Sonntag, 24. März 2019

Transzendentales und ideales Ich.

Lupo  / pixelio.de

...einer sonderbaren Verwechselung. Es ist die des Ich als intellektueller Anschauung, von welchem die WL aus- geht, und des Ich als Idee, mit welchem sie schließt. Im Ich, als intellektueller Anschauung, liegt lediglich die Form der Ichheit, das in sich zurückgehende Handeln, welches freilich auch selbst zum Gehalte desselben wird... 

Das Ich ist in dieser Gestalt nur für den Philosophen, und dadurch, daß man es faßt, erhebt man sich zur Philo- sophie. Das Ich als Idee ist für das Ich selbst, welches der Philosoph betrachtet, vorhanden; und er stellt es nicht auf als seine eigene, sondern als Idee des natürlichen, jedoch vollkommen ausgebildeten Menschen... 
_____________________________________________________
J. G. Fichte, Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre, SW I, S. 517 



Nota. - Zweck der Wissenschaftslehre ist, die Genesis der Vernunft nachzuzeichnen. In ihrem ersten, analyti- schen Gang hat sie als deren Ur-Sache ein sich-selbst setzendes Ich bloßgelegt. Sie beobachtet nun, wie das Ich auf dem Weg zum entwickelten System der Vernunft vorangeschritten ist, vorangeschritten sein muss. 

Das sind zweierlei Geschichten. Denn das zur-Vernunft-kommen des Ich geschieht nur, insofern es ihm selber als ein solches erscheint: in seinem Bewusst sein. Das ist die eine Geschichte. Eine andere ist, was der Philosoph da- bei beobachtet. Er handelt nicht, sondern sieht dem Ich beim Handeln zu - nicht ihm, wie es selbst sich wahr- nimmt, sondern er es. Das eine wäre die reale, das andere die ideale Darstellung.*

Das Ich setzt sich real, indem es aus dem Widerstand, auf den seine Tätigkeit fühlend stößt, reflektierend auf die Gegebenheit eines Nicht-Ich schließt, dem es sich als Verursacher der Handlung voraus gesetzt erscheinen muss. Und das heißt: seiner Selbst werdung vorausgesetzt. Und wie es sich der Handlung voraussetzt, so dem Gegenstand. Das wirkliche handelnde Ich denkt realistisch.

Anders der zuschauende Philosoph. Der weiß, dass das Ich im Akt des Setzens - seiner und des NichtIchs - allererst geworden ist; dass es Ich erst wurde, als es sich wahrnahm.

Das reale Ich geht seinen Weg weiter, konstruiert eine Welt, in der Vernunft herrscht - und wenn nicht jetzt, so eines Tages herrschen soll. Im Weltbürger erkennt es sein Ideal.

Der Philosoph hat gesehen, dass dem Ich nichts und niemand vorausgesetzt war, auch nicht es selbst, und dass es aus Freiheit neu angefangen hat. Das einzige, das er "ihm" voraussetzen kann und muss, ist, dass eine Fähig- keit dazu 'da' war: die Fähigkeit, "absolut anzufangen"; ein Bestimmenwollen. 

Das ist nun nicht sachlich erwiesen, sondern spekulativ postuliert. Doch drängt es sich anschaulich auf. Denn die treibende Energie des Vernünftigwerdens ist ganz augenscheinlich der Trieb, vom Unbestimmten überzu- gehen zur Bestimmung. 

Damit kommt es aber, sofern die Welt als ein Unendliches aufgefasst wird, zu keinem Schluss. Es stößt an Schranken, die es zu überwinden hat, aber fertig wird es nie. Es hat kein Seiendes zum Ziel wie das reale Ich, sondern nur das ideale Absolute.

*) Das ist eine irritierende Benennung. Real bezieht sich bei F. jedoch nicht auf eine reale Welt (von der wir nichts erfahren können), sondern auf die tatsächliche Vorstellungstätigkeit, die sich selber fortbestimmt. Ideal heißen dagegen die Bestimmungen des philosophierenden Zuschauers.
JE

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen