Mittwoch, 23. Januar 2019

Realität und Wirklichkeit.

 
Was alles geschieht, nennen die romanischen, vom Latein abgeleteten Sprachen real, und selbst das französich überformte Englisch. Real kommt vom Nomen res: Ding, Sache. Was geschieht, heißt auf Deutsch wirklich, und das kommt vom Verbum wirken. In den Sprachen ist eine heimliche Ontologie vorgezeichnet. 

Generell privilegieren die romanischen Sprachen substantivische Konstruktionen, während in germanischen Sprachen die Tätigkeitsform überwiegt. Fichte hatte das in den Reden an die deutsche Nation  als einen Vorzug des Deutschen vor dem Französichen genannt und nicht zuletzt darum die Nationwerdung der Deutschen zu einer Bildungsangelegenheit machen wollen.

Die Franzosen hielt er allerdings, als Nachkommen der Franken, für einen deutschen Stamm - aber einen, der seine ursprüngliche deutsche Sprache zugunsten des neulateinischen Französisch abgelegt hätte. Und den Vor- zug des Deutschen hielt er zudem für einen vorübegehenden - nachdem seit dem Dreißigjährigen Krieg das Französische zur Sprache der Gebildeten geworden war und das Deutsche verdinglicht hatte.

Bis heute hält sich im Deutschen der nominale Stil - im öffentlichen Raum, genauer gesagt: in der Verwaltung. Im wirklichen Leben fühlen wir uns selber und begegnen uns die Andern als wirkend, das schlägt sich in unse- rem Reden nieder. Die Verwaltung betrachtet alles - auch sich selbst - als Objekt. Tätigkeiten gibt es da gar nicht, sondern nur Vorgänge. 

Man könnte meinen, die Nominalität des Französischen ermöglichte eine größere Differenziertheit der Sätze, indem nämlich die Vielzahl der Nomina dazu zwingt, sie in mannigfaltige Stellungen zueinander zu bringen, um dem Satz eine Aussage zu geben. Im Französischen kann man Sätze bauen, die sich über eine Seite erstre- cken, ohne dass ein Verb darin vorkommt - sondern stattdessen zum Abschluss der Periode das dürftige Hilfs- verb être. Deren Aussage ist aber so undeutlich, dass man fast meinen möchte, sie hätte keine. Warum? Weil die mannigfaltigen Stellungen der Substantive zueinander in bloßem Dunst verschwimmt, wenn sie nicht dekliniert werden können. Das Fehlen der Deklination ist die zweite Schwäche der neulateinischen Sprachen. Sie sind ide- al für den behördlichen Gebrauch und können durch ihren Klangreichtum sogar noch Bella figura machen. Sie neigen bloß dazu, nichts zu sagen.





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