aus tagesschau.de
Ein kritischer Denker ist nicht schon einer, der in jeder Suppe ein Haar zu finden weiß. Kritisch sein heißt: nur das gelten lassen, was auf seine Gründe hin geprüft wurde.
Kein im wirklichen Wissenschaftsgeschäft Tätiger kann sich leisten, alle Gründe selber zu prüfen, von denen
er ausgeht. Jeder Realwissenschaftler setzt tausend Gründe voraus, von denen er
annimmt, dass viele Kollegen vor ihm sie schon erfolgreich überprüft haben
werden. Anders könnte es gar keine Wissenschaft geben.
Nur für eine Wissenschaft gilt das nicht, für die Mutter aller andern: In
der Philosophie muss sich ein jeder zumuten lassen, wirklich alles selber zu prüfen, von vorne an;
unter allen Voraussetzungen auch noch die allererste - die, die allen andern
zugrunde liegt - selber 'kritisiert' zu
haben. Und die heißt: Ich urteile. Das kann man so schreiben: Ich urteile, oder auch: Ich urteile – es bedeutet jedesmal dasselbe:
Wenn ich nicht urteilte, gäbe es mich nicht, und: Wenn ich nicht wäre, gäbe es
kein Urteil.
Es reicht auch nicht, den Satz zu lesen und beifällig zu nicken. Man muss
ihn schon selber gedacht haben; sonst
wird es nichts mit dem Philosophieren.
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