Freitag, 31. August 2018

Mein System.

Le Corbusier

Lieber Leser, 'mein System', von dem ich immer wieder rede und von dem Sie vielleicht doch noch nicht viel erkennen konnten, nimmt langsam Gestalt an; weniger literarisch als sachlich. Das Ästhetische schimmert immer öfter aus dem Strom der Wörter hervor, und nicht bloß als thematischer roter Faden oder als Hinter- grundrauschen, das alle andern Töne einfärbt, sondern als das Bindemittel zwischen der Anthropologie auf der empirischen und der Transzendentalphilosophie auf der theoretischen Seite.

Das klingt nun ebenso eitel wie trivial; wenn man nämlich von dem Ästhetischen einen trivialen Begriff hat. Ich fasse aber das Ästhetische (wie Fichte an Schiller schrieb) so weit, wie Sie es sich nicht einmal träumen lassen. So weit und so scharf, wie ich ergänzend hinzufüge, und dann ist es nicht mehr trivial.

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Auf den ersten Blick ist es freilich das Thema der Vernunft, durch das die Anthropologie mit der Transzenden- talphilosophie zusammenhängt; als das specificum humanum hier und als Medium und Gegenstand dort: Selbst- reflexion der Intelligenz.

Die Intelligenz selber zeichnet das Humane schon lange nicht mehr aus. Je länger die Ethologen observieren, um so weiter wird das Feld der tierischen Intelligenz. Angefangen hat es mit dem Werkzeuggebrauch der Schimpansen, inzwischen sind wir bei absichtlicher Täuschung und Perspektivenwechsel bei den Rabenvögeln, und wer weiß, was noch kommt.

Es ist wohl wahr, tierische Intelligenz manifestiert sich immer punktuell und momentan, nur bei der Familie Homo ist ihr Gebrauch habituell und ubiquitär. Wäre das kein Unterschied? Es wäre keiner, der sich bestim- men lässt. Denn dazu müsstest du eine Grenze ziehen. Doch auf welchen Punkt du immer reflektierst, der Übergang ist fließend.


Qualitativ dagegen ist dieser Unterschied: Im Tierreich steht aller Intelligenzgebrauch im Dienste der Selbst- oder der Arterhaltung, auch da, wo er nicht genetisch, sondern kulturell vererbt wirbt. Allein Homo sapiens bemüht - und je länger seine Geschichte auf Erden dauert, umso wissentlicher - Zwecke, die abseits der Erhal- tungsfunktion liegen: Verum, bonum, pulchrum.

Das ist es, was den Menschen vor andern Lebewesen auszeichnet: Er kann nicht nur wahr-, sondern auch wert- nehmen. Und recht eigentlich muss er wertnehmen, so dass Max Scheler sagen konnte: Wertnehmen kommt vor wahrnehmen, es ist seine Bedingung. 

Das ist ein Satz, der der Anthropologie ebenso angehört wie der Transzendentalphilosophie, die das Praktische vor und über das Theoretische stellt. Wertnehmen ist das Wahrnehmen von Qualitäten, und so nennen wir Eigen- schaften, die schlechterdings - "ohne Interesse" - von einem Urteil des Beifallens oder der Missbilligung beglei- tet sind. Und eben das ist das Ästhetische.

Was morphologisch der aufrechte Gang für die Hominisation bedeutete, bedeutet für die geistige Hominisation die Entwicklung seines ästhetischen Vermögens. Es ist der Stoff der Vernunft.



So weit die Anthropologie.

Vernunft nennen wir nun diejenige Intelligenz, die nicht nur die Wirkzusammenhänge der Dinge in Hinblick auf unsere Zwecke beurteilt, sondern die Zwecke selbst. Eine Intelligenz, die sich als einem Maß unterworfen vorstellt. Vernünftig nennen wir ein Handeln, das seine Zwecke als einer obersten Instanz, als einem Zweck der Zwecke verantwortlich erachtet. Dies genetisch herzuleiten aus dem idealen Ursprung der Vernunft selbst, je- ner Tathandlung, in der sich das Ich als frei setzt, ist wiederum Sache der Transzendentalphilosophie. Die Fik- tion eines obersten Zwecks - verum, bonum, pulchrum - ist eine ästhetische Idee. Sie ist nicht bedingt, sondern durch Freiheit möglich. Und recht besehen, ist am äußersten Ende der Vernunft nur sie noch durch Freiheit möglich.

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Das sind die beiden Pole, zwischen denen "mein System" verläuft.*
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*) Wie es verläuft, sehen Sie, wenn Sie meinen Links folgen. 

27. 6. 14 

Donnerstag, 30. August 2018

Vernunft ist nichts als…

Leonardo

…Verstand im Dienst der ästhetischen Urteilskraft.

Der Verstand ergründet die Dinge und ihre Verhältnisse zueinander. Die Vernunft fragt, was ich unter ihnen zu suchen habe.
5. 12. 13





 

Mittwoch, 29. August 2018

Von der Skepsis.

vingtenaires 

Auch die Sätze Nix gilt und Wahrheit gibt es nicht erheben Anspruch auf Geltung und Wahrheit.

Ein Zeuge Jehovas sagte mir, als ich mich als Atheisten zu erkennen gab, dann glauben Sie ja auch an was. Ich fragte: An was denn? Er sagte: Nichts. Auf meinen Einwand, Nichts sei nicht Etwas, blieb er die Antwort schuldig.

Dabei hatte er Recht. Ich glaube an die Wirklichkeit der Welt. Ich muss es wohl glauben, weil ich anders mein Leben nicht einen Tag führen könnte. Wenn er mir entgegnete, ohne den Glauben an Gott könne auch er sein Leben nicht einen Tag führen, würde ich ihm nicht widersprechen. Ich aber kann es.

12. 7. 15


Nachtrag.  Sobald er das Katheder verlässt, glaube auch der idealistische Philosoph an die Wirklichkeit der Welt, sagte Fichte, der es wissen musste. Er glaubt im seinem geschäftigen Alltag, und da darf er nicht bloß, da muss er. Würde er da alles begründet haben wollen, käme er vor lauter Fragen nicht zum Handeln, aber handeln muss er im Alltag.

Es ist aber nicht immer Alltag. Gottlob gibt es Feiertage. Und dann gibt es jene ganz außerodentlichen Situa- tionen, mit denen keiner gerechnet hat. Die erfordern manchmal Entscheidungen, von denen man nicht weiß, wie weit sie führen werden. Man fragt sich nach dem Sinn nicht von diesem oder jenem, sondern des Lebens selbst. Den kann man schlechterdings nicht wissen, den müsste man glauben.

Die Frage ist nur, wem man ihn glaubt. Und dafür braucht man mehr als den Glauben selbst, nämlich Wissen, oder richtiger: Wissenwollen. Dabei lernt man dann, dass die Annahme eines An-sich außerhalb meiner Vorstel- lung, das man auffinden und verwahren kann, ohne Sinn ist. Da sagt der Skeptiker: "Wusst ich's doch!" Recht hat er: Es ist das einzige, was wir mit Sicherheit wissen können. Es bedeutet immerhin dies: Es gibt nichts und nie- manden, dem wir glauben können - es sei denn, uns selbst; doch wenn wir das nicht tun, können wir wiederum... im Alltag nicht handeln. 

Man könnte also sagen, der Skeptiker hat zu sehr Recht, um noch Recht zu haben. 





 

Dienstag, 28. August 2018

Logik beschreibt nur.


Die Logik schreibt gar nichts vor. Sie beschreibt Operationen, die sich - unabhängig von Bedingungen von Raum und Zeit - als ausführbar bewährt haben. Beweisen lässt sich ihre Richtigkeit nicht, aber jeder kann sie nach machen. Ihr Erfolg ist evident

*

Der Umstand, dass Logisches sich symbolisieren lässt, ist Ausweis für seinen formalen Charakter. Qualitäten lassen sich nicht symbolisieren, sondern höchstens mit Eigennamen benennen. Symbolisieren lassen sich nur Verhältnisse, und Form ist ein Verhältnis; nämlich ein Verhältnis im Raum, denn Raum ist selber nichts anderes als ein Verhältnis zweier Objekte. Form ist die Spur, die im Raum eine Handlung hinterlassen hat. Was nicht Quale ist, ist ein Verhältnis zweier oder mehrerer Qualia. Ihr Verhältnis ist nicht eo ipso, sondern wurde hergestellt - mindestens wird es so vorgestellt. Denn so, wie die Natur im gewöhnlichen Denken als zweckmäßig aufgefasst wird, wird sie auch als gemacht aufgefasst.

Das logische Symbol bezeichnet nicht, was ist, sondern wie etwas gemacht wurde oder zu machen ist. Es steht für kein Quale, sondern immer nur für eine gegebene oder herzustellende Relation. Denn nur die lässt sich beschrei- ben. Die Qualia selbst müssten gezeigt werden.

Sie lassen sich nicht symbolisieren oder, was dasselbe ist, digitalisieren. Symbolisieren lässt sich nur, wo alles Faktische, d. h. alles Qualitative, d. h. alles Kontingente abgezogen wurde und allein die Operation selbst zurück- geblieben ist. Das logische Zeichen, das Zeichen für einen Begriff sind Beschreibungen davon, wie anschauli- che Qualia - die freilich bekannt sein müssen - zu einander ins Verhältnis gesetzt werden: "So wird's gemacht."



Montag, 27. August 2018

Denkgesetze.

 
Denkgesetze

Der Logiker kann zur Begründung seiner Wissenschaft schließlich nichts anderes tun als auf die Notwendigkeit hinweisen, mit der wir unsere Schlüsse ziehen.
 

Dieses subjektive Gefühl der Evidenz würde aber ganz falsch gedeutet, wollte man daraus für die logischen Regeln und unser Denken objektive Verknüpfung von Grund und Folge ableiten. Auch der Stein muß fallen, respektive schwer sein. Könnte er rechnen wie wir, er könnte seine "Fallgesetze" entdecken. Wir denkenden Menschen begehen oft den Fehler zu meinen oder wenigstens zu sagen, der Stein falle nach diesen Gesetzen, das heißt doch wohl, der Fall sei die Folge der Gesetze. Aber die Gesetze sind doch nur das Spätere, die For- mel. Als Gehirn denken wir das Spätere, die Formel, als Körper tun wir das Frühere. Wir fallen und sind schwer.
 

So wenig aber als die Fallgesetze jemals Einfluß genommen haben auf den Fall eines Körpers, so wenig be- kümmern unsere Denkgesetze das Denken. Nur wenn es einen Gott gäbe und wir könnten uns ihn so schul- meisterlich denken, dass er erst die Fallgesetze nicht entdeckt, sondern erfunden und danach das Sonnen- und Sternensystem gebaut hätte, nur dann wäre das Fallgesetz oder die Gravitation der Grund des Falls oder der Planetenbahnen. Und so wären die logischen Gesetze der Grund unseres Denkens, wenn wir sie erfunden hätten, anstatt sie zu entdecken. So schulmeisterlich ist aber nicht einmal der Mensch gewesen.
 

Gerade aus den geschulten Köpfen ist der Glaube an den Wert der Logik am schwersten herauszubringen. Ein verhältnismäßig vorurteilsfreier Mann wie Friedrich Paulsen kann gelegentlich da, wo er die Unhaltbarkeit des Atomismus aus der Tiefe des Gemüts heraus darlegen will, den ketzerischen Satz niederschreiben: "Die Zeit dürfte überhaupt vorüber sein, wo man glaubte, mit logischen Demonstrationen die Notwendigkeit dieses oder jenes Weltbegriffs ausmachen zu können" (Einl. i. d. Philosophie 3214). 

Wo es sich aber nicht um einen Weltbegriff (?) handelt, sondern um eine Kleinigkeit wie den Begriff der Seelen- substanz, da stellt Paulsen eine Behauptung auf, die eigentlich verdiente, in eine tote Sprache übersetzt zu wer- den (Einl. i. d. Philosophie 375): "Man kann zwei Arten von Denknotwendigkeit unterscheiden: die echte oder logische und die falsche oder psychologische." Die unechte oder psychologische Notwendigkeit entspringe aus der Gewöhnung. Wenn Paulsen uns nur sagen wollte, woraus die echte oder logische Notwendigkeit entspringt. "Was wir oft oder immer sehen, hören, denken, erscheint uns zuletzt als notwendig, sein Gegenteil als unmög- lich." Ganz richtig; nur dass diese vortreffliche Erklärung der Denknotwendigkeit auf alles logische Schließen paßt, welches für uns ja nie etwas Anderes ist als das rückwärtsgehende Aufdröseln eines durch Induktion ge- wonnenen Begriffs, nichts als Anwendung einer angewöhnten Klassifikation. Alles Schließen, alle sogenannte Denknotwendigkeit ist psychologische Tätigkeit; die rein logischen Akte wären eben psychisch ohne Psyche.
 

Es ist eine bekannte Beobachtung, und ich habe sie zu Zeiten nervöser Überreizung oft und stark an mir selbst wahrgenommen, dass in der gleichen Angelegenheit vor Tisch ein trauriger, nach Tisch ein befriedigender Aus- gang für wahrscheinlich oder sicher gehalten wird. Nun besteht die Denktätigkeit einer solchen Annahme aus Vorstellen und Schließen. Wir stellen uns bei gut genährtem Körper die günstigeren Tatsachen vor, das heißt wir erinnern uns leichter, das heißt bequemer und lieber an die günstigen Schlußglieder als an die ungünstigen. Wer das für materialistisch hielte, der übersähe, wie ich gerade alle Logik unter die Psychologie bringe. Wenn anders Kritik der Sprache die einzig mögliche Erkenntnistheorie ist und dann auch die einzig mögliche Psycho- logie.
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aus Fritz Mauthner Sprache und Logik, Beiträge zu einer Kritik der Sprache, 3. Band (1913)



Nota. - "Wenn wir sie erfunden hätten, statt sie zu entdecken": Wir haben sie entdeckt, nämlich uns zu Bewusst- sein gebrcht und kodifiziert, nachdem wir sie erfunden hatten - nämlich in langer Denk- und Redepraxis ent- wickelt und ausgebildet

"Alles Schließen, alle sogenannte Denknotwendigkeit ist psychologische Tätigkeit. ...wie ich gerade alle Logik unter die Psychologie bringe": Als Mauthner schrieb, hatte die Psychoanalyse ihr verheerendes Wirken auf die westliche Bildung gerade erst begonnen, und jeder seiner Leser verstand unter Psychologie noch selbstver- ständlich Denk- und allenfalls Wahrnehmungspsychologie, welches empirische und möglichst exakte Diszipli- nen sind. Als solche könnten sie die Denkgesetze allerdings nur beschreiben und vielleicht von ihrer Entste- hung berichten. Und sie könnten wohl auch evolutionär den Umkreis ihrer praktischen Gültigkeit beschreiben. Aber sie begründen, nämlich, was für die Logik wohl wünschenswert wäre, sie logisch konstruieren oder her- leiten, könnten sie nicht. Denn sie sind ja eben empirisch. Wie wahr etwas ist, könnten sie nicht erkennen.

In diesem entscheidenden Punkt hat Mauthner gegen Wittgenstein Recht: Logik ist Denk gesetz, und das heißt: Form einer Tätigkeit. Offenbar lässt sich die Form erst an der Tätigkeit feststellen, nicht umgekehrt. Wie soll man sich das vorstellen: Die Menschen hätten gedacht und hätten nach und nach in die unvordenklichen Gleise der Logik hineingefunden? Sie haben gedacht und nach und nach eine Spur hinterlassen, in die, das ist wahr, folgende Generationen immer wieder hineinfinden. 

Richtiger ist Mauthners Zugang. In welchem Sinne er 'wahrer' ist, muss er nicht mit Wittgenstein ausmachen, sondern mit der Wissenschaftslehre.
JE

Sonntag, 26. August 2018

Das Werkzeug ist faktisch.


Macht die Logik das richtige Denken oder macht das richtige Denken die Logik? Das hängt offenbar davon ab, was man unter richtigem Denken versteht. Im empirischen Bereich ist es zweifellos das Denken, das mir erlaubt, meine Absichten auszuführen. Maß für die Richtigkeit ist der Widerstand der Gegenstände, an denen ich meine Absichten ausführen will. Ebenso ist mein logisches, 'rein ideelles' Denken richtig, sofern es mir erlaubt, meine logischen, rein ideellen Absichten auszuführen. Maßstab ist also der Widerstand, den... Logik und Ideen mir bieten? 

Die habe ich - haben meine Vorfahren - selber gemacht; aber nun, wo sie einmal da sind, treten sie mir gegen- über wie unüberwindliche Gegenstände. Logik und Begriffe sind Werkzeuge; wir müssen sie so gebrauchen, wie wir sie einmal gemacht haben. Der Zweck, zu dem sie gemacht wurden, ist ihr Grund und Wesen, und wenn wir den einmal gewählt haben, haben wir nicht mehr die Wahl.

Merke: Aufs Philosophieren kann ich verzichten, aufs Handeln in der Welt der Gegenstände nicht.







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Samstag, 25. August 2018

Kommt Logik vor dem Denken?

Begriff und Wort.

Die Logik stellt, wie die Grammatik, allgemeine Regeln auf. Die Grammatik der eigenen Sprache lehrt nicht, wie man sprechen soll oder wird, sondern nur, wie man spricht oder gesprochen hat, wofür sich eben nur der Grammatiker interessiert. Die Grammatik einer fremden Sprache erfährt man ebenfalls am besten durch die Übung; immerhin kann die Grammatik einer fremden Sprache nützlich sein, wenn sie von der Grammatik der eigenen abweicht.

Die Logik lehrt nun ebenso, nicht wie man denken soll oder wird, sondern nur wie man denkt oder gedacht hat, was doch nur den Logiker interessiert. Nützlich kann uns nur eine Logik der Fremden werden. Wir selbst sind bei unserer eigenen Denktätigkeit um so weiter von der Anwendung der Logik entfernt, je sachlicher wir uns an die Denkaufgabe halten. Und ich möchte behaupten, dass die berühmten Denkfehler, die Sophismen und Paralogismen, niemals von Nichtlogikern gemacht worden wären. Denn das natürliche Gehirn denkt gar nicht ungegenständlich, wendet gar keine Regeln an, sondern urteilt und schließt vielleicht sogar genau so instinktiv wie das Tier. Erst der redende Mensch dachte "logisch". Es ist fast lustig, dass Logik vom logos stammt, der doch nicht im Anfang war.
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aus Fritz Mauthner Sprache und Logik, Beiträge zu einer Kritik der Sprache, 3. Band (1913)



Nota. - Sprach- und Denkregeln dienen der Wiederholbarkeit - gegenüber andern und gegenüber mir selbst. Wiederholbar sind die Begriffe sowohl als die Verfahren. Ich kann sie wiedererkennen und darauf zählen, dass der Andere sie wiedererkennt. Wäre das auf anderm Wege möglich, müsste es weder definierte Begriffe noch kanonisierte Verfahren geben. Und andersrum: Nur was wiederholt werden soll, muss geregelt werden. Und nur, was schon wiederholt worden ist, kann geregelt werden. Logik war erst möglich, nachdem Menschen schon viel gesprochen hatten.

Wie ist aber Sprache entstanden? Um des Erinnerns willen, meint Mauthner. Nur durch Erinnern ist Bewusst- sein möglich. Doch für Sprache reicht mein Erinnernwollen nicht aus. Ich brauche einen außer mir, der mich erinnert - an dies und das. Nämlich indem er das Zeichen verwahrt, durch das wir gemeinsam Dies und Das kenntlich gemacht haben. 


Ohne das Zeichen wiederum könnte ich nicht reflektieren. Denn ich könnte meine Erinnerungsspur nur zu- fälllig nach regellosem Suchen wiederfinden - wieder erkennen; wieder anschauen. Und hätte ich sie wiedergefun- den, würde ich in die Anschauung hineinfallen wie in ein Loch. Sie überlegend gebrauchen könnte ich nicht. 


Zurück auf Anfang: Regeln ließe sich nichts. Sprache setzt eine Gemeinde von Sprechenden voraus. Ohne die keine Logik.
JE










 


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Freitag, 24. August 2018

A priori.


Wir müssen glauben, daß alles eine Ursache habe, so wie die Spinne ihr Netz spinnt, um Fliegen zu fangen. Sie tut dieses, ehe sie weiß, daß es Fliegen in der Welt gibt.
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Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher Heft H, N° 25
 



Nota. - Der Netzbau ist in ihr genetisches Programm eingeschrieben, in dem die Erinnerungsspuren von Milli- onen Jahren eingetragen sind - ebenso wie der Verzehr von Fliegen. Das Programm läuft ab, ohne dass sie re- flektieren müsste. Sie weiß daher weder von Netz noch von Fliege.

Irgendwo in unsern Genen wird auch unser anschauliches Verständnis von Ursache und Folge verzeichnet sein, zumindest als Bereitschaft. Aber immerhin losgelöst von Fliegen und Netzen, sondern in abstracto. Es bedarf darum stets der Reflexion, um die Verständnisbereitschaft zu aktualisieren.
JE







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Donnerstag, 23. August 2018

Philosophische Anthropologie.


Der Mensch ist kein künstlicheres Geschöpf, als die andern, er weiß es nur daß er ist und daraus läßt sich alles erklären, und wir tun wohl diese Eigenschaft unseres Geistes allen übrigen Eigenschaften eines Geistes vorzu- ziehen, da wir in der Welt die einzigen sind, die uns dieses streitig machen könnten.
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Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher Heft D, N° 200
 



Nota. - Der Mensch ist, seit er weiß, dass er ist, von Natur künstlich. Er ist nicht, wie Herder meint, der erste Freigelassene, nicht, wie die Bibel lehrt, der erste Verstoßene der Natur, sondern deren erster Ausreißer. Ihm ist nichts mehr natürlich, selbstverständlich, unschuldig: Hinter allem steckt eine Absicht, und die muss nicht lauter sein, er muss alles durchleuchten, weil er stets auf einen Hinterhalt gefasst ist. Daraus lässt sich alles erklären! Und das kann er, wenn er sich nur nicht beirren lässt.  

Das wiederum könnte nur er selbst und seinesgleichen.
JE

Mittwoch, 22. August 2018

Die Fackel der Wahrheit.

 
Es ist fast unmöglich, die Fackel der Wahrheit durch ein Gedränge zu tragen, ohne jemandem den Bart zu sengen.
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Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher Heft G, N° 13








Dienstag, 21. August 2018

Nietzsches Willen zur Macht.

Linderhof

Der siegreiche Begriff »Kraft«, mit dem unsere Physiker Gott und die Welt geschaffen haben, bedarf noch einer Ergänzung: es muß ihm ein innerer Wille zugesprochen werden, welchen ich bezeichne als »Willen zur Macht«, d. h. als unersättliches Verlangen nach Bezeigung der Macht; oder Verwendung, Ausübung der Macht, als schöpferischen Trieb usw. 

Die Physiker werden die »Wirkung in die Ferne« aus ihren Prinzipien nicht los; ebensowenig eine abstoßende Kraft (oder anziehende). Es hilft nichts: man muß alle Bewegungen, alle »Erscheinungen«, alle »Gesetze« nur als Symptome eines innerlichen Geschehens fassen und sich der Analogie des Menschen zu diesem Ende bedienen. Am Tier ist es möglich, aus dem Willen zur Macht alle seine Triebe abzuleiten; ebenso alle Funktionen des or- ganischen Lebens aus dieser einen Quelle. 
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Nietzsche, Aus dem Nachlass der Achtziger Jahre, N° 9
  



Nota. - Von einem An sich will er nichts hören, das ist ihm wie dem Teufel das Weihwasser. Aber er ersetzt es keck durch das In mir. Und das ist schwindelerregend flach. Er macht sein Ich zum An sich und drückt sich nur darum, es auszusprechen. Macht er's nicht heimlich genau wie Fichte? 

Das, worin die Kraft 'sitzt', wovon sie 'ausgeht', was in ihr 'wirkt', ist in der philosophische Tradition Substanz. Ein realistischer Denker meint: Ur-Sache. Der idealistische Denker Fichte war indes strenger Phänomenologe; was man nicht wahrnehmen kann, war für ihn nicht wirklich, sein Ich war stets nur Noumenon, ein reines Ge- dankending, das die Vorstellung dem Phänomen lediglich um der Erklärung willen hinzufügt, das aber, weil es nicht wirklich ist, schon gar nicht wirklich wirkt

Von Fichte hatte Nietzsche sein Ich gar nicht. Er hatte seinen Willen von Schopenhauer. Der wiederum hatte ihn von... Fichte, bei dem er mit wachsendem Widerwillen studiert hatte. Er nannte ihn unverfroren das An sich, und dass Nietzsche es ins Ich rückübersetzt hat, hat eine gewisse Folgerichtigkeit. Nur ist dabei das Wesentliche verlorengegangen: Bei Fichte ist das Ich nicht jedes beliebige Selbst, sondern ein Ich immer nur als Subjekt der Vernünftigkeit (ansonsten möchte es auch Freud'sches Es sein, das ja auch von Schopenhauers Wille stammt).

So kommen wir zu Nietzsche zurück. Eine vitalistische Moral, die den Willen zur Macht metaphorisch versteht als Ausdruckstrieb und Drang zu Selbstermächtigung, wäre wohl sympathischer als das ebenso duckmäuseri- sche wie überhebliche wilhelminische Bildungsphilisterium. Da aber der Wille zur Macht über Andere stets un- überhörbar mitklang, hat sich der Unterschied vor Langemarck und Verdun dann als gar nicht so groß erwie- sen.
JE

Montag, 20. August 2018

Die Sprache floss.

 
Was zum Wesen der Welt gehört, kann die Sprache nicht ausdrücken. ... Nur was wir uns auch anders vorstellen können, kann die Sprache ausdrücken. 
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Wittgenstein, Philosophische Bemerkungen, Frankfurt a. M., 1984, S. 84


 
Nota. - Was soll das nun heißen? Ist die Welt ewig unverändert, dann ist es ihr Wesen erst recht; und zwar unab- hängig davon, was ich mir unter Wesen und Welt jeweils vorstelle - und ob überhaupt. Die einzige Aussage in obigem Zitat ist: Was immer das Wesen der Welt sei - die Sprache kann es nicht ausdrücken. 

Es hat aber ein Bindeglied: "Daher kann sie nicht sagen, dass alles fließt." Er fährt fort: "Dass alles fließt, muss in der Anwendung der Sprache ausgedrückt sein", und zwar nicht in der einen oder andern Anwendungsart, sondern "in dem, was wir überhaupt die Anwendung der Sprache nennen". ebd. S. 85

Das ist nun sehr verwirrend. Gibt es denn Sprache abgesehen von und über ihre Anwendung hinaus? Womöglich ihr Wesen?! Und was hieße 'das Wesen ausdrücken'? Liegt es im Wesen der Sprache, dass sie das Wesen der Welt nicht aussprechen kann? Dann wären Welt und Sprache das einander schlechterdings Fremde, ihr einzig gemeinsames Dritte wäre... die Unaussprechlichkeit.  

"Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich. Es ist das Mystische." Tractatus 6.53

Doch irgendwo her weiß er: Das Wesen der Welt ist, dass alles fließt. Aussprechen konnte es keiner, aber es zeigte sich  - indem die Sprache floss.  

Lassen sie mich entgegnen: Mystisch ist daran nichts. Es ist nur zu alltäglich.








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Sonntag, 19. August 2018

Eine unmoralische Mystifikation.

78.media

Soweit die Ethik aus dem Wunsch hervorgeht, etwas über den letztendlichen Sinn des Lebens, das absolut Gute, das absolut Wertvolle zu sagen, kann sie keine Wissenschaft sein.
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Wittgenstein, Vortrag über Ethik, Frankfurt a. M. 1989, S. 19 


Nota. - 'Kann sie keine Wissenschaft sein' - das ist beruhigend, aber auch das Mindeste. Dass sie dagegen "et- was über den letztendlichen Sinn des Lebens, das absolut Gute, das absolut Wertvolle" zu sagen habe, hat man seit bald vierhundert Jahren nicht mehr gehört. Wenn ichs recht überblicke, hat als letzter Spinoza gemeint, das Moralische im Metaphysischen begründen zu können, und hat darum sein metaphysisches Grundlagenwerk Ethik nach geometrischer Methode demonstriert genannt.

Natürlich glaubt Wittgensein an keine wissenschaftliche Metaphysik. Aber dass Ethik auf dem Streben beruhe, das Absolute zu bestimmen, ist ein weiterer Beweis von schockierender philosophischer Unbildung. Er hat ja nicht vom Streben nach dem Absoluten in einem metaphorischen Sinn geredet, sondern von dem Wunsch, übers Absolute etwas zu sagen. Er lehrt uns, die Bedeutung der Wörter sei ihre Verwendung im Sprachspiel. Da darf man annehmen, dass er seine Worte nicht nur so ungefähr, sondern mit Bedacht verwendet. Aussagen kann ich nur, was ich zuvor bestimmt habe. Etwas, das ich bestimmt habe, ist ipso facto nicht länger absolut. Es ist be- stimmt durch die Termini, die es begrenzen. Was sollte das heißen: ein begrenztes Absolutes?

Über semantische Pedanterie mag sich jeder sonst beschweren; Wittgenstein nicht. Das ist aber auch nur die Oberfläche. In der Sache selbst wird es noch haarsträubender. Das metaphysische Vorurteil meint, wenn ich den Sinn der Welt bestimme, dann ist der Sinn des Lebens darin enthalten; ich muss ihn nur ausfindig machen, aussprechen und "immer wieder auf die Praxis anwenden", wie es in Maos Rotem Büchlein hieß - und aller Ge- wissensnöte bin ich enthoben: Der Sinn meines Lebens ist mir gegeben; für mein Heil ist gesorgt.

Aller Metaphysik hatte Kants Kritik der reinen Vernunft ein Ende bereitet; und den Gehalt der Ethik  mit der Frage (!) "Was soll ich tun?" beschrieben. Es ist die Frage, auf die ich aus schlechterding eigenem Urteil zu ant- worten habe. Sittlichkeit, so lernten es zu Wittgensteins Zeiten die Gymnasiasten in Wien, setzt voraus die Freiheit des Willens.

Und zwar - ich mach's kurz - in jedem Moment wieder. "In Fichtens Moral sind die richtigsten Ansichten der Moral. Die Moral sagt schlechterdings nichts Bestimmtes – sie ist das Gewissen – eine bloße Richterin ohne Gesetz. Sie gebietet unmittelbar, aber immer einzeln. " Novalis, Allgemeines Brouillon N° 670

Die Unkenntnis der philosophischen Überlieferung erlaubt es Wittgenstein, in seinem Vortrag über Ethik alles zu einem bunten Brei durcheinander zu rühren, und, statt Licht in die Köpfe seiner englischen Studenten zu bringen, zu mystifizieren, wo doch eben der Wunsch nach Klarsicht gewesen war.
JE    

  

Samstag, 18. August 2018

Das höchste Prinzip.

vulkanischer Riss

Sollte das höchste Prinzip das höchste Paradoxon in seiner Aufgabe enthalten? Ein Satz sein, der schlechterdings keinen Frieden ließe – der immer anzöge, und abstieße – immer von neuem unverständlich würde, so oft man ihn auch schon verstanden hätte? Der unsere Tätigkeit unaufhörlich rege machte – ohne sie je zu ermüden, ohne je gewohnt zu werden? Nach alten mystischen Sagen ist Gott für die Geister etwas Ähnliches.
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Novalis, Logologische Fragmente [a], N°9


Nota. -  Nicht wie die Welt ist, sei das Mystische, sagt Wittgenstein, sondern dass sie ist. 
Das wird sich auch kaum beheben lassen. Das läge aber nicht an ihr.
JE



Freitag, 17. August 2018

Von der Intuition und dem Wesen der Ursache.



24. 9. 37

... Russell sagte, man müsse, ehe man etwas als Ursache durch wiederholte Erfahrung erkenne, etwas durch Intuition als Ursache erkennen.

18. 10. 37

Was wissen wir denn von der Intuition? Welchen Begriff haben wir von ihr? Sie soll wohl eine Art Sehen sein, ein Erkennen auf einen Blick; mehr wüsste ich nicht. - "Also weißt Du ja doch, was eine Intuition ist!" - Etwa so, wie ich weiß, was es heißt, "einen Körper mit einem Blick von allen Seiten zugleich sehen". Ich will nicht sagen, daß man diesen Ausdruck nicht auf irgend einen Vorgang, aus irgend einem guten Grund, verwenden kann - aber weiß ich darum, was er bedeutet? -


'Die Ursache intuitiv erkennen heißt: die Ursache irgendwie, wissen (sie auf eine andere Weise erfahren, als die gewöhnliche). - Es weiß sie nun Einer - aber was nutzt das, - wenn sich sein Wissen nicht bewährt? Nämlich, in der gewöhnlichen Weise, mit der Zeit bewährt. Aber dann ist er ja in keinem andern Fall, als der, der die Ursa- che auf irgend eine Weise richtig erraten hat. Das heißt: - wir haben ja keinen Begriff von diesem besondern We- sen der Ursache. Wir können uns ja vorstellen, Einer sage mit dem Zeichen der Inspiration, er wisse nun die Ursache; aber das hindert nicht, daß wir nun prüfen, ob er das Rechte weiß.

Das Wissen intessiert uns nur im Spiel.

(Es ist, wie wenn jemand behauptet, er besitze die Kenntnis der anatomie des Menshen durch Intuition; und wir sagen: "Wir zweifeln nicht daran; aber wenn Du Arzt werden willst, mußt Du alle Prüfungen ablegen, wie jeder Andere.")
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aus: Ludwig Wittgenstein, "Ursache und Wirkung. Intuitives Erfassen"
in: ders., Vortrag über Ethik und andere kleine Schriften, Frankfurt a. M., 1989, S. 101; 113f.


Nota. - Es ist niederschmetternd, was für ein dürftiger Denker zur Geistesgröße des 20. Jahrhunderts aufsteigen konnte. Dass eine ganze Generation von Philosophiestudenten eines ganzen Kontinents, die auch meint, aus der Geschichte der abendländischen Philosophie nichts gelernt haben zu müssen, ihn zu ihrem Kronzeugen aufruft, hat er bei Gott redlich verdient. 

Intuitio ist - kennen Sie sowas? - Lateinisch und heißt nichts anderes als Anschauung. Darunter kann man - wie Kant - das sinnlich Gefühlte verstehen, oder - wie Fichte - das, was am Gefühl mir etwas bedeutet. Nur: "auf eine andere Weise erfahren, als die gewöhnliche" - das bedeutet es auf jeden Fall nicht, denn Anschauung ist die 'ge- wöhnliche Art', Erfahrung zu machen. Wie aus der Anschauung Erfahrung, nämlich ein Erfahrungsbegriff  wird, hat die Transzendentalphilosophie zu ihrem ersten Thema gemacht. In Wien hätte man das wissen müssen, in Cambridge musste man es nicht.

"Wir haben keinen Begriff von diesem besondern Wesen der Ursache" - in Wien musste man wissen, dass an der Frage nach dem 'Wesen der Ursache' die Transzendentalphilosophei entstanden war und dass, wer immer sich fortan mit dieser Frage beschäftigen will, den Schicksalen der Transzendentalphilosophie nachzupüren hat. In Cambridge durfte man sich mit dem Wesen der Ursache befassen, ohne irgendwas gelernt zu haben. Da klang Russells Einfall mit der Intuition nachgerade avantgardistisch.
JE




Donnerstag, 16. August 2018

Alle Philosophie ist Sprachkritik.

birgitH, pixelio.de
 
Alle Philosophie ist 'Sprachkritik'. (Allerdings nicht im Sinne Mauthners.
Wittgenstein, Tractatus N° 4.0031

Wenn sie Kritik sein soll und nicht bloß Krittelei, dann muss sie einen Gesichtspunkt wählen, unter dem sie kriti- siert; ein Kriterium, an dem sie prüft. Bei der Sprache könnte das ihre kommunikative Leistung sein oder ihre Aussagekraft: nennen wir es: Wahrheitsfunktion; wohl wissend, dass es sich nur um subjektive Wahrhaftigkeit handeln kann. Zum einen: Kann, und unter welchen Bedingungen kann die Sprache mitteilen, was gemeint ist? Das betrifft ihre technische Leistung, nämlich für die Gemeinschaft, deren Zusammenhang durch die Sprache vermittelt ist. Zum andern: Kann die Sprache aussagen, was gemeint ist? Das ist eine Performanz, die über das Technische hinausgeht, denn ihr Prius ist das, was gemeint ist; und was gemeint werden könnte unabhängig von seiner sprachlichen Form.

Wittgenstein beginnt als Logiker, und auch als Sprachkritiker geht es ihm um die Genauigkeit dessen, was mit- geteilt wird, nicht aber um das, was mitgeteilt wird. Das war stattdessen das Thema Mauthners. Wenn die Spra- che gar nicht fassen kann, was 'eigentlich' ausgesagt werden soll, kann sie es schon gar nicht mitteilen; darüber muss man sich dann nicht mehr den Kopf zerbrechen. Dass in der Realität des Sprachverkehrs eine Menge von Ungefähr den diskursiven Fortgang und daher Mitteilung überhaupt erst möglich  macht, verweist darauf, dass das Gemeinte zuerst bildhaft angeschaut werden musste, bevor es in das konventionelle Rezeptakel des Begriffs gefügt werden konnte. Vom Standpunkt der Mitteilung wäre die präzise Fassung des Rezeptakels wohl wünschens- wert. Aber nicht vom Standpunkt dessen, was mitgeteilt werden soll. Dem passt die bildhafte Form besser. 

Jede sprachliche Mitteilung grenzt irgendwo an Kunst. Künstlich wirkt sie in den exakten Wissenschaften oft darum, weil sie das Künstlerische absichtlich unterdrücken - und gerade sein Fehlen hervorheben, was dasselbe hintenrum ist. Indes, in den exakten Wissenschaften kommt es gerade darauf an, dass ein Glied so perfekt wie möglich an das andere anschließt: Wo das den Sinngehalt einschränkt, wird man eben ein paar Zwischenglieder einfügen, weil auf Schönheit kein Wert gelegt wird. Die kommt eventuell wieder in Frage, wo es um die Anschau- ung (sic) des im Diskurs auseinandergelegten Ganzen geht.

Das aber ist eine wissenschaftstechnische Frage und keine philosophische. Sie betrifft die Mitteilung und nicht den Gehalt.

Das philosophische Problem liegt ganz woanders: Wie kann man von dem reden, was vor und unterhalb der sprachlichen Form liegt, ohne sich selber der sprachlichen Form zu bedienen? Das war das meta-logische Pro- blem, dem Fichte die Wissenschaftslehre gewidmet hat. Die gegebene Sprache - das Sprachspiel, sagte einer - hat in ihren Begriffen ein allerfassendes Instrumentarium geschaffen, die einander alle wechselseitig bedeuten. Justie- rungen sind da nur immanent möglich. Doch die Frage Was? und Woher? müsste in den bildhaften Urgrund des Vorstellens selbst hinabtauchen. Den Punkt, von dem aus sie die Rekonstruktion dann in Angriff nimmt, kann sie sich nicht frei aussuchen. Sie muss ihn auf suchen nach Regeln, die sie rechtfertigen kann. 

Die Wissenschaftslehre hat das unternommen. Ob und wieweit es ihr gelungen ist, ist ein anderes Thema. Aber Wittgenstein hat es nicht einmal versucht. Er blieb meilenweit davon entfernt.