Mittwoch, 14. November 2018

Wo die Vernunft an ihrem Platz ist und wo nicht.

zoom, pixelio.de
 

 ...Übereinstimmung, der große Zweck der Vernunft...
J. G. Fichte in: Rückerinnerungen, Antworten, Fragen [S. 136] 


I. Vernunft ist nicht an sich, sondern sie dient einem Zweck. Für diesen Zweck ist sie in die Welt gekommen und nur für den ist sie da.

II. Mit andern Worten: Vernunft ist immer da an ihrem Platz, wo Übereinstimmung angebracht ist. Alles andere liegt nicht in ihrem Zweck. 

III. Im sittlichen Bereich ist Übereinstimmung nicht nötig. Das Sittengesetz lautet: Tu das, was dein Gewissen dir gebietet, oder, mit andern Worten: Handle aus Freiheit. Aus Freiheit kann ich nicht handeln, wenn ich zuerst frage, was den andern ihr Gewissen gebiete, und mich mit ihnen darüber ins Benehmen setze. Es kommt auch gar nicht darauf an, ob es dasselbe gebietet, sondern darauf, dass es das Gewissen ist, das gebietet.

IV. Übereinstimmen müssen wir nicht über Gott und die Welt. Es reicht, wenn wir in dem Teil der Welt, in dem wir miteinander verkehren, übereinstimmen über die Angelegenheiten des Teils der Welt, in dem wir miteinander verkehren. Übereinstimmen müssen wir nicht über Gott und nicht über jenen Teil der Welt, in dem ein jeder von uns nur für sich ist.  

Bedenkend immer: Die Welt ist keine Gegend, sondern lediglich ihr Horizont.


23. 6. 14 


'Vernunft und Öffentlichkeit bedeuten dasselbe...' - sofern nämlich Öffentlichkeit schlechterdings Kritik bedeu- tet, und zwar Kritik ohne jede Grenze, weder in der Zeit noch im Raum. 

Vernunft ist kein Stoff und keine Energie, die man haben oder nicht haben kann. Vernünftig kann man sein, und das bedeutet: allgemein nur gelten lassen, was sich der Kritik stellt und ihr standhält. 'Vernunft' ist der Inbegriff all dessen, was die Kritik überstanden haben wird. Sie ist ein bloßes proiectum, weil die Kritik sachlich nie zu einem Ende kommt.


Nein, damit ist Vernunft nicht als Konsens oder als bloße Intersubjektivität bestimmt. Konsens ist das, was eine bestimmte und daher zufällige Anzahl von Individuen unter sich zu einem gegebenen Zeitpunkt aus je gegebe-nen, aber unergründlichen Motiven als momentan für einander gelten sollend vereinbart haben. Eine Art klein- ster gemeinsamer Nenner, eine Menge, die zu einem andern Zeitpunkt größer oder kleiner hätte ausfallen oder auch ausbleiben können. Das ist in logischer Hinsicht so kontingent wie das gelegentliche Meinen und Dafür- halten von Irgendwem. 'Was Vernunft gewesen sein wird' ist nicht Ergebnis einer allmählichen, einvernehmlich Anhäufung, sondern im Gegenteil Resultat einer Reduktion: Das, was der prozessierenden öffentlichen Kritik noch immer standhält, darf als allgemein und notwendig gelten. Vom privaten Meinen des einen oder andern ist es ganz unabhängig.

Merke: Was nicht in die Öffentlickeit gehört, ist der Vernunft gleichgültig.

24. 5. 2015



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