Ob man für die Wissenschaft wie für die Kunst ein besonderes
eingeborenes Talent braucht, ist höchst zwei- felhaft. Zum Ethos der
Wissenschaft gehört die Annahme, dass man mit Gewissenhaftigkeit beim
Sammeln des Materials und bei Genauigkeit in der Befolgung der geltenden
Regeln und natürlich mit etwas Fleiß schon zu Ergebnissen kommen werde, die immerhin der Überprüfung durch die Kollegen standhalten.
Ob
Genie ausreicht, um diese Bedingungen im Einzelfall auch mal zu
überspringen? Eine wahre Einsicht kann einem im Traum kommen, ganz ohne
Begabung. Dass sie wahr ist, kann der Traum nicht bezeugen: Das muss die Wissenschaft schon erst noch prüfen.
Ebenso wenig wie ein Kunstwerk lässt sich ein Stück Wissenschaft individuell bestimmen. Kunst und Wissen- schaft
sind en gros regulative Instanzen im Lebenszusammenhang einer Kultur,
en détail sind sie die spezifi- sche Tätigkeit eines Berufsstandes. Der
steht in Konkurrenz und Austausch miteinander; rechtfertigen und
bewähren muss er sich auf längere Sicht vor einer Öffentlichkeit, die
ihm einen Markt bietet. Wissenschaftler oder Künstler ist keiner für
sich allein, sondern wenn, dann für den Rest der Welt.
Das
ist es zugleich, was gegebenenfalls ihr Selbstvertrauen rechtfertigt:
Als Angehörige eines streitbaren Stan- des weiß sich ein jeder unter
ständiger Beobachtung durch seinesgleichen, und wo er sich vergreift,
werden die andern schon laut schreien, bevor er es selber merkt.
Wissenschaftlich werden sie durch Teilhabe an einer un- ablässig prozessierenden Kritik.
Und
nicht durch eine zünftige Ausbildung noch durch genaues Befolgen der
zünftigen Regeln. Die wird man wohl brauchen, um der Kritik der Andern
standzuhalten. Doch nicht auf sie kommt es an, sondern eben - auf die
prozessierende Kritik.
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