Montag, 14. Juli 2014

Digitalisieren heißt fungibel machen.


Uwe-Jens Kahl_pixelio.de 

Ein Symbol ist ein 'digit': ein Zeichen für einen 'content', dessen sachliche Gestalt in keinerlei Verhältnis zu dessen sinnlicher Erscheinungsform zu stehen braucht. Ein Wort ist so ein Symbol, oder ein X oder ein U oder eine Zahl. (Dass das digitale Denken mit dem Zählen begonnen hätte, bestreite ich. Die ersten 'Zahlen' waren Ordnungszahlen: erst eins, danach ein zweites, usw.; sie bezeichnen eine Folge in der Zeit - und die wird analog 'angeschaut': im Bild der Bewegung).

Das wirkliche Denken geschieht überhaupt nicht digital. Das wirkliche Denken geschieht nicht diskursiv. Das wirkliche Denken geschieht in einer Kaskade von unfassbaren Bildern. Erst in der Reflexion, die das Denken des Denkens ist, werden die Bilder 'begriffen': fest-gestellt und ein-gegrenzt (de-finiert). Das diskursive Denken ist die Form der Reflexion. Aber die Reflexion ist sekundär, sie bezieht sich auf ('metà') das anschauliche Denken als ihren Stoff. Allerdings kann erst sie das anschauliche Denken nach richtig oder falsch unterscheiden. Mit andern Worten, ohne sie ist es zu nichts zu gebrauchen.

aus e. online-Forum, im Juni 2010 



Sonntag, 13. Juli 2014

Aber freilich macht die Natur Sprünge.


Dieter, pixelio.de
 

... Von Bewußtsein zu reden, ist mir schon etwas zu eilig. In unserm "Gewärtigsein von..." ist allerhand, das im (reflektierenden) Bewußtsein nicht (mehr) vorkommt. Wolf Singer und Gleichgesinnte scheuen sich nicht, allgemein von "Geist" zu reden, und in dem Punkt würde ich ihnen nicht widersprechen.

... "Geist=Absicht", hat der Urromanitker Friedrich Schlegel in einem "Fragment" geschrieben. "Intentionalität" wurde in der phänomenologischen Philosophie von Edmung Husserl die spezifisch menschliche Zugewandtheit zur 'Welt' und zu den 'Dingen' genannt.

Daß dem ein sogenanntes materielles Substrat zu Grunde liegt; daß das, was sich zwischen den Neuronen im Gehirn abspielt, die Voraussetzung dafür ist, daß wir nicht nur auf Reize reagieren, sondern auf das eine und von dem Anderen absehen können, wird auch ein Gottgäubiger nicht bestreiten wollen. Aber daß der Geist, weil er aus den physiologischen Vorgängen im Gehirn herkommt, auch selber nichts anders ist als ein physiologischer Vorgang, ist ein gedankenloses Dogma. Wolf Singer trägt dafür nur ein einziges Argument vor: "Die Natur macht keine Sprünge."

... Gerade im ganz kleinen Bereich macht "die Natur" kaum etwas anderes.* Auch Wolf Singer wird ja wissen, welcher Sprung passiert, wenn ein Atomkern auseinander gerissen wird. Das macht "die Natur" aber nicht von allein? Na schön, dann reden wir davon, was passiert, wenn zwei Atomkerne fusionieren: Das macht "die Natur" von allein! Sonst gäbe es kein Licht auf der Erde. Wenn man es aber auf der Erde nachmachen würde - na, wenn das kein "Sprung" wäre! Danach bräuchten wir bald kein Licht mehr auf der Erde...

Das ist eine uralte Vorstellung, daß der Geist eine Art verdünnte, "vergaste" Materie sei, da hat die Hirnphysiologie gar nichts hinzu erfunden. Aber wenn dem so wäre, dann müßte sich - weil die Natur ja keine Sprünge macht! - der Vorgang umkehren lassen und müßten sich Vorstellungen zu Materie verdichten lassen. Wer weiß, vielleicht könnte man aus besonders edlen Gedanken sogar Gold machen? Das wäre der endlich gefundene Stein der Weisen.

Ich stimme auch zu, daß das nicht eine theoretische Diskussion um Kaisers Bart ist, sondern eine praktische Diskussion um die Willensfreiheit. Es geht nicht darum, ob es theoretisch wahr ist, daß unsere Willensakte "durch Freiheit" zustandekommen - und zu welchem Prozentsatz; sondern darum, daß es praktisch richtig ist, daß einer sein Leben so führt, als ob er für sein Tun und Lassen durch freie Wahl selbst verantwortlich ist. So hat es Kant gesehen, so hat es Fichte gesehen, und so haben es die Romantiker gesehen, bevor sie sich im Biedermeier ruhigstellen ließen. 


aus e. online-Forum, 24. 9. 07


*) Es beginnt bei den ganz elementaren, aber oft missverstandenen "Quantensprüngen". Auf denen beruht unsere Welt, unser Mesokosmos.

Samstag, 12. Juli 2014

Was aber heißt Natur?


J. Chr. C. Dahl, Vom Lyshorn

Die Bereitschaft, einen Teil der Res extensa unter dem Namen "Natur" von ihrem Rest zu unterscheiden, geht auf das Erbe aus animistischer Zeit zurück. Sie ist nichts anderes als das Apriori, sie grundsätzlich als Subjekt denken zu wollen. Als ein Subjekt: das ist eine nachträgliche Beigabe einer Reflexion, die sich noch nicht bis zur Wurzel vorwagt. 

In Wahrheit kann das Wort nichts anderes bezeichnen als all das, was nicht von Menschen geschaffen ist. Daß es ipso facto aber 'geboren' oder 'gebärend' wäre wie er, ist eine grundlose Voraussetzung, die uns lediglich 'natürlich' erschien – womit sich ein Zirkel schließt. Nicht die so oder so gearteten Definitionen von 'Natur' sind zu rechtfertigen, sondern diese Vorstellung selbst; nicht zu reden von ihrer Verwendung in wissenschaftlichen Zusammenhängen.

Notizbuch, Dez. 2012
 

Freitag, 11. Juli 2014

Wissen.


Markus Kräft  / pixelio.de

Eine Diskussion in einem online-Forum im Mai 2009


...Wissenschaft ist, was Wissen schafft.

Nein. Wissen kann auf alle erdenklichen und wohl sogar auf unerdenkliche Weisen 'entstehen'. Das Wissen, das Wissenschaft schafft, ist geprüftes Wissen. Ob nämlich ein Wissen 'wahr' ist oder nicht, kann nicht von der Art und Weise seines Zustandekommens abhängig gemacht werden. Vielleicht ist der religiöse Glaube an einen persönlichen Gott ja wahr. Es kann nach der Natur des Glaubens aber nicht geprüft werden.

Sag mir nicht, Glauben sei nicht Wissen. Der Glaubende wird Dir sagen, das sei gehupft wie gesprungen, und gar: sein Glaube sei sicherer als Dein Wissen.

Deine Bemerkung vereinfacht das Problem nicht, sondern verschiebt es in die Region des Unergründlichen, womit nichts gewonnen, sondern alles verloren ist. 'Was Wissen ist', kann immer nur im Wissen ausgesagt werden. Die Frage setzt ihre Antwort schon voraus. Mit der Frage 'Gibt es Wissen?' steht es nicht besser.

'Ich weiß heißt: Es ist mir als gewiss bekannt', sagt Wittgenstein auf seine tautologische Art.

...Nunja, irgendwann wird man das Wissen "glauben" müssen, irgendwann muss man springen und das Wissen formulieren. ...

Hoppla, nicht so schnell! Das ist erst das letzte Wort der Philosophie (sofern sie theoretisch und selber Wissenschaft ist) und nicht schon das zweite oder dritte.

Danach, wenn alles Theoretische erledigt ist, kommt nämlich die "praktische" Philosophie - wo es um die Zwecke geht und nicht um die hinreichenden Gründe: Diese muss man auffinden, aber jene muss man 'setzen'; aus freien Stücken behaupten. Und da steht dann als erstes die Frage: In welcher Absicht "muss" man glauben, wozu will man 'wissen'? Das hat nämlich Folgen in dem, 'was' man schließlich zu 'wissen' bekommt. Und dann wird man finden: Das Wissen der exakten alias 'Natur'wissenschaften rechtfertigt sich durch seine Nutzanwendung in unserm Stoffwechsel mit der Natur. Da kann einer stehen bleiben und sagen: Mehr als Stoffwechsel (und vielleicht auch noch Fortpflanzung, aber das fällt ins selbe Kapitel) braucht das Leben nicht zu seiner Rechtfertigung. Widerlegen kann man ihn nicht. Aber gering schätzen und verhöhnen.

(Das heißt, 'eigentlich' käme die praktische Philosophie vor der theoretischen. Aber das weiß man erst nach der Kritik der realen Wissenschaften durch die theoretische Philosophie. Versucht man es andersrum, kommt ein x-beliebiger Dogmatismus heraus, den man ebenso gut glauben wie auch nicht glauben kann.)

...Die Abhebung des öffentlichen Wissens vom privaten Wissen ist mir nicht ganz klar…

Glauben zum Beispiel ist ein privates Wissen. (Dass er öffentlich zur Schau gestellt wird, tut nichts zur Sache.) Das Wissen, dass meine Nase juckt, auch. (Dass es sich öffentlich überprüfen ließe, tut ebenfalls nichts zur Sache - solange es nicht geschieht.)

Aus "...dass die hinreichende und erschöpfende Definition von Wissenschaft die sei, dass sie öffentliches  Wissen ist"  ist doch abzuleiten, dass privates Wissen kein Wissen ist, oder?

Aber nein, ganz und gar nicht. Der Zufall oder die Vorrrsehung könnte es so eingerichtet haben, dass ich schlechterdings alles weiß - und natürlich 'wahr' weiß. Aber solange ich meine Weisheit für mich behalte und sie schließlich mit ins Grab nehme, ist dieses Wissen niemals Wissenschaft geworden. Auch wenn ich alles austrompete, aber keiner hört mir zu - weil keine Redaktion meine Texte druckt und/oder weil im Internet sowieso die Brüllaffen den Ton angeben -, dann würde es auch nicht zu Wissenschaft, sondern ginge ungehört unter. Wenn es mir nun gelänge, immerhin ein paar Getreue um mich zu scharen, dann würde mein (wohlbemerkt immer noch 'wahres') Wissen zu einer (immer noch unwissenschaftlichen) Sektenlehre; und falls unter den Adepten die Sektierer die Oberhand gewännen, dann würde eine Geheimlehre nur für die Auserwählten daraus. Und wohlbemerkt: Alles, was sie wüssten, wäre immer noch 'wahr'. Nur zu Wissenschaft würde es nimmermehr...

Bei den alten Griechen bildeten die Pythagoreer so eine Sekte. Man hat nie erfahren, was dort im Besonderen gelehrt wurde. Ich will nicht sagen, dass das historisch irgendwie wahrscheinlich wäre - aber logisch auszuschließen ist es nicht, dass das 'alles wahr gewesen' ist.

(Ich kann von Glück reden, dass sich meine Philosophierungen der Sache nach so wenig zu einer Geheimlehre eignen!)

Hmm, privates Wissen, das es mangels Öffentlichkeit nicht zur Wissenschaft schafft?! Ist es zulässig Wissenschaft von seiner Verbreitung bzw. Akzeptanz abhängig zu machen?

"Akzeptanz"? Um Himmels willen, nein!

Nicht, weil Schulz und Meier sich auf irgendwas ('Konsensfähiges') "verständigt" hätten, entsteht Wissenschaft; sondern weil in der Öffentlichkeit die Überprüfung der Gründe verallgemeinert und eo ipso radikalisiert  ist - so dass sie jedes Mal bis an die 'Wurzel' (lat. radix) geht. Da wird dann keiner mehr gefragt, ob er irgendwas "akzeptieren" mag. Sondern das, was der verallgmeinerten Prüfung standgehalten hat, GILT (einstweilen definitiv). Wer's nicht "akzeptiert", bleibt als 'Privatmann' zurück (gr.Privatmann: idiôtês).

Bekanntlich sind übrigens die Wissenschaftler heute wie je eine ganz kleine Minderheit in einem Meer von Privatleuten. Weil aber im Jahrhunderte langen Prozess der Veröffentlichung des Wissens sich 'Wissenschaft' zu einer gesellschaftlichen Instanz ausgebildet hat, will auch unter den Privatleuten keiner mehr gern ein Idiot sein; und darum hat das Wort der Wissenschaft gesellschaftliche Autorität. Weil und solange der Prozess der verallgemeinerten Überprüfung niemals abgeschnitten wird.

...Überhaupt gefällt mir der Ansatz immer weniger, ich glaube. eine soziologische Beschreibung der Wissenschaft, nichts anderes liegt hier vor, ist ungünstig.

Soziologisch wäre meine Sicht, wenn es sich beim Prozess der öffentlichen Kritik um eine Akkumulation von Stoff, um ein Tauschgeschäft oder um die Ermittlung eines Durchschnitts handeln würde. Es ist aber ein Vorgang der Reduktion. Das ist ein logisches Geschehen. 



Donnerstag, 10. Juli 2014

Bedeuten, urteilen, Freiheit.



'Auch das Tier lebt in Bedeutungen', hieß es in einem meiner Texte.

"...weil es mir der Hauptthese zu widersprechen scheint, derzufolge das Proprium Humanum doch die Doppelung von Erscheinungsstrom und Bedeutung ist, also die Bedeutungsstiftung als genuin Menschliches anzusehen ist", schrieb dazu ein eiliger Reviewer. Nicht beachtet hat er die kleine, aber spezifische Differenz: nur weiß es nichts davon. Weil die Menschen von den Bedeutungen der Dinge wissen, haben sie die Möglichkeit der Wahl. Jene haben sie nicht. Die Dinge haben Bedeutung für sie als Exemplare ihrer Gattung, aber nicht für sie als Subjekte. Sie müssen und können nicht urteilen.

Freiheit sei Einsicht in die Notwendigkeit, sagte ein Knecht. 


Wissen ist die Einsicht in die Möglichkeit von Freiheit.




Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE    

Mittwoch, 9. Juli 2014

Instinkt, Intuition, Urteil.

strichcode, pixelio.de

...Wenn ich aus Instinkt handle, urteile ich nicht. Ich folge auch keinem Zweck, jedenfalls keinem, den ich 'selbst gewählt' hätte. Aber mal ganz davon abgesehen - 'Instinkt' kommt in der gegenwärtigen Biologie nicht mehr vor. Sie haben nach ihm gesucht und nichts gefunden. Das Wort wurde in der Aufklärungszeit aufgebracht, und zwar, um zu erklären, was wohl den Tieren die fehlende Vernunft ersetzen mag. Und später wurde dann der Instinkt gebraucht, um aus der spezifischen "Instinktentbundenheit" des Menschen wiederum seine… Vernunft zu erklären!
 

Intuition ist ganz etwas anderes. Sie ist der Rohstoff der Vernunft. Es sind die anschaulichen, bildhaften Vor- stellungen, aus denen das produktive Denken wirklich besteht. Tritt mit der Reflexion das Urteil hinzu, kann von Willen, Zwecken, Bewußtsein usw. gesprochen werden.  
 

Ich darf noch einmal darauf hinweisen, daß ich ausdrücklich auch die rein gedanklichen Zwecke (das können logische Zwecke, ästhetisch-moralische Absichten und ideale Ziele sein) mit in den Kreis des Pragmatischen einbezogen habe. Von Nutzen, Vorteil und "Erfolg" ist daher an dieser Stelle noch gar nicht zu reden. Das ist nur die allerflachste Art von Zwecken; für die in der Tat das, was Du Deinen "Instinkt" nennst, oft genug ausreicht. Ich wollte aber gerade und ganz besonders über das Andre reden.

Fast hätt' ich es vergessen... Natürlich ist ein Urteil als logische Operation immer die Handlung eines Subjekts. Aber gerade als logische Operation beansprucht es eo ipso Objektivität, nämlich indem es sich auf Gründe stützt, die ihrerseits als "wahr" und gültig vorausgesetzt wurden, und zwar unabhängig davon, ob sie faktisch von irgendwem eingesehen werden. Ob diese Voraussetzung zutrifft, kann überprüft werden, und diese Über- prüfung heißt Kritik. Kritizität ist das Unterscheidungsmerkmal der Wissenschaften gegenüber allen andern Formen des Meinens und Dafürhaltens.
 

Das eigentliche Problem ist, dass dieser kritische Rückgang auf die (immer weiter zurück liegenden) Gründe nie ein Ende findet. Denn als "wahr" und gültig können wir nur das anerkennen, das zureichend begründet ist: auf Gründen, die ihrerseits... usw.. Will sagen: dass man auf diesem Weg nie und nimmer einen Grund findet! Das ist das Paradox bei der Wahrheit. Jedenfalls, solange man die Suche nach ihr als eine theoretische Aufgabe betrachtet. 
...

aus e. online-Forum, in 2007 


Dienstag, 8. Juli 2014

Wenn die Welt erkennbar sein soll.


daniel stricker  / pixelio.de

Wenn in dem beständigen Flusse aller Dinge nichts Festes, Ewiges beharrte, würde die Erkennbarkeit der Welt aufhören und Alles in Verwirrung stürzen. 
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Gottlob Frege, Die Grundlagen der Arithmetik. Eine logisch-
mathematische Untersuchung über den Begriff der Zahl. Breslau 1884, Vorwort, S. VII


Nota. 

Richtig musste es heißen: Damit die Welt erkennbar wird und nicht Alles in Verwirrung bleibt, müssen wir ihr etwas Festes, Ewiges, Beharrendes voraussetzen.
JE