Sonntag, 14. September 2014

Einbildungskraft, empirisch.


 
... So energisch Hobbes einerseits Nominalist war, so entschieden war er auch Sensualist. Einbildungskraft entstünde durch das mehr oder minder alterierte Erinnern an vergangene Sinneseindrücke, und er zögert nicht, das mit dem griechischen Wort phantasia zu erläutern. Und in der Tat ist es schwer vorstellbar, wie das Gemüt, die Seele, die Intelligenz oder wie immer man es nennen mag, aus sich selber den Eindruck sinnlicher Erlebnisse produzieren könnte, für die es in seiner Lebensgeschichte keinerlei Vor-Bild gab. (Hier geht es um reale Psychologie, nicht um philosophische Abstraktionen.) 

Von unserer Lebenserfahrung her fällt es schwer, sich Einbildungen anders zu erklären als durch Erinnerung.

Die Hirnphysiologie erklärt die Gedächtnisspuren aus Verschaltungen zwischen Nervenzellen. Diese entstehen allerdings nicht erst mit dem Beginn des individuellen Erlebens. Millionenfach, milliardenfach werden sie durch die gattungsgeschichtlichen Erwerbungen vererbt. Aber auch das sind Erinnerungsspuren, wenn auch keine persönlichen.

Doch das Gehirn wartet nicht darauf, dass ihm von außen Eindrücke beigebracht werden, dafür bringt es schon viel zu viel gattungsgeschichtlich erworbene Erfahrung mit. Es sucht sie vielmehr, es hält Ausschau nach ihnen und hascht danach, und vergreift sich wohl auch dabei. Und es experimentiert 'einbildend' nicht nur in der Außenwelt, sondern auch bei sich zuhaus. Es ist empirisch ganz und gar nicht länger unvorstellbar, dass es dabei Bilder erfindet, die es nie zuvorgeschen hat (und ein anderer schon gar nicht).

Ernst Pöppel geht noch einen Schritt weiter. Er meint, dass unsere Fähigkeit zum Sehenlernen sogar darauf beruht, dass das noch ungeborene Gehirn träumt und "sich etwas einbildet".

Alle anderen Sinne, Gehör, Tastsinn, Geruch und Geschmack bilden sich schon im Mutterleib und bilden sich dort aus, allein das Sehen nicht. Die Nervenzellen des Sehsystems sind wohl da, aber die Sinneszellen haben noch nichts zu tun: "Ich vertrete die These, dass die vorgeburtliche Phase des Menschen entscheidend ist für die Prägung des visuellen Systems. Das Sehsystem ist das einzige, das vor der Geburt nicht gereizt wird. Damit es aber gleich nach der Geburt funktionieren kann, wird das visuelle System im Gehirn mit Hilfe von Träumen gleichsam eingefahren. Mehr als 50 Prozent der Zeit verbringen Kinder im Mutterleib in der Traumphase. Es hat dann keinen evolutionären Grund gegeben, die Träume nach der Geburt wieder abzuschaffen." 

Thomas Hobbes wäre heute dahingehend zu korrigieren, dass das grundlose, unverursachte freie Erfinden von Bildern, die noch keiner gesehen hat, sogar die Voraussetzung dafür ist, dass wir lernen, wirkliche Bilder überhaupt wahrnehmen zu können.




Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE    

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