Samstag, 8. Dezember 2018

Logik als Metaphysik.


Man hört immer wieder die Bemerkung daß die Philosophie eigentlich keinen Fortschritt mache, daß die glei- chen philosophischen Probleme die schon die Griechen beschäftigten uns noch beschäftigen. Die das aber sagen verstehen nicht den Grund warum es so ist. Der ist aber, daß unsere Sprache sich gleich geblieben ist & und immer wieder zu denselben Fragen verführt. Solange es ein Verbum 'sein' geben wird das zu funktionieren scheint wie 'essen' & 'trinken', solange es Adjektive 'identisch', 'falsch', 'möglich' geben wird, solange von einem Fluß der Zeit & von einer Ausdehunung des Raums die Rede sein wird, u.s.w., u.s.w., solange werden die Men- schen immer wieder an die gleichen rätselhaften Schwierigkeiten stoßen & auf etwas starren was keine Erklä- rung scheint wegheben zu können. 

Und dies befriedigt im Übrigen ein Verlangen nach dem Überirdischen denn indem sie die "Grenze des menschllichen Verstandes" zu sehen glauben, glauben sie natürlich über ihn hinaus sehen zu können.
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Wittgenstein, Vermischte Bemerkungen, Frankfurt/M., 1994, S. 59f.



Nota. - Es geht hier gegen die ununterdrückbare dogmatische Versuchung des begrifflichen Denkens, sich zu den beobachteten Erscheinungen der Welt ein jeweiliges An-sich jenseits der Erscheinung zu denken; aus dem Umstand, dass man zu jedem beobachtbaren Phänomen sich ein rein gedankliches Bild, ein Noumenon vorstel- len kann, das, da es nirgends zu beobachten ist, jenseits von Raum und Zeit zu sein scheint - zu folgern, dass nicht das Gedankending ein Derivat des beobachtbaren Dinges, sondern umgekehrt die beobachtbaren Dinge Individuationen ihrer allgemeinen Begriffe seien. 

Es ist wohl so, dass diese Versuchung in jeder natürlichen Sprache besteht. Das Wort als ein Klangzeichen für die Sache mag immer für wahrer gehalten werden als die Erscheinungen, die es bezeichnet. Das Wort bedeutet etwas, es rangiert als Subjekt logisch vor dem Objekt, das es bedeutet. Es agiert, das Objekt hält still. Es bedeu- tet.

Das liegt nun nicht daran, dass es ein Wort, sondern dass es überhaupt ein Zeichen ist - etwas, das für etwas an- deres steht. Das andere, für das es steht, sind aber nicht soundsoviele Dinge, sondern deren Bedeutung. Und nicht das Zeichen setzt die Bedeutung, sondern der Bedeutung wird ein x-beliebige Zeichen zugeordnet. Was gilt, ist nicht das Zeichen, sondern das, was es bedeutet. Die Quelle der dogmatischen Versuchung ist die Zwei- teilung unserer Welt in Sein und Gelten. 

Die beruht darauf, dass der Mensch ein handelndes Wesen ist - wesen tlich.

Das Ding liegt da und ist, was es ist. Wenn es Eigenschaften hat, dann weiß es jedenfalls nichts davon. Und zunächst einmal ein anderer auch nicht. Sie bedeuten niemandem etwas, heißt: Sie bedeuten nichts. Bedeuten können sie erst einem, der mit ihnen was anfangen will. Der einen Zweck verfolgt und unter vorfindlichen Merkmalen nach solchen sucht, die seinem Zweck entsprechen; und findet er welche, dann bedeutet das Ding ihm etwas, und findet er solche, die seinem Zweck entgegenstehen, so bedeutet es auch etwas! Findet er weder dies noch das, so bedeutet das Ding ihm nichts, dann mag er es beiseite legen für kommende Gelegenheiten...

Eine Absicht, etwas, das gemeint ist, ist Bedingung aller Bedeutung, denn das ist allein, was gelten kann; indem nämlich eine Tat folgt.

Das ist mit den Begriffen so und ist mit der Logik nicht anders. Ein wollen könnendes Subjekt ist auch ihr vor- ausgesetzt. 

Nicht Vernunft hätte die Logik ausgebildet, sondern Logik erschaffte, immer neu, die Vernunft. Logik ist für Wittgestein, wie die Scholastiker sagten, ens perfectissimum, weil causa sui. Und zwar dies, indem sie den Dingen selber innewohnt:

"Was der Fall ist, die Tatsache, ist das Bestehen von Sachverhalten.
Der Sachverhalt ist eine Verbindung von Gegenständen. (Sachen, Dingen.)
Es ist dem Ding wesentlich, der Bestandteil eines Sachverhaltes sein zu können.  

In der Logik ist nichts zufällig: Wenn das Ding im Sachverhalt vorkommen kann, so muss die Möglichkeit des Sachverhaltes im Ding bereits präjudiziert sein.
Es erschiene gleichsam als Zufall, wenn dem Ding, das allein für sich bestehen könnte, nachträglich eine Sach- lage passen würde. Wenn die Dinge in Sachverhalten vorkommen können, so muss dies schon in ihnen liegen.
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Wittgenstein, Tractatus 2 - 2.0121

Sein Ding ist, er weiß es bloß nicht, eine Leibniz'sche Monade. Es strebt danach, in Sachverhalten vorzukommen; nisus oder appetitus sagt Leibniz. Indes ist Leibniz' Monade nichts als die vom Mathematiker formalisierte Entele- chie des Aristoteles; Wittgenstein sagt es selber: Kein Fortschritt in der Philosophie! 


Doch liegt es hier nicht an den Wörtern, die er anscheinend gar nicht kennt, sondern an den Vorstellungen, die sie transportieren sollen. Die Vorstellungen lassen sich nicht anders als in Wörtern ausdrücken, wohl wahr. Aber es sind die Wörter, die die Vorstellungen ausdrücken, und nicht andersrum. Die Vorstellungen sind zuerst da.

Die Vorstellung ist ein Bild - ein Bild, Quale. Die Bestandteile von Wittgensteins Welt - das, was jeweils 'der Fall ist' - sind Verhältnisse; Verhältinisse von Dingen; von mehreren, was sonst? Sachverhalt ist ein Verhältnis von Sa- chen. Er ist Wittgensteins onto-logisches Prius. Die Sachen verhalten sich, weil ihre möglichen Verhältnisse in ihnen "präjudiziert" sind. Das ist kein Bild, sondern eine Formel. Sie kann nicht - anschaulich als Eines - vorge- stellt, sondern muss in mehreren symbolischen Zeichen notiert werden. 


Und noch eines unterscheidet das angeschaute Bild von der Formel: Es kann sich bewegen. Rein physikalisch aufgefasst, lässt jede Bewegung sich in Formeln darstellen. Aber die Darstellung ist nicht die Bewegung. Die Formel bewegt weder sich noch sonstwas. Die Formel ist das ruhende Schema eines lebenden Bildes. Sie be- zeichnet Verhältnisse, nicht Qualia. Darum ist der Begriff, weil er definiert ist, ein Verhältnis, und das macht ihn zum Blutsverwandten der Logik. Sie haben ein Familien verhältnis. Es unterscheidet sie, dass der Begriff einen - qualitativen - Gehalt geltend macht, und die Logik nicht. Vom Begriff her gibt es daher einen Übergang ins Le- ben; von der Logik her nur, sofern sie Begriffe in ein Verhältnis setzt - ohne sie ist sie tot und leer.

Doch den Begriff gibt es für Wittgenstein nur als Element im Sprachspiel, als Wort, er ist eine Spielmarke, die ihre Bedeutung erst aus den Spielregeln erfährt. Die Spielregeln sind die Vorschriften, nach denen sie von den Spielern zu einander in... Verhältnisse gesetzt werden. Wie ich es drehe und wende: Sinn oder Bedeutung oder sonst was, das für sich selber gelten könnte, kommen einfach nicht vor. Kein Wunder also, dass Wittgenstein keinen Zugang zum 'Leben' findet, denn da muss von früh bis spät gehandelt werden, und das geht nicht ohne Bedeutungen, die gelten sollen.

Nirgends ein Quale. Stattdessen Wortgetüftel ohne Ende.

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Ohne Ende: Das macht Wittgensteins Vorlage universell anschlussfähig. So sehr, dass seine zumeist freilich ein- äugigen und schmalspurigen Popularisierer in den angelsächsischen Ländern sie bis zurück in sein heimatliches Europa tragen konnten, wo sie unter dem satirischen Etikett 'Systematiker' eine großen Schar von Anschluss- willigen vorfand. 


Manfred Frank hat schon vor einiger Zeit die derzeitige 'systematischen' Philosophie als eine "neue Scholastik, eher: einen neuen Wolffianismus" bezeichnet, nämlich als eine Variante jener Schule, die das ratinonalistisch-spekulative 'System' von Leibniz dem gesunden Menschenverstand kommensurabel machen wollte. "So nannte man die Philosophie, die im achtzehnten Jahrhundert im Anschluss an Christian Wolff aus Leibnizens genialen Aperçus eine zusammenhängende, eine systematische 'Schulphilosophie' - eben eine Scholastik - zu errichten versuchte und flächendeckend die deutschen Universitäten beherrschte. Schon damals gab es eine allgemein anerkannte Terminologie, man stritt sich um Tüttelchen von Wortdefinitionen, man spaltete die dünnsten Be- griffshärchen; aber man war sich einig im Dissens, weil man die gleichen Verfahren und dieselben Definitionen benutzte." 

Immerhin, die Wolffianer - von denen auch der spätere Kritiker Kant herkam - begannen bei den Begriffen, die sie zwar unkritisch, aber eben als begründend auffassten. Darin sind ihnen die heutigen 'Systematiker' treu: Es müsse sich doch im Gebrauch der Wörter bei gehöriger Genauigkeit ein atomarer Bedeutungskern ausmachen lassen, der den wechselnden Geschicken der empirischen Gebräuche Stand hält.

Damit sind sie den Leibniz'schen Epigonen Wolff und Baumgarten allerdings näher als der Denker, dessen Epigonen sie selber sind. Wie Wittgenstein nahm nämlich auch Leibniz an, dass die Verhältnisse vor den Din- gen selber kämen. Jedenfalls fragte er sich ernsthaft, ob nicht vielleich GOtt "in mathematischen Formeln denkt". Ein Metaphysiker der Logik auch er.
JE
 





Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

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