Mittwoch, 31. Mai 2017

Wie kommt das Ich dazu, aus sich herauszugehen?


Dalí, Geopoliticus 1943

Man kann die gesamte Aufgabe der Wissenschaftslehre so ausdrücken: Wie kommt das Ich dazu, aus sich selbst herauszugehen? 
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Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 196


Das war das Mysterium bei Plotin, Spinoza und Hegel: wie kommt die Substanz überhaupt dazu, ihre Identität zu verlassen und in Akzidenzen zu "emanieren" (E. Lask)? 'Warum ist GOtt Schöpfer geworden' - die Theolo- gie verbietet diese Frage. Der spekulative Pomp der metaphysisch-philosophischen Systeme täuscht dar- über hinweg, dass sie sich an der Frage vorbeidrücken. Wenn sie aber der Theologie nichts Substanzielles hinzu zu fügen haben, wieso konnten sie's dann nicht bei ihr belassen? Die Philosophie ist dann überflüssig.

Der Transzendentalphilosoph Fichte dreht die Frage um. Er setzt nicht erst ein Ich, um es dann, warum auch immer, tätig werden zu lassen; sondern geht aus vom Faktum der vernünftigen Tätigkeit, das aus dem Noumen Ich erklärt wird. Tatsache ist, dass das (noumenale) Ich aus sich heraugegangen ist. Er muss nun nicht seine Phantasie schweifen lassen und raten, was es dazu veranlasst haben könnte. Er muss lediglich heraus finden, wie das möglich war. Eine Notwendigkeit wird nicht behauptet.






Dienstag, 30. Mai 2017

Das realisierte Absolute wäre das Ende von allem.


caput mortuum

Die Hauptsynthesis ist in allgemeinster Formulierung: Ich bestimme Mich. Würde das je gelingen, wäre mit allem Bestimmen Schluss. Bestimmen meiner - und von irgendetwas anderem - als ... ist nur möglich, solange ich mich von mir unterscheide. Wenn ich mich zu Ende bestimmt habe und mit mir eins geworden bin, bin ich tot. 




Montag, 29. Mai 2017

Novalis spekuliert.


Odilon Redon, Pegasus 

Seele, Körper, Ich

Es ist allgemein bekannt, daß man Seele und Körper unterscheidet. Jeder, der diese Unterscheidung kennt, wird dabei eine Gemeinschaft zwischen beiden statuieren, vermöge deren sie aufeinander wechselseitig wirken. In dieser Wechselwirkung kommt beiden eine doppelte Rolle zu: entweder sie wirken selbst für sich aufeinander, oder ein drittes Etwas wirkt durch eins aufs andre. Der Körper nämlich dient zugleich auch vermittels der Sinne zu einer Kommunikation der äußern Gegenstände mit der Seele, und insofern er selbst ein äußrer Gegenstand ist, wirkt er selbst als ein solcher mittels der Sinne auf die Seele. Natürlich wirkt die Seele auf demselben Wege zurück, und hieraus ergibt sich, daß dieser Weg oder die Sinne ein gemeinschaftliches, ungeteiltes Eigentum des Körpers und der Seele sind. So gut es äußre Gegenstände gibt, zu denen der Körper mitgehört, ebenso gut gibt es innre Gegenstände, zu denen die Seele mitgehört. Diese wirken auf den Körper und die äußern Gegenstände überhaupt, mittels der Sinne, wie schon gesagt, und erhalten die Gegenwirkung auf diesem Wege zurück. Die Schwierigkeit ist nun, die Sinne zu erklären. (Gattungsbegriff der Sinne.)

Zu Sinnen gehört immer ein Körper und eine Seele. Ihre Vereinigung findet mittels der Sinne statt. Die Sinne sind schlechthin nichtselbsttätig. Sie empfangen und geben, was sie erhalten. Sie sind das Medium der Wechselwirkung.

(Entweder unterscheidet die Seele das wirkliche Dasein in der Erscheinung des Augenblicks, den wirklichen Zustand, vom notwendigen Dasein in der Idee, dem gesetzten, dem Idealzustande, nicht (Zustand des freien Seins, ohne rege Unterscheidungskraft), oder sie unterscheidet beides. Im letztern Falle findet sie nun den wirklichen Zustand mit sich selbst harmonierend oder sich widersprechend. Das erste ist das Gefühl der Lust, des Gefallens, das andre das Gefühl der Unlust, des Mißfallens. 

Beide sind Abweichungen vom natürlichen Zustande und daher nur momentan im weitern Sinne. Im ersten Gefühl ist es die Form des natürlichen Zustandes, der Kunstzustand, das Gefällige, Lusterregende. Im andern ist der Zwang, den das Natürlichnotwendige vom Zufälligen erleidet, das Mißfällige, Schmerzende.)

Der Grund der Sinne, der Sinn, muß eine negative Materie und negativer Geist sein – beides eins – folglich die absolute Materie und der absolute Geist, welches eins ist. Finden tun wir dieses Substrat in den einzelnen Sinnen vereinzelt, d.h. in Verbindung mit einem äußern oder innern Gegenstande. Licht, Schall usw. sind Modifikationen, Individuen der Gattung »Sinn«. (Organ und Sinn unterschieden.)

(Hieraus sehn wir beiläufig, daß Ich im Grunde nichts ist. Es muß ihm alles gegeben werden. Aber es kann nur ihm etwas gegeben werden, und das Gegebne wird nur durch Ich etwas. Ich ist keine Enzyklopädie, sondern ein universales Prinzip. Dies hellt auch die Materie von Deduktionen a priori auf. Was dem Ich nicht gegeben ist, das kann es nicht aus sich deduzieren. Was ihm gegeben ist, ist auf Ewigkeit sein, denn Ich ist nichts als das Prinzip der Vereigentümlichung. Alles ist sein, was in seine Sphäre tritt, denn in diesem Aneignen besteht das Wesen seines Seins. Zueignung ist die ursprüngliche Tätigkeit seiner Natur.)

Wahrscheinlich also das Element der Einbildungskraft – des Ichs –, des Einzigen vorhin gedachten Absoluten, das durch Negation alles Absoluten gefunden wird.

Nun müssen wir uns aber diesen Fund nicht materiell oder geistig denken. Es ist keins von beiden, weil es beides auf gewisse Weise ist. Es ist ein Produkt der Einbildungskraft, woran wir glauben, ohne es seiner und unsrer Natur nach je zu erkennen zu vermögen. Es ist auch nichts an und für sich Vorhandnes, sondern dasjenige, was als Gegenstand einer notwendigen Idee den einzelnen Sinnen zum Grunde liegt und sie erklärt und sie einer theoretischen Behandlung fähig macht. 

(Das oberste Prinzip muß schlechterdings nichts Gegebnes, sondern ein frei Gemachtes, ein Erdichtetes, Erdachtes sein, um ein allgemeines metaphysisches System zu begründen, das von Freiheit anfängt und zu Freiheit geht.) Alles Philosophieren zweckt auf Emanzipation ab.
 
(Innres, äußres Organ – Arten der innern und äußern Gegenstände, die besondre Organe voraussetzen und damit eine neue Modifikation des Sinns sichtbar, erkennbar machen.)

(Zwei Weisen, die Dinge anzusehn: von oben herunter oder von unten hinauf; durch diesen Wechsel wird positiv, was erst negativ war, und vice versa. Man muß beide Weisen auf einmal brauchen.)

(Sinn und Bewußtsein. Das letztere ist nichts als: Wirksamkeit der einen oder der andern Welt mittels des Sinns.)
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Novalis, Fragmente
ed. Kamnitzer, Dresden 1929 



Nota. - Zwar hat wohl Novalis zum Philosophieren mehr Talent gehabt als zum Dichten; doch ohne ein gründliches Studium wäre auch daraus nichts geworden. Gründlich oder jedenfalls stürmisch und umfänglich hat Novalis aus beruflichen Gründen seine naturwissenschaftlichen, namentlich mineralogischen Studien betrieben, für die Philosophie blieb weniger Zeit. Er mag aber auch dem Irrtum unterlegen sein, in der Philosophie notfalls mit der Einbildungskraft auskommen zu können.

In obigem Fragment nun ist von einer Herkunft aus der Transzendentalphilosophie schon gar nichts mehr zu spüren. Er konstruiert die Ichheit, wie es jeglicher gesunder Menschenverstand tut: aus der Wechselwirkung von Körper und Seele. Wie er zu der Vorstellung dieser beiden gekommen ist, fragt er sich nicht. Schon ein klein wenig philosophischer Literaturkenntnis hätte ihn gegen den treuen Augenaufschlag der "Seele" miss- trauisch gemacht; aber er war zu diesem Zeitpunkt wohl schon bereit, sich von den Eingebungen hinwegtra- gen zu lassen.

Die Sammlung der "Fragmente", die Kamnitzer 1929 in Dresden herausgegeben hat, unterscheidet nicht die einzelnen Fundorte im Nachlass. Der war noch ungeordnet, die einzelnen Phasen von Novalis' philosophi- schen Studien wurden ja erst durch ihn sichtbar. Während er zunächst um ein eigenes Verständnis der Fichte'schen Wissenschaftslehre bemüht war, ("Fichte-Studien"), legt er später ein Notizbuch 'für alles' an ("Allgemeines Brouillon"), in das er wie in einem Tagebuch seine Einfälle zu diesem und jenem festhält. Dabei vermischen sich fortschreitend Naturwissenschaft, Naturspekulation und eine zunehmend schwär- mende Philosophie. JE

Eine zuverlässige Ausgabe der Fragmente ist inzwischen in Band 2 der Werkausgabe von Hans-Joachim Mähl im Hnaser-Verlag erschienen (München 1978).




Sonntag, 28. Mai 2017

Was tu ich, indem ich philosophiere?


Odilon Redon, Apolls Wagen II

Philosophieren
 
Philosophieren muß eine eigne Art von Denken sein. Was tu' ich, indem ich philosophiere? Ich denke über einen Grund nach, dem Philosophieren liegt also ein Streben nach dem Denken eines Grundes zum Grunde. Grund ist aber nicht Ursache im eigentlichen Sinne – sondern innre Beschaffenheit, Zusammenhang mit dem Ganzen. Alles Philosophieren muß also bei einem absoluten Grunde endigen. Wenn dieser nun nicht gegeben wäre, wenn dieser Begriff eine Unmöglichkeit enthielte, so wäre der Trieb zu philosophieren eine unendliche Tätigkeit und darum ohne Ende, weil ein ewiges Bedürfnis nach einem absoluten Grunde vorhanden wäre, das doch nur relativ gestillt werden könnte und darum nie aufhören würde. Durch das freiwillige Entsagen des Absoluten entsteht die unendliche, freie Tätigkeit in uns, das einzig mögliche Absolute, was uns gegeben werden kann, und was wir nur durch unsre Unvermögenheit, ein Absolutes zu erreichen und zu erkennen, finden. Dies uns gegebne Absolute läßt sich nur negativ erkennen, indem wir handeln und finden, daß durch kein Handeln das erreicht wird, was wir suchen.

Dies ließe sich ein absolutes Postulat nennen. Alles Suchen nach einem Prinzip wäre also wie ein Versuch, die Quadratur des Zirkels zu finden. (Perpetuum mobile. Stein der Weisen.) (Negative Erkenntnis.) (Die Vernunft wäre das Vermögen, einen solchen absoluten Gegenstand zu setzen und festzuhalten.) (Der durch die Einbildungskraft ausgedehnte Verstand.) Streben nach Freiheit wär' also jenes Streben zu philosophieren, der Trieb nach der Erkenntnis des Grundes. Philosophie, Resultat des Philosophierens, entsteht demnach durch Unterbrechung des Triebes nach Erkenntnis des Grundes, durch Stillstehn bei dem Gliede, wo man ist, Abstraktion von dem absoluten Grunde und Geltendmachung des eigentlichen absoluten Grundes der Freiheit, durch Verknüpfung (Verganzung) des zu Erklärenden zu einem Ganzen. Je mannigfaltiger die Glieder dieses Ganzen sind, desto lebhafter wird die absolute Freiheit empfunden; je verknüpfter, je ganzer es ist, je wirksamer, anschaulicher, erklärter ist der absolute Grund alles Begründens, die Freiheit, darin. Die Mannigfaltigkeit bezeugt die Energie, die Lebhaftigkeit der praktischen Freiheit – die Verknüpfung die Tätigkeit der theoretischen Freiheit. Die erste begreift Handlungen, die andre Behandlungen.

Hierunter verstehe ich die Handlungen der eigentlichen Reflexion, die auf bloße Denkhandlungen gehn. (Reflexion ist nicht alles Denken, sondern behandeltes, bedachtes Denken.) Ich bedeutet jenes negativ zu erkennende Absolute, was nach aller Abstraktion übrigbleibt. Was nur durch Handeln erkannt werden kann, und was sich durch ewigen Mangel realisiert. (So wird Ewigkeit durch Zeit realisiert, ohnerachtet Zeit der Ewigkeit widerspricht.) Ich wird nur im Entgegengesetzten wirksam und bestimmt für sich. Indem ich frage: Was ist das? so fordre ich Entäußerung des Dinges an sich; ich will wissen, was es ist? Das weiß ich ja schon, daß es das und das Ding ist, aber was für ein Ding?

Dies will ich wissen, und hier tret' ich in die Sphäre des Subjektiven (die Anschauung find' ich nie, weil ich sie bei der Reflexion suchen muß, und so umgekehrt). Was handelt zunächst für mich, woher entlehn' ich meine Begriffe? – notwendig ich – notwendig von mir. Ich bin für mich der Grund alles Denkens, der absolute Grund, dessen ich mir nur durch Handlungen bewußt werde; Grund aller Gründe für mich, Prinzip meiner Philosophie ist mein Ich. Dieses Ich kann ich nur negativerweise zum Grund alles meines Philosophierens machen, indem ich soviel zu erkennen (zu handeln) und dies so genau zu verknüpfen suche als möglich; (letzteres durch Reflexion). Je unmittelbarer, direkter ich etwas vom Ich ableiten kann, je erkannter, begründeter ist es mir.

(Ergründen ist Philosophieren. Erdenken ist Dichten. Bedenken und Betrachten ist eins. Empfinden, reines Denken ist ein bloßer Begriff: Gattungsbegriff. Nun ist aber Gattung nichts außer dem einzelnen; also denkt man immer auf eine bestimmte Weise, man ergründet oder erdenkt usw.)

(Durch die Gattung kann ich nicht die Individuen kennen lernen, sondern durch die Individuen die Gattung, aber freilich muß man bei der Beobachtung der Individuen immer die Idee der Gattung in den Augen haben.)

(Die Fichtische Philosophie ist eine Aufforderung zur Selbsttätigkeit: ich kann keinem etwas erklären von Grund aus, als daß ich ihn auf sich selbst verweise, daß ich ihn dieselbe Handlung zu tun heiße, durch die ich mir etwas erklärt habe. Philosophieren kann ich jemand lehren, indem ich ihn lehre, es ebenso zu machen wie ich. Indem er tut, was ich tue, ist er das, was ich bin, da, wo ich bin.)
 
(Vom Erfinden oder Nachmachen geht alle Kunst aus.)

(Sind nun die Handlungen, die ich tue, die natürlichen, so sind alle andren Handlungen unnatürlich und erlangen nicht den Zweck, den sie in den Augen haben und haben müssen – der Mensch widerspricht sich. Er widerspricht sich nicht, wenn er seiner Natur gemäß handelt. Daher bleiben die Bösen z. B. in einem ewigen Widerspruch mit sich selbst.) (Der unterschiedne Stoff bringt erst die Unterscheidung in Absicht desjenigen, wovon der Grund gesucht wird, zuwege. Die Alten nannten daher Naturlehre usw. auch Philosophie; wir haben sie auf das Denken des Grundes der Vorstellungen und Empfindungen, kurz der Veränderungen des Subjekts eingeschränkt.) (Über den Ausdruck Seele. Seele des Ganzen.)
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Novalis, Fragmente
ed. Kamnitzer, Dresden 1929 







Samstag, 27. Mai 2017

Hervorbringen kann die Philosophie nichts.


Odilon Redon, Der Wagen Apolls

Philosophie

Die Philosophie soll nicht mehr antworten, als sie gefragt wird.

Hervorbringen kann sie nichts. Es muß ihr etwas gegeben werden. Dieses ordnet und erklärt sie, oder welches ebensoviel ist, sie weist ihm seine Stelle im Ganzen an, wo es als Ursache und Wirkung hingehört.

Welches ist aber ihr eigentlicher Wirkungskreis? Keine gelehrte Kunst kann es sein. Sie muß nicht von Gegenständen und Kenntnissen abhängen, die erworben werden müssen, von einer Quantität der Erfahrung, sonst wäre jede Wissenschaft Philosophie. Wenn also jene Wissenschaften sind, so ist sie keine.

Was könnte es wohl sein?

Sie handelt von einem Gegenstande, der nicht gelernt wird. Wir müssen aber alle Gegenstände lernen – also, von gar keinem Gegenstande. Was gelernt wird, muß doch verschieden sein von dem Lernenden. Was gelernt wird, ist ein Gegenstand, also ist das Lernende kein Gegenstand. Könnte also die Philosophie vielleicht vom Lernenden handeln, also von uns, wenn wir Gegenstände lernen? 

Die Philosophie ist aber selbst im Lernenden. Nun, da wird sie Selbstbetrachtung sein. Ei! wie fängt es der Lernende an, sich selbst in dieser Operation zu belauschen? Er müßte sich also lernen, denn unter Lernen verstehn wir überhaupt nichts als den Gegenstand anschaun und ihn mit seinen Merkmalen uns einprägen. Es würde also wieder ein Gegenstand. Nein, Selbstbetrachtung kann sie nicht sein, denn sonst wäre sie nicht das Verlangte. Es ist ein Selbstgefühl vielleicht. Was ist denn ein Gefühl?

(Die Philosophie ist ursprünglich Gefühl. Die Anschauungen dieses Gefühls begreifen die philosophischen Wissenschaften.)

Es muß ein Gefühl von innern, notwendig freien Verhältnissen sein. Die Philosophie bedarf daher allemal etwas Gegebenen, ist Form – und doch real und ideal zugleich wie die Urhandlung. Konstruieren läßt sich Philosophie nicht. Die Grenzen des Gefühls sind die Grenzen der Philosophie. Das Gefühl kann sich nicht selber fühlen.

Das dem Gefühl Gegebne scheint mir die Urhandlung als Ursache und Wirkung zu sein. Unterscheidung der Philosophie von ihrem Produkt: den philosophischen Wissenschaften.

Was ist denn ein Gefühl? 

Es läßt sich nur in der Reflexion betrachten, der Geist des Gefühls ist da heraus. Aus dem Produkt läßt sich nach dem Schema der Reflexion auf den Produzenten schließen.

Anschauungsvermögen. Der Anschauung liegt kein besondrer Trieb zum Grunde.

Die Anschauung ist für das Gefühl und die Reflexion geteilt. Eins ist sie ohne Anwendung. Angewandt ist sie Tendenz und Produkt. Die Tendenz gehört dem Gefühl, das Produkt der Reflexion. Das Subjektive dem Gefühl, das Objektive der Reflexion. (Beziehung zwischen Vermögen und Kraft.)

Gefühl und Reflexion bewirken zusammen die Anschauung. Es ist das vereinigende Dritte, das aber nicht in die Reflexion und Gefühl kommen kann, da die Substanz nie ins Akzidens kriechen kann, die Synthese nie ganz in der These und Antithese erscheinen. (So entsteht ein Objekt aus Wechselwirkung zweier Nichtobjekte. Anwendung auf die Urhandlung.)

Gefühl scheint das erste, Reflexion das zweite zu sein. Warum?

Im Bewußtsein muß es scheinen, als ginge es vom Beschränkten zum Unbeschränkten, weil das Bewußtsein von sich, als dem Beschränkten, ausgehn muß –, und dies geschieht durchs Gefühl, ohnerachtet das Gefühl, abstrakt genommen, ein Schreiten des Unbeschränkten zum Beschränkten ist: diese umgekehrte Erscheinung ist natürlich. Sobald das Absolute, wie ich das ursprünglich ideal Reale oder real Ideale nennen will, als Akzidens oder halb erscheint, so muß es verkehrt erscheinen: das Unbeschränkte wird beschränkt et vice versa. (Anwendung auf die Urhandlung.) Ist das Gefühl da im Bewußtsein, und es soll reflektiert werden, welches der Formbetrieb verursacht, so muß eine Mittelanschauung vorhergehen, welche selbst wieder durch ein vorhergehendes Gefühl und eine vorhergehende Reflexion, die aber nicht ins Bewußtsein kommen kann, hervorgebracht wird; und das Produkt dieser Anschauung wird nun das Objekt der Reflexion. Dieses scheint nun aber ein Schreiten vom Unbeschränkten zum Beschränkten und ist eigentlich gerade ein umgekehrtes Schreiten.

Beim Gefühl und der Reflexion wird freilich Unbeschränkt beidemal in einer verschiednen Bedeutung genommen. Das erstemal paßt der Wortsinn Unbeschränkt oder Unbestimmt mehr, das zweitemal würde Unabhängig passender sein. Das letztere deutet auf Kausalverbindung, und der Grund davon mag wohl darin liegen, daß die zweite Handlung durch die erste verursacht zu sein scheint. Es ist also eine Beziehung auf die erste Handlung. Hingegen deutet das erstere auf die Reflexionsbestimmung und ist also eine Beziehung auf die zweite Handlung, welches den innigen Zusammenhang dieser beiden Handlungen auffallender zeigt.

Woher erhält aber die erste Reflexion, die die Mittelanschauung mit hervorbringt, ihren Stoff, ihr Objekt? Was ist überhaupt Reflexion?

Sie wird leicht zu bestimmen sein, wie jede Hälfte einer Sphäre, wenn man die eine Hälfte, als Hälfte, und die Sphäre, als geteilt, hat. Denn da muß sie gerade das Entgegengesetzte sein, weil nur zwei Entgegengesetzte eine Sphäre in unserm Sinn erschöpfen oder ausmachen. 

Die Sphäre ist der Mensch, die Hälfte ist das Gefühl.

Vom Gefühl haben wir bisher gefunden, daß es zur Anschauung mitwirke, daß es dazu die Tendenz gebe oder das Subjektive, daß es der Reflexion korrespondiere, die Hälfte der Sphäre Mensch, im Bewußtsein ein Schreiten vom Beschränkten zum Unbeschränkten, im Grunde aber das Gegenteil sei, daß ihm etwas gegeben sein müsse, und daß dieses ihm Gegebene die Urhandlung als Ursache und Wirkung zu sein scheine.

Theoretische und praktische Philosophie, was ist das? Welches ist die Sphäre jeder?

Die Reflexion findet das Bedürfnis einer Philosophie oder eines gedachten, systematischen Zusammenhangs zwischen Denken und Fühlen, denn es ist im Gefühl. Es durchsucht seinen Stoff und findet, als Unwandelbares, als Festes zu einem Anhalten, nichts als sich und sich selbst rein, i. e. ohne Stoff, bloße Form des Stoffs, aber, wohlverstanden, reine Form, zwar ohne wirklichen Stoff gedacht, aber doch, um reine Form zu sein, in wesentlicher Beziehung auf einen Stoff überhaupt.

Denn sonst wäre es nicht reine Form der Reflexion, die notwendig einen Stoff voraussetzt, weil sie Produkt des Beschränkten, des Bewußtseins in dieser Bedeutung, kurz Subjektivität des Subjekts, Akzidensheit des Akzidens ist. Dies ist die Urhandlung usw.

Das ist das Kontingent, was die Reflexion, scheinbar allein, zur Befriedigung jenes Bedürfnisses liefert. Die Kategorie der Modalität schließt deshalb mit dem Begriff der Notwendigkeit. Nun geht die Wechselherrschaft an. Die Urhandlung verknüpft die Reflexion mit dem Gefühle. Ihre Form gleichsam gehört der Reflexion, ihr Stoff dem Gefühle. Ihr Geschehn ist im Gefühl, ihre Art in der Reflexion. Die reine Form des Gefühls ist darzustellen nicht möglich. Es ist nur eins, und Form und Stoff, als komponierte Begriffe, sind gar nicht darauf anwendbar. Die Reflexion konnte ihre reine Form darstellen, wenn man ihre partielle Funktion in der Gemeinschaft mit dem Gefühl Form nennt und diesen Namen auf ihre abstrakte Wirksamkeit überträgt. Nur im Gefühle gleichsam kann die Reflexion ihre reine Form aufstellen: neues Datum des überall herrschenden Wechselverhältnisses zwischen den Entgegengesetzten, oder der Wahrheit, daß alles durch Reflexion Dargestellte nach den Regeln der Reflexion dargestellt ist und von diesen abstrahiert werden muß, um das Entgegengesetzte zu entdecken.

Das Gefühl gibt nun der Reflexion zu seinem Kontingente den Stoff der intellektualen Anschauung. So wie das Gefühl der Reflexion in Aufstellung seiner ersten Formen behilflich sein mußte, so muß die Reflexion, um etwas, für sie zu bearbeiten Mögliches zu haben, mitwirken: und so entsteht die intellektuale Anschauung. Diese wird nun der Stoff der Philosophie in der Reflexion. Nun hat die Reflexion eine reine Form und einen Stoff für die reine Form, also das Unwandelbare, Feste, zu einem Anhalten, was sie suchte, und nun ist die Aussicht auf eine Philosophie, als gedachten (systematischen) Zusammenhang zwischen Denken und Fühlen eröffnet. Wie finden wir nun den Stoff, das Objekt, was nicht Objekt ist, das Gebiet der Wechselherrschaft des Gefühls und der Reflexion bestimmt? Der Zusammenhang zwischen Denken und Fühlen muß immer sein, wir müssen ihn im Bewußtsein überall finden können. Aber wie finden wir ihn systematisch?

Aus den reinen Formen der Reflexion haben wir das Verfahren der Reflexion mit dem Stoff überhaupt gelernt. Sie hat nun einen bestimmten Stoff, mit dem wird sie also ebenso verfahren. Dieser bestimmte Stoff ist die intellektuale Anschauung. Nach dem Gesetze der Urhandlung wird er geteilt. Sie zerfällt in ihre zwei Teile, in das Gefühl und in die Reflexion, denn aus diesen ist sie zusammengesetzt. Die Synthesis dieser These und Antithese muß eins, Grenze und Sphäre von beiden, absolute Sphäre sein, denn es ist Synthesis; wir sind aber im bestimmten Stoff, also muß es, es kann nicht anders sein – Mensch oder Ich sein. Der Mensch denkt und fühlt, er begrenzt beides frei, er ist bestimmter Stoff.

(Dies wäre Fichtens Intelligenz. Das absolute Ich ist dieser bestimmte Stoff, eh die Urhandlung in ihn tritt, eh die Reflexion auf ihn angewendet wird.)

So haben wir in unsrer Deduktion der Philosophie den natürlichsten Weg beobachtet: Bedürfnis einer Philosophie im Bewußtsein, scheinbares Schreiten vom Beschränkten zum Unbeschränkten, Reflexion darüber, scheinbares Schreiten vom Unbeschränkten zum Beschränkten, Resultate dieser Reflexion, Resultate des Gefühls dieser Reflexion, Reflexion über diese Resultate nach jenen Resultaten, gefundner Zusammenhang oder Philosophie. 
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Novalis, Fragmente
ed. Kamnitzer, Dresden 1929



Nota. - Das ist Fichtes gedanklicher Ausgangspunkt: Die Philosophie - lies: Transzendentalphilosophie - bringt selber nichts hervor. Sie hat ihren Gegenstand, nämlich das tatsächlich gegebene vernünftige Bewusstsein ihrer Zeitgenossen - der 'gemeine Standpunkt' -, und dieses gilt es zu verstehen: auf seine wirklichen Voraussetzungen zurückzuführen und seine Reichweite zu ermessen. Um dies zu können, muss die Philosophie einen Standpunkt über ihm einnehmen.

Fichte war Novalis' Ausgangspunkt, ihn wollte er interpretierend verstehen; stets mit dem Hintergedanken, "darüber hinaus" zu gehen. Im Einzelnen kommt er gelegentlich zu verblüffenden Einsichten. Aber insgesamt findet er doch nicht zu dem Verständnis, dass Transzendentalphilosophie an keiner Stelle Realphilosphie wird. So sind etwa Einbildungskraft und Reflexion nicht zwei real existierende antagonistische Kräfte, sondern lediglich zwei Ansichten ein und derselben intellektuellen Tätigkeit, die nur der philosophische Betrachter unterscheidet, um aus der Vorstellung von ihrer Wechselwirkung zu verstehen, was sie eigentlich 'tut'.

So macht z. B. Fichte auch von dem 'Gefühl' einen ganz und gar nüchternen, sensualistisch-materialistischen Gebrauch, Es ist der faktische Ausgangspunkt allen Wissens. Und das Absolute Ich 'ist' nicht ein 'bestimmter Stoff', sondern lediglich die Gedankenkonstruktion von Etwas, das Gefühle hat - und in der Anschauung darauf reflektiert. 

Die Wissenschafstlehre sei "bloße Reflexionsphilosophie", hat Hegel gesagt, mit andern Worten: Sie reflektiert lediglich auf das, was im faktischen Wissen wirklich vorkommt. Sie erfindet nichts hinzu. Aus Hegels Mund ist das ein Lob und kein Tadel. Novalis hat es von Fichte selbst gehört, aber so ganz mag er's nicht glauben. Gern würde er die Einbildungskrft darüber hinausschießen lassen, man merkt es an jeder Stelle.
JE


Freitag, 26. Mai 2017

Die Kunst, Philosophien zu machen .

Odilon Redon

Die Kunst, Philosophien zu machen 

Philosophieren ist dephlegmatisieren, vivifizieren. Man hat bisher in der Untersuchung der Philosophie die Philosophie erst totgeschlagen und dann zergliedert und aufgelöst. Man glaubte, die Bestandteile des Caput mortuum wären die Bestandteile der Philosophie. Aber immer schlug jeder Versuch der Reduktion oder der Wiederzusammensetzung fehl. Erst in den neuesten Zeiten hat man die Philosophie lebendig zu beobachten angefangen, und es könnte wohl kommen, daß man so die Kunst erhielte, Philosophien zu machen.
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Novalis, Fragmente
ed. Kamnitzer, Dresden 1929






Donnerstag, 25. Mai 2017

Der Künstlerphilosoph.

Codex Manesse

Der Künstlerphilosoph

Der rohe, diskursive Denker ist der Scholastiker. Der echte Scholastiker ist ein mystischer Subtilist. Aus logischen Atomen baut er sein Weltall – er vernichtet alle lebendige Natur, um ein Gedankenkunststück an ihre Stelle zu setzen. Sein Ziel ist ein unendlicher Automat. Ihm entgegengesetzt ist der rohe, intuitive Dichter. Er ist ein mystischer Makrolog. Er haßt Regel und feste Gestalt. Ein wildes, gewalttätiges Leben herrscht in der Natur – alles ist belebt. Kein Gesetz – Willkür und Wunder überall. Er ist bloß dynamisch.

So regt sich der philosophische Geist zuerst in völlig getrennten Massen.

Auf der zweiten Stufe der Kultur fangen sich an diese Massen zu berühren – mannigfaltig genug; so wie in der Vereinigung unendlicher Extreme überhaupt das Endliche, Beschränkte entsteht, so entstehn nun auch hier Eklektiker ohne Zahl. Die Zeit der Mißverständnisse beginnt. Der Beschränkteste ist auf dieser Stufe der Bedeutendste, der reinste Philosoph der zweiten Stufe. Diese Klasse ist ganz auf die wirkliche, gegenwärtige Welt, im strengsten Sinne, eingeschränkt. Die Philosophen der ersten Klasse sehn mit Verachtung auf diese zweite herab. Sie sagen, sie sei alles nur ein bißchen und mithin nichts. Sie halten ihre Ansichten für Folgen der Schwäche, für Inkonsequentismus. Gegenteils stimmt die zweite Klasse in der Bemitleidung der ersten überein, der sie die absurdeste Schwärmerei, bis zum Wahnwitz, schuld geben.

Wenn von einer Seite Scholastiker und Alchimisten gänzlich gespalten, hingegen die Eklektiker eins zu sein scheinen, so ist doch auf dem Revers alles gerade umgekehrt. Jene sind im wesentlichen indirekte eines Sinns, nämlich über die absolute Unabhängigkeit und unendliche Tendenz der Meditation. Sie gehn beide vom Absoluten aus; dagegen die Bornierten im wesentlichen mit sich selbst uneins und nur im Abgeleiteten übereinstimmend sind. Jene sind unendlich, aber einförmig – diese beschränkt, aber mannigfaltig. Jene haben das Genie, diese das Talent. Jene die Ideen, diese die Handgriffe. Jene sind Köpfe ohne Hände, diese Hände ohne Köpfe.

Die dritte Stufe ersteigt der Künstler, der Werkzeug und Genie zugleich ist. Er findet, daß jene ursprüngliche Trennung der absoluten philosophischen Tätigkeiten eine tieferliegende Trennung seines eigenen Wesens sei, deren Bestehn auf der Möglichkeit ihrer Vermittlung, ihrer Verbindung beruht. Er findet, daß, so heterogen auch diese Tätigkeiten sind, sich doch ein Vermögen in ihm vorfinde, von einer zur andern überzugehn, nach Gefallen seine Polarität zu verändern. Er entdeckt also in ihnen notwendige Glieder seines Geistes; er merkt, daß beide in einem gemeinsamen Prinzip vereinigt sein müssen. Er schließt daraus, daß der Eklektizismus nichts als das Resultat des unvollständigen, mangelhaften Gebrauchs dieses Vermögens sei.

Es wird ihm mehr als wahrscheinlich, daß der Grund dieser Unvollständigkeit die Schwäche der produktiven Imagination sei, die es nicht vermöge, sich im Moment des Übergehns von einem Gliede zum andern schwebend zu erhalten und anzuschauen. Die vollständige Darstellung des durch diese Handlung zum Bewußtsein erhobenen echt geistigen Lebens ist die Philosophie κατ' εξοχην. Hier entsteht jene lebendige Reflexion, die sich bei sorgfältiger Pflege nachher zu einem unendlich gestalteten geistigen Universo von selbst ausdehnt – der Kern und der Keim einer alles befassenden Organisation. Es ist der Anfang einer wahrhaften Selbstdurchdringung des Geistes, die nie endigt.
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Novalis, Fragmente
ed. Kamnitzer, Dresden 1929



Donnerstag, 18. Mai 2017

Ästhetik kommt nicht aus der Natur, sondern aus Freiheit.



Die ästhetische Philosophie ist ein Hauptteil der Wissenschaft und ist der ganzen anderen Philosophie, die man die reelle nennen könnte, entgegengesetzt. ... In materialer Ansicht liegt sie zwischen theoretischer und prakti- scher Philosophie in der Mitte. Sie fällt nicht mit der Ethik zusammen, denn unserer Pflichten sollen wir uns bewusst werden; allein die ästhetische Ansicht ist natürlich und instinktmäßig und dependiert nicht von der Freiheit.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehe nova methodo. Hamburg 1982


Das steht doch noch unterm Einfluss von Baumgartens Aesthetica. Zwar rechnet er das Ästhetische nicht mehr dem "unteren Erkenntnisvermögen", nämlich der bloßen Sinnlichkeit zu. Aber er fasst es als unsere Naturbe- stimmtheit auf und eben nicht als Medium von Selbst.bestimmung: "dependiert nicht von der Freiheit".

Das ist sachlich nicht der Fall. Freiheit in specie ist bei Fichte nur möglich durch Reflexion. Ästhetische Betrach- tung geschieht aber ohne Reflexion. Bestimmter gesagt: durch Absehen von der Reflexion - und das ist eine Re- flexion zweiter Potenz, sie ist erst einem möglich, dem das freie Reflektieren habituell geworden ist - und dem es schon gelingt, es gegen es selbst zu wenden:



Wie das Ästhetische in die Welt gekommen ist.
aus Anthropologie statt Metaphysik

Wissen kommt nicht zustande ohne Absicht. Erst wenn ich an die Dinge meine Absicht* herantrage, bekun- den sie ihre Eigenschaften - nämlich wie sie zu dem, worauf ich es abgesehen habe, 'Stellung nehmen'; alias was sie bedeuten. Von einem Ding "an sich" gibt es schon darum nichts zu wissen, weil es in dem Moment aufhört, "an sich" zu sein, als es meiner Absicht begegnet. Ohne meine Absicht bedeutet es nichts. Doch ihm ohne Ab- sicht begegnen kann ich nicht.
 
Richtiger gesagt: kann ich nicht natürlich, sondern nur künstlich. Kann ich erst durch Reflexion. Nämlich wenn ich absichtlich von den Absichten - allen möglichen Absichten - durch freien Entschluss, nicht natürlich, sondern künstlich, absehe und das Ding betrachte, wie es 'sich zeigen' würde, wenn ich es ohne Absicht betrachten könn- te. Wenn ich also von mir absehen würde. So entsteht kein Wissen von Etwas, sondern lediglich Anschauung von Erscheinung.


  
Wenn ich mich absichtlich in den ästhetischen Zustand versetze: "In dem ästhetischen Zustand  ist der Mensch Null", sagt Schiller. "An sich" sind die Dinge, wie sie ästhetisch (er)scheinen. Sie sind das Kunstprodukt der Re- flexion, die ihrer selbst entsagt. 
 
Mit andern Worten, ästhetisches Erleben ist nicht möglich ohne vorheriges Wissen und nicht ohne Hinterge- danken. Es ist ein modernes Phänomen. Und dass uns die Bilder, die wir in diesem Zustand sehen, hinterher immer so vorkommen, als ob sie 'etwas zu bedeuten' hätten, ist kein Wunder.

 
*) Auf ein Bewusstsein, das erst durch Reflexion entsteht, kommt es hier noch gar nicht an.


4. 9. 2013





Nota. Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.

Samstag, 13. Mai 2017

Die Sittenlehre ist für jeden individuell.


Emil Wolff 

Um uns selbst zu finden, müssen wir die  Aufgabe denken, uns auf eine gewisse Weise zu beschränken. Diese Aufgabe ist für jedes Individuum eine andere, und dadurch eben wird bestimmt, wer dieses Individuum eigent- lich sei. 

Diese Aufgabe erscheint nicht auf einmal, sondern im Fortgange der Erfahrung analytisch - jedesmal, inwiefern ein Sittengebot an uns ergeht. Aber in dieser Aufforderung liegt zugleiuch, da wir praktische Wesen sind, zu einem praktischen Handeln Aufforderung. Dies ist für jedes Individuum auf besondere Art gültig. Jeder trägt sein Gewissen in sich und ist ein ganz besonderes.

Aber die Weise, wie das Vernunftgesetz allen gebiete, lässt sich nicht in abstracto aufstellen So eine Untersu- chung wird von einem hohen Gesichtspunkte aus angestellt, auf welchem die Individualität verschwindet und bloß auf das Allgemeine gesehn wird. Ich muss handeln, mein Gewissen ist mein Gewissen; insofern ist die Sittenlehre individuell.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 241





Mittwoch, 10. Mai 2017

Wird die Logik im verallgemeinerten Austausch ermittelt?



Einigen unter den Kennern und Liebhabern ist aber aufgefallen: Im reellen Prozess des Warenverkehrs wird als Tauschwert schließlich und endlich eine reelle Größe ermittelt - nämlich der Anteil am gesellschaftlichen Gesamt- arbeitstag, der in der Ware jeweils vergegenständlicht ist. Das ist ein tatsächliches, historisches Verhältnis, das aber außerhalb dieses reellen Vermittlungsprozesses nie und nirgends in Erscheinung tritt.

Gibt es eine ähnliche feste Größe, um die kreisend die Logik sich aus dem geistigen Verkehr der Menschen ausgemittelt hätte? Die also der Logik logisch vorausgeht? Das könnte doch nur das Projekt eines intelligenten Designers sein! Dem läge wiederum gar nichts irgend Zwingendes zu Grunde; es wäre ein reiner Willkürakt ohne alle Logik.

Aber so ist es nicht. Der Tauschwert - Wert - der Ware ist etwas Sachliches: das wirkliche, tätige Verhältnis lebendiger Menschen, die ihre Produkte tauschen unter der Bedingung prinzipiell knapper Ressourcen - und unter der Bedingung, dass der Stoffwechsel der Menschen mit der Natur und miteinander in ganz überwiegen- der Weise in der Nutzung und dem Verzehr von Gegenständen geschieht, die (nur) durch menschliche Arbeit erzeugt werden können. Ob das der Fall ist oder nicht, ist ausschließlich historisch bedingt und muss wie jedes historische Datum empirisch überprüfbar sein.

Was der Logik 'zugrunde liegt', ist aber nicht eine Wirkursache, sondern eine Zweckursache. Sie soll es möglich machen, dass ein gedankliches Argument jederzeit einem jeden so mitteilbar ist, dass es ihm so einleuchtet, wie es dem Absender eingeleuchtet hat (ohne Informationsverlust, clare et distincte, usw. usw. ...) Das kann sich nur erweisen, indem man es versucht. 

Ein solches Verfahren heißt problematisch. Der Zweck ist gegeben, aber als reine Form: Es soll Übereinstimmung hergestellt werden. Er ist Postulat; Projekt.  

Ob das Argument Übereinstimmung erlaubt, ist immer noch eine materiale Frage, die geprüft wird im Akt des Mitteilens selbst: Hält das Material den Mühsalen der Mitteilung stand? Das ist an vielen Materialen und vielen Übermittlungsweisen auszuprobieren, man kann nicht das eine überprüfen ohne das andere: Es ist ein unun- terbrochener, sich ständing erneuernder Prozess; der niemals endende geistige Verkehr eben.

Dass er schließlich zu einem ('einstweilen definitiven') Ergebnis kommt, liegt daran, dass sie 'letzten Ende beide aus demselben Stoff' gemacht sind: der Intentio, der Absicht der miteinander verkehrenden Subjekte. Wobei sich das einstweilen definitive, aber konkrete Ergebnis an dem absoluten, aber als solchem unbestimmten End- zweck, der Endzweck wiederum
an den konkret-vermittelten Zwischenzwecken bewährt; diese an jenem for- mal, jener an ihnen material.

im Herbst 2015




Nota. Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.

Dienstag, 9. Mai 2017

Schaffende Einbildungskraft.


Was es auch seyn möge, das den lezten Grund einer Vorstellung enthält, so ist wenigstens so viel klar, daß es nicht selbst eine Vorstellung sey, und daß eine Umwandlung damit vorgehen müste, ehe es fähig ist in unserm Bewußtseyn, als Stoff einer Vorstellung angetroffen zu werden. //298// Das Vermögen dieser Umwandlung ist die Einbildungskraft. – 

Sie ist Bildnerin[.] Ich rede nicht von ihr, insofern sie ehemals gehabte Vorstellungen wieder hervorruft, ver- bindet[,] ordnet, sondern indem sie überhaupt etwas erst zu einer Vorstellung macht. – Sie ist insofern Schöp- ferin des eigenen Bewußtseyns. 

Ihrer, in dieser Funktion ist man sich nicht bewußt, gerade weil vor dieser Funktion vorher gar kein Bewußt- seyn ist. Die schaffende Einbildungskraft. Sie ist Geist.

Resultat. Dieses Bild müssen wir selbst bilden.
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J. G. Fichte, Über die Pflichten des Gelehrten, Entwurf, Gesamtausgabe II/3, S. 297f.


Nota. - Wir wissen nichts als was in unserm Bewusstsein vorkommt. Alles, was in unserm Bewusstsein vor- kommt, sind Vorstellungen. Wie kamen sie in unser Bewusstsein?
JE



Samstag, 6. Mai 2017

Wozu dies Blog?



Kant unterscheidet zwei Klassen von Philosophen – die "nach dem Schulbegriff" und die "nach dem Weltbe- griff". Nach dem Schulbegriff, das sind die, die Philosophie an der Universität betreiben. Einen Philosophen "nach dem Weltbegriff" hingegen darf sich keiner selber nennen, das können höchstens Andere tun, denn das wäre einer, der jenen zeigt, wo es lang geht.

Ein Schulphilosoph bin ich nicht geworden, bin aber, nachdem ich meinen Erwerbsberuf beendet hatte, zum Philosophieren zurückgekehrt. Dabei ist es mir widerfahren, meine Vorstellungen zu einem System zu ordnen – nur im Kopf, nicht auf dem Papier, denn das ist schwierig. – Nun gilt systematisches Philosophieren in Fach- kreisen heut ohnehin als dumm und anmaßend, und wenn ich dort überhaupt eine Chance haben will, muss ich gewissenhaft vorzeigen, dass ich 'mein System' weißgott nicht mutwillig konstruiere, sondern nur auf Schritt und Tritt mir zuziehe, ohne es hindern zu können. Darum die Form der täglich fortzuschreibenden Blogs und deren Zerstreuung in ein gutes halbes Dutzend.

Die Fichtiana und die hiesigen Philosophierungen sind das Kernstück, sie erläutern einander. Und da am empirisch-anthropologischen Anfangspunkt meines pp. Systems 'das Ästhetische' als Spezifikum des poietischen Vermögens alias produktive Einbildungskraft, an seinem spekulativ-transzendentalen Endpunkt aber 'das Absolute' als die ästhetische Idee schlechthin steht, ist das Blog Geschmackssachen der Dritte im Bund.

Der fragmentarische Vortrag macht die Beschäftigung mit 'meinem System' abwechslungsreich und unterhalt- sam, aber übersichtlich ist er nicht. Allerdings vermute ich, wer ein System übersichtlich darstellen kann, hat es nicht richtig verstanden.

*

In den Fichtiana habe ich während des letzten Jahres die Wissenschaftslehre nova methodo in ihrem vollen Wortlaut Stück für Stück digital zugänglich gemacht (und kommentiert). Diese Arbeit wird demnächst abgeschlossen sein. Dann werde ich sie auf einer eigenen Seite im Zusammenhang veröffentlichen. Das wird eine Weile dauern, während derer ich beide Blogs nur unregelmäßig bestücken kann.

Wenn auch das besorgt ist, werde ich beide Blogs wohl zusammenlegen. Denn ab dann kann ich 'mein System' nur noch als eine Emendation der Fichte'schen Transzendentalphilosophie vorstellen.

Jochen Ebmeier



 


Freitag, 5. Mai 2017

Die Vernunft ist sich selbst vorausgesetzt.



Das / Bewußtsein ist also von vornherein schon ein gesellschaftliches Produkt und bleibt es, solange überhaupt Menschen existieren.
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Marx/Engels, Die deutsche Ideologie, MEW 3, S. 30f.


Also das erste und höchste der Ordnung des Denkens nach, was ich finde, bin ich, aber ich kann mich nicht finden ohne Wesen meinesgleichen außer mir; denn ich bin Individuum. Also meine Erfahrung geht aus von einer Reihe vernünftiger Wesen, zu welcher auch ich gehöre, und an diesem Punkt knüpft sich alles an. 

Dieses ist die intelligible Welt, Welt, insofern sie etwas Gefundenes ist, intelligibel in wiefern sie nur gedacht und nicht angeschaut wird. Die Welt der Erfahrung wird auf die intelligible gebaut, beide sind zugleich, eine ist nicht ohne die andere, sie stehen im Geiste in Wechselwirkung. 
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 J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 151




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Donnerstag, 4. Mai 2017

Individualität und Vernünftigkeit.



Auch das Individuum ist in der Wissenschaftslehre nicht das, was in Biologie oder Psychologie so heißt. Es ist vielmehr das bestimmte einzelne vernünftige Wesen in seinem Verhältnis – und Gegensatz – zu den anderen vernünftigen Wesen. Was nicht zu seiner Vernünftigkeit gehört – Sinnlichkeit, Leidenschaft, Irrtum – , kommt noch nicht in Betracht.*

Individuum im Sinne der Wissenschaftslehre ist derjenige, der auf dem Weg der Bestimmung seines Wollens in der Reihe all der andern vernünftigen Individuen schon ein gewisses Stück zurückgelegt hat. 

Und genau besehen ist vernünftig überhaupt erst seine Wechselwirkung mit jenen.

*) Der Geschmack ist ein irisierendes Zwischending.


Nota. - Die Wissenschaftslehre ist entgegen einem weit verbreiteten Missverständnis keine Entwicklungsge- schichte des Bewusstseins, sondern eine Bestimmung dessen, was Vernunft ist.




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Mittwoch, 3. Mai 2017

Bestimmung des Unbestimmten.




Tätigsein heißt fortschreiten im Bestimmen des noch Unbestimmten, und sonst nichts. Aber es ist auch wirklich alles, was man sich nur darunter vorstellen kann.









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