Samstag, 1. Juni 2019
Kants Induktion und ihre Radikalisierung.
Die Kantische Philosophie ist nur durch Induktion, nicht aber durch Deduktion bewiesen. Sie sagt: Wenn man diesen oder jene Gesetze annehme, wäre das Bewusstsein zu erklären; sie gilt daher nur als Hypothese.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 5f.
Nota I. - Kants Induktion führt ihn nur bis zu den Kategorien. Er hat sie im Material 'aufgefunden' und stellt sie zu- sammen; nebeneinander. Aber schon, weshalb es genau diese zwölf sein müssen, wird nicht demon- striert und nicht deduziert. Schon gar nicht wird deduziert, woher sie stammen. Es sind vier mal drei, das sieht gut aus, aber mehr Evidenz haben Kants Kategorien nicht für sich.
18. 6. 17
Nota II. - Aber weshalb hat er bei den Kategorien Halt gemacht?
Dass er sie auf induktivem Wege aufgeunden hatte, war genial genug. Natürlich kann er so nichts beweisen. Aber dass er nach seinem Verfahren auf mehr oder andere als diese zwölf hätte kommen können, ist ihm bislang auch nicht nachgewiesen worden. Soweit kann man die Sache auf sich beruhen lassen.
Aber um tiefer zu bohren und die Frage zu klären, wo die Kategorien - oder das Apriori, wie er es nennt - her- gekommen sind, hätte er wie irgendein Dogmatiker freihändig zu spekulieren beginnen müssen. Die einfachste spekulative Antwortung - Gottes Ratschluss - lag aber längst vor, er hätte sie durch eine bessere Variante ver- drängen müssen. Das hat er gar nicht erst versucht, und ob seine Aussage, er habe dem Glauben Platz schaffen wollen, ein wahres Bekenntnis oder eine Ausrede war, ist unter diesen Umständen gleichgültig. Es liefe auf das- selbe hinaus.
Das tiefer Bohren hätte auch nicht geschehen können durch Erweiterung - Vertiefung - des zu untersuchenden Materials; man wüsste ja nicht einmal, wo man anfangen soll. Es musste vielmehr das Verfahren vertieft, nämlich radikalisiert werden. Das hat Fichte unternommen, aber nicht, indem er analytisch Scheibchen für Scheibchen von den induktiv freigelegten Kategorien abzog, um an ihre Gründe vorzudringen; sondern indem er diesen Arbeitsgang im Gedankenexperiment übersprang.
Wie war Kant verfahren? Er hatte vom gegebenen Material der Vernunft - den Begriffen* - nach und nach die besonderen Bestimmungen abgezogen. Zuerst scheiden sich Noumena und Phainomena. Noumena sind reine Denkbestimmungen; bei den Phainomena kommt als Differentia specifica die Erfahrung hinzu. Von der werden wieder, Schritt für Schritt, die konkreten Bestimmungen abgezogen. Bleibt übrig ein 'apriorischer' Fundus, den er in vier mal drei Kategorien und zwei Anschauungsformen aufteilt. Kategorien und Anschauungsformen las- sen sich nicht selber analytisch zerlegen. Sie müssen en bloc abgezogen werden von der stets gegenwärtigen, ausgesprochen-unausgesprochenen Prämisse des Ich denke, das alle unsere Sätze muss begleiten können.
Ziehen wir vom Denken all die Bestimmungn ab, die es von anderen Tätigkeiten unterscheiden könnten, so bleibt übrig: reine Agilität ohne alle Bestimmung. Wollen wir von da aus den Weg zurück zum entwickelten Ver- nunftsystem beschreiten, von dem wir ja ausgegangen sind, so muss als erster Schritt ein sich-selbst-Bestimmen der reinen Agilität vorgestellt werden. Und siehe da: Die Agilität erweist sich ipso facto als nicht gar so rein, denn sie zeigt sich als bestimmen-könnend.
So muss verfahren, wer Kants induktives Verfahren radikalisiert.
*) Begriffe sind Vorstellungen, die so weit bestimmt sind, dass sie im Gedächtnis verzeichnet und durchs Symbol Anderen mitgeteilt werden können.
PS. Dass ich es nicht vergesse: Hier handelt es sich um den ersten, analytischen Gang der Wissenschaftslehre.
JE
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