Kant hat bemerkt, wie ohne Zweifel viele vor ihm, dass die hundert Taler, die er sich denkt, doch leider ganz was andres wären, als hundert Taler, die er in seiner Tasche trüge. Wohl wahr, sagt Hegel; aber so ganz und gar nichts wäre das, was man sich denkt, andrerseits doch auch wieder nicht.
Die Taler in der Tasche und die Taler in der Vorstellung haben eins gemein: Alle zweihundert haben eine Be- deutung. Will sagen, in beiden Modis können sie mich dazu bestimmen, mich so oder anders zu verhalten. Ob ich sie habe, sie nicht zu haben bedaure, sie zu haben begehre, sie zu haben nicht achte…
Licht in dieses Mysterium hat Hermann Lotze gebracht. Er unterscheidet – Ei des Kolumbus – drei verschie- dene Wirklichkeits- oder besser Gegebenheitsmodi: das (allbekannte) Sein, das (später so genannte) Erleben und das – erst von ihm zur Geltung gebrachte – Gelten. Von den so genannten Wahrheiten sagt er insbesondere: "Sie schweben nicht zwischen, außer oder über dem Seienden. Als Zusammenhangsformen mannigfaltiger Zustän- de sind sie vorhanden nur in dem Denken eines Denkenden, indem es denkt, oder in dem Wirken eines Seienden in dem Augenblick seines Wirkens." (Lotze, Mikrokosmos, III/2, 579)
Das war erst nur eine logisch formale Unterscheidung. Materiallogisch gedacht, müsste es so heißen: Allererst 'gegeben' ist das Erleben selbst;* ein Strom von Empfindungen, in dem Sinnliches, Logisches und ästhetisch-moralisch Werthaftes noch gänzlich ungeschieden als ein und dasselbe "in Erscheinung treten".
Alles, was danach kommt, ist ein Arbeitsprodukt der Reflexion.
Die hundert Taler in meiner Vorstellung und die hundert Taler in meiner Tasche gelten gleich, wenn ich an ihnen eine Rechung – sagen wir: von Zins und Zinseszins – durchführe. Sie gelten ganz verschieden, wenn ich eine Schneiderrechnung bezahlen soll.
Mit ihrem Sein hat das durchaus zu tun – indem es nämlich in mein Dasein mal mehr, mal weniger eng ver- strickt ist.
21. 9. 15
*) So in anthropologischer Sicht. Faktisches und Gewertetes sind empirisch zunächst gar nicht zu unterscheiden. Erst der reflektierende Beobachter trägt mit seinem Begriff den Unterschid von Sein und Gelten hinein. Denn er weiß - wenn es ihm vielleicht auch nicht klar vor Augen liegt -, dass der Mensch wesentlich ein Handelnder ist. (Wesentlich, weil er seinem Wesen nach sein Leben führen muss; anders als das Tier, von dem er sich ebendarin unterscheidet.) Weil er allenthalben handeln muss, muss er allenthalben urteilen: was ihm mehr gilt als ein anderes.
In der transzendentalen Betrachtung ist diese Unterscheidung a priori längst gefallen; denn sie fragt ohnehin nur nach dem, was in der Genesis der Vernunft wirksam wird. Und der Vernunft geht es allein um Geltungen: Ihre Arbeit ist das Bestimmen. Das Sein ist und bleibt bloßes Objekt; von ihm weiß man nur, dass...
JE
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