur für sich ist.
Bedenkend immer: Die Welt ist keine Gegend, sondern lediglich ihr Horizont.
23. 6. 14
'Vernunft und Öffentlichkeit bedeuten dasselbe...' - sofern nämlich Öffentlichkeit schlechterdings Kritik bedeu- tet, und zwar Kritik ohne jede Grenze, weder in der Zeit noch im Raum.
Vernunft ist kein Stoff und keine Energie, die man haben oder nicht haben kann. Vernünftig kann man sein, und das bedeutet: allgemein nur gelten lassen, was sich der Kritik stellt und ihr standhält. 'Vernunft' ist der Inbegriff all dessen, was die Kritik überstanden haben wird. Sie ist ein bloßes proiectum, weil die Kritik sachlich nie zu einem Ende kommt.
Nein, damit ist Vernunft nicht als Konsens oder als bloße Intersubjektivität bestimmt. Konsens ist das, was eine bestimmte und daher zufällige Anzahl von Individuen unter sich zu einem gegebenen Zeitpunkt aus je gegebe-nen, aber unergründlichen Motiven als momentan für einander gelten sollend vereinbart haben. Eine Art klein- ster gemeinsamer Nenner, eine Menge, die zu einem andern Zeitpunkt größer oder kleiner hätte ausfallen oder auch ausbleiben können. Das ist in logischer Hinsicht so kontingent wie das gelegentliche Meinen und Dafür- halten von Irgendwem. 'Was Vernunft gewesen sein wird' ist nicht Ergebnis einer allmählichen, einvernehmlich Anhäufung, sondern im Gegenteil Resultat einer Reduktion: Das, was der prozessierenden öffentlichen Kritik noch immer standhält, darf als allgemein und notwendig gelten. Vom privaten Meinen des einen oder andern ist es ganz unabhängig.
Merke: Was nicht in die Öffentlickeit gehört, ist der Vernunft gleichgültig.
24. 5. 2015
...Übereinstimmung, der große Zweck der Vernunft...
J. G. Fichte in: Rückerinnerungen, Antworten, Fragen [S. 136]
I. Vernunft ist nicht an sich, sondern sie dient einem Zweck. Für diesen Zweck ist sie in die Welt gekommen und nur für den ist sie da.
II. Mit andern Worten: Vernunft ist immer da an ihrem Platz, wo Übereinstimmung angebracht ist. Alles andere liegt nicht in ihrem Zweck.
III. Im sittlichen Bereich ist Übereinstimmung nicht nötig. Das Sittengesetz lautet: Tu das, was dein Gewissen dir gebietet, oder, mit andern Worten: Handle aus Freiheit. Aus Freiheit kann ich nicht handeln, wenn ich zuerst frage, was den andern ihr Gewissen gebiete, und mich mit ihnen darüber ins Benehmen setze. Es kommt auch gar nicht darauf an, ob es dasselbe gebietet, sondern darauf, dass es das Gewissen ist, das gebietet.
IV. Übereinstimmen müssen wir nicht über Gott und die Welt. Es reicht, wenn wir in dem Teil der Welt, in dem wir miteinander verkehren, übereinstimmen über die Angelegenheiten des Teils der Welt, in dem wir miteinander verkehren. Übereinstimmen müssen wir nicht über Gott und nicht über jenen Teil der Welt, in dem ein jeder von uns nur für sich ist.
Bedenkend immer: Die Welt ist keine Gegend, sondern lediglich ihr Horizont.
23. 6. 14
'Vernunft und Öffentlichkeit bedeuten dasselbe...' - sofern nämlich Öffentlichkeit schlechterdings Kritik bedeu- tet, und zwar Kritik ohne jede Grenze, weder in der Zeit noch im Raum.
Vernunft ist kein Stoff und keine Energie, die man haben oder nicht haben kann. Vernünftig kann man sein, und das bedeutet: allgemein nur gelten lassen, was sich der Kritik stellt und ihr standhält. 'Vernunft' ist der Inbegriff all dessen, was die Kritik überstanden haben wird. Sie ist ein bloßes proiectum, weil die Kritik sachlich nie zu einem Ende kommt.
Nein, damit ist Vernunft nicht als Konsens oder als bloße Intersubjektivität bestimmt. Konsens ist das, was eine bestimmte und daher zufällige Anzahl von Individuen unter sich zu einem gegebenen Zeitpunkt aus je gegebe-nen, aber unergründlichen Motiven als momentan für einander gelten sollend vereinbart haben. Eine Art klein- ster gemeinsamer Nenner, eine Menge, die zu einem andern Zeitpunkt größer oder kleiner hätte ausfallen oder auch ausbleiben können. Das ist in logischer Hinsicht so kontingent wie das gelegentliche Meinen und Dafür- halten von Irgendwem. 'Was Vernunft gewesen sein wird' ist nicht Ergebnis einer allmählichen, einvernehmlich Anhäufung, sondern im Gegenteil Resultat einer Reduktion: Das, was der prozessierenden öffentlichen Kritik noch immer standhält, darf als allgemein und notwendig gelten. Vom privaten Meinen des einen oder andern ist es ganz unabhängig.
Merke: Was nicht in die Öffentlickeit gehört, ist der Vernunft gleichgültig.
24. 5. 2015
Dienstag, 13. November 2018
Wie ich und die Welt einander geschaffen haben.
Léon Bonnat, Jacob ringt mit dem Engel
Eines ist in der Geschichte ganz bestimmt nicht vorgekommen: dass ein bloßes geistiges "Vermögen", ohne einen körperlichen Träger und ohne irgendwelche physiologische Vorerfahrung rein und unbescholten in die Welt getreten wäre und sich spontan zur Selbst-Bestimmung entschlossen hätte. Und doch lässt sich der Sinn unserer Gattungsgeschichte nicht anders als im Bild dieses Akts darstellen. Dieses Bild hat selber keinerlei po- sitiven Erkenntniswert, man kann daraus nichts schlussfolgern, es lässt sich in keinen wie immer gearteten Denkvorgang als Operator einbringen. Sein Wert ist ausschließlich "regulativ" und kritisch: Es soll uns vor dog- matisch spekulativen Abwegen in Acht nehmen. Gerade das ist es aber, was der Pädagoge braucht, damit er nicht etwa auf die Idee kommt, dass nur durch ihn der Mensch zum Menschen wird.
Wenn dann das uns überlieferte Bedeutungsgeflecht 'Welt' in der Geschichte einmal zu Stande gekommen ist, dann kommt es so jeden Tag neu zustande – wenn nämlich ein Neuer "zur Welt kommt". Und meine Welt ist dann keineswegs nur die individuelle Empfängnis von 'unserer' Welt, sondern mein eignes Bauwerk, in das ge- gebenes Material ebenso eingegangen ist wie mein eigner 'Plan'; und wenn der Plan auch an fremden Vorbildern orientiert sein mag, so habe ich mich doch für ihn entscheiden müssen. ...
Eines ist in der Geschichte ganz bestimmt nicht vorgekommen: dass ein bloßes geistiges "Vermögen", ohne einen körperlichen Träger und ohne irgendwelche physiologische Vorerfahrung rein und unbescholten in die Welt getreten wäre und sich spontan zur Selbst-Bestimmung entschlossen hätte. Und doch lässt sich der Sinn unserer Gattungsgeschichte nicht anders als im Bild dieses Akts darstellen. Dieses Bild hat selber keinerlei po- sitiven Erkenntniswert, man kann daraus nichts schlussfolgern, es lässt sich in keinen wie immer gearteten Denkvorgang als Operator einbringen. Sein Wert ist ausschließlich "regulativ" und kritisch: Es soll uns vor dog- matisch spekulativen Abwegen in Acht nehmen. Gerade das ist es aber, was der Pädagoge braucht, damit er nicht etwa auf die Idee kommt, dass nur durch ihn der Mensch zum Menschen wird.
Wenn dann das uns überlieferte Bedeutungsgeflecht 'Welt' in der Geschichte einmal zu Stande gekommen ist, dann kommt es so jeden Tag neu zustande – wenn nämlich ein Neuer "zur Welt kommt". Und meine Welt ist dann keineswegs nur die individuelle Empfängnis von 'unserer' Welt, sondern mein eignes Bauwerk, in das ge- gebenes Material ebenso eingegangen ist wie mein eigner 'Plan'; und wenn der Plan auch an fremden Vorbildern orientiert sein mag, so habe ich mich doch für ihn entscheiden müssen. ...
aus e. Notizbuch, in 2004?
Die ganze Wissenschaftslehre ist ein Bild, ein Schema, ein Modell der Vernunft; der Bauplan, der jedem vernünftigen Akt zugrunde liegt - wie die DNA einem lebendigen Organismus, und in jeder seiner Zellen gegenwärtig ist. So wie der lebendige Organismus sich in Raum und Zeit erst entwickeln muss, muss das Schema der Vernunft in Raum und Zeit durch Handeln ursächlich werden. Anders als die DNA ist 'es selber' nicht schon in Raum und Zeit, es wurde dem tatsächlichen Handeln vernünftiger Wesen erst retrospektiv als dessen Bestimmung zugedacht.
Nämlich so: Dass das Wesen der Vernunft nur Freiheit sein kann, war die Prämisse der Tanszendentalphiloso- phie. Dann kann an ihrem Grunde kein - und sei es ein logischer - Sachverhalt stehen, der experimentell aus der Erfahrung herauszuschälen wäre. Es kann kein Gesetz stehen, denn aus dem folgt Zwang und Notwendigkeit. Was aus ihm folgt, mag diese oder jene Art von Bewusstheit sein - aber nicht Selbst-Bewusstheit. Was aus ihm folgt, mag göttliche Offenbarung sein - aber nicht Vernunft.
Ja ja, es ist ein Zirkel. Vernunft postuliert Freiheit. Freiheit setzt Vernunft. Die eine ist nur verständlich durch die andere. Von einem dritten Gesichtspunkt aus kommt man in keine von beiden hinein.
JE
Die ganze Wissenschaftslehre ist ein Bild, ein Schema, ein Modell der Vernunft; der Bauplan, der jedem vernünftigen Akt zugrunde liegt - wie die DNA einem lebendigen Organismus, und in jeder seiner Zellen gegenwärtig ist. So wie der lebendige Organismus sich in Raum und Zeit erst entwickeln muss, muss das Schema der Vernunft in Raum und Zeit durch Handeln ursächlich werden. Anders als die DNA ist 'es selber' nicht schon in Raum und Zeit, es wurde dem tatsächlichen Handeln vernünftiger Wesen erst retrospektiv als dessen Bestimmung zugedacht.
Nämlich so: Dass das Wesen der Vernunft nur Freiheit sein kann, war die Prämisse der Tanszendentalphiloso- phie. Dann kann an ihrem Grunde kein - und sei es ein logischer - Sachverhalt stehen, der experimentell aus der Erfahrung herauszuschälen wäre. Es kann kein Gesetz stehen, denn aus dem folgt Zwang und Notwendigkeit. Was aus ihm folgt, mag diese oder jene Art von Bewusstheit sein - aber nicht Selbst-Bewusstheit. Was aus ihm folgt, mag göttliche Offenbarung sein - aber nicht Vernunft.
Ja ja, es ist ein Zirkel. Vernunft postuliert Freiheit. Freiheit setzt Vernunft. Die eine ist nur verständlich durch die andere. Von einem dritten Gesichtspunkt aus kommt man in keine von beiden hinein.
JE
Sonntag, 11. November 2018
"Reizverarbeitung".
Rosel Eckstein / pixelio.de
Die Welt ist nicht alles, "was der Fall ist". Unmittelbar begegnet sie uns als ungestalter, unendlicher Strom des Erlebens. "Reizverarbeitung", sagt der Neurowissenschaftler. Das Erleben ist nicht an sich zusammengesetzt aus einer Reihe von Erlebnissen. Ein Erlebnis zeigt sich erst, wenn die Reflexion willkürlich einen 'Punkt' aus dem Strom herausgreift und ihn künstlich gegen die andern abgrenzt. Doch nicht erst die Punkte – der Strom selbst wird im Verlauf der Verarbeitung nicht nur 'gemerkt', sondern als dieses Erleben bewertet.
Das weiß auch der Neurowissenschaftler und kratzt sich am Kopf: weil er nicht weiß, wie das geschieht, und das heißt für ihn: wo das geschieht. Anzunehmen ist, dass auch dies nicht in einem Zentrum im Gehirn passiert, son- dern, wie alle Reizverarbeitung, systemisch erfolgt innerhalb einer beständig wechselnden Konstellation zahlrei- cher Zentren. Die 'Inselrinde' im praefrontalen Cortex (das Geschmackszentrum) wird irgendwie beteiligt sein, auch das limbische System und der 'Mandelkern' (Amygdala) spielen mit. Und welche Rolle spielt das "Bauch- hirn" (Sonnengeflecht, Plexus solaris) um das Zwerchfell herum? Und: spielt es sie autonom oder seinerseits 'gesteuert' von den neueren, 'höheren' Gehirnpartien? Spielt es in einem systemischen Vorgang überhaupt eine Rolle, welche Partie älter und niederer, und welche neuer und höher ist? Der Vorgang als Ganzer ist ein 'moder- ner' und könnte ohne Mitwirkung rezenter Partien gar nicht stattfinden.
Und sobald das Erleben in der Reflexion bewusst gemacht und in isolierbare Erlebnisse seziert wurde, tritt es ein in das Netz der Symbole, die ihrerseits wertend wirken und das Erleben "einfärben".
Auch hier sagt der Neurowissenschaftler "Reizverarbeitung" – weil er sich qua Fach auf diese Betrachtungsweise einmal festgelegt hat.
Die Welt ist nicht alles, "was der Fall ist". Unmittelbar begegnet sie uns als ungestalter, unendlicher Strom des Erlebens. "Reizverarbeitung", sagt der Neurowissenschaftler. Das Erleben ist nicht an sich zusammengesetzt aus einer Reihe von Erlebnissen. Ein Erlebnis zeigt sich erst, wenn die Reflexion willkürlich einen 'Punkt' aus dem Strom herausgreift und ihn künstlich gegen die andern abgrenzt. Doch nicht erst die Punkte – der Strom selbst wird im Verlauf der Verarbeitung nicht nur 'gemerkt', sondern als dieses Erleben bewertet.
Das weiß auch der Neurowissenschaftler und kratzt sich am Kopf: weil er nicht weiß, wie das geschieht, und das heißt für ihn: wo das geschieht. Anzunehmen ist, dass auch dies nicht in einem Zentrum im Gehirn passiert, son- dern, wie alle Reizverarbeitung, systemisch erfolgt innerhalb einer beständig wechselnden Konstellation zahlrei- cher Zentren. Die 'Inselrinde' im praefrontalen Cortex (das Geschmackszentrum) wird irgendwie beteiligt sein, auch das limbische System und der 'Mandelkern' (Amygdala) spielen mit. Und welche Rolle spielt das "Bauch- hirn" (Sonnengeflecht, Plexus solaris) um das Zwerchfell herum? Und: spielt es sie autonom oder seinerseits 'gesteuert' von den neueren, 'höheren' Gehirnpartien? Spielt es in einem systemischen Vorgang überhaupt eine Rolle, welche Partie älter und niederer, und welche neuer und höher ist? Der Vorgang als Ganzer ist ein 'moder- ner' und könnte ohne Mitwirkung rezenter Partien gar nicht stattfinden.
Und sobald das Erleben in der Reflexion bewusst gemacht und in isolierbare Erlebnisse seziert wurde, tritt es ein in das Netz der Symbole, die ihrerseits wertend wirken und das Erleben "einfärben".
Auch hier sagt der Neurowissenschaftler "Reizverarbeitung" – weil er sich qua Fach auf diese Betrachtungsweise einmal festgelegt hat.
aus e. Notizbuch, um 2002?
Nota I. - Mit der Formel, die Welt sei 'alles, was der Fall ist', hatte Wittgenstein natürlich nichts empirisch Wahrnehmbares gemeint, sondern das, was logisch 'der Fall ist'.
2. 12. 13
Nota II. - Neu an dieser Note sind die Links. Was ich mit Erleben bezeichne, bringe ich in Verbingung mit dem, was in Fichtes Wissenschaftslehre Gefühl heißt - das er indessen nicht als einen einzelnen Reiz(komplex) auf- fasst, sondern als einen Übergang von einem Zustand des ganzen 'Systems der Sinnlichkeit' zu einem anderen Zustand. Das 'Strömen' und die Veränderung, das Fließen selbst wird in der Reflexion zum Gegenstand der Anschauung.
Zum Zustand würde - zwar nicht analytisch-begrifflich, aber phänomenal - auch das ominöse Gefühl des Denk- zwangs gehören - doch das ist übersinnlich. Sein Eingehen in den 'Zustand' des Gesamtsystems der Sinnlichkeit wäre ein Übergehen des Intelligiblen in die sinnliche Welt - was freilich nur eine Worterklärung ist.
JE
Nota I. - Mit der Formel, die Welt sei 'alles, was der Fall ist', hatte Wittgenstein natürlich nichts empirisch Wahrnehmbares gemeint, sondern das, was logisch 'der Fall ist'.
2. 12. 13
Nota II. - Neu an dieser Note sind die Links. Was ich mit Erleben bezeichne, bringe ich in Verbingung mit dem, was in Fichtes Wissenschaftslehre Gefühl heißt - das er indessen nicht als einen einzelnen Reiz(komplex) auf- fasst, sondern als einen Übergang von einem Zustand des ganzen 'Systems der Sinnlichkeit' zu einem anderen Zustand. Das 'Strömen' und die Veränderung, das Fließen selbst wird in der Reflexion zum Gegenstand der Anschauung.
Zum Zustand würde - zwar nicht analytisch-begrifflich, aber phänomenal - auch das ominöse Gefühl des Denk- zwangs gehören - doch das ist übersinnlich. Sein Eingehen in den 'Zustand' des Gesamtsystems der Sinnlichkeit wäre ein Übergehen des Intelligiblen in die sinnliche Welt - was freilich nur eine Worterklärung ist.
JE
Samstag, 10. November 2018
Wo der Geist herkommt.
Die Besonderheit des Menschen ist es nicht, dass für ihn die Dinge neben ihrem Dasein in Raum und Zeit auch noch eine Bedeutung haben – das haben sie für die Tiere auch. Sondern dass er beides unterscheiden kann – und so die Bedeutung jenseits von Raum und Zeit und übersinnlich erscheint.
Geist ist ein Spaltprodukt.
19. 11. 13
Die sinnliche Welt besteht aus allem, was in Raum und Zeit vorkommt. Das ist nicht Geist. Die intelligible Welt ist das Medium, in dem die Reihe vernünftiger Wesen miteinander verkehrt: Das ist die sachliche Voraussetzung dafür, dass die Frage überhaupt erst möglich wurde: Was ist Geist? Es ist dasjenige an der Welt und an den Din- gen, was nicht in Raum und Zeit vorkommt. Bedeutung ist von vorn herein übersinnlich - für den, der von ihr weiß. Sie ist überall und nirgends, sie ist jenseits der sinnlichen Welt.
Das alles ist schon geklärt, bevor wir überhaupt fragen können: Was ist sie denn?
*
Durch das Handeln wird sie Bestandteil der sinnlichen Welt.
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