Von der Fliege im Fliegenglas: Neue Einsichten zur Denk- und Arbeitsweise von Ludwig Wittgenstein
Dr. Romy Müller
UNI Services
Alpen-Adria-Universität Klagenfurt
07.09.2017 11:21
"Was ist dein Ziel in der Philosophie? – Der Fliege den Weg aus dem Fliegenglas zeigen." So heißt es in Wittgensteins Philosophischen Untersuchungen, §309. Wie er die Metapher genau verstanden haben wollte, wurde aus seinen publizierten Texten nicht in derselben Weise klar, wie dies nun anhand der Mitschriften der „Whewell’s Court Lectures“ (1938-1941) deutlich wird. Die Wittgenstein-Forscher Volker Munz und Bernhard Ritter haben die Vorlesungsmitschriften redi- giert, mit Einleitungen und Verweisen auf publizierte Schriften versehen und zeitlich eingeordnet. Nun ist das Buch dazu erschienen, das viel Erhellendes zu Wittgensteins Denken bereithält.„The fly catcher. The fly gets in but can’t get out. The stronger the wish to get out, the harder it is for it to get out. (It is fascinated by one way of trying to get out.) If we put the fly in glasses of shapes and shades different to this one, where it was easier for it to get out, where it was less fascinated by the light, etc., and we trained it to fly out of these, it might fly out of this one also.” Diese Zeilen hat der Schüler und enge Freund Wittgensteins Yorick Smythies im Sommertrimester 1938 am Campus des Trinity College in Cambridge notiert. Sie und andere Notizen geben Volker Munz und Bernhard Ritter (beide Institut für Philosophie der AAU) Aufschluss über die Metapher: Die Fliege sei gefangen in ihrer Art, den Ausweg zu suchen. Sie strebt dabei der Faszination des Lichts entgegen und übersieht, dass es die Option gäbe, die Fliegenfalle wieder so zu verlassen, wie sie hineingeraten ist. Die Aufgabe der Philosophie könnte es nun sein, das Glas abzudecken, sodass die Faszination weg fällt, und die Fliege den Weg erkennt. „Äquivalent könnte man das Diskutieren über philosophische Begriffe sehen. Es gibt Termini, die haben die Faszination des in die Irre führenden Lichts. Man wendet sich einem anderen, weniger aufgeladenen Begriff zu, der dann als Modell dient, den ersten Begriff zu verstehen“, erläutert Bernhard Ritter dazu.
Das Beispiel der Fliege im Fliegenglas zeigt, wie die nunmehr bearbeiteten mehr als 2.000 Seiten an Manuskripten und Typoskripten dazu beitragen können, die Verfahrensweise und das Denken eines des bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts besser zu verstehen.
Besonders schwierig war die Datierung der Mitschriften: „Sie war eine der größten Herausforderungen, da in den meisten Fällen jeder direkte Hinweis fehlte“, so Volker Munz. Dass es dennoch gelungen ist, jede einzelne Mitschrift mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Jahr und Trimester einzuordnen, sei jedoch besonders lohnend.
Zeigt sich so beispielsweise, dass Wittgenstein zu jenen Philosophen gehörte, die „ die ihre Gedanken nicht schreibend, sondern zuerst im Kopf entwickeln“, wie Ritter ausführt. Beim Thema "Begriffsbildung" zeigen die Vorlesungsmitschriften, dass er schon lange vor der Niederschrift ausführlich darüber gesprochen hat. Ein anderes Beispiel ist der Themenkomplex "Gewissheit": Zur Zeit der Vorlesungen (1938) hatte Wittgenstein zwar schon darüber geschrieben, aber noch nicht so viel. Der große Metaphoriker Wittgenstein bedient sich sowohl in seinen Vorlesungen als auch in seinen Schriften einer einfachen Sprache, was auch gefährlich werden kann, wie Munz erklärt: „Man hat schnell das Gefühl, Wittgenstein zu verstehen, weil man die einzelnen Worte versteht.“ Dies sei aber vielerorts trügerisch. Dessen sei sich auch Wittgenstein selbst bewusst gewesen, weswegen er die Mitschrift seiner Vorlesungen nur bestimmten Schülerinnen und Schülern gestattete.
Das Ergebnis der Aufarbeitung ist kürzlich unter dem Titel „Wittgenstein's Whewell’s Court Lectures, Cambridge 1938-1941“ im Verlag Wiley-Blackwell erschienen. Die Forschungsarbeit wurde vom Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF unterstützt.
Weitere Informationen:
http://www.aau.at
Nota. - Mit der Zeit steigt in mir der Verdacht, Wittgenstein sei in seinem Jahrhundert überschätzt worden - selbst wo man ihn nicht zum Erfinder der Analytischen Philosophie stilisiert. Der Gedanke, die Philosophie habe es nicht mit den Begriffen, sondern mit dem in ihnen zu-Begreifenden zu tun, scheint mir so unab- weisbar, dass ich einen, der darauf nicht gekommen ist, nicht für wirklich klug halten mag. Er selbst muss von der überlieferten dinglichen Auffassung des Zubegreifenden so fasziniert gewesen sein, dass er es nur als metaphysisch verwerfen konnte; nicht aber den Ausweg erkannte, das Vorstellen selber zu begreifen. Mit andern Worten, er kann von der kritischen Philosophie nicht einmal die Anfangsgründe gekannt haben.
Darum meinen die Adepten der heutigen 'analytischen' Schule, es auch nicht zu brauchen. Das ist einfach dumm.
JE
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