Donnerstag, 31. Januar 2019

Geurteilt wird nur über Bedeutungen.


 

'Auch das Tier lebt in Bedeutungen', hieß es in einem meiner Texte.

"...weil es mir der Hauptthese zu widersprechen scheint, derzufolge das Proprium Humanum doch die Doppe- lung von Erscheinungsstrom und Bedeutung ist, also die Bedeutungsstiftung als genuin Menschliches anzusehen ist", schrieb dazu ein eiliger Reviewer. Nicht beachtet hat er die kleine, aber spezifische Differenz: nur weiß es nichts davon. Weil die Menschen von den Bedeutungen der Dinge wissen, haben sie die Möglichkeit der Wahl. Jene haben sie nicht. Die Dinge haben Bedeutung für sie als Exemplare ihrer Gattung, aber nicht für sie als Subjekte. Sie müs- sen und können nicht urteilen.


Freiheit sei Einsicht in die Notwendigkeit, sagte ein Knecht.


Wissen ist die Einsicht in die Möglichkeit von Freiheit.

19. 12. 13 


Wissen, bedeuten, urteilen, Freiheit, Subjekt - das sind alles Variationen zu einem Thema. Ich kann mir ohne Freiheit kein Urteil vorstellen, ich kann mir ohne Bedeutungen keine Wahl und ohne Wahl keine Freiheit und ohne Urteil keine Bedeutung vorstellen; ich kann mir ohne Urteilen kein Subjekt vorstellen, und wenn ich von Wissen reden will, drehe ich mich endlos im Kreise dieser Ideen, die einander bedeuten, aber nicht erklären. Man muss die Vorstellung von ihnen schon haben; demonstrieren lässt sie sich nicht. 

3. 11. 18 


Urteilen ist bei Kant das Zuordnen einer Sache zu ihrer nächsthöheren Klasse. Die Klasse ist kein Ding, son- dern ein Begriff; ein Gedankending. Sie ist dasjenige an einer unbestimmten Anzahl von Dingen, als das sie alle gemeinsam und jedes für sich gelten sollen. Das, als was sie gelten sollen, ist eine Bedeutung. Das sind alles pragma- tische Bestimmungen. 'Es gibt' sie nur für einen, der handeln will. Handeln ist ein Tun mit der Vorstellung eines Zwecks. Einen Zweck muss man wollen, einen Zweck muss man wählen.

Das Tier muss die Zuordnung des Dinges zu einem Zweck nicht selber wählen. Sie ist ihm durch die Evolution seiner Gattung vorgegeben. Ein Tier muss nicht urteilen. Und weil es das nicht muss, hat es die Fähigkeit dazu nie entwickelt.




Mittwoch, 30. Januar 2019

Die rationale Fiktion, II.


Dem diskursiven Denken liegt als Prämisse die ungeahnte Fiktion zugrunde, der logische Raum – Ein und Alles sei eine geschlossene Sphäre,  deren Umfang lückenlos von Begriffen angefüllt ist, die einander wechselseitig bestimmen.
 

In unserer wirklichen Vorstellung ist die Welt hingegen ein – 'zwar endlicher, aber unbegrenzter' – Raum, in dem Bedeutungen teils so nah bei einander liegen, dass sie einander berühren, ineinander verfließen und bei genauem Hinschauen gar nicht recht zu unterscheiden sind; und teils ganz beziehungslos neben einander liegen ohne ein Drittes, an dem sie wenigstens zu vergleichen wären.

Das logische Ein und Alles verhält sich zum wirklichen Vorstellen etwa so, wie die Welt des naturwissenschaft- lichen Labors zu den Dingen unseres Mesokosmos.

ca. 2009



Die ungeahnte Fiktion nehmen wir in Anspruch, wenn und wo wir uns vernünftig verhalten wollen. Nicht, dass wir glaubten, dass es wirklich so ist; aber wir handeln doch so, als ob es so sei. 

Das sind die sonntäglichen Momente in unserm geschäftigen Alltag. Normalerweise reicht uns ein Ungefähr, um tagein tagaus zurechtzukommen. Der scharfe Konflikte, der nur auf Messer Schneide zu entscheiden wäre, ist gottlob die Ausnahme. Doch nur, weil Vernunft uns ausnahmsweise in jedem Fall zuhanden oder doch zu Kop- fe ist, können wir unser alltägliches Ungefähr riskieren.*

Das ändert nichts daran, dass ein fertiges System der Vernunft immer eine Fiktion bleibt. Nur weil wir meinen, an sich sei die Welt ein wechselwirkendes System aus realen Teilchen, die zugleich Bedeutungs-Partikel darstel- len, und insgesamt einen Sinn hat, der unabhängig davon ist, ob ihn jemand einsieht - nur darum ist es möglich, dass wir und in unserer Alltagsroutine regelmäßig verständigen und nach heftigem Kampf am Ende meist noch eine Friedenslösung finden. Indem sie zeigt, wie sie zustande kam, stellt die Transzendentalphilosophie klar, dass es sich um eine Fiktion handelt.

Wozu ist das gut? Um dem Missverständnis abzuhelfen, im Sein der Dinge sei irgend ein Sinn eingeschlossen.

"Ihr Hauptnutzen ist negativ und kritisch. Es mangelt in dem, was nun gewöhnlich für Lebensweisheit gehalten wird, nicht daran, daß sie zu wenig, sondern daran, daß sie zu viel enthält. Man hat eben die erräsonierten Sätze der oben beschriebenen erschaffenden Metaphysik hereingetragen – und diese sollen [wieder heraus] gesondert werden. Sie hat die Bestimmung, die gemeine Erkenntnis von aller fremden Zutat zu reinigen... Für die theore- tische Philosophie, Erkenntnis der Sinnenwelt, Naturwissenschaft ist sie regulativ. Sie zeigt, was man von der Natur fragen müsse.

Ihr Einfluß auf die Gesinnung des Menschengeschlechts überhaupt ist, daß sie ihnen Kraft, Mut und Selbstver- trauen beibringt, indem sie zeigt, daß sie und ihr ganzes Schicksal lediglich von sich selbst abhängen; indem sie den Menschen auf seine eignen Füße stellt."

*) Das so genannte Zeitalter der Vernunft begann, als in den Verträgen von Münster und Osnabrück der Westfäli- sche Frieden geschlossen wurde. Nachdem GOtt dreißig Jahre lang für Mord und Verwüstung gesorgt hatte, musste als glaubwürdiger Bürge die Vernunft nachrücken. 
JE

Dienstag, 29. Januar 2019

Wahrheit und Systematik.


Wissen ist wahr, sofern es System ist. Es ist System, sofern es in einem Grundsatz zusammenhängt - so dass Jedes seinen Platz von allen Andern angewiesen bekommt und seinerseits allen andern ihren Platz anweist; sofern sie nämlich alle aus demselben Grundsatz folgen.*

Zuerst ist aber das reale Wissen dagewesen; jedes für sich. Der Satz bedeutet also in Wahrheit: Das in der Ge- schichte verstreut angesammelte Wissen wird wahres Wissen, wenn es zu einem System gebildet wird. Das wieder- um ist nicht möglich, indem man "die Sammlung vervollständigt" - alle möglichen Wissenssätze ausfindig macht und zusammenstellt -, sondern indem man den jedem wirklichen Wissensakt zu Grunde liegenden "Grund"-Satz herausfindet. 

Wenn sich ein solcher Satz auffinden lässt, kann das Wissen zu einem System gebildet werden, 'in dem jedem Satz sein Platz von allen andern Sätzen angewiesen ist', bevor noch "jeder Satz" ausgesprochen wurde. Lässt sich zeigen, dass der aufgefundene Grund-Satz nicht bloß tatsächlich (summativ; das ginge ja gar nicht!), sondern notwendig allen Wissensakten zugrundeliegt, dann ist das Wissen "wahr" in dem Sinne, dass außer ihm nichts ge- wusst werden kann. Also - wenn es Wissen gibt (Wahrheit gibt), dann innerhalb dieses Systems. Wenn nicht innerhalb dieses Systems, dann überhaupt nicht (wovon man allerdings nichts wissen könnte).

*) Fichte, Über den Begriff der Wissenschaftslehre, SW I, S 57-62, 70ff.

aus e. Notizbuch, 26. 6. 03


Wissen ist entweder richtig - wenn es dazu taugt, die Operation auszuführen, die ich beabsichtige; oder es ist wahr - dann ist es end gültig: Es gilt unter allen möglichen Bedingungen. Was falsch und unwahr ist, gilt nicht als Wissen, sondern als Irrtum oder Lüge. 

Richtige Sätze gelten so lange, bis die Operationen, für die sie taugen sollen, erfolgreich abgeschlossen sind. Alle wahren Sätzen gelten über Raum und Zeit hinaus. Ihnen muss eines gemeinsam sein, das sie gelten macht; und in diesem Einen hängen sie miteinander zusammen. - Das ist ein Prämisse, die jeder, der sich auf eine ver- nünftige Erörterung einlässt, tatsächlich macht, und sei es stillschweigend oder gar unter der Behauptung, that anything goes.
JE

18. 1. 15


Sie hängen untereinander zusammen dadurch, dass sie alle auf demselben Weg zustandegekommen sind: dem, den wir vernünftig nennen. Es ist dieser Zusammenahng, der sie zum System stimmt. Seine Gültigkeit ist nicht erwiesen durch seine Bewährung an bewältigten Aufgaben. Die könnte unser Zutrauen veranlassen, doch alles, was wirklich ist, ist eo ipso zufällig - nämlich so, dass es unter andern Bedingungen auch anders hätte ausfallen können. Eine Erfahrungsvernunft ist nicht besser als ein Konsens am Biertisch.

Vernunft beruht nicht in ihrer Zweckmäßig keit. Das würde man Verstand nennen, oder Kalkül. Vernunft be- ruht auf... ach was: agiert aus ihrer Zweckhaftig keit. Sie ist nicht Erfüllung von Zwecken, sondern ihr Entwerfen. Sie ist ein immer wieder neu zu deckender Scheck auf die Zukunft. Und wohl ist es wahr, dass vernünftig immer nur ein Einzelner - einer, der Ich sagen kann - ist; aber er ist es immer nur zu dem Teil, mit dem er Anteil an der Reihe vernünftiger Wesen, kurz: Anteil an der Vernunft hat. Die aber besteht nur, entsteht nur in dem Entwerfen ge- meinsamer Zwecke; stets auf dieselbe Weise.
JE

Montag, 28. Januar 2019

Bedeutung gilt.

Harald Lapp, pixelio.de 

Es wurde beanstandet, dass ich Geltung und Bedeutung logisch nicht genügend auseinanderhielte.

Das ist aber auch richtig so. Denn nur Bedeutung gilt. Alles, was sonst vorkommt, ist. Und Bedeutung gilt immer nur als Urteilsgrund für eine mögliche Handlung. Geltung ist eine praktische Kategorie.

26. 11. 13


Nachtrag zu gestern: Für das Tier ist diese Unterscheidung sinnlos. Was die Dinge ihm in seiner Umweltnische bedeuten, gehört zu deren Sein. Es kann davon nicht absehen.

22. 12. 17


Bedeutungen kann man von einander unterscheiden: Es gibt sie wirklich; nämlich irgenwem, irgendwann haben sie für irgendeine Handlung gegolten. Geltung gibt es nicht wirklich, woran wollte man denn eine von der andern unterscheiden? In der Wirklichkeit gilt nur jeweils etwas; jetzt dieses, dann jenes. So wenig mann dieses von je- nem unterscheiden kann, kann man sie auch zusammenfassen. Gemeinsam ist ihnen nur, dass Leute handeln, da kann man sie bemerken, jedes für sich. Am Gelten sind Form und Qualität ununterscheidbar.


Sonntag, 27. Januar 2019

Die Absolutheit des Logischen.


Das logische Denken ist entstanden als dasjenige Denken, das sich mitteilen lässt. Ist es ein Wunder, dass es so konzipiert, konstruiert wurde, dass es mitteilbar ist?

[Siehe Adorno vs. Husserl, Metakritik der Erkenntnistheorie,* S. 76ff.]

Nicht nur 'kann' jedermann anders als logisch denken; tatsächlich denkt jedermann anders als logisch! Nur - sobald er die Ergebnisse seines Denkens darstellen will - anderen oder auch nur sich selbst -, dann muss er sich dafür der Formen bedienen, die historisch vorrätig, "zuhanden" sind, und das sind die Begriffe und die Regeln ihrer diskursi- ven Verknüpfung. Also wenn ich die Ereignisse aus "meiner Welt" in "unserer Welt" situieren will, muss ich sie in deren Topographie einordnen.

*) Frankfurt/M., 1972

aus e. Notizbuch, 9. 10. 03


Eins haben der verschämte Platoniker Husserl und der unverhohlene Hegelianer Adorno gemein: dass ihnen das Material des Wissens die Begriffe sind; und wenn das für-wahr-Gelten des diskursiven Denkens nicht an sich ist - wie Husserl meint -, dann kann es nur historisch sein und an der nächsten Straßenecke womöglich dem Zu- fall erliegen. 

Das mag Adorno nun doch nicht zugestehen, "objektiv" soll die Geltung des Logischen wohl sein, wenn schon nicht, wie bei Husserl, "absolut"; "indem" sie nämlich "um Natur beherrschen zu können, dieser sich anmisst"**. Soll etwa, wie bei Descartes, das göttliche Naturgesetz uns die Geltung der Logik verbürgen, als ein "unbegreif- liches und und bloß hinzunehmendes An sich"? Nein, dahinter kann er sich nicht zurückziehen, und es kommt ihm die Ahnung, Garant für die objektive Gültigkeit der Logik müsse eine "über alles Dasein mächtige Forde- rung an das Subjekt" sein. - Doch von wem soll die kommen?

In der Wissenschaftslehre geht es nicht um Begriffe, sondern das in ihnen Gemeinte; sie verfährt nicht logisch, sondern genetisch: nicht an-sich-seiende Begriffe werden aneinanderfügt, sondern Vorstellungen werden ausein- ander entwickelt. Ob ich sie entwickle, steht mir ja frei, aber wenn ich sie entwickle, muss ich sie so entwickeln. Und es findet (!) sich, dass die Menschen - das selbstbestimmte Subjekt unserer bürgerlichen Gesellschaft - ihre Begriffswelt und ihre Schlussregeln wirklich entwickelt haben. - Während das für die historische Betrachtung ein lediglich zufälliges und für die logische Betrachtung ein bloß formal-faktisches Ergebnis bleibt, wird es in der Wissenschaftslehre genetisch notwendig.*** Die genetische Betrachtung ist eine materiallogische

Den Gedanken an ein real Absolutes, absolute Geltung gar, muss man sich aber aus dem Kopf schlagen. Gel- ten ist der Modus des Logischen, außerhalb des Logischen gibt es keine Geltung. Das diskursive Denken ist selber das Postulat, dass absolute Geltung sein soll, wer sich auf eine vernünftige Erörterung einlässt, unterwirft sich ihm ipso facto. Es gibt keinen Sprung aus der Immanenz.

**) ebd. S. 87 
***) In der Mathematik nennt man das, wenn ich nicht irre, eine vollständige Induktion. 

13. 1. 15


Samstag, 26. Januar 2019

Das Paradox der Geltung, zum x-ten.



Tatsächlich liegt das Mysterium der Vernunft in der Urteilskraft. Im Urteil richte ich über die Gültigkeit der Gründe (Werte...); aber Grund des Urteils ist eben... die Gültigkeit. "Geltung" ist ein Paradox: 'Ich' stellt sich über die Geltung, macht sich zu ihrem Maßstab, indem es Geltungen vergleicht. Andererseits muss es die Geltungen als unabhängig von ihm denken: "Entweder gibt es gar keinen Wert, oder es gibt einen notwendigen Wert."*

Das Ich 'macht' sich seine Gründe selber, aber so, als ob sie absolut wären. Mit andern Worten, die "absolute" Geltung ist immer nur eine Behauptung

*) Fr. Schlegel, in Materialen zu Kants Kritik der Urteilskraft, Ffm. 1977, S. 198


aus e. Notizbuch, 11. 7. 03



Ist das bloß paradox oder ist es absurd? Der allerletzte Rechtsgrund jeglicher Geltung ist ja gar kein Urteil, in dem Gründe erwogen und eine Wahl getroffen wird, sondern lediglich ein Gefühl - wenn auch das Gefühl der Gewissheit. Oder, mit andern Worten, das Gefühl eines Denkzwangs, das Gefühl, "gar nicht anders zu können". Doch so unwiderruflich es sich auch ankündigt - subjektiv bliebe es auch dann noch, wenn alle wirklichen Sub- jekte es faktisch teilen würden (wovon man bloß nicht wissen kann).

Das ist allerdings absurd, nämlich vom Standpunkt der in sich gegründeten Vernunft aus betrachtet: Es dreht sich im Kreis, doch was im Kreis "begriffen" liegen soll, liegt ganz im Dunkeln.

Der Standpunkt der in sich gegründeten Vernunft ist das, was Fichte als das gemeine Bewusstsein bezeichnet und dessen Grund und Herkunft die Wissenschaftlehre darlegen soll. Grund und Herkunft der Vernunft setzt sie weder dogmatisch voraus, noch postuliert sie sie prophetisch, sondern sucht sie in den wirklichen Handlungen der Vernunft auf. Was sie gefunden hat, erwies sich als ein Akt der Freiheit, der als ein solcher 'im Dunkeln liegt' und nicht begriffen, sondern - sofern man es will - nur angeschaut werden kann. Und was sieht man? "Ja;  anders wäre es nicht möglich."

Wenn ich zuunterst den (bedingten) Denkzwang voraussetze, werde ich auch nach oben hinaus immer wieder auf den Denkzwang stoßen.

Warum? Die Wissenschaftslehre ist streng immanent und geht über ihre Prämissen nirgends hinaus.

2. 7. 18 


Auch in dem Punkt bin ich inzwischen etwas klüger. Richtig ist: Im Urteilen kommt sich der Mensch durchaus nicht so vor, als würde er aus freien Stücken unter vielen Möglichkeiten auswählen. Vielmehr hat er den Ein- druck, als sei das Urteil höheren Orts schon längst gefällt gewesen und er selbst gebe es nur noch kund. Das ist der Denkzwang, dem jeder Vernüftige unterliegt. Und nur, wer ihn fühlt, ist ein Vernünftiger.

Dass die Urteilsgründe 'an sich' schon vorgelegen hätten, bevor er ans Urteilen überhaupt dachte, kann ihm nur vorläufig als Einsicht genügen. Denn es hätte doch irgendwie von irgendeinem Ersten Urteilenden so gefügt wer- den müssen! Die Idee von einer Urintelligenz, die alle überhaupt möglichen Urteil im Voraus schon gefällt hätte, ist so unanschaulich - wo und in welchen Medium?! -, dass der Vernünftige sie sich schnell aus dem Kopf schlägt und vorzieht, gar nichts Genaueres darüber wissen zu wollen. Das ist der Grund, warum die Vernunft seit Mitte des 19. Jahrhunderts aus dem Vokabular der Philosophen verschwunden ist.

Die Transzendentalphilosophie kann hier Abhilfe schaffen. Denn wenn sich das Ich als "sich-selbst vorausge- setzt" vorfindet, ist das oder derjenige, den er vorfindet, durchaus nicht er als die lebendige Intelligenz, die aktuell etwas vorstellt, sondern der abstrakte, raum- und zeitlose Vernünftige "in uns allen", als den er sich bei dieser Ge- legenheit vorstellt. Dass er sich zu den Vernünftigen zählt, setzt voraus, dass er die Vernüftigkeit der Gemein- schaft, zu der er gezählt werden will, für sich als bindend anerkannt hat. 

Es ist eine Voraussetzung, die nie gegeben ist, sondern immer wieder neu gemacht werden muss.

2. 11. 18  


Es hat keinen Sinn, von Geltung zu reden, als ob "es" sie "gäbe". Dieses oder Jenes gilt jetzt und für diesen einen oder jenen andern beabsichtigten Akt. Die Abstraktionen des reflektierenden Verstandes sind nichts Wirkliches, sie haben nur ideale Bedeutung für den (unvermeidlichen) Fall, dass ich erneut 'ein Urteil fällen', oder besser: ur- teilen muss. 

So wie das Ich ("das Bewusstsein") sich als sich selbst vorausgesetzt auffassen muss, fasst es sich als einen Urteilenden 'sich vorausgesetzt' auf. Dieses bedeutet jenes. Urteilen ist bestimmen, und bestimmen ist der Charakter meiner Tätigkeit. Unterscheidungen trifft erst die von höherer Warte zusehende Reflexion. Etwas gilt immer nur actu. Konservierte Geltung ist der Begriff, aber der ruht. Wenn ich das nächste Mal urteile, müsste - könnte - ich ihn akt ivieren. 
JE



Freitag, 25. Januar 2019

Unbedingt; oder sein und gelten.



Nur, was ist, kann unbedingt sein. Das Universum, aufgefasst als Gesamtheit alles dessen, was ist – als Raum-Zeit– bzw. Energie-Masse-Kontinuum –, ist unbedingt. Denn es ist nichts neben, d. h. außer ihm, das es bedingen könnte. Das Universum ist unbedingt und ergo kontingent.*

Das Reich der Logik ist das Reich der Geltungen. Eines gilt nur für (mindestens) eines – ein anderes. Geltung ist ein Verhältnis. Ein Verhältnis ist nicht unbedingt, sondern bedingt durch zwei, die im Verhältnis stehen. Was ist, kann nicht für etwas sein. Es kann für ein anderes nur 'als seiend gelten'. Ein Verhältnis, das unbedingt ist, ist kein Verhältnis, sondern selber ein Seiendes. Ein Seiendes, das ohne das Sein eines anderen nicht ist, ist nicht: Lediglich das Zusammen-Sein beider ist. Ein reeller Wirkungszusammenhang ist.


Wo sollten Husserls noemai als elementare, irreduzible un-bedingte Geltungseinheiten 'sein'? In Raum und Zeit? Dort wären sie entweder notwendig oder kontingent. Sind sie notwendig, so sind sie bedingt durch das, was sie notwendig macht; nicht elementar, nicht irreduzibel. Sind sie an-sich, können sie nur kontingent sein. Aber dann treten sie nicht in ein Verhältnis. Sie können nur an-sich gelten, aber nicht für eines. Sind sie außerhalb von Raum und Zeit, so ist nicht zu verstehen, wie sie innerhalb von Raum und Zeit für eines werden können. Sie sind nicht von dieser Welt, und damit gut.

Sein und Gelten sind ihrerseits Geltungen. Sie 'sind'   gelten als seiend   nur für eines. Alles, was gilt, gilt be-dingt.

*) Es ist historisch-bedingt durch den Urknall. Aber der ist seinerseits un-bedingt, sonst wäre er nicht Ur-Knall. 


•Juni 26, 2010 


Nachtrag. Nur "ein reeller Wirkungszusammenhang ist" - darauf läuft es hinaus. Es ist das Ergebnis der Reflexion, das man ihr logisch als ihren Sinn voraussetzen muss. Real ist nur wirken - erst in der Reflexion treten ein Wir- kendes und ein Objekt auseinander: weil wirken in seiner Verlaufsform nicht denk bar ist - nicht Gegenstand der Reflexion werden, sondern nur angeschaut werden kann -, aber als bloße Anschauung nicht mitteilbar ist.

In der Wirklichkeit nehmen wir nichts als 'Objekt' wahr, sondern ein jedes geltend entweder als Dieses oder als Jenes; und wenn nicht, dann gilt es als unbestimmt. Wenn es nicht einmal als das gilt, dann... ist es nicht wahrge- nommen worden und hätte ebensogut gar nicht da sein können.
JE.


 

Donnerstag, 24. Januar 2019

Geltung in und außer der Zeit.

süddeutsche

Geltung ist ein logischer Sachverhalt und liegt als solcher außerhalb von Raum und Zeit. Doch ob sie hier und jetzt gilt, nämlich das praktische Verhalten von Menschen zu einander reguliert, ist offenbar eine historisch-faktische Frage.

Sachverhalt ist eine schiefe Metapher, und ich wüsste nicht, wie ich sie übersetzen sollte. Sachen verhalten sich nicht, allenfalls hat sie jemand zu einander in ein Verhältnis gesetzt. Diese Doppeldeutigkeit ist die der Geltung selbst. 'Als solche' ist sie sachlicher Natur, aber als solche 'gibt es' sie gar nicht. Wenn es 'sie gibt', dann stets nur im Verhältnis zu einem unsachlichen Subjekt.

28. 12. 15 


Nachtrag. "Es gibt Geltung" ist überhaupt ganz schief ausgedrückt. Es kann immer nur heißen: Es gilt. Dazu ge- hört die Bestimmung: unter welchen Voraussetzungen. Was unter allen denkbaren Voraussetzungen gilt, würden wir Wahrheit nennen. Aber alle denkbaren Voraussetzungen können wir nicht denken, so wenig wie das Unend- liche. Voraussetzungen sind entweder bestimmt, oder sie sind nicht voraussetzbar. Was vorauszusetzen ist, hängt immer von den Umständen ab. Der grundlegende Umstand ist der Zweck, unter dem die Voraussetzung gilt; das Ich, für das die Voraussetzung gilt. Geltung ist eine praktische Kategorie. Ein logischer Sachverhalt ist sie nur unter der Voraussetzung, dass gehandelt werden soll, und sei es auch nur im Denken.



Mittwoch, 23. Januar 2019

Realität und Wirklichkeit.

 
Was alles geschieht, nennen die romanischen, vom Latein abgeleteten Sprachen real, und selbst das französich überformte Englisch. Real kommt vom Nomen res: Ding, Sache. Was geschieht, heißt auf Deutsch wirklich, und das kommt vom Verbum wirken. In den Sprachen ist eine heimliche Ontologie vorgezeichnet. 

Generell privilegieren die romanischen Sprachen substantivische Konstruktionen, während in germanischen Sprachen die Tätigkeitsform überwiegt. Fichte hatte das in den Reden an die deutsche Nation  als einen Vorzug des Deutschen vor dem Französichen genannt und nicht zuletzt darum die Nationwerdung der Deutschen zu einer Bildungsangelegenheit machen wollen.

Die Franzosen hielt er allerdings, als Nachkommen der Franken, für einen deutschen Stamm - aber einen, der seine ursprüngliche deutsche Sprache zugunsten des neulateinischen Französisch abgelegt hätte. Und den Vor- zug des Deutschen hielt er zudem für einen vorübegehenden - nachdem seit dem Dreißigjährigen Krieg das Französische zur Sprache der Gebildeten geworden war und das Deutsche verdinglicht hatte.

Bis heute hält sich im Deutschen der nominale Stil - im öffentlichen Raum, genauer gesagt: in der Verwaltung. Im wirklichen Leben fühlen wir uns selber und begegnen uns die Andern als wirkend, das schlägt sich in unse- rem Reden nieder. Die Verwaltung betrachtet alles - auch sich selbst - als Objekt. Tätigkeiten gibt es da gar nicht, sondern nur Vorgänge. 

Man könnte meinen, die Nominalität des Französischen ermöglichte eine größere Differenziertheit der Sätze, indem nämlich die Vielzahl der Nomina dazu zwingt, sie in mannigfaltige Stellungen zueinander zu bringen, um dem Satz eine Aussage zu geben. Im Französischen kann man Sätze bauen, die sich über eine Seite erstre- cken, ohne dass ein Verb darin vorkommt - sondern stattdessen zum Abschluss der Periode das dürftige Hilfs- verb être. Deren Aussage ist aber so undeutlich, dass man fast meinen möchte, sie hätte keine. Warum? Weil die mannigfaltigen Stellungen der Substantive zueinander in bloßem Dunst verschwimmt, wenn sie nicht dekliniert werden können. Das Fehlen der Deklination ist die zweite Schwäche der neulateinischen Sprachen. Sie sind ide- al für den behördlichen Gebrauch und können durch ihren Klangreichtum sogar noch Bella figura machen. Sie neigen bloß dazu, nichts zu sagen.





Montag, 21. Januar 2019

Was allein an Nietzsche interessant ist.



Nietzsche ist nur interessant, sofern er ein kritischer Denker war. Kritisch im Kantschen Sinn: sofern er sich im Vorfeld der Transzendentalphilosophie herumtrieb.

Dabei teilt er insbesondere mit Fichte dies, dass er nicht aus gesetzten Begriffen konstruiert, sondern dass er Vorstellungen hervorruft. In dem Punkt gehen sie beide über Kant hinaus. Der weiß zwar auch, dass Begriffe nicht gegeben sind, sondern gemacht wurden. Dennoch verwendet er seine Begriffe, als ob sie gegeben wären; statt uns zu zeigen, wie und woraus er sie gemacht hat.



Letzteres ist dagegen das Verfahren von Fichte. Der zeigt uns, wie seine Begriffe aus Vorstellungen entstehen, und zwar nicht zufällig und nach Laune, sondern mit Notwendigkeit. Begriffe werden
nicht auseinander ent- wickelt, sondern aus andern Begriffen synthetisiert. Eine Vorstellung kann dagegen nur aus einer vorangegan- genen Vorstellung entwickelt werden, in freier Absicht. Aber nur aus der - das ist notwendig.

Doch genau so macht es Nietzsche nicht. Seine Vorstellungen treten auf wie Blitze in einem Gewitter. Sie mit genetischer Folgerichtigkeit auseinander zu entwickeln, kommt für ihn nicht in Betracht. Dazu bräuchte es ein System, und davor hat er einen unvernünftigen Horror. Und weil alle seine Vorstellungen ohne genetischen Zu- sammenhang frei in der Luft hängen, kommt er zu keinem Ergebnis.

Das hat er bemerkt, und um dem Mangel abzuhelfen, setzt er am Ende aus freier Lust und Laune als nachträg- liches Prinzip den Willen zur Macht obendrauf.

Das wurde erst postum in die Welt getragen, und da hat es seine Philosophie in nachhaltigen Misskredit ge- bracht. Es ist allerdings auch, das muss man einräumen, die schließliche Quintessenz seines Denkens gewesen.




Sonntag, 20. Januar 2019

Ideal ist eine Tätigkeit, die Geltung zuschreibt.

Zurbarán

Sein ist dasjenige an der Tätigkeit, was dem Objekt angehört. Gelten ist Tätigkeit ohne das Objekt; es ist real aber nur an dem Objekt; so wie die Tätigkeit selbst. Unabhängig vom Objekt kann es nur vorgestellt werden - als meinen. Geltung ist Gemeintheit.

Reale Tätigkeit heißt bei Fichte Tätigkeit in Verbindung - er sagt Synthese - mit dem Objekt. Die ohne Gegen- stand vorgestellte Tätigkeit nennt er eine ideale; mit einem andern Wort: gelten. Sie kann, da sie ohne Objekt vorgestellt wird, außerhalb von Raum und Zeit gedacht werden. Dann heißt sie Begriff.








Samstag, 19. Januar 2019

Zuschreiben heißt geltend machen.


Einer Sache etwas zuschreiben heißt, sie als dieses geltend machen. 

Dass wir ein Ding nur wahrnehmen können, wenn wir ihm eine Geltung zuschreiben, liegt daran, dass es, so wahr es Ding ist, allem, was ich immer mit ihm anfangen mag, einen Widerstand entgegensetzen wird: mal diesen, mal jenen. Ich kann aber nur dieses oder jenes mit ihm anfangen, und so wird er mir diesen oder jenen Widerstand entgegensetzen. Und nur dieses oder jenes kann ich ihm zuschreiben.

Ich werde allerlei mit ihm anfangen und ihm daher allerlei zuschreiben können. Das mag ich nachträglich ver- allgemeinern und zu Tätigkeit-überhaupt und Ding-überhaupt abstrahieren. Die Falle ist die: An sich wäre ein Ding nicht, wenn ich ihm alle erdenklichen Geltungen zugeschrieben habe, sondern nur dann, wenn ich ihm keine zuschreiben kann. Doch dann kann ich ein Ding an ihm nicht wahrnehmen.

Etwas sein heißt Gegenstand einer Handlung sein; zumindest einer.

Sein heißt etwas sein; zumindest dies eine.




Freitag, 18. Januar 2019

Spekulativer Realismus - eine neue Schule?

                                                            mein Kommentar zu Spekulativer Realismus.

Das Kernpoblem ist bis heute, dass an den Universitäten die Transzendentalphilosophie allenfalls in ihrer be- schränkten Kantschen Halbheit bekannt ist - zuzüglich mancher epigonaler Subtilisierungen, denen unverse- hens immer wieder dogmatische Rückfälle unterlaufen.

Es ist wahr, dass Fichte seinen Plan, die Kritische Philosophie radikal zu Ende zu führen, auf den letzten Metern doch noch aufgegben hat, so dass er heute selbst von Kennern in die Nachbarschaft Hegels gerückt wird wie auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof. Doch da liegen sie schon bald zweihundert Jahre beiein- ander, die akademische Zunft hatte genug Zeit, die Mystifikation aufzulösen.

Die Transzendentalphilosophie bestreitet die Existenz der wirklichen Welt so wenig, wie sie sie behauptet. Das ist gar nicht ihr Thema, denn davon kann sie nichts wissen. Ihr Thema ist allerdings, warum es vernünftig ist - weshalb der Vernünftige gut daran tut -, in der realen (nicht der transzendentalen!) Erkenntnis ihre Existenz vorauszusetzen. Dass die "kontinentalen" Philosophierer wenig Notiz von den Resultaten der allerjüngsten Naturwissenschaften nehmen, mag wohl sein. Doch für die Philosophie haben deren Ergebnisse so wenig Relevanz, wie philosophisches Räsonnement für die Naturwissenschaften - es sei denn, im negativen, regu- lativen Gebrauch.

Unterm Titel Die Wissenschaftslehre ist materialistisch und sensualistisch habe ich vor Jahren geschrieben: "Die Wissenschaftslehre verträgt sich nur mit einer Realwissenschaft, die streng materialistisch ist, das bedeutet aber nichts weiter als: die nichts anderes gelten lässt, als was sich in Raum und Zeit beobachten lässt. Doch weder sind die Realwissenschaften Metaphysik, noch ist es die Wissenschaftslehre."

Jedes Unternehmen, das geeignet ist, die selbstfällige Borniertheit der sogenannten Systematiker aus der sprachanalytischen Ecke in Verlegenheit zu bringen, kann man nur begrüßen. In positiver Hinsicht wird diese neue Richtung aber wohl mehr zu den reellen Wissenschaften beitragen können, als zur Philosophie. Zum Beispiel, wenn sie den Zufall rehabilitiert und die Naturgesetze als ein spiritualistische Überbleibsel entlarvt...

Donnerstag, 17. Januar 2019

Vernunftwesen und Übermensch.

Hercules Farnese

Ein »Ding an sich« ebenso verkehrt wie ein »Sinn an sich«, eine »Bedeutung an sich«. Es gibt keinen »Tatbe- stand an sich«, sondern ein Sinn muß immer erst hineingelegt werden, damit es einen Tatbestand geben kann. 

Das »was ist das?« ist eine Sinn-Setzung von etwas anderem aus gesehen. Die »Essenz«, die »Wesenheit« ist etwas Perspektivisches und setzt eine Vielheit schon voraus. Zugrunde liegt immer »was ist das für mich?« (für uns, für alles, was lebt usw.).

Ein Ding wäre bezeichnet, wenn an ihm erst alle Wesen ihr »was ist das?« gefragt und beantwortet hätten. Ge- setzt, ein einziges Wesen mit seinen eignen Relationen und Perspektiven zu allen Dingen fehlte, so ist das Ding immer noch nicht »definiert«.

Kurz: das Wesen eines Dings ist auch nur eine Meinung über das »Ding«. Oder vielmehr: das »es gilt« ist das eigentliche »es ist«, das einzige »das ist«.

Man darf nicht fragen: »wer interpretiert denn?« sondern das Interpretieren selbst, als eine Form des Willens zur Macht, hat Dasein (aber nicht als ein »Sein«, sondern als ein Prozeß, ein Werden) als ein Affekt.

Die Entstehung der »Dinge« ist ganz und gar das Werk der Vorstellenden, Denkenden, Wollenden, Empfinden- den. Der Begriff »Ding« selbst ebenso als alle Eigenschaften. – Selbst »das Subjekt« ist ein solches Geschaffe- nes, ein »Ding« wie alle andern: eine Vereinfachung, um die Kraft, welche setzt, erfindet, denkt, als solche zu be- zeichnen, im Unterschiede von allem einzelnen Setzen, Erfinden, Denken selbst. Also das Vermögen im Unter- schiede von allem Einzelnen bezeichnet: im Grunde das Tun in Hinsicht auf alles noch zu erwartende Tun (Tun und die Wahrscheinlichkeit ähnlichen Tuns) zusammengefaßt.
[556] 
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Nietzsche, Aus dem Nachlass  (XII)


Nota. - Und wieder schleicht er um den Eingang zur Transzendentalphilosophie herum. Aber mehr auch nicht. Wenn "alle" ihre - zufälligen? - Meinungen über das Wesen des Dings zu Protokoll gegeben hätten - dann wäre es "definiert"? Nicht ein einziger dürfte fehlen, schiebt er als Einschränkung nach, aber dadurch wird es nicht besser. Denn "alle" ist genauso zufällig wie "alle minus einem".

Nämlich wenn es um empirische Subjekte geht. Doch was die meinen, ist ohnehin zufällig, wie viele sie auch wären. Geltend - 'geltend an sich' - könnte ihre Meinung nur sein, wenn sie selber als nicht zufällig gedacht würden, sondern in irgendeiner Weise als notwendig. Was ist aber das einzig überindividuell und gewissermaßen notwen- dig Geltende an Nietzsches empirischen Subjekten? Ihre Teilhabe am Willen zur Macht. Die geschieht aber im- mer nur als ein Willen zu seiner eignen Macht. Es ist sein Wille zur Übermacht - über die andern. Es ist etwas, was sie trennt, sogar feindlich gegeneinander werden lässt. Welche Art von Notwendigkeit könnte daraus ent- stehen?

Angenommen, zum Schluss bleibt ein einziger Übermensch übrig. Dann aber nicht aus Notwendigkeit, son- dern durch Kampf - Sieg und Niederlage. 'Nicht bloß Zufall, sondern natürliche Auslese', sagt der Darwinist. Da hätte er aber gleich sagen können: Der Stärkere hat Recht. Nietzsche, dafür wären Ihre Abstecher zur kri- tischen (transzendentalen) Philososophie nicht notwendig, sondern ganz überflüssig gewesen.

Notwendig ist an den empirischen Subjekten derjenige Anteil, der sie zu Vernunftwesen macht. Nicht, weil sie vernünftig sein sollen (wer könnte das bestimmt haben?), sondern weil der Mensch der Gegenwart das faktisch von sich voraussetzt: indem er mit Andern verkehrt wie mit seinesgleichen - nämlich solchen, die miteinander vernünftige Zwecke auf venünftige Weise ermitteln und teilen. Vernünftig sind sie nicht überhaupt, sondern ledig- lich in dem Maße, wie sie so verfahren: Das ist das Kriterium. Es ist eine historische Gegebenheit. In logischer Hin- sicht ist sie daher zufällig. Aber für die historischen Subjekte unserer Tage ist sie gegeben. Für ihre Selbstbewusst- heit ist es notwendig.

Je mehr vernünftige Zwecke sie auf diese Weise gemeinsam bestimmen, umso weiter reicht das Reich der Ver- nunft und reicht die Geltung ihrer Bestimmungen.* Sie werden auf diese Weise nie zu einem Schluss kommen? Nein. Wozu auch? Dann bliebe der Vernünftigkeit ja nichts mehr zu tun.

*) Dass es ständig Streit darüber gibt, was vernünftig ist, versteht sich. Aber nicht anders geschieht das Ermit- teln.
JE

Mittwoch, 16. Januar 2019

Am Gelten sind Form und Qualität ununterscheidbar.

 
Die Vorstellung von einem Denkzwang, gar von Denkgesetzen ist die ärgste Kopfnuss der Transzendentalphi- losophie: Also doch etwas, das elementarer wäre als die freie Tätigkeit des Ich?  

Ein jedes Objekt hat eine Form: dass es ist; und es hat eine Qualität: was es ist. Das Objekt ist, wie es ist. Dass es ist macht aus den Widerstand, den es meiner möglichen Tätigkeit entgegensetzt. Welchen Widerstand es leistet, hängt von der Art meiner Tätigkeit ab; auf Seiten des Objekts ist nur dass. Das Dass ist ein Abstraktum, es betrifft Jedes, das Was ist konkret, es betrifft nur Eines.

 
Die Gegebenheitsweise des Dinges ist Sein: dass es einer Tätigkeit widersteht. Die Gegebenheitsweise seiner Bedeutung (seiner Qualität) ist Gelten: Es gilt als... was? Das Was ist gesetzt durch die konkrete Tätigkeit, der es widersteht: dass es dieser Tätigkeit widersteht. Ich tue nie überhaupt, sondern tue immer dieses. Und dieses ist bestimmt durch den Zweck, den ich verfolge. Der macht das quale aus, und das liegt ganz bei mir. Quale ist das, als was das Ding gilt - mir bei dieser Tätigkeit.


Es ist daher nicht zu unterscheiden zwischen gelten-überhaupt und gelten-als-dieses. Wirklich ist Gelten nur konkret. Gelten-überhaupt ist ein Abstraktionsprodukt des reflektierenden Verstandes, das den wirklichen Vor- stellungen als bloße Hülle nachträglich übergestreift wird. Es ist nicht selber Denken, sondern Denken des Den- kens. (Von realer und idealer Tätigkeit spricht Fichte.)

Denken ist das Zuschreiben von Geltungen. Wo Sein gedacht wird, gilt es als Sein. Es kann die Form nicht mit der Qualität in Widerspruch geraten, weil sie nicht unterschieden sind.

Wenn b aus a folgt und c folgt aus b, dann folgt c aus a. Man kann nicht anders denken. Es ist so, es lässt sich daran nichts erklären. Aber es lässt sich explizitieren. Der Denkzwang geschieht durch die Vorstellung des Fol- gens. Wenn ich sie so gebrauche - wenn sie so gilt -, muss ich sie beim nächstenmal ebenso gebrauchen, oder es gälte eine andere. Sie ist keine formale Bestimmung. Sie ist das Bild einer bestimmten Handlung: vom Tun eines Machers. Sie liegt der Vorstellung von logischer Notwendigkeit ebenso zugrunde wie der Vorstellung von Ursa- che und Wirkung, und die metaphysische Gleichsetzung der beiden hatte einen genetischen Grund.



Corollaria

Sein kann ich substantivieren, weil es tot ist. Es ist Objektität (unbestimmtes Dass) - unter der Bedingung einer Subjektität: der bestimmenden Tätigkeit eines Andern. In dem ist die Tätigkeit substantiviert. Das Wirkliche ist die Tätigkeit in ihrem zeitlichen Verlauf; die Substantiva sind Zutaten der Reflexion. 

Zu einer Geltung kommt, worin sich der Zweck einer Tätigkeit vergegenständlicht. Zweck der Tätigkeit und Geltung des Gegenstands sind dasselbe; nämlich entgegengesetzte Substantivierungen eines Tuns - eigentlich müsste ich schreiben: eines tuns -, das in seinem Verlauf eines ist; außerhalb der Zeit als Begriff sistiert, was wirk- lich nur in der Zeit geschieht. 

Das Qualifizierende ist die Tätigkeit, indem sie diesem - und nicht irgendeinen - Zweck gilt. Indem ich dem Gegenstand die Form meines Zwecks ein-bilde, bestimme ich ihn zu Diesem. Es gilt heißt daher: Ich bestimme. 


Welche tiefe semantische Fallgrube des Hilfsverb sein ist, wenn es zu dem Nomen das Sein substantiviert wird, hat sich herumgesprochen. Eine noch tiefere Fallgrube ist aber das Verbum tun, das, sobald es im Satz objekti- viert werden soll, unweigerlich die nominale Form das Tun und die Tätigkeit annimmt, die glauben macht, es kön- ne ein Tun geben, ohne dass ich tue. Ich will sagen: mein tun. Doch schreiben muss ich: mein Tun. Ich denke es sogar, obwohl ich es nicht meine.

Das Quale des Tuns ist der Zweck, dem es gilt; und daher das meines Gegenstands. 

 
Das muss alles erst noch durchgären, aber ich glaube, ich bin dem Denkzwang dicht auf den Fersen. Die Mysti- fikation geschieht durch die Vorliebe der Sprache für die Nominis, oder richtiger: ihre Aversion gegen tun.  
In den ersten Klassen sagten wir noch Tuwort. Später hieß es Tätigkeitswort. 


 


Fragen Sie bitte nicht nach dem Bezug des obigen Fotos zum Text. Es gibt keinen.
Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE   

Dienstag, 15. Januar 2019

Apologie des Begriffs.

 
Der Begriff ist Mittel und Erzeugnis der Reflexion. Die Vorstellung mag ich anschauen, so viel ich will - mit oder ohne Gefallen. Wenn ich sie für einen Zweck brauchen will, muss ich sie bestimmen: auf den Zweck beziehen. Das Beziehen auf einen Zweck stellt die Vorstellung fest: Es macht ihre Bestimmung aus. 

Ohne Reflexion ist das Vorstellen bloßes Phantasieren. Es mag ohne Interesse gefallen, aber setzen kann es nichts. Ohne Begriff bleibt das Denken unproduktiv.










Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE