Dienstag, 21. August 2018

Nietzsches Willen zur Macht.

Linderhof

Der siegreiche Begriff »Kraft«, mit dem unsere Physiker Gott und die Welt geschaffen haben, bedarf noch einer Ergänzung: es muß ihm ein innerer Wille zugesprochen werden, welchen ich bezeichne als »Willen zur Macht«, d. h. als unersättliches Verlangen nach Bezeigung der Macht; oder Verwendung, Ausübung der Macht, als schöpferischen Trieb usw. 

Die Physiker werden die »Wirkung in die Ferne« aus ihren Prinzipien nicht los; ebensowenig eine abstoßende Kraft (oder anziehende). Es hilft nichts: man muß alle Bewegungen, alle »Erscheinungen«, alle »Gesetze« nur als Symptome eines innerlichen Geschehens fassen und sich der Analogie des Menschen zu diesem Ende bedienen. Am Tier ist es möglich, aus dem Willen zur Macht alle seine Triebe abzuleiten; ebenso alle Funktionen des or- ganischen Lebens aus dieser einen Quelle. 
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Nietzsche, Aus dem Nachlass der Achtziger Jahre, N° 9
  



Nota. - Von einem An sich will er nichts hören, das ist ihm wie dem Teufel das Weihwasser. Aber er ersetzt es keck durch das In mir. Und das ist schwindelerregend flach. Er macht sein Ich zum An sich und drückt sich nur darum, es auszusprechen. Macht er's nicht heimlich genau wie Fichte? 

Das, worin die Kraft 'sitzt', wovon sie 'ausgeht', was in ihr 'wirkt', ist in der philosophische Tradition Substanz. Ein realistischer Denker meint: Ur-Sache. Der idealistische Denker Fichte war indes strenger Phänomenologe; was man nicht wahrnehmen kann, war für ihn nicht wirklich, sein Ich war stets nur Noumenon, ein reines Ge- dankending, das die Vorstellung dem Phänomen lediglich um der Erklärung willen hinzufügt, das aber, weil es nicht wirklich ist, schon gar nicht wirklich wirkt

Von Fichte hatte Nietzsche sein Ich gar nicht. Er hatte seinen Willen von Schopenhauer. Der wiederum hatte ihn von... Fichte, bei dem er mit wachsendem Widerwillen studiert hatte. Er nannte ihn unverfroren das An sich, und dass Nietzsche es ins Ich rückübersetzt hat, hat eine gewisse Folgerichtigkeit. Nur ist dabei das Wesentliche verlorengegangen: Bei Fichte ist das Ich nicht jedes beliebige Selbst, sondern ein Ich immer nur als Subjekt der Vernünftigkeit (ansonsten möchte es auch Freud'sches Es sein, das ja auch von Schopenhauers Wille stammt).

So kommen wir zu Nietzsche zurück. Eine vitalistische Moral, die den Willen zur Macht metaphorisch versteht als Ausdruckstrieb und Drang zu Selbstermächtigung, wäre wohl sympathischer als das ebenso duckmäuseri- sche wie überhebliche wilhelminische Bildungsphilisterium. Da aber der Wille zur Macht über Andere stets un- überhörbar mitklang, hat sich der Unterschied vor Langemarck und Verdun dann als gar nicht so groß erwie- sen.
JE

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