Tagebücher, Werkausgabe Bd. 1S. 167:
…Ich weiß, dass diese Welt ist. Dass ich in ihr stehe wie mein Auge in
seinem Gesichtsfeld. Dass etwas an ihr problematisch ist, was wir ihren
Sinn nennen. Dass dieser Sinn nicht in ihr liegt, sondern außer ihr.
Dass das Leben die Welt ist. Dass mein Wille die Welt durchdringt.
[11. 6. 1916]
Vermischte Bemerkungen, Hg. G. H. v. Wright, Ffm. 1994: S. 28:
Zum Staunen muß der Mensch – und vielleicht Völker – aufwachen. Die
Wissenschaft ist ein Mittel, um ihn wieder einzuschläfern.[5.11.1930]
S. 152:
Wissenschaftliche Fragen können mich interessieren, aber nie wirklich
fesseln. Das tun für mich nur begriffliche & ästheti- sche Fragen. Die
Lösung wissenschaftlicher Probleme ist mir, im Grunde, gleichgültig; jener andern Fragen aber nicht. [21.1.1949]
Meine Welt und die Frage nach dem Sinn.
…Ich weiß, dass diese Welt ist. Dass ich in ihr stehe wie mein Auge in seinem Gesichtsfeld. Dass etwas an ihr problematisch ist, was wir ihren Sinn nennen. Dass dieser Sinn nicht in ihr liegt, sondern außer ihr. Dass das Leben die Welt ist. Dass mein Wille die Welt durchdringt.
Ludwig Wittgenstein, Tagebücher, Werkausgabe Bd. 1, S. 167 [11. 6. 1916]
Das Ich tritt in die Philosophie dadurch ein, dass die Welt "meine Welt" ist.
ders., Tractatus, 5. 642
Der Sinn der Welt muss außerhalb ihrer liegen. In der Welt ist alles, wie es ist, und geschieht alles, wie es ge- schieht; es gibt in ihr keinen Wert – und wenn es ihn gäbe, so hätte er keinen Wert. Wenn es einen Wert gäbe, der Wert hat, so muss er außerhalb alles Geschehens und So-Seins liegen. Denn alles Geschehen und So-Sein ist zu- fällig.
ebd., 6.41
Nicht wie die Welt ist, ist das Mystische, sondern dass sie ist.
ebd., 6.44
Meine Art des Philosophierens… – Diese Methode ist im Wesentlichen der Übergang von der Frage nach der Wahrheit zur Frage nach dem Sinn.
ders., Vermischte Bemerkungen, Frankfurt a. M. 1994,
S. 21 [ca. 1929]
Ich glaube, meine Stellung zur Philosophie dadurch zusammengefasst zu haben, indem ich sagte: Philosophie dürfe man eigentlich nur dichten.
ebd., S. 58Ich glaube, meine Stellung zur Philosophie dadurch zusammengefasst zu haben, indem ich sagte: Philosophie dürfe man eigentlich nur dichten.
Nota. - Wenn man von einem Philosophen sagen kann, man wisse nicht, in welchem Sinn er seine Wörter ge- braucht, so ist es Wittgenstein. Man weiß nicht einmal, in welchem Sinn er sich einen Philosophen nennt.
JE
Was kann die Philosophie?
Das Ich tritt in die Philosophie dadurch ein, dass die Welt „meine Welt" ist.
Die Tatsachen gehören alle nur zur Aufgabe, nicht zur Lösung.
Der Sinn der Welt muss außerhalb ihrer liegen. In der Welt ist alles, wie es ist, und geschieht alles, wie es geschieht; es gibt in ihr keinen Wert – und wenn es ihn gäbe, so hätte er keinen Wert.
Wenn es einen Wert gäbe, der Wert hat, so muss er außerhalb alles Geschehens und So-Seins liegen. Denn alles Geschehen und So-Sein ist zufällig.
Es ist klar, dass sich die Ethik nicht aussprechen lässt. Die Ethik ist transzendental. (Ethik und Ästhetik sind Eins.)
Nicht wie die Welt ist, ist das Mystische, sondern dass sie ist
Wir fühlen, dass selbst, wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind. Freilich bleibt dann eben keine Frage mehr; und eben dies ist die Antwort.
Die Lösung des Problems des Lebens merkt man am Verschwinden dieses Problems. (Ist nicht dies der Grund, warum Menschen, denen der Sinn des Lebens nach langen Zweifeln klar wurde, warum diese dann nicht sagen konnten, worin dieser Sinn besteht.)
Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich. Es ist das Mystische.
Die richtige Methode der Philosophierens wäre die: Nichts zu sagen, als was sich sagen lässt, also Sätze der Naturwissenschaft – also etwas, das mit Philosophie nichts zu tun hat -, und dann immer, wenn ein anderer etwas Metaphysisches sagen wollte, ihm nachzuweisen, dass er gewissen Zeichen in seinen Sätzen keine Bedeutung gegeben hat. Diese Methode wäre für den anderen unbefriedigend – er hätte nicht das Gefühl, dass wir ihn Philosophie lehrten – aber sie wäre die einzig streng richtige.
Ich glaube, meine Stellung zur Philosophie dadurch zusammengefasst zu haben, indem ich sagte: Philosophie dürfe man eigentlich nur dichten.
Ludwig Wittgenstein, aus: Tractatus, 5. 642; 6.4321; 6.41; 6.421; 6.44; 6.52-6.53; Vermischte Bemerkungen, Ffm. 1994, S. 58
Wittgenstein im Fliegenglas.
Nota. - Mit der Zeit steigt in mir der Verdacht, Wittgenstein sei in seinem Jahrhundert überschätzt worden - selbst wo man ihn nicht zum Erfinder der Analytischen Philosophie stilisiert. Der Gedanke, die Philosophie habe es nicht mit den Begriffen, sondern mit dem in ihnen zu-Begreifenden zu tun, scheint mir so unabweisbar, dass ich einen, der darauf nicht gekommen ist, nicht für wirklich klug halten mag. Er selbst muss von der überlieferten dinglichen Auffassung des Zubegreifenden so fasziniert gewesen sein, dass er es nur als metaphy- sisch verwerfen konnte; nicht aber den Ausweg erkannte, das Vorstellen selber zu begreifen. Mit andern Worten, er kann von der kritischen Philosophie nicht einmal die Anfangsgründe gekannt haben.
Darum meinen die Adepten der heutigen 'analytischen' Schule, es auch nicht zu brauchen. Das ist einfach dumm.
JE
Über Begriffe, I.
„Die Bedeutung
der Wörter ist ihre Verwendung im Sprachspiel.“ – Das ist salopp ausgedrückt.
Um den springenden Punkt zu vertuschen? Die Bedeutung der Wörter bildet sich durch ihre Verwendung im
Sprachspiel: Das wäre korrekt. Denn es lässt die Frage offen, wo die Wörter her gekommen sind; oder besser: Es stellt die Frage! Erst das Sprachspiel,
dann die Bedeutungen? Oder doch: erst die Bedeutungen, dann das Sprachspiel?!
Einen Begriff nennen wir ein Wort, dessen Bedeutung durch seine Verwendungen in den Sprachspielen so fest gestellt ist, dass sie in den verschiedensten – na ja, in verschiedenen Sprachspielen fungieren kann. Ob ich nun ‚Bedeutung’ sage oder ‚Verwendung im Sprachspiel’ – dieses bleibt: Beide befinden sich in der Spannung zwischen dem Gehalt – ‚intensio’ – und dem Umfang – ‚extensio’ – des Begriffs. Wobei die Intensio nichts anderes ist, als was die Scholastiker intentio nannten: ‚das, was beabsichtitgt ist, das, worauf abgesehen wird’. Die Extensio, das ist offenbar der Umkreis der (sinnlich begegnenden) Phänomene, die unter die Absicht des Begriffs fallen, die also im Begriff ‚mitgemeint’ sind. So, dass die Intensio die Qualitäten festlegt, die ‚gemeint’ sind; und die Extensio die Phänomene zählt, denen diese Qualitäten zugesprochen werden. So, dass weiterhin die Zahl der gemeinten Phänomene zunimmt in dem Maße, wie die Zahl der gemeinten Qualitäten abnimmt, und wiederum abnimmt in dem Maße, wie die Intensität (Stärke, Tiefe, nicht: Menge!) der jeweiligen Qualität zunimmt. (Und ohne Qualitäten geht es nicht.)
Einen Begriff nennen wir ein Wort, dessen Bedeutung durch seine Verwendungen in den Sprachspielen so fest gestellt ist, dass sie in den verschiedensten – na ja, in verschiedenen Sprachspielen fungieren kann. Ob ich nun ‚Bedeutung’ sage oder ‚Verwendung im Sprachspiel’ – dieses bleibt: Beide befinden sich in der Spannung zwischen dem Gehalt – ‚intensio’ – und dem Umfang – ‚extensio’ – des Begriffs. Wobei die Intensio nichts anderes ist, als was die Scholastiker intentio nannten: ‚das, was beabsichtitgt ist, das, worauf abgesehen wird’. Die Extensio, das ist offenbar der Umkreis der (sinnlich begegnenden) Phänomene, die unter die Absicht des Begriffs fallen, die also im Begriff ‚mitgemeint’ sind. So, dass die Intensio die Qualitäten festlegt, die ‚gemeint’ sind; und die Extensio die Phänomene zählt, denen diese Qualitäten zugesprochen werden. So, dass weiterhin die Zahl der gemeinten Phänomene zunimmt in dem Maße, wie die Zahl der gemeinten Qualitäten abnimmt, und wiederum abnimmt in dem Maße, wie die Intensität (Stärke, Tiefe, nicht: Menge!) der jeweiligen Qualität zunimmt. (Und ohne Qualitäten geht es nicht.)
Es reproduziert
sich in jedem Begriff die Doppeltheit des Bewusstseins, dass dem sinnlich
Gegebenen eine Bedeutung zu-gedacht wird, und keines ohne das andere gedacht
werden kann; also der ‚Begriff’ (oder das ‚Ding’, das er ‚erfasst’) immer in
einer Schwebe vorkommt zwischen
Umfang und Gehalt.
[vgl. Cassirer]
Wittgenstein hebt ab.
Cartier-Bresson
"Wie wir nichts mit den Händen bewegen können, wenn wir nicht mit den Füßen fest stehen."
Wittgenstein, Philosophische Bemerkungen, Frankfurt/M., 1984, S. 66
Worauf aber steht Wittgenstein fest?
Seine elementare Gegebenheit, auf die sich sein Denken beziehen kann, ist die Logik. Dort ist alles so, wie es ist und immer war, und wird so bleiben. 'Die Welt ist alles, was der Fall ist.' So ist sie, so war sie, so wird sie sein.
Der Fall ist aber nur Logisches. Es ist lediglich aufzufinden, und dazu empfiehlt es sich, auf die Mehrdeutigkei- ten der natürlichen (analogen) Sprachen zu verzichten. Zeichensysteme digitaler Art sind genauer. Woran man sich halten kann und muss, sind Formeln aus Zeichen: clare et distincte. Natürliche Sprachen können sie nur un- deutlich ausdrücken.
Und weiter?
Da ist auf einmal das Leben, und er steht mit offenem Maul da. Fürs Leben ergibt sich aus den Formeln nichts und wieder nichts. Es gibt zwischen ihnen nämlich keine Verbindung.
"Ich glaube, meine Stellung zur Philosophie dadurch zusammengefasst zu haben, indem ich sagte: Philosophie dürfe man eigentlich nur dichten."
Wittgenstein, Vermischte Bemerkungen, Frankfurt/M., 1994, S. 58 [1933/34]
Dazu muss man nicht mit den Füßen fest stehen.
Eine unmoralische Mystifikation.
Soweit die Ethik aus dem Wunsch hervorgeht, etwas über den letztendlichen Sinn des Lebens, das absolut Gute, das absolut Wertvolle zu sagen, kann sie keine Wissenschaft sein.
______________________________________________
Wittgenstein, Vortrag über Ethik, Frankfurt a. M. 1989, S. 19
Nota. - 'Kann sie keine Wissenschaft sein' - das ist beruhigend, aber auch das Mindeste. Dass sie dagegen "et- was über den letztendlichen Sinn des Lebens, das absolut Gute, das absolut Wertvolle" zu sagen habe, hat man seit bald vierhundert Jahren nicht mehr gehört. Wenn ichs recht überblicke, hat als letzter Spinoza gemeint, das Moralische im Metaphysischen begründen zu können, und hat darum sein metaphysisches Grundlagenwerk Ethik nach geometrischer Methode demonstriert genannt.
Natürlich glaubt Wittgensein an keine wissenschaftliche Metaphysik. Aber dass Ethik auf dem Streben beruhe, das Absolute zu bestimmen, ist ein weiterer Beweis von schockierender philosophischer Unbildung. Er hat ja nicht vom Streben nach dem Absoluten in einem metaphorischen Sinn geredet, sondern von dem Wunsch, übers Absolute etwas zu sagen. Er lehrt uns, die Bedeutung der Wörter sei ihre Verwendung im Sprachspiel. Da darf man annehmen, dass er seine Worte nicht nur so ungefähr, sondern mit Bedacht verwendet. Aussagen kann ich nur, was ich zuvor bestimmt habe. Etwas, das ich bestimmt habe, ist ipso facto nicht länger absolut. Es ist be- stimmt durch die Termini, die es begrenzen. Was sollte das heißen: ein begrenztes Absolutes?
Über semantische Pedanterie mag sich jeder sonst beschweren; Wittgenstein nicht. Das ist aber auch nur die Oberfläche. In der Sache selbst wird es noch haarsträubender. Das metaphysische Vorurteil meint, wenn ich den Sinn der Welt bestimme, dann ist der Sinn des Lebens darin enthalten; ich muss ihn nur ausfindig machen, aussprechen und "immer wieder auf die Praxis anwenden", wie es in Maos Rotem Büchlein hieß - und aller Ge- wissensnöte bin ich enthoben: Der Sinn meines Lebens ist mir gegeben; für mein Heil ist gesorgt.
Aller Metaphysik hatte Kants Kritik der reinen Vernunft ein Ende bereitet; und den Gehalt der Ethik mit der Frage (!) "Was soll ich tun?" beschrieben. Es ist die Frage, auf die ich aus schlechterding eigenem Urteil zu ant- worten habe. Sittlichkeit, so lernten es zu Wittgensteins Zeiten die Gymnasiasten in Wien, setzt voraus die Freiheit des Willens.
Und zwar - ich mach's kurz - in jedem Moment wieder. "In Fichtens Moral sind die richtigsten Ansichten der Moral. Die Moral sagt schlechterdings nichts Bestimmtes – sie ist das Gewissen – eine bloße Richterin ohne Gesetz. Sie gebietet unmittelbar, aber immer einzeln. " Novalis, Allgemeines Brouillon N° 670
Die Unkenntnis der philosophischen Überlieferung erlaubt es Wittgenstein, in seinem Vortrag über Ethik alles zu einem bunten Brei durcheinander zu rühren, und, statt Licht in die Köpfe seiner englischen Studenten zu bringen, zu mystifizieren, wo doch eben der Wunsch nach Klarsicht gewesen war.
JE
Alle Philosophie ist Sprachkritik.
Alle Philosophie ist 'Sprachkritik'. (Allerdings nicht im Sinne Mauthners.
Wittgenstein, Tractatus N° 4.0031
Wenn sie Kritik sein soll und nicht bloß Krittelei, dann muss sie einen Gesichtspunkt wählen, unter dem sie kriti- siert; ein Kriterium, an dem sie prüft. Bei der Sprache könnte das ihre kommunikative Leistung sein oder ihre Aussagekraft: nennen wir es: Wahrheitsfunktion; wohl wissend, dass es sich nur um subjektive Wahrhaftigkeit handeln kann. Zum einen: Kann, und unter welchen Bedingungen kann die Sprache mitteilen, was gemeint ist? Das betrifft ihre technische Leistung, nämlich für die Gemeinschaft, deren Zusammenhang durch die Sprache vermittelt ist. Zum andern: Kann die Sprache aussagen, was gemeint ist? Das ist eine Performanz, die über das Technische hinausgeht, denn ihr Prius ist das, was gemeint ist; und was gemeint werden könnte unabhängig von seiner sprachlichen Form.
Wittgenstein beginnt als Logiker, und auch als Sprachkritiker geht es ihm um die Genauigkeit dessen, was mit- geteilt wird, nicht aber um das, was mitgeteilt wird. Das war stattdessen das Thema Mauthners. Wenn die Spra- che gar nicht fassen kann, was 'eigentlich' ausgesagt werden soll, kann sie es schon gar nicht mitteilen; darüber muss man sich dann nicht mehr den Kopf zerbrechen. Dass in der Realität des Sprachverkehrs eine Menge von Ungefähr den diskursiven Fortgang und daher Mitteilung überhaupt erst möglich macht, verweist darauf, dass das Gemeinte zuerst bildhaft angeschaut werden musste, bevor es in das konventionelle Rezeptakel des Begriffs gefügt werden konnte. Vom Standpunkt der Mitteilung wäre die präzise Fassung des Rezeptakels wohl wünschens- wert. Aber nicht vom Standpunkt dessen, was mitgeteilt werden soll. Dem passt die bildhafte Form besser.
Jede sprachliche Mitteilung grenzt irgendwo an Kunst. Künstlich wirkt sie in den exakten Wissenschaften oft darum, weil sie das Künstlerische absichtlich unterdrücken - und gerade sein Fehlen hervorheben, was dasselbe hintenrum ist. Indes, in den exakten Wissenschaften kommt es gerade darauf an, dass ein Glied so perfekt wie möglich an das andere anschließt: Wo das den Sinngehalt einschränkt, wird man eben ein paar Zwischenglieder einfügen, weil auf Schönheit kein Wert gelegt wird. Die kommt eventuell wieder in Frage, wo es um die Anschau- ung (sic) des im Diskurs auseinandergelegten Ganzen geht.
Das aber ist eine wissenschaftstechnische Frage und keine philosophische. Sie betrifft die Mitteilung und nicht den Gehalt.
Das philosophische Problem liegt ganz woanders: Wie kann man von dem reden, was vor und unterhalb der sprachlichen Form liegt, ohne sich selber der sprachlichen Form zu bedienen? Das war das meta-logische Pro- blem, dem Fichte die Wissenschaftslehre gewidmet hat. Die gegebene Sprache - das Sprachspiel, sagte einer - hat in ihren Begriffen ein allerfassendes Instrumentarium geschaffen, die einander alle wechselseitig bedeuten. Justie- rungen sind da nur immanent möglich. Doch die Frage Was? und Woher? müsste in den bildhaften Urgrund des Vorstellens selbst hinabtauchen. Den Punkt, von dem aus sie die Rekonstruktion dann in Angriff nimmt, kann sie sich nicht frei aussuchen. Sie muss ihn auf suchen nach Regeln, die sie rechtfertigen kann.
Die Wissenschaftslehre hat das unternommen. Ob und wieweit es ihr gelungen ist, ist ein anderes Thema. Aber Wittgenstein hat es nicht einmal versucht. Er blieb meilenweit davon entfernt.
Wittgensteins Ding an sich.
Lawrence Olivier, Hamlet
Wittgenstein sagt, das Ding an sich ist das Sprachspiel; die Bedeutung der Wörter ist ihre Verwendung in dem- selben. Aufgabe der Philosophie ist, ihre Verwendung zu regulieren.
In Wahrheit sind die Wörter nichts ohne die Vorstellungen, die sie mehr oder weniger genau bezeichnen.
Wittgenstein meint, das Sprachspiel sei ein Bild der Welt, die Welt sei aber "alles, was der Fall ist". Gemeint ist: was logisch der Fall ist.
Das ist zum einen eine naive Abbildtheorie, zum andern bleibt das Logische bei sich selbst. Was gemeinhin als die Welt verstanden wird, nämlich all das, was dem Logischen als sein Gegenstand entgegen steht, kommt über- haupt nicht vor.
Es kommt nicht vor, 'was die Welt wirklich ist'; zu Recht, denn was wir von ihr wissen, ist nur, was in unserer Vorstellung vorkommt. Aber bei Wittgenstein kommt die Vorstellung nicht vor.
Meine Welt und die Frage nach dem Sinn.
…Ich weiß, dass diese Welt ist. Dass ich in ihr stehe wie mein Auge in seinem Gesichtsfeld. Dass etwas an ihr problematisch ist, was wir ihren Sinn nennen. Dass dieser Sinn nicht in ihr liegt, sondern außer ihr. Dass das Leben die Welt ist. Dass mein Wille die Welt durchdringt.
Ludwig Wittgenstein, Tagebücher, Werkausgabe Bd. 1, S. 167 [11. 6. 1916]
Das Ich tritt in die Philosophie dadurch ein, dass die Welt "meine Welt" ist.
ders., Tractatus, 5. 642
ebd., 6.41
Nicht wie die Welt ist, ist das Mystische, sondern dass sie ist.
ebd., 6.44
Meine Art des Philosophierens… – Diese Methode ist im Wesentlichen der Übergang von der Frage nach der Wahrheit zur Frage nach dem Sinn.
ders., Vermischte Bemerkungen, Frankfurt a. M. 1994 ,
S. 21 [ca. 1929]
Ich glaube, meine Stellung zur Philosophie dadurch zusammengefasst zu haben, indem ich sagte: Philosophie dürfe man eigentlich nur dichten.
ebd., S. 58
Nota. - Wenn man von einem Philosophen sagen kann, man wisse nicht, in welchem Sinn er seine Wörter ge- braucht, so ist es Wittgenstein. Man weiß nicht einmal, in welchem Sinn er sich einen Philosophen nennt.
JE
Der Sinn der Welt muss außerhalb ihrer liegen.
Der Sinn der Welt muss außerhalb ihrer liegen. In der Welt ist alles, wie es ist, und geschieht alles, wie es geschieht; es gibt in ihr keinen Wert – und wenn es ihn gäbe, so hätte er keinen Wert. Wenn es einen Wert gäbe, der Wert hat, so muss er außerhalb alles Geschehens und So-Seins liegen. Denn alles Geschehen und So-Sein ist zufällig.
______________________
Wittgenstein, Tractatus, 6.41
Nota. - 'An sich' hätte er Recht, wenn er bloß nicht mit dem außerhalb ihrer den GOtt seiner Väter meinte. Wen aber sonst? Ein Ich kommt für ihn nicht in Betracht, denn das Ich käme in die Philosophie nur, weil die Welt 'meine' Welt sei. Das ist so ungenau, dass es eher falsch als richtig ist. Die Welt gibt es erst und nur, wenn ein Ich sie sich und sich ihr entgegen setzt. Natürlich, indem es 'in' ihr ist, wie der Mittelpunkt im Kreis; aber beide als un- auflöslicher Gegensatz: dieser durch jenen und jener durch diesen. Ich und Welt sind, wie Fichte das nennt, Wech- selbegriffe.
Aber so kann Wittgenstein es nicht meinen. Denn bevor die Welt 'meine' sein kann, ist sie für ihn an sich - näm- lich "alles, was der Fall ist". Das ist - da hat er völlig Recht - ohne allen Sinn. Wenn sie nicht von vorn herein meine ist, kann 'Ich' ihn auch von hinten nicht in sie hinein bringen; denn Ich wäre nur daneben.
Das müsste schon, wenn es doch einen Sinn geben soll, wirklich ein GAnz ANderer sein, der ihn hinzutut wie damals auf dem Berg Sinai.
JE
Logik als Metaphysik.
Man hört immer wieder die Bemerkung daß die Philosophie eigentlich keinen Fortschritt mache, daß die glei- chen philosophischen Probleme die schon die Griechen beschäftigten uns noch beschäftigen. Die das aber sagen verstehen nicht den Grund warum es so ist. Der ist aber, daß unsere Sprache sich gleich geblieben ist & und immer wieder zu denselben Fragen verführt. Solange es ein Verbum 'sein' geben wird das zu funktionieren scheint wie 'essen' & 'trinken', solange es Adjektive 'identisch', 'falsch', 'möglich' geben wird, solange von einem Fluß der Zeit & von einer Ausdehunung des Raums die Rede sein wird, u.s.w., u.s.w., solange werden die Men- schen immer wieder an die gleichen rätselhaften Schwierigkeiten stoßen & auf etwas starren was keine Erklä- rung scheint wegheben zu können.
Und dies befriedigt im Übrigen ein Verlangen nach dem Überirdischen denn indem sie die "Grenze des menschllichen Verstandes" zu sehen glauben, glauben sie natürlich über ihn hinaus sehen zu können.
____________________________________________________
Wittgenstein, Vermischte Bemerkungen, Frankfurt/M., 1994, S. 59f.
Nota. - Es geht hier gegen die ununterdrückbare dogmatische Versuchung des begrifflichen Denkens, sich zu den beobachteten Erscheinungen der Welt ein jeweiliges An-sich jenseits der Erscheinung zu denken; aus dem Umstand, dass man zu jedem beobachtbaren Phänomen sich ein rein gedankliches Bild, ein Noumenon vorstel- len kann, das, da es nirgends zu beobachten ist, jenseits von Raum und Zeit zu sein scheint - zu folgern, dass nicht das Gedankending ein Derivat des beobachtbaren Dinges, sondern umgekehrt die beobachtbaren Dinge Individuationen ihrer allgemeinen Begriffe seien.
Es ist wohl so, dass diese Versuchung in jeder natürlichen Sprache besteht. Das Wort als ein Klangzeichen für die Sache mag immer für wahrer gehalten werden als die Erscheinungen, die es bezeichnet. Das Wort bedeutet etwas, es rangiert als Subjekt logisch vor dem Objekt, das es bedeutet. Es agiert, das Objekt hält still. Es bedeu- tet.
Das liegt nun nicht daran, dass es ein Wort, sondern dass es überhaupt ein Zeichen ist - etwas, das für etwas an- deres steht. Das andere, für das es steht, sind aber nicht soundsoviele Dinge, sondern deren Bedeutung. Und nicht das Zeichen setzt die Bedeutung, sondern der Bedeutung wird ein x-beliebige Zeichen zugeordnet. Was gilt, ist nicht das Zeichen, sondern das, was es bedeutet. Die Quelle der dogmatischen Versuchung ist die Zwei- teilung unserer Welt in Sein und Gelten.
Die beruht darauf, dass der Mensch ein handelndes Wesen ist - wesen tlich.
Das Ding liegt da und ist, was es ist. Wenn es Eigenschaften hat, dann weiß es jedenfalls nichts davon. Und zunächst einmal ein anderer auch nicht. Sie bedeuten niemandem etwas, heißt: Sie bedeuten nichts. Bedeuten können sie erst einem, der mit ihnen was anfangen will. Der einen Zweck verfolgt und unter vorfindlichen Merkmalen nach solchen sucht, die seinem Zweck entsprechen; und findet er welche, dann bedeutet das Ding ihm etwas, und findet er solche, die seinem Zweck entgegenstehen, so bedeutet es auch etwas! Findet er weder dies noch das, so bedeutet das Ding ihm nichts, dann mag er es beiseite legen für kommende Gelegenheiten...
Eine Absicht, etwas, das gemeint ist, ist Bedingung aller Bedeutung, denn das ist allein, was gelten kann; indem nämlich eine Tat folgt.
Das ist mit den Begriffen so und ist mit der Logik nicht anders. Ein wollen könnendes Subjekt ist auch ihr vor- ausgesetzt.
Nicht Vernunft hätte die Logik ausgebildet, sondern Logik erschaffte, immer neu, die Vernunft. Logik ist für Wittgestein, wie die Scholastiker sagten, ens perfectissimum, weil causa sui. Und zwar dies, indem sie den Dingen selber innewohnt:
"Was der Fall ist, die Tatsache, ist das Bestehen von Sachverhalten.
Der Sachverhalt ist eine Verbindung von Gegenständen. (Sachen, Dingen.)
Es ist dem Ding wesentlich, der Bestandteil eines Sachverhaltes sein zu können.
In der Logik ist nichts zufällig: Wenn das Ding im Sachverhalt vorkommen kann, so muss die Möglichkeit des Sachverhaltes im Ding bereits präjudiziert sein.
Es erschiene gleichsam als Zufall, wenn dem Ding, das allein für sich bestehen könnte, nachträglich eine Sach- lage passen würde. Wenn die Dinge in Sachverhalten vorkommen können, so muss dies schon in ihnen liegen."
___________________________
Wittgenstein, Tractatus 2 - 2.0121
Sein Ding ist, er weiß es bloß nicht, eine Leibniz'sche Monade. Es strebt danach, in Sachverhalten vorzukommen; nisus oder appetitus sagt Leibniz. Indes ist Leibniz' Monade nichts als die vom Mathematiker formalisierte Entele- chie des Aristoteles; Wittgenstein sagt es selber: Kein Fortschritt in der Philosophie!
Doch liegt es hier nicht an den Wörtern, die er anscheinend gar nicht kennt, sondern an den Vorstellungen, die sie transportieren sollen. Die Vorstellungen lassen sich nicht anders als in Wörtern ausdrücken, wohl wahr. Aber es sind die Wörter, die die Vorstellungen ausdrücken, und nicht andersrum. Die Vorstellungen sind zuerst da.
Die Vorstellung ist ein Bild - ein Bild, Quale. Die Bestandteile von Wittgensteins Welt - das, was jeweils 'der Fall ist' - sind Verhältnisse; Verhältinisse von Dingen; von mehreren, was sonst? Sachverhalt ist ein Verhältnis von Sa- chen. Er ist Wittgensteins onto-logisches Prius. Die Sachen verhalten sich, weil ihre möglichen Verhältnisse in ihnen "präjudiziert" sind. Das ist kein Bild, sondern eine Formel. Sie kann nicht - anschaulich als Eines - vorge- stellt, sondern muss in mehreren symbolischen Zeichen notiert werden.
Und noch eines unterscheidet das angeschaute Bild von der Formel: Es kann sich bewegen. Rein physikalisch aufgefasst, lässt jede Bewegung sich in Formeln darstellen. Aber die Darstellung ist nicht die Bewegung. Die Formel bewegt weder sich noch sonstwas. Die Formel ist das ruhende Schema eines lebenden Bildes. Sie be- zeichnet Verhältnisse, nicht Qualia. Darum ist der Begriff, weil er definiert ist, ein Verhältnis, und das macht ihn zum Blutsverwandten der Logik. Sie haben ein Familien verhältnis. Es unterscheidet sie, dass der Begriff einen - qualitativen - Gehalt geltend macht, und die Logik nicht. Vom Begriff her gibt es daher einen Übergang ins Le- ben; von der Logik her nur, sofern sie Begriffe in ein Verhältnis setzt - ohne sie ist sie tot und leer.
Doch den Begriff gibt es für Wittgenstein nur als Elemet im Sprachspiel, als Wort, er ist eine Spielmarke, die ihre Bedeutung erst aus den Spielregeln erfährt. Die Spielregeln sind die Vorschriften, nach denen sie von den Spielern zu einander in... Verhältnisse gesetzt werden. Wie ich es drehe und wende: Sinn oder Bedeutung oder sonst was, das für sich selber gelten könnte, kommen einfach nicht vor. Kein Wunder also, dass Wittgenstein keinen Zugang zum 'Leben' findet, denn da muss von früh bis spät gehandelt werden, und das geht nicht ohne Bedeutungen, die gelten sollen.
Nirgends ein Quale. Stattdessen Wortgetüftel ohne Ende.
*
Ohne Ende: Das macht Wittgensteins Vorlage universell anschlussfähig. So sehr, dass seine zumeist freilich ein- äugigen und schmalspurigen Popularisierer in den angelsächsischen Ländern sie bis zurück in sein heimatliches Europa tragen konnten, wo sie unter dem satirischen Etikett 'Systematiker' eine großen Schar von Anschluss- willigen vorfand.
Manfred Frank hat schon vor einiger Zeit die derzeitige 'systematischen' Philosophie als eine "neue Scholastik, eher: einen neuen Wolffianismus" bezeichnet, nämlich als eine Variante jener Schule, die das ratinonalistisch-spekulative 'System' von Leibniz dem gesunden Menschenverstand kommensurabel machen wollte. "So nannte man die Philosophie, die im achtzehnten Jahrhundert im Anschluss an Christian Wolff aus Leibnizens genialen Aperçus eine zusammenhängende, eine systematische 'Schulphilosophie' - eben eine Scholastik - zu errichten versuchte und flächendeckend die deutschen Universitäten beherrschte. Schon damals gab es eine allgemein anerkannte Terminologie, man stritt sich um Tüttelchen von Wortdefinitionen, man spaltete die dünnsten Be- griffshärchen; aber man war sich einig im Dissens, weil man die gleichen Verfahren und dieselben Definitionen benutzte."
Immerhin, die Wolffianer - von denen auch der spätere Kritiker Kant herkam - begannen bei den Begriffen, die sie zwar unkritisch, aber eben als begründend auffassten. Darin sind ihnen die heutigen 'Systematiker' treu: Es müsse sich doch im Gebrauch der Wörter bei gehöriger Genauigkeit ein atomarer Bedeutungskern ausmachen lassen, der den wechselnden Geschicken der empirischen Gebräuche Stand hält.
Damit sind sie den Leibniz'schen Epigonen Wolff und Baumgarten allerdings näher als der Denker, dessen Epigonen sie selber sind. Wie Wittgenstein nahm nämlich auch Leibniz an, dass die Verhältnisse vor den Din- gen selber kämen. Jedenfalls fragte er sich ernsthaft, ob nicht vielleich GOtt "in mathematischen Formeln denkt". Ein Metaphysiker der Logik auch er.
JE
Es muss irgendwann auch mal Schluss ein.
- 2.0123
- Wenn ich den Gegenstand kenne, so kenne ich auch sämtliche Möglichkeiten seines Vorkommens in Sachverhalten.
- (Jede solche Möglichkeit muss in der Natur des Gegenstandes liegen.)
- Es kann nicht nachträglich eine neue Möglichkeit gefunden werden.
- 2.01231
- Um einen Gegenstand zu kennen, muss ich zwar nicht seine externen - aber ich muss alle seine internen Eigenschaften kennen.
- 2.0124
- Sind alle Gegenstände gegeben, so sind damit auch alle möglichen Sachverhalte gegeben.
- 2.013
- Jedes Ding ist, gleichsam, in einem Raume möglicher Sachverhalte. Diesen Raum kann ich mir leer denken, nicht aber das Ding ohne den Raum.
Wittgenstein, Tractatus
Nota. - Mal angenommen, ich wüsste, was ein Gegenstand, was seine Natur, was ein Vorkommen und gar ein mögliches Vorkommen; sowohl was eine externe als auch, was eine interne Eigenschaft; und namentlich: was ein Sachverhalt ist, dann müsste ich annehmen, dass alles ist, wie es ist. Und müsste annehmen, mehr könne man gar nicht wissen. Doch was es mit den Wörtern auf sich hat, wäre mir dann mehr als fraglich.
PS. Ich erinnere mich, irgendwo bei Wittgenstein gelesen zu haben, Philosophie bestünde eigentlich nur aus Tautologien. Q.E.D.
JE
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