Mittwoch, 3. April 2019

Digitalisierung befreit die Einbildungskraft.

fantasy art scenery

Das Internet und alle materielle wie menschliche Hard- und Software, die daran hängen, entstammt nicht nur 'unserer' Welt – es wird dort auch bleiben. Es greift zwar tiefer als jedes andere Medium zuvor – sofern wir die Sprache selbst einmal ausnehmen – in 'meine' Welt hinein: weil es zwar der digitalen Technik entstammt, in der 'unsere' Welt womöglich ihren endgültigen Daseinsmodus gefunden hat; aber seine mächtigste Wirkung auf ana- logem Weg erzielt – in der Macht der virtuellen Bilder! (Man möchte sagen, digitale Revolution und Iconic Turn sind Cousins.) Die gehen tiefer und fester in 'meine' Welt ein, als es Begriffe und logisches Denken je vermocht ha- ben. Aber Leben erhalten sie erst dort. Ihre Macht über mich ist die Macht meiner Einbildungskraft über sie. Und ob sie meine Einbildungskraft herausfordern und ihre Virtuosität ausbilden, oder ob sie sie überschwem- men und ersäufen, das… kommt ganz drauf an.

Die Einführung des ersten Digits ins Gemütsleben der Menschen, des gesprochenen Wortes, hat ihre bildhafte Einbildungskraft nicht verödet, nein, ganz gewiss nicht. Auch nicht der Untergang des mythologischen Zeital- ters in der Verwissenschaftlichung der Welt (wie man das nannte). Sonst hätten sie die digitale Technologie ja nicht erfinden können.

Der Quell des tatsächlichen und produktiven Denkens ist das Sprudeln anschaulicher Bilder. Die Reflexion tritt hinzu und 'macht was draus', aber erfinden kann sie nichts. Die virtuellen Bilder können meine Einbildungskraft nur zupappen, wenn ihr zuvor im Korsett des diskursiven Regelmaßes die Luft genommen wurde. Wie und womit, und vor allem: von wem Kinder "beschult" werden – das spielt allerdings eine Rolle! Die Bildung sollte sich schon darauf besinnen, dass der Ursprung der Vernunft nicht logisch ('digital'), sondern ästhetisch ('ana- log') ist. Wenn alles, was irgend digitalisierbar ist, erst seinen gehörigen Platz in den Diskursen gefunden haben wird, dann bekommt die Einbildungskraft wieder freies Spiel.

23. 10. 2010 

Nachtrag I. Meine Welt und unsere Welt durchdringen einander. Das sie ineinander - teilweise - auflösende Medi- um sind die in beiden Dimensionen brauchbaren Bedeutungen; nur die BedeutungenWas Wunder - denn meine Welt und unsere Welt 'kommen' überhaupt nur als Bedeutungsfelder 'vor'. Nicht meine Welt und unserer Welt un- terscheiden sich. Sondern ich unterscheide mich; mal als bloßes Individuum, mal als Weltbürger.

März 2014

Nachtrag II.  So altertümlich es klingt, so zutreffend bleibt es auch: Der Verlust an Anschaulichkeit ist ein Verlust an Realität. Nicht die Wissenschaft ist das wahre Leben, in Wahrheit gibt es den Raum sowohl wie die Zeit, die Raum-Zeit-Kontinuität ist nur ein Begriff, der in einem ganz bestimmten Sprachzusammenhang eine Bedeutung hat. Der Siegeszug der digitalen Technik ist geeignet, die natürliche Auffassung der Welt wieder zur Geltung kommen zu lassen; doch zuerst muss die Epoche ihrer faszinierten Mystifikation vorübergehen.



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