Süddeutsche
aus Süddeutsche.de, 12. Juni 2016,
"Keiner der Affen hat mal etwas Interessantes erzählt"
Tiere können erstaunlich viel ausdrücken. Doch sie haben verblüffend wenig Lust dazu.
Von Katrin Blawat
400 Millisekunden reichen einer Dianameerkatze, um ihrer Sippe alles Wichtige mitzuteilen: "Da hinten sehe ich eine fremde Gruppe, die könnte Ärger machen. Und, ach ja, ich bin die Verfressene mit der Narbe im Ohr, ihr wisst schon." Zu hören ist nur ein kurzes, tonloses Rattern (der sogenannte R-Laut), gefolgt von einem längeren, bogenförmig an- und absteigendem Ton (A-Laut). Das Besondere an den beiden zusammengesetzten Rufen ist: Die Tiere kombinieren sie keineswegs willkürlich, sondern abhängig von der jeweiligen Situation. Das Rattern ertönt, wenn es leicht brenzlig wird; der A-Ton verrät, wer der Rufende ist. Daneben nutzen die Affen noch einen langen Triller (L-Laut), der für sozial entspannte Zeiten reserviert ist.
Mit dieser Übersetzung der Meerkatzen-Kommunikation liefern Verhaltensforscher in der Mai-Ausgabe des Fachmagazins Animal Behaviour einen weiteren der inzwischen zahlreichen Belege für die erstaunliche Kommunikation vieler Tiere - fast ist man versucht zu schreiben: für ihre Sprachfähigkeiten. Vom Huhn bis zum Schimpansen ist die auf Lauten basierende Kommunikation im Tierreich viel komplexer als lange gedacht. Das gilt besonders für die Fähigkeit vieler Primaten, ihre Rufe nach Art der Dianameerkatzen bewusst zu kombinieren - etwas, was unserer Grammatik sehr nahe kommt.
Wo also liegen die Unterschiede zwischen den Rufen der Tiere und der Sprache des Menschen? Nur in der Undurchdringlichkeit mancher Grammatikregel? Oder vielleicht weniger im Können als vielmehr im Wollen? "Uns verblüfft immer wieder, dass viele Primaten ihr Potenzial offenbar nicht ausnutzen", sagt Klaus Zuberbühler von der Universität Neuchâtel, einer der Autoren der aktuellen Studie. Womöglich sind Tiere also einfach weniger schwatzhaft als der Mensch.
Manche Schimpansen haben zwar Gebärdensprache erlernt, wissen aber wenig zu erzählen
Doch auch wenn Aufregung oder Furcht oft zu den Lauten beitragen, haben viele Spezies Rufe entwickelt, die auf eine konkrete Situation hinweisen, etwa auf einen bestimmten Fressfeind. Am längsten bekannt ist dies von Grünen Meerkatzen. Hören die Affen jenes Bellen, das einen Leoparden ankündigt, flüchten sie in Bäume. Rechnen sie mit einem Adler (angekündigt durch eine Art Husten), fahnden sie am Boden nach Deckung und suchen den Himmel ab. Und kündigt ein Artgenosse mit einem Meckern eine Schlange an, richten sich die Primaten auf und schauen am Boden nach der Gefahr.
Nun zählen Meerkatzen immerhin zu den Primaten, denen man weiter reichende Kommunikationsfähigkeiten zutraut als vielen anderen Tieren. Doch auch Hühner zum Beispiel kennen verschiedene Alarmrufe. Auch für sie ist es sinnvoll zu wissen, ob sie sich vor einem Greifvogel aus der Luft oder vor einem Fuchs am Boden in Sicherheit bringen müssen.
Zum Prahlen bekommen Tiere den Mund auf
Wenn aber schon ein Huhn verschiedene Alarmrufe zustande bringt, warum haben sie sich dann nicht bei allen Arten entwickelt? Die kurze Antwort lautet: Weil es sich in vielen Fällen nicht lohnt. Kennt ein Tier sowieso nur einen Weg, sich in Sicherheit zu bringen, reicht ihm auch ein allgemein gehaltener Gefahrenhinweis. "Für eine Maus ist es vermutlich egal, ob sie von einer Katze oder einem Fuchs gejagt wird. Sie wird immer versuchen, so schnell wie möglich in ihrem Loch zu verschwinden", schreibt die Leipziger Verhaltensforscherin Juliane Bräuer in ihrem Buch "Klüger als wir denken: Wozu Tiere fähig sind" (Springer Spektrum).
Weniger existenziell, aber durchaus nützlich ist es, wenn es einen speziellen Laut gibt, der auf Futter hinweist. Obwohl der Rufer riskiert, selbst weniger abzubekommen, ist das Verhalten im Tierreich erstaunlich weit verbreitet, etwa bei Hühnern, Raben und vielen Primaten. Dahinter steckt oft Prahlerei: Wer genügend Futter für zwei findet, kann ein so schlechter Partner nicht sein. Dementsprechend paart sich eine Henne am liebsten mit einem Hahn, der oft zum Essen ruft. Ähnliches gilt für Bonobos. Sie differenzieren in ihren Rufen sogar zwischen verschiedenen Qualitäten des gefundenen Futters. Aus Bonobo-Sicht schmecken Äpfel ganz okay, Kiwis hingegen bombastisch. Angesichts der Südfrüchte lassen die Affen ein Piepsen und Bellen hören, Äpfel kündigen sie durch Kläffen und Grunzen an.
Die von Zuberbühler und seinem Team getesteten Bonobos hörten aus den Rufen ihrer Artgenossen heraus, welches Futter sie erwarten konnten. Die Forscher hatten ihnen zuvor beigebracht, dass es Äpfel immer in der einen, Kiwis stets in einer anderen Ecke ihres Käfigs gab. Bekamen sie nun den Kiwi-Ruf eines Kumpels vorgespielt, liefen sie zuverlässig in die Kiwi-Ecke. Trotzdem hält es Zuberbühler für unwahrscheinlich, dass die Bonobos tatsächlich eine Art Wort für Kiwis kennen. "Bei Trauben, die ihnen ebenso gut schmecken, würden sie den gleichen Laut hören lassen", sagt der Schweizer Forscher. "Die Rufe stehen wohl für mehr oder weniger beliebtes Futter."
Doch nicht immer ist das Publikum so aufmerksam. Auch Tiere hören einander manchmal nicht zu und bekommen nur die Hälfte mit. Erdmännchen zum Beispiel hängen ihren Rufen zwar eine individuelle Signatur an, die sie eindeutig identifiziert. Doch warum sie das tun, ist bislang ein Rätsel. Denn die Artgenossen achten gar nicht auf die Signatur, wie Playback-Studien eines Teams um Simon Townsend von der University of Warwick gezeigt haben. Wer hätte gedacht, dass sich Erdmännchen und Menschen so nah sein können: Beide müssen damit leben, dass die Hälfte von dem, was man mitteilen möchte, niemals beim anderen ankommt.
Auch in einem anderen Bereich ähnelt die tierische der menschlichen Kommunikation. Zwar hat nur der Homo sapiens eine ausgefeilte Grammatik entwickelt. Daher sagt etwa die Göttinger Verhaltensforscherin Julia Fischer, Tiere hätten keine Sprache in unserem Sinne. Dennoch lassen viele Primaten - wie die erwähnten Dianameerkatzen - immerhin zarte Ansätze von etwas hören, das der menschlichen Syntax ähnelt. Sie kombinieren ihre Rufe so, dass dabei neue Bedeutungen entstehen.
Wenn Campbell-Meerkatzen ihrer Warnung vor einem Adler oder Leoparden ein "Boom" voranstellen, schwächt dies die Warnung ab, wie sich aus der bedächtigen Reaktion der Artgenossen schließen lässt. Ähnliches gilt für das Anhängsel "-oo". Es entspricht dem menschlichen "-artig". Hängt das "-oo" am Ende des Leoparden-Warnrufs ("Krak-oo"), warnt der modifizierte Laut vor allen möglichen "leopardenartigen" Gefahren: vor abbrechenden Ästen ebenso wie vor einer Gruppe fremder Artgenossen.
Auch Weißnasenmeerkatzen haben es mit ihren Grammatikkünsten weit gebracht. Vor einem Adler warnen sie überwiegend mit "Hack", vor einem Leoparden hauptsächlich mit "Pyow". Kombiniert zu "Hack-Pyow"-Sequenzen bedeutet der Ruf hingegen: "Los Kumpel, auf geht's!"
Warum aber nutzen die Meerkatzen kombinierte Rufe nicht häufiger, wenn sie es doch offensichtlich grundsätzlich können? Liegt ihnen vielleicht einfach nichts an den vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten, die sich durch neue Laut-Kombinationen ergeben?
Vor dem Chef tun Affen mehr kund
Für Klaus Zuberbühler klingt das plausibel. Zumal auch weitere Indizien darauf hinweisen, dass Tiere ein viel geringer ausgeprägtes Mitteilungsbedürfnis haben wie Menschen. Manche Schimpansen haben sogar erfolgreich die menschliche Gebärdensprache gelernt, konnten sich also sehr wirkungsvoll ausdrücken. Sie nutzten diese Chance aber nicht. "Keiner dieser Affen hat mal etwas Interessantes erzählt", sagt Zuberbühler. "Da ist nichts gekommen außer Imperativen: "Ich will dies oder jenes haben, und du kannst mir helfen, es zu bekommen."
"Das grundlegende Interesse am Anderen ist etwas Menschentypisches"
Dementsprechend fehlt den Rufen von Tieren weitgehend etwas, was manchen Forschern zufolge eine Voraussetzung für richtige Kommunikation ist: der Wunsch, dass der andere das Gesagte wirklich begreift. Viele Tiere verfügen lediglich über eine sogenannte Intentionalität erster Ordnung: Sie wollen das Verhalten ihrer Artgenossen beeinflussen, sie zum Beispiel auf einen Baum locken, wenn ein Leopardenangriff droht. Manche Tiere stimmen zudem ihre Rufe auf ihre Zuhörer ab - immerhin eine Leistung, mit der selbst menschliche Sprecher manchmal ihre Probleme haben.
Schimpansen verkünden eine neu gefundene Futterquelle vor allem dann, wenn sie sich in der Gesellschaft hochrangiger Gruppenmitglieder wissen: Vor dem Chef kann es nicht schaden, die eigenen Leistungen ausgiebig kundzutun. Und Grüne Meerkatzenweibchen warnen häufiger, wenn sie mit ihren eigenen Kindern als mit anderen Jungen unterwegs sind.
Für die nächste Stufe der Intentionalität müsste sich der Rufende jedoch sowohl seiner eigenen Perspektive als auch der des anderen bewusst sein - und letztere verändern wollen. "Da sieht es dürftig aus bei Tieren", sagt Zuberbühler. "Allenfalls bei Schimpansen finden wir solche kleinen Inseln des Bewusstseins." Zum Beispiel, wenn eine Schlangenattrappe am Wegesrand liegt. In einem Experiment mit wild lebenden Schimpansen konnte Anne Marijke Schel von der Universität Utrecht zeigen, dass ein Schimpanse beim Anblick der vermeintlichen Schlange vor allem dann seine Alarmrufe hören ließ, wenn nichts ahnende Artgenossen in der Nähe waren.
Außerdem wurden Freunde häufiger gewarnt als Fremde, ranghohe Bekannte öfter als rangniedere. "Die Schimpansen scheinen ihre Rufe also unter taktischen Gesichtspunkten zu produzieren", schreiben die Autoren im Fachblatt Plos One. Außerdem schauten sich die Affen um, ehe sie zu ihren Warnrufen ansetzten: "Ist irgendjemand hier, der noch nicht Bescheid weiß?" Häufig warnten die Schimpansen so lange, bis sie sich durch Blickkontakt vergewissert hatten, dass die Botschaft bei allen Zuhörern angekommen war, und stellten die Warnrufe dann ein.
"Das war einer der seltenen Momente, in denen ein Schimpanse sich dafür interessiert, welche Sicht der Dinge ein Artgenosse hat", sagt Zuberbühler, der an der Studie beteiligt war. Es sei schwierig zu erkennen, ob die Tiere in anderen Situationen diese geistige Leistung nicht schaffen, oder ob sie schlicht keinen Vorteil darin sehen. "Das grundlegende Interesse am anderen ist etwas Menschentypisches", sagt Zuberbühler. Im Unterschied zu allen anderen Lebewesen gilt allein für den Homo sapiens: Er kann nicht nur erzählen - vor allem will er auch. So betrachtet könnte es erstaunlich banal sein, was den Menschen ausmacht. Niemand sonst fragt: "Wie war dein Tag?"
Nota. - "Das grundlegende Interesse am Anderen ist etwas Menschentypisches" - da hat wohl ein Wissen-schaftler seiner Sentimentalität den Vortritt gelassen. Das Interesse am Andern - wie geht es dir, was empfin- dest du im Hier und Jetzt? - hatten alle Tiere, bevor sie die ersten gestischen oder tonalen Symbole erfanden, längst in Mimik und Körpersprache gepackt, wo sie nicht nur ausreichen, sondern sogar deutlicher sind als Worte, die lügen können.
Gleich fällt auch die Rolle der sozialen Kommunikation beim Nahrungserwerb ein, namentlich der gemeinsamen Jagd. Doch so viele Tierarten jagen in Gruppen, ohne auf Worte angewiesen zu sein!
Wie geht das?
In den Umwelten, in denen sie sich seit Jahrtausenden eingerichtet haben, hat alles, was begegnet, seine angestammte Bedeutung. Eigentlich verständigen muss man sich da nicht, sondern allenfalls auf das eine oder andere hinweisen. Die Kommunikation ist rein demonstrativ, zum Fragen, Erwägen und Verneinen gesteht kaum Anlass.
Ganz anders unsere Vorfahren, als sie sich auf die Hinterfüße stellten und ihre angestammte Urwaldnische im afrikanischen Graben verließen. Sie hatten nicht eine Nische gegen eine andere Nische getauscht, sondern hatten sich als Vaganten eine weite Welt eröffnet, in der nichts eine angestammte Bedeutung hatte, wo man für alles eine Bedeutung erst neu erfinden musste - und sich mit andern darüber austauschen. Dafür ist die Entwicklung von komplexer artikulierter Sprache nötig. Es geht um die Verständigung über die Bedeutungen in der Welt. Und kein anderes Lebewesen braucht das; nur wir.
JE
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