Samstag, 2. März 2019

Reflektieren und Vereinfachen.

K. Malevitch, Schwarzer Kreis, 1923

Einfachheit ist kein Attribut des Wirklichen. Im Gegenteil, auszeichnendes Merkmal der Erscheinungswelt ist - von den Eleaten bis Kant - das Mannigfaltige. Das Einfache 'gibt es' immer nur als Erzeugnis einer Denkarbeit. Es ist Ergebnis des Prozesses von Reflexion und Abstraktion. Es handelt sich wohlbemerkt um ein und denselben Prozess: Wer auf das Eine absieht, sieht dabei von dem Andern ab.

Das Ein-fache, das dabei zustande kommt, ist ein Ein-seitiges, gewiss doch: Es ist ja Resultat einer Absicht. Ist die Absicht gerechtfertigt, so ist es auch die dazu gehörige Einseitigkeit. 'Kritisch'  ist das Denken nicht, wenn es Einseitigkeit vermeidet; denn ohne Vereinfachung ist gar kein Denken. Sondern indem es die zu Grunde liegen- de Absicht ausspricht und ihre Berechtigung prüft. Rechtfertigen kann sich die Absicht aber wieder nur durch ihr Ergebnis.


6. 12. 13 

Nachtrag. Das Ergebnis einer gelungenen Vereinfachung nennen wir Modell oder Schema.


30. 12. 17

Die Vorstellung, dass tief in der Erscheinung der Dinge etwas steckt, das sie 'recht eingentlich ausmacht': ein Wesen, stammt offensichtlich aus keinerlei Erfahrung, denn die beruht auf Anschauung, sondern aus einer er- gründen-wollenden Reflexion: Im Mannifaltigen soll ein Kern aufgespürt werden. Die Frage nach dem Wesen ist die Suche nach dem Einfachen: bei dem einen das Wasser, beim andern das unendliche apeiron, bei den nächsten das seiende Sein ontos on

Indem aber das Mannigfaltige einfach geleugnet wird, wird nichts einfacher, sondern nur dunkel-komplizierter. Denn das 'Wesen' ist ein totes Ende, mit dem sich nichts anfangen lässt. Der Philosoph, der sonst nichts zu tun hat, mag es anschauend betrachten, theorein, aber praktisch nützt es niemandem. Praktisch wird die Erkenntnis erst, wenn sie an den Mannigfaltigen einen Sinn erkennt, der ihnen ihre jeweilige Bestimmung gibt. Nämlich indem sie auf Eines bezogen werden - den Zweck, unter dem sie zusammengefasst und zu einander ins Verhältnis gesetzt werden. Das wäre dann ein Modell oder Schema.

Allerdings wird man einen Zweck nicht anschaulich in ihnen finden, sondern absichtlich von außen hinzudenken müssen.


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