Freitag, 8. März 2019

Die Vorsokratiker: Zenon von Elea.

aus spektrum.de, 4. März 2019

Zenon von Elea, die Bewegung oder Wie man suchend das Bessere fand.

Von Josef Honerkamp

Ein Schüler von Parmenides, Zenon von Elea (um -490 bis um -430) gewinnt noch heute besondere Aufmerksamkeit durch die Paradoxien, mit denen er seine philosophisch interessierten Zeitgenossen nervte. Inzwischen verstehen wir unter Paradoxien Argumentationen, die deshalb zu Widersprüchen führen, weil eine unklare bzw. falsche Vorstellung eines Begriffs im Spiel ist. Das war damals für die Bewegung wie für die Unendlichkeit der Fall. Heute haben wir klare Vorstellungen von diesen Begriffen und können die Paradoxien, die seine Diskussionspartner so verunsicherten, auflösen. 

Zenon wollte mit seinen Überlegungen die Thesen seines Lehrers Parmenides stützen. So wenigstens lesen wir es in Platons Dialog Parmenides, in dem er Zenon sagen lässt: (nach (Mansfeld & Primavesi, 2011, pp. 365, Nr. 5):

In Wirklichkeit ist meine Schrift so etwas wie eine Unterstützung der These des Parmenides, die auf diejenigen zielt, die versuchen ihn lächerlich zu machen.

Besonders berühmt sind seine vier Bewegungsparadoxien. Wir wollen uns hier mit der dritten Paradoxie beschäftigen, weil sie auf einem Irrtum beruht, dessen Aufklärung am Anfang der modernen Physik stand. Es geht hier um den augenscheinlichen Widerspruch zwischen der Beobachtung eines fliegenden Pfeils und der Behauptung des Parmenides, dass diese Bewegung des Pfeils nur scheinbar vorhanden sei, da ja das Seiende in absoluter Ruhe verharre.

Ein fliegender Pfeil, so argumentiert Zenon, sei zu einer gegebenen Zeit an einem bestimmten Ort, der immer so groß ist wie der Pfeil selbst. Da er ja im „Jetzt“ dort sei, könne er auch nicht in Bewegung sein. Er befinde sich also in jedem Moment in Ruhe, der Pfeil stehe also eigentlich still. Die Bewegung, die wir beobachten, sei nur Schein.

Ich finde diese Argumentation nicht überzeugend. Immerhin aber zeigt Zenon schon eine Skepsis gegenüber unseren alltäglichen Wahrnehmungen, wenn auch in höchst extremer Form. Auf jeden Fall aber scheint mir Zenon die Vorstellung zu haben, dass in jedem „Jetzt“ der Zustand eines Pfeils allein durch einen Ort bestimmt ist, und er nimmt an, dass somit eine Bewegung nicht vorhanden ist. Aristoteles sagt im Widerspruch dazu: „Im „Jetzt“ kann weder Ruhe noch Bewegung stattfinden“ (Mansfeld & Primavesi, 2011, pp. 383, Nr. 23). Er sieht also schon, dass Zenon hier bei der Beschreibung des Zustands eines bewegten Körpers nur an das Nächstliegende denkt. Das Argument Zenons überzeugt auch ihn nicht. Sein Gegenargument führt aber auch nicht weiter.

Das Pfeil-Paradoxon löst sich auf, wenn man weiß, dass der Zustand eines Körpers im Raum zu jeder Zeit, in jedem „Jetzt“ also, durch einen Ort und (!) durch eine Geschwindigkeit (bzw. einen Impuls) bestimmt ist.

Dies war die Entdeckung Galileis im frühen 17. Jahrhundert. Er studierte die Bewegung einer kleinen Kugel, wenn diese auf einer schräg aufgestellten langen Holzrinne herabrollt. Dabei stellte er nicht nur fest, dass die Strecke, die sie dabei auf der Holzrinne durchläuft, mit dem Quadrat der Zeit anwächst. Er verlängerte die Rinne auch über den schrägen Teil hinaus und beobachtete, dass die Kugel auf der dann horizontal liegenden Rinne umso länger weiterläuft, je weniger ihr Lauf durch Unebenheiten des Untergrundes beeinträchtigt wird. Bei idealem Untergrund müsste sie dann wohl immer weiterlaufen, folgerte er. Die Bewegung bleibt, wie sie ist, wenn keine äußeren Einflüsse auf das sich Bewegende wirken.

Die Bewegung ist also ein Zustand. In der mittelalterlichen „Impetustheorie“ war die Bewegung noch ein Prozess: Es musste ständig ein „Impetus“ wirken. Dieser würde dem Körper zu Beginn mitgegeben, hielt die Bewegung aufrecht, wurde aber auch langsam aufgebraucht, sodass sie allmählich zum Erliegen kam. Galilei führte dagegen ein Erlahmen einer Bewegung auf äußere Einflüsse zurück, z.B. auf Reibung. Indem er so von äußeren Umständen absah, konnte er ein Prinzip der Natur entdecken, dass sich als außerordentlich fruchtbar für die weitere Entwicklung der Physik zeigen sollte. Ich werde bald darauf zurückkommen. Vorher müssen wir uns aber anschauen, wie eine Geschwindigkeit im „Jetzt“ denn konkret fassbar ist. 

Die momentane Geschwindigkeit

Galilei hatte noch nicht die Möglichkeit, eine momentane Geschwindigkeit zu berechnen. Auf mathematischem Gebiet war er noch auf der Stufe der antiken Griechen, bei denen die Geometrie als Beschreibung der Natur im Vordergrund stand. Sein Zeitgenosse, der französische Philosoph und Mathematiker René Descartes entdeckte aber, wie man geometrische Probleme in arithmetische umwandeln konnte. Eine „Analytische Geometrie“ entstand, die einen großen Fortschritt gegenüber der antiken Mathematik darstellte und mit der man zum ersten Mal über den Stand der antiken Griechen hinauskam.

Man lernte nun, den Ort eines Punktes in einem Koordinatensystem zu beschreiben und solche Punkte als Orte von materiellen Körpern zu sehen, wenn man von deren Ausdehnung abstrahierte. Man konnte so auch den Ort x(t) des Körpers in Abhängigkeit von der Zeit t in einem Koordinatensystem darstellen.

Eine mittlere Geschwindigkeit in einer Zeitspanne dt war leicht zu berechnen, indem man das Verhältnis dx/dt bildete, wobei dx die in der Zeit dt zurückgelegte Distanz sein möge. Schwierig wurde es aber, wenn man zur momentanen Geschwindigkeit extrapolieren wollte, wenn also die Geschwindigkeit im „Jetzt“ zu bestimmen war. Die Zeitspanne dt sollte ja eigentlich Null sein, die Entfernung dx damit auch, und das Verhältnis 0 zu 0 ergibt ja keinen Sinn. Man musste irgendwie eine sehr kleine Zeitspanne dt wählen, die aber beliebig klein sein sollte, aber immer noch ungleich 0. 

Irgendetwas mussten diese Größen mit dem „unendlich Kleinen“ zu tun haben. Infinitesimale nannte man sie. Es war keine klare Vorstellung, aber es gelang doch mit ihnen konsistent das Verhältnis dx/dt im “Jetzt”, den „Differentialquotienten“, zu berechnen. Diese „Infinitesimalrechnung“ wurde von zwei großen Denkern der damaligen Zeit unabhängig voneinander für allgemeine Funktionen f(x) entwickelt: Isaac Newton benötigte dieses Wissen für seine Überlegungen zur Bewegung. Gottfried Wilhelm Leibniz sah es als rein mathematisches Problem an, welches man lösen musste, wenn man in einem Diagramm die Tangente in einem Punkt der Kurve einer Funktion bestimmen wollte.

Einige Zeit standen solche Rechnungen hoch im Kurs; sie inspirierten zu vielen neuen Ideen und Fragen. Ende des 18. Jahrhunderts genügte den Mathematikern die Begründung solcher Rechnungen mit Infinitesimalen nicht mehr. Der italienische Mathematiker Lagrange fand ein Verfahren zur Berechnung des Differentialquotienten, ohne den Begriff der Infinitesimalen nutzen zu müssen. In den 1960er Jahren konnte schließlich im Rahmen einer so genannten Nichtstandard-Analysis mit den hyperreellen Zahlen ein neuer Zahlentyp definiert werden. Eine klare Definition der Infinitesimalen wurde nun möglich: Sie waren bestimmte hyperreelle Zahlen.

In der Mathematik geht es manchmal auch wie in der Physik und eigentlich in jeder Wissenschaft zu: Neue Konzepte sind zunächst nicht immer klar definiert. Man kann sie aber schon nutzen und wenn man merkt, dass sie „etwas taugen“, fängt man irgendwann an, sich um die begrifflichen Grundlagen zu kümmern. Aber es dauert oft einige Zeit, bis eine zufriedenstellende Klarheit erreicht ist. 

Die Evolution der Bewegungstheorie: Man findet „suchend das Bessere“

Das Wissen darum, wie die momentane Geschwindigkeit aus einer zeitabhängigen Ortskoordinate zu berechnen ist, war Voraussetzung für eine Theorie der Bewegung in der Sprache der Mathematik. Während Galilei bei dem freien Fall eine Beziehung zwischen Wegstrecke und Zeit entdeckt hatte, ging es in einer Theorie nun darum, auch den Ort und die Geschwindigkeit eines Körpers in Abhängigkeit von der Zeit zu beschreiben.

Die Physiker und Mathematiker der damaligen Zeit kannten sehr gut ihre antiken Vorbilder. Insbesondere die Elemente Euklids von Alexandria, in denen dieser die damals bekannten Gesetze der Geometrie in eine „logische Ordnung“ gebracht hat. Euklid hat damit einen Maßstab dafür gesetzt, wie eine mathematische oder physikalische Theorie auszusehen hat. Am Anfang stehen Definitionen, Konventionen und Axiome. Danach müssen alle Aussagen der Theorie aus den Axiomen logisch zwingend, nach mathematischen Schlussregeln, ableitbar sein.

Newton formulierte seine Theorie nach diesem Vorbild. Die Idee Galileis, dass die Bewegung ein Zustand sein kann, nahm er als ein erstes Axiom in seine Theorie der Bewegung auf, die heute auch als „Newtonsche Mechanik“ bekannt ist: „Ein Körper bleibt in Ruhe oder in geradlinig-gleichförmiger Bewegung, wenn keine Kräfte auf ihn einwirken.“

Hier muss natürlich vorher in den Definitionen etwas über Raum und Zeit gesagt worden sein, damit man weiß, was geradlinig-gleichförmig heißen soll. Man muss also wissen, was eine gerade Linie ist, und man muss etwas über den Verlauf der Zeit sagen, bevor man von einer gleichförmigen Geschwindigkeit sprechen kann, also von einer, die in Richtung und Größe konstant ist.  Erst dann kann man von dieser speziellen Bewegung in dem Axiom reden und postulieren, dass diese Bewegung bestehen bleibt, wenn es keine äußere Einwirkung auf den sich bewegenden Körper gibt.

In einem zweiten Axiom beschreibt Newton dann folgerichtig ein Verfahren, wie man eine mathematische Gleichung für den Fall zu formulieren hat, dass nun eine äußere Kraft auf den Körper wirkt. Mit einem geeigneten mathematischen Ausdruck für die Kraft kann man dann, unter Berücksichtigung vorliegender Umstände, aus einer solchen Bewegungsgleichung alle Bewegungen am Himmel und auf der Erde berechnen.

Diese hier nur kurz skizzierte Newtonsche Theorie der Bewegung galt vom Ende des 17. Jahrhunderts über 200 Jahre lang als einziges Ideal einer wissenschaftlichen Theorie und stellte in ihrem Aufbau als axiomatisch-deduktives System ein Vorbild für zukünftige Wissenschaften dar.

Hier ist nun Gelegenheit, von zwei anderen Theorien der Bewegung zu sprechen, und zwar einerseits von einer Theorie, die Aristoteles etwa 2.000 Jahr früher formuliert hatte, und andererseits von einer Theorie, die Albert Einstein gut 300 Jahre später entwickelte und bald „spezielle Relativitätstheorie“ genannt wurde. Man kann an diesen drei Theorien sehr schön demonstrieren, wie in der Tat im Laufe der Zeit die Menschen „suchend das Bessere“ fanden. Diese Geschichte beschreibt keinen Sonderfall. 

Man kann viele derartige Beispiele finden. Aber charakterisieren wir erst einmal die beiden anderen Theorien:

Aristoteles war ein großer Systematiker, und so unterschied er erst einmal die Bewegungen am Himmel von den Bewegungen auf der Erde. Die irdischen Bewegungen unterteilte er wieder in Bewegungen der Lebewesen, in natürliche und schließlich in erzwungene Bewegungen. Für jede Art der Bewegung gab er einen anderen Grund an. Die Bewegungen am Himmel zeigten die ewige Ordnung. Bei natürlichen Bewegungen wurde die „gestörte Ordnung“ wiederhergestellt, z.B. steigt Rauch auf und ein Stein fällt zur Erde, weil Leichtes oben seinen Platz hat und Schweres unten. Bei einer erzwungenen Bewegung muss ständig eine Kraft wirken, sonst käme sie zum Erliegen.

Diese Aristotelische Bewegungstheorie hatte mehr als 2.000 Jahre Bestand. Noch zu Galileis Zeiten wurde sie in den Akademien gelehrt und Galilei hatte sich selbst intensiv damit auseinandergesetzt, bis er sie schließlich überwand.

Durch die Newtonsche Theorie wurde sie schließlich vollständig ersetzt, denn diese ist offensichtlich „besser“. Aus den Bewegungsgleichungen der Newtonschen Theorie konnte man mit einem bestimmten Ausdruck für die Kraft, die ein Körper aufgrund seiner Masse auf einen anderen Körper ausübt, die drei Keplerschen Gesetze für die Bewegungen der Planeten um die Sonne ableiten, sogar die Wiederkehr eines Kometen genau vorhersagen. Mit weniger Annahmen kann man also mehr Phänomene erklären. Die Theorie macht auch Vorhersagen, die geprüft werden können und in der Tat auch bestätigt wurden. Bis heute ist sie für Berechnungen bei alltäglichen Bewegungen unverzichtbar.

Die von Albert Einstein entwickelte Theorie der Bewegung, die spezielle Relativitätstheorie, ist wiederum besser als die Newtonsche Theorie. Motivation für die Entwicklung waren Probleme mit der seit der Antike herrschenden Vorstellung, dass das ganze Universum von einer feinstofflichen Substanz, einem „Äther“ erfüllt ist. Dieser sollte auch Träger der elektromagnetischen Wellen sein, die man damals erst seit etwa zwei Jahrzehnten kannte. Der Äther sollte auch die absolute Ruhe markieren und man wollte die Bewegung der Erde gegen diesen messen. Wann immer und wie immer man es anstellte, man konnte keine solche Bewegung entdecken.

Einstein ergriff gewissermaßen den Stier bei den Hörnern. Er machte dieses negative Ergebnis zum Prinzip seiner neuen Theorie: „Die Geschwindigkeit des Lichtes ist in jedem Inertialsystem unabhängig von der Geschwindigkeit der Lichtquelle.“ Das bedeutet also: Wie immer ich mich auch relativ zur Lichtquelle bewege, ich messe immer die gleiche Geschwindigkeit für das Licht.

Auch diese Theorie ist als axiomatisch-deduktives System aufgebaut. Sie ist als solche sogar besonders „elegant“, denn sie baut nur auf diesem Prinzip auf wie noch auf einem „Relativitätsprinzip“, das man schon aus der Maxwellschen Theorie für die elektromagnetischen Phänomene kennt. Eine Fülle von Phänomenen konnte dann vorhergesagt werden; diese unterscheiden sich zum Teil frappierend von unseren Alltagserfahrungen, konnten aber inzwischen alle experimentell nachgewiesen werden.

Man ließ die Hypothese, dass es so etwa wie einen Äther geben sollte, fallen. Man brauchte ihn nicht mehr. Es gibt keine absolute Ruhe, stattdessen aber eine absolute Geschwindigkeit: Die Geschwindigkeit des Lichtes, wie man sie im Vakuum misst. Sie ist eine Obergrenze für die Übertragung von Wirkungen.

Beim Vergleich dieser beiden Theorien stellt man fest, dass die spezielle Relativitätstheorie eine Erweiterung der Newtonschen Mechanik ist, und zwar in dem Sinne, dass die Aussagen beider Theorien umso besser übereinstimmen, je kleiner die zu betrachtenden Geschwindigkeiten gegenüber der Lichtgeschwindigkeit sind. Für Geschwindigkeiten, die nahe an die Lichtgeschwindigkeit heranreichen, werden aber die schon oben erwähnten verblüffenden Phänomene vorhergesagt, die ja inzwischen auch alle bestätigt worden sind.

Ein nützlicher Maßstab für die „Güte“ einer Theorie ist ihr Gültigkeitsbereich. Die Newtonsche Theorie hatte schon einen sehr großen Gültigkeitsbereich, denn mit ihr kann man alle Bewegungen erklären, die „nichtrelativistisch“, also genügend klein gegenüber der Lichtgeschwindigkeit von ca. 300.000 km/sec sind. Hier könnte man zwar auch die Relativitätstheorie bemühen. Das wäre aber unnötig, nur mühevoller. Wenn man nun zunehmend größere Geschwindigkeiten betrachtet, werden die Aussagen der beiden Theorien mehr und mehr differieren. Man verlässt den Gültigkeitsbereich der Newtonschen Theorie, bleibt aber im Gültigkeitsbereich der Relativitätstheorie. In diesem Sinne ist sie also eine Erweiterung der Newtonschen Mechanik und damit die bessere Theorie.

Wenn wir das Bild von einer Evolution von Theorie bemühen, dann kann man sagen, dass die Aristotelische Theorie 2.000 Jahr überlebte, weil es keine andere Theorie gab, die ihr gefährlich werden konnte. Mit der Newtonschen Theorie trat aber ein solch dominanter Konkurrent auf den Plan, dass sie bald “ausstarb”. Die spezielle Relativitätstheorie ist dann eine Fortentwicklung der Newtonschen Theorie, so dass es nun zwei Theorien gibt, die aber beide ihre eigenen Lebensräume haben. Dort, wo diese sich überlappen, kann jede Theorie zu ihrem Recht kommen.  

Aristoteles – Newton – Einstein: Aristoteles hat vorgelegt, Newton und Einstein „fanden suchen das Bessere“. Wer weiß, wann jemand kommt und noch etwas Besseres findet, und welche weiteren Einsichten wir dann über die Bewegung und damit über Raum und Zeit erlangen. Nur eines scheint mir nach 2.500 Jahren klar zu sein: Der Weg des Xenophanes, „suchend das Bessere“ zu finden, ist auch der bessere Weg zur Erkenntnis. 


Nota. - Das Paradoxon vom fliegend ruhenden Pfeil ist eine Petitio principii. Er hat die als Begriffe ge- fassten Anschauungsformen Raum und Zeit vorausgesetzt, die Bewegung aus ihnen zusammengesetzt und hinterher gefunden, dass beide inkommensurabel sind. Das Manko schreibt er der Zeit zu, denn der Raum ist zeitlos. Allerdings war die Anschauung der Bewegung faktisch und logisch eher da, als die Reflexions- produkte* Raum und Zeit. Das ist überhaupt kein Thema der Naturwissenschaft, sondern der Transzen- dentalphilosophie.

Die Physik stellt ihre Aussagen in symbolischen Formen dar, und die sind tot. Sie müssen digital mitgeteilt werden, Bewegung dagegen wird analog angeschaut. Dass die Physik zwei Jahrtausende brauchte, dies Dilemma zu umgehen, kann nicht wundern. Es war auch kein Ergebnis von Messungen, sondern von mathematischer Reflexion.

Wenn Galileo sagt: So ist es, schau doch hin!, entgegnet Zenon kaltblütig: Trau deinen Augen nicht. Alles nur Schein. Man hätte ihm den Pfeil schon durch die Brust schießen müssen, aber seiner Erkenntnis hättte das nichts mehr genützt.
*) Anschauung ist die Elementarform der Reflexion.

Im übrigen war Aristoteles kein Systematiker, sondern ein Kompilator. Er leitete nicht ab und konstruierte nicht, sondern sortierte, was er vorfand, und stellte zusammen, was zusammengehört. Einen immanenten Zusammenhang kannte er nicht, denn einem jeden Ding wohnt eine eigene Bestimmung inne, entelecheia. Dass alles schließlich zusammenpasst, war aus seiner Lehre unerklärlich, und schon die Zeitgenossen ver- muteten, er habe neben seiner öffentlichen, exoterischen Lehre seinen engeren Schülern eine geheime eso- terische Lehre verkündet.
JE

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen