Montag, 1. April 2019

Die formale Sprache der Aussagenlogik.

betfaq
aus spektrum.de, 31. März 2019

Die formale Sprache der Aussagenlogik

Von Josef Honerkamp

Nachdem ich im letzten Blogbeitrag die Syllogistik des Aristoteles kurz vorgestellt habe, müsste ich eigentlich nun ausführen, wie diese in der Antike, im Mittelalter und bis in die Neuzeit hinein rezipiert und ausgearbeitet worden ist. Insbesondere müsste man die Arbeiten von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 bis 1716) würdigen, in denen man schon wichtige Ansätze in Richtung der modernen Logik finden kann. Es wäre auch dessen großes Projekt zu beschreiben, eine „Scientia generalis“ nach dem Muster der Mathematik zu begründen, um „das jenige was Cartesius und andere per Algebram und Analysin in Arithmetica et Geometria gethan, in allen scienten zuwege zu bringen“. (Sämtliche Schriften II,1. S.160, nach Schupp III, S.238). Zu diesem Zweck wollte Leibniz eine „lingua characterica“ mit geeigneten Zeichen (characterica universalis) entwickeln. Ich will das hier aber überspringen und gleich auf die moderne Logik zu sprechen kommen. Man kann dies und andere Entwicklungen in dieser Richtung ohnehin besser in einem Rückblick einordnen.

Die moderne Logik begründete der Mathematiker und Philosoph Gottlob Frege (1848-1925) mit einem Buch, das den Titel trägt: „Begriffsschrift – Eine der arithmetischen nachgebildete Formelsprache des reinen Denkens“. Im Vorwort heißt es: In dieser „kleinen Schrift habe ich nun eine Wiederannäherung an den Leibnizischen Gedanken einer lingua characterica versucht“. Leibniz steht also Pate bei der Erfindung der modernen formalen Logik. (Wille, 2017, S.96) 

Gottlob Frege (1848-1925) war Philosoph und Mathematiker, sein Vater hatte eine neuhochdeutsche Grammatik geschrieben (Wikipedia: Gottlob Frege). Frege kannte also vermutlich die Kraft einer formalen Sprache; mit einer solchen hob er dann auch die Logik auf eine ganz neue Ebene, auf der man Beweise wie in der Mathematik führen konnte. Er entdeckte damit eine „neue Wissenschaft“ für die Logik, wie es Galilei für die Naturforschung getan hatte. Und wieder sieht man, wie eine Formalisierung dazu führt, dass ein Wissensgebiet eine beschleunigte Entwicklung erfährt und dabei aus der Philosophie „auswandert“.

Die endgültige Form eines Systems einer „Aussagenlogik“ entstand dann etwas später durch Alfred North Whitehead (1981 bis 1947) und Bertrand Russell (1872 bis 1970). Die „Begriffslogik“, wie sie die Philosophen bis dahin immer betrieben hatten, wurde daraufhin bald durch diese Aussagenlogik verdrängt; die Logik entwickelte sich zu einer vorwiegend mathematischen Disziplin. Ihre mathematische Form ermöglichte die Übertragung logischer Schlussregeln auf Maschinen, was u.a. zu dem heute florierenden Forschungsgebiet der „künstlichen Intelligenz“ geführt hat.

Da man immer wieder erlebt, welche Scheu die meisten Zeitgenossen vor mathematischen Formeln haben, muss man bei der Vorstellung einer formalen Sprache für die Logik große Vorsicht walten lassen. Am besten, man betrachtet den Aufbau einer formalen Sprache immer in Analogie zum Aufbau unserer Muttersprache und demonstriert dabei die Ähnlichkeit einer formalen Sprache mit unserer Umgangssprache. Es ist nur alles viel einfacher, und zwar so einfach, dass man zunächst fremdelt. Als Zwischenstation zwischen der formalen Sprache der Logik und unserer Umgangssprache mag die Sprache der Mathematik herhalten, denn diese ist ja schon formal, abere der Zeitgenosse hat immerhin einige Erfahrungen mit dieser. 

Wir betrachten nun also drei Sprachen, die der Logik, der Mathematik und unsere Umgangssprache. In allen drei Sprachen gibt es eine bestimmte Menge von Zeichen, mit denen man Zeichenketten bilden kann. In der Umgangssprache stellt diese Menge das Alphabet dar, Zeichenketten sind Wörter und mehrere Zeichenketten stellen Sätze dar. So lernt man in der Schule ja auch erst, die Buchstaben zu schreiben, dann die Wörter und dann die Sätze.

Hier muss schon auf den wichtigen Unterschied von Syntax und Semantik eingegangen werden. Syntax ist das, was man bei natürlichen Sprachen als Grammatik bezeichnet. In dieser wird z.B. dargestellt, wie die Wörter unabhängig von ihrer Bedeutung je nach Funktion und Stellung in einem Satz dekliniert oder konjugiert werden und in welcher Reihenfolge sie in einem Satz auftreten können. Die Syntax bzw. Grammatik regelt also die formale Struktur einer Sprache. Die Semantik dagegen beschäftigt sich mit der Bedeutung von Wörtern und Sätzen.

In formalen Sprachen wird die Unterscheidung zwischen Syntax und Semantik noch deutlicher. In der Syntax wird genau festgelegt, was erlaubt sein soll im Hinblick auf die Bildung von Zeichenketten. Auf der syntaktischen Ebene hat man es also nur mit Zeichen verschiedener Komplexität zu tun, ohne dass diesen Zeichen schon eine Bedeutung zugeteilt worden ist. 

Selbst eine rudimentäre Kenntnis der Mathematik gibt uns schon einen Hinweis auf den Nutzen einer formalen Sprache. Man kann in ihr „rechnen“, d.h. formal argumentieren, und zwar so, dass man die Bedeutung der Zeichen und Zeichenketten, die man dort nach gewissen Regeln ändert, generiert oder entfernt nicht kennen muss. Das Ganze geschieht ja auf der syntaktischen Ebene und die Regeln sind so gemacht, dass aus wahren Aussagen wieder wahre Aussagen entstehen – völlig unabhängig von dem Sinn der Zeichen und Zeichenketten. Nur so ist ja verständlich, dass wir das Rechnen und das logische Schließen einer Maschine übertragen können, dass wir also Algorithmen entwickeln können, um Aufgaben zu lösen, die von uns selbst eine gewisse Intelligenz erfordern würden.

Die Syntax der Sprache für eine Aussagenlogik

Allgemein beginnt eine Konstruktion einer formalen Sprache, indem man zunächst einen Zeichensatz, eine bestimmte Menge von Symbolen, bereitstellt, d.h. ein Alphabet definiert.
In derAussagenlogikbesteht das Alphabet aus einem Vorrat an

  • Variablen A, B, …, also an Großbuchstaben unserer Alltagssprache.
  • den Zeichen „¬“ und sowie „→“, „∧“ und „∨“
  • dem Gleichheitszeichen „=“,
  • den Klammern „(„ und „)“, diese sollen immer eingesetzt werden, wenn man einen Zeichengebilde als eine Einheit sehen will, um Übersicht zu behalten. Ebenso wird manchmal ein Leerzeichen eingesetzt, um die Übersichtlichkeit zu erhöhen,; und schließlich  
  • den Konstanten „0“ und „1“. 

Mit Hilfe dieser Zeichen bzw. „Buchstaben“ kann man Zeichenketten bilden. Wir werden sehen, dass man in der formalen Sprache der Aussagenlogik keinen Unterschied zwischen Buchstaben, Wörtern und Sätzen machen muss. Man kennt nur Zeichen und Zeichenketten, und diese nennt man einheitlich Ausdrücke.

Wie Zeichenketten, also komplexere Ausdrücke aus den Zeichen des Alphabets gebildet werden können, regeln bestimmte Gesetze, nämlich:

  • Ist A ein Ausdruck, so ist auch ¬A ein Ausdruck.
  • Sind A und B Ausdrücke, so auch A → B, A ∧ B, A ∨ B und A = B.

Man kann auf solche Weise immer neue Ausdrücke bilden. Mit A und A →    B können wir z.B. so A ∧ (A  →  B) bilden, und schließlich  auch  (A ∧ (A  →  B)) → B, einen Ausdruck, der uns noch beschäftigen wird.

Man nennt Ausdrücke, die nach den Regeln gebildet sind, wohlgeformt. So sind A → B und so A ∧ B ∧ C wohlgeformt, aber ABA oder AB→  nicht.
Anmerkungen:
Unsere natürlichen Sprachen besitzen auch jeweils ein Alphabet. Am besten vertraut ist uns das Alphabet der deutschen Sprache. Andere Alphabete weichen mehr oder weniger davon ab. Mit Hilfe dieser Zeichen werden auch Zeichenketten gebildet, die wir Wörter nennen. Diese Wörter werden durch den Umgang der Menschen mit den Dingen der Umwelt gebildet. Das ist ein geschichtlicher Prozess, und durch die Erfahrung mit immer neuen Dingen dieser Welt werden auch stets neue Wörter erfunden. Hier gibt es kaum Regeln, höchstens die Bedingung, dass das Wort aussprechbar sein muss. So wird man z.B. die Zeichenkette mjk?a nicht als einen sinnvollen Kandidaten für ein Wort ansehen. Die Wortbildung geschieht also auf der semantischen Ebene: „Das Ding muss einen Namen bekommen“. Es bildet sich dann auch eine Vorschrift dafür aus, wie die akzeptierten Wörter geschrieben werden müssen. Die Orthographie ist die Lehre des „richtigen Schreibens“, der richtigen Darstellung „akzeptierter Zeichenketten“. Mit Wörtern bildet man in der Umgangssprache Sätze, die dann jeweils eine Aussage darstellen können. Die Wörter werden dann je nach Satzstellung modifiziert, dekliniert bzw. konjugiert.

Im Gegensatz dazu werden in einer formalen Sprache „Wörter“ auf der syntaktischen Ebene gebildet, und nach nur wenigen Regeln. „Orthographie“ heißt hier Beachtung der Regeln für die Bildung von Zeichen- ketten. So etwas wie Sätze gibt es nicht. 

  • Die Mathematik ist auch eine formale Sprache. Hier besteht der Zeichenvorrat meistens aus der Menge der Symbole {0,1, … ,9}, also der Zahlen von 0 bis 9, und den Zeichen {+, -, ·, :, =}.  Je nach mathematischer Theorie kommen weitere Zeichen dazu. Weiterhin braucht man immer noch Symbole als Platzhalter u.a. für zunächst nicht weiter spezifizierte Zahlen. Oft nimmt man dazu Buchstaben des Alphabets der Umgangssprache. Es gibt hier auch für die Bildung von „Wörtern“ und „Sätzen“ klare Regeln.  „Wörter“ sind dann solche Zeichenketten wie x + 0 oder 5·4, die man auch „Terme“ nennt.  „Sätze“ sind Gleichungen wie x + 2 = 0, und auch sie werden nach bestimmten Regeln formuliert.

Hiermit haben wir die Syntax dreier Sprachen beschrieben. Sie regelt, welche Zeichenketten man auf der Basis eines Zeichenvorrats bilden darf.

Die Semantik bzw. die Bewertung

In der Semantik müssen wir nun sagen, was wir unter den Zeichen, die wir in der Syntax eingeführt haben, verstehen wollen, welche Bedeutung wir ihnen geben wollen.

In der Aussagenlogik sollen die Variablen A, B, … für Aussagen in unserer Umgangssprache stehen, die entweder wahr oder falsch sind. Man beachte, dass es hier nicht um den Inhalt der Aussage und ihre Bedeutung geht, sondern nur um eine Bewertung: wahr oder falsch. Insofern sollte man eigentlich auch nur von Bewertung statt von Semantik reden. Aber so genau müssen wir in unserer Umgangssprache, in der wir die formale Sprache konstruieren und in der wir später darüber reden, nicht werden. Die Umgangssprache nennen wir die „Metasprache“, die Sprache der Aussagenlogik ist dann hier die „Objektsprache“. In dieser müssen wir ganz genau sein. In unserer Umgangssprache finden wir aber auch sonst genügend vage Begriffe. 

Diese Voraussetzung, dass wir nur Aussagen betrachten wollen, die entweder wahr oder falsch sind, ist konstitutiv für die gesamte Aussagenlogik. Es geht also nicht um Fragesätze oder Ausrufe. Auch lassen wir außer Acht, dass es vielleicht Aussagen geben kann, bei denen man nie entscheiden kann, ob sie wahr oder falsch sind. Dass diese Beschränkung für einige Mathematiker nicht selbstverständlich ist, muss hier nicht diskutiert werden. 

Betrachten wir einige einfache Aussagen. Sei z.B.

A:= „Es regnet.“ 
B:= „Die Straße ist nass.“

So ist A genau dann wahr, wenn es der Fall ist, dass es regnet. Wahrheit ist gegeben, wenn die Aussage mit den Tatsachen übereinstimmt.

Um die Bewertung aller Ausdrücke, die wir mit solchen Aussagen nach den Regeln der Syntax bilden können, müssen wir nun sagen, was wir mit den anderen Zeichen aus dem Zeichenvorrat vorhaben:

Wir interpretieren die „1“ als wahr, die „0“ als falsch.

Das Zeichen „¬“ vor einer Aussage soll diese negieren:

¬A = Es ist nicht der Fall, dass A, d.h. in unserem Beispiel: „Es regnet nicht.“

Es ist so auch:

¬1 = 0, „nicht wahr“ bedeutet: „falsch“,
¬0 = 1, „nicht falsch“ bedeutet: „wahr“.

Der Ausdruck A ∧ B stellt eine Verknüpfung zweier Aussagen dar, erinnert an 5 + 4 oder 5 · 4. Die Bedeutung des Zeichens „∧ “ legen wir dadurch fest, indem wir sagen, wann dieser Ausdruck in Abhängigkeit von den Wahrheitswerten A und B wahr sein soll und wann falsch. Im Prinzip haben wir dort 16 Möglichkeiten. Die Standardwahl ist in folgender Wahrheitstafel dargestellt: 

A B A B
1 1 1
1 0 0
0 1 0
0 0 0

Diese Zuordnung ist so geschehen, dass das Symbol „∧“ dem umgangssprachlichem „und“ entspricht. Wir testen das an unserem Beispiel:

A ∧ B = „Es regnet“ und „die Straße ist nass“.

Wir empfinden diese Aussage offensichtlich genau dann als wahr, wenn beide Aussagen A und B wahr sind, so wie es auch in der Tabelle steht.

Die Wirkung des Zeichens „∨“ definieren wir so, dass dieses im Ausdruck A ∨ B dem umgangssprachlichem „oder“ gleicht: 

A B A B
1 1 1
1 0 1
0 1 1
0 0 0

Der Ausdruck A ∨ B hat nur dann die Bewertung 0, ist also nur dann falsch, wenn beide Aussagen A und B falsch sind. Mit diesem „oder“ ist also „A oder B“ wahr, wenn entweder A oder B wahr sind, aber auch, wenn beide, A wie B, wahr sind. Dies entspricht dem einschließenden „oder“. Wenn wir in der Umgangssprache das Wort „oder“ gebrauchen, meinen wir aber manchmal das ausschließende „oder“, also das „entweder-oder“. Das ist ein typisches Beispiel für die Mehrdeutigkeit unserer Umgangssprache.

Diese drei Regeln genügen eigentlich, um beliebige Zeichenketten zu konstruieren.

Besonders wichtig und nützlich ist aber das Symbol „→ “ mit der Bedeutung:

A B   A B
1 1 1
1 0 0
0 1 1
0 0 1

Der Ausdruck ¬A ∨ B hat, wie man sich leicht überzeugen kann, die gleiche Wahrheitstafel, ist also mit A → B logisch äquivalent. Man schreibt so:

¬A ∨ B = A → B.

Damit ist auch die Bedeutung des Gleichheitszeichens „=“ gegeben.

Die Verknüpfung A → B heißt Implikation: Wenn A, dann B. Genauer: Stets falls A wahr ist, ist auch B wahr. Die Aussage A ist also eine hinreichende Bedingung für B.

Die Implikation ist nur dann falsch, wenn B falsch ist.

Ist A falsch, dann ist die Implikation A → B nach der Wahrheitstafel immer wahr, egal ob B wahr oder falsch ist. Ist die Aussage A also nicht hinreichend, so kann man bei einer wahren Implikation nichts über den Wahrheitswert von B sagen.

Für längere Zeichenketten lässt sich auf diese Weise immer der Wahrheitswert feststellen. Wir wollen hier ein Beispiel anführen, was in der Folge noch beschäftigen wird. Wir betrachten die Zeichenkette: 

(A ∧ (A→ B)) → B, dann berechnet man:
A B A B A (A B) (A (A B))B
1 1 1 1 1
1 0 0 0 1
0 1 1 0 1
0 0 1 0 1

Es gibt also Ausdrücke in der Aussagenlogik, die in jedem Fall wahr sind, unabhängig davon, welchen Wahrheitswert die Einzelaussagen haben. Man nennt solche Ausdrücke Tautologien. Wir werden im nächsten Blogbeitrag sehen, welche bedeutende Rolle solche Ausdrücke für die Bildung von Schlussregeln spielen. 


Nota. - Semantik müsse man in der Aussagenlogik besser als Bewertung bezeichnen: Das ist der springende Punkt. Der Gehalt - Bedeutung, Gemeintheit, Sinn - des Satzes wird gar nicht berührt, sondern nur der Modus ob oder ob nicht; ja oder nein. 'Was Wahrheit ist' oder was es heißt, dass eine Aussage mit den Tatsachen übereinstimt; wann etwas 'der Fall ist'was also über den Modus entscheidet - wäre aber ein sachliche und keine formale Frage; keine, die 'durch Formalisierung der Philosophie 'entgleiten' könnte.

Mit andern Worten, philosophisch ist gegenüber der herkömmlichen Logik seit Aristotetels gar nichts gewonnen. Es geht um die Übertragung der Wahrheit der einen Aussage auf eine andere. Das ist ein Problem der Kommunikation, nicht der Erkenntnis. Für den logischen Atomismus von Russell und Wittgenstein ist damit gar nichts gewonnen.
JE

2 Kommentare:

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