Montag, 29. April 2019

Reines Wollen.



Ein Gefühl ist mir nur möglich, inwiefern im System der Sensibilität eine Veränderung vorgeht, und aus dieser entsteht eine objektive Erkenntnis. Diese aber ist nicht möglich außer infolge eines Handelns, in wiefern ich mich als Ursache denke. Ich denke mich aber als Ursache, wenn ich das Mannigfaltige des Erfolgs beziehe auf das reine Wollen. Dieses Wollen ist ein ursprünglich Bestimmtes, nicht aber ein empirisch Bestimmtes oder Bestimmendes; ein reines Wollen, inwiefern es sich als Sollen äußert.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 152 



Nota I. - Es wird nicht behauptet, zuerst hätten die Menschen einen reinen Willen, danach würde er durch mannigfaltige dialektische Operationen zu einem empirischen. - Hier geht es immer um die Erklärung des Bewusstseins aus der wirklichen Vorstellungstätigkeit. Das Grundschema ist immer dies: Ich finde mich als dieses oder jenes tuend oder getan habend. Ich muss daraus schließen, dass ich es gekonnt habe. Diese An- schauung wird mir zum Begriff eines Vermögens. So muss der wirklich Wollende seinem wirklichen Wollen die Fähigkeit zum Wollen voraussetzen: Die konkrete Vorstellung ist nicht ohne die reflexive Hpostase der abstrak- ten Vorstellung "möglich"; d. h. möglich ist sie schon, solange ich nicht denke; wenn ich aber denke, muss ich so denken. 

22. 7. 17


Nota II. - In ihrem ersten, analytische Gang hat die Wissenschaftslehre am Grunde der Vernünftigkeit das sich-selbst-setzende Ich aufgefunden. Solange es sich noch nicht gesetzt hat, ist es eo ipso unbestimmt. Mehr kann der kritische Verstand nichts über es aussagen. Wie kommt es also dazu, 'sich' zu 'setzen'? Wissen kann ich es nicht. Ich müsste mir schon eine Freiheit herausnehmen: Ich müsste etwas postulieren. Ich unterstelle - hypo- stasiere - ihm eine Vor-Bestimmtheit, ich behaupte: Es muss schlechterdings wollend gewesen sein, bevor es ge- wesen ist.

Jedem andern steht es so frei wie mir, dem Proto-Ich eine Vorbestimmtheit anzudichten. Beweisen kann er seine so wenig wie ich meine. Unterscheiden lassen sie sich erst ex post, nämlich an den Resultaten, die sie möglich machen. Welches Postulat gelten soll, ist eine schlechterdings praktische Frage.

Das Postulat ist nicht bloß Noumenon, aber Phänomen ist es auch noch nicht, es schwebt zwischen beiden. Und so sagt Fichte: "Wenn man von etwas an sich reden könnte, so wäre es der reine Wille."
JE



Nota. Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.

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