Sonntag, 28. Mai 2017

Was tu ich, indem ich philosophiere?


Odilon Redon, Apolls Wagen II

Philosophieren
 
Philosophieren muß eine eigne Art von Denken sein. Was tu' ich, indem ich philosophiere? Ich denke über einen Grund nach, dem Philosophieren liegt also ein Streben nach dem Denken eines Grundes zum Grunde. Grund ist aber nicht Ursache im eigentlichen Sinne – sondern innre Beschaffenheit, Zusammenhang mit dem Ganzen. Alles Philosophieren muß also bei einem absoluten Grunde endigen. Wenn dieser nun nicht gegeben wäre, wenn dieser Begriff eine Unmöglichkeit enthielte, so wäre der Trieb zu philosophieren eine unendliche Tätigkeit und darum ohne Ende, weil ein ewiges Bedürfnis nach einem absoluten Grunde vorhanden wäre, das doch nur relativ gestillt werden könnte und darum nie aufhören würde. Durch das freiwillige Entsagen des Absoluten entsteht die unendliche, freie Tätigkeit in uns, das einzig mögliche Absolute, was uns gegeben werden kann, und was wir nur durch unsre Unvermögenheit, ein Absolutes zu erreichen und zu erkennen, finden. Dies uns gegebne Absolute läßt sich nur negativ erkennen, indem wir handeln und finden, daß durch kein Handeln das erreicht wird, was wir suchen.

Dies ließe sich ein absolutes Postulat nennen. Alles Suchen nach einem Prinzip wäre also wie ein Versuch, die Quadratur des Zirkels zu finden. (Perpetuum mobile. Stein der Weisen.) (Negative Erkenntnis.) (Die Vernunft wäre das Vermögen, einen solchen absoluten Gegenstand zu setzen und festzuhalten.) (Der durch die Einbildungskraft ausgedehnte Verstand.) Streben nach Freiheit wär' also jenes Streben zu philosophieren, der Trieb nach der Erkenntnis des Grundes. Philosophie, Resultat des Philosophierens, entsteht demnach durch Unterbrechung des Triebes nach Erkenntnis des Grundes, durch Stillstehn bei dem Gliede, wo man ist, Abstraktion von dem absoluten Grunde und Geltendmachung des eigentlichen absoluten Grundes der Freiheit, durch Verknüpfung (Verganzung) des zu Erklärenden zu einem Ganzen. Je mannigfaltiger die Glieder dieses Ganzen sind, desto lebhafter wird die absolute Freiheit empfunden; je verknüpfter, je ganzer es ist, je wirksamer, anschaulicher, erklärter ist der absolute Grund alles Begründens, die Freiheit, darin. Die Mannigfaltigkeit bezeugt die Energie, die Lebhaftigkeit der praktischen Freiheit – die Verknüpfung die Tätigkeit der theoretischen Freiheit. Die erste begreift Handlungen, die andre Behandlungen.

Hierunter verstehe ich die Handlungen der eigentlichen Reflexion, die auf bloße Denkhandlungen gehn. (Reflexion ist nicht alles Denken, sondern behandeltes, bedachtes Denken.) Ich bedeutet jenes negativ zu erkennende Absolute, was nach aller Abstraktion übrigbleibt. Was nur durch Handeln erkannt werden kann, und was sich durch ewigen Mangel realisiert. (So wird Ewigkeit durch Zeit realisiert, ohnerachtet Zeit der Ewigkeit widerspricht.) Ich wird nur im Entgegengesetzten wirksam und bestimmt für sich. Indem ich frage: Was ist das? so fordre ich Entäußerung des Dinges an sich; ich will wissen, was es ist? Das weiß ich ja schon, daß es das und das Ding ist, aber was für ein Ding?

Dies will ich wissen, und hier tret' ich in die Sphäre des Subjektiven (die Anschauung find' ich nie, weil ich sie bei der Reflexion suchen muß, und so umgekehrt). Was handelt zunächst für mich, woher entlehn' ich meine Begriffe? – notwendig ich – notwendig von mir. Ich bin für mich der Grund alles Denkens, der absolute Grund, dessen ich mir nur durch Handlungen bewußt werde; Grund aller Gründe für mich, Prinzip meiner Philosophie ist mein Ich. Dieses Ich kann ich nur negativerweise zum Grund alles meines Philosophierens machen, indem ich soviel zu erkennen (zu handeln) und dies so genau zu verknüpfen suche als möglich; (letzteres durch Reflexion). Je unmittelbarer, direkter ich etwas vom Ich ableiten kann, je erkannter, begründeter ist es mir.

(Ergründen ist Philosophieren. Erdenken ist Dichten. Bedenken und Betrachten ist eins. Empfinden, reines Denken ist ein bloßer Begriff: Gattungsbegriff. Nun ist aber Gattung nichts außer dem einzelnen; also denkt man immer auf eine bestimmte Weise, man ergründet oder erdenkt usw.)

(Durch die Gattung kann ich nicht die Individuen kennen lernen, sondern durch die Individuen die Gattung, aber freilich muß man bei der Beobachtung der Individuen immer die Idee der Gattung in den Augen haben.)

(Die Fichtische Philosophie ist eine Aufforderung zur Selbsttätigkeit: ich kann keinem etwas erklären von Grund aus, als daß ich ihn auf sich selbst verweise, daß ich ihn dieselbe Handlung zu tun heiße, durch die ich mir etwas erklärt habe. Philosophieren kann ich jemand lehren, indem ich ihn lehre, es ebenso zu machen wie ich. Indem er tut, was ich tue, ist er das, was ich bin, da, wo ich bin.)
 
(Vom Erfinden oder Nachmachen geht alle Kunst aus.)

(Sind nun die Handlungen, die ich tue, die natürlichen, so sind alle andren Handlungen unnatürlich und erlangen nicht den Zweck, den sie in den Augen haben und haben müssen – der Mensch widerspricht sich. Er widerspricht sich nicht, wenn er seiner Natur gemäß handelt. Daher bleiben die Bösen z. B. in einem ewigen Widerspruch mit sich selbst.) (Der unterschiedne Stoff bringt erst die Unterscheidung in Absicht desjenigen, wovon der Grund gesucht wird, zuwege. Die Alten nannten daher Naturlehre usw. auch Philosophie; wir haben sie auf das Denken des Grundes der Vorstellungen und Empfindungen, kurz der Veränderungen des Subjekts eingeschränkt.) (Über den Ausdruck Seele. Seele des Ganzen.)
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Novalis, Fragmente
ed. Kamnitzer, Dresden 1929 







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