Je systematischer das Denken ist, umso weniger eignet es sich zu systematischer Darstellung.
Das ist nur scheinbar paradoxal. Denn System bedeutet in der Vorstellung etwas anderes als in der Mitteilung. Im Denken ist das System auf einmal und ganz gegeben. Es ist synchron, ein jeder Satz im System bedingt jeden anderen Satz. Es ist weniger gleich-zeitig als – jenseits von Zeit und Raum – gleich-gültig. Eigentlich nicht synchron, sondern achronisch. Mitteilung geschieht dagegen in der Zeit, diachron, eins nach dem andern.
Man müsste das gedachte System – das hat schon Fichte bemerkt – von jedem beliebigen einzelnen Satz aus re-konstruieren und von da aus zu jedem andern Satz im System gelangen können. Die Mitteilung muss dagegen ein Anfang wählen, einen Ober-Satz: principium. Daraus müssen die Folgesätze nach den Regeln der diskursiven Rede her-geleitet werden. Im dargestellten System gelten die Sätze nicht a-chronisch und gleich, sondern sind hierarchisch geordnet.
Im gedachten System erscheint ein jeder Satz der nachträglichen Reflexion wie eine Figur vor ihrem Hintergrund. Im dargestellten System erscheint jeder Satz als logischer Schluss aus dem Vorangehenden und Grund für alles Folgende. Das dargestellte System müsste, um vollständig zu sein, dieselbe Operation von jedem denkbaren (Ober-)Satz zu jedem denkbaren (Folge-)Satz wiederholden und synoptisch zu einander stellen. Da die Anzahl der denkbaren Sätze aller Voraussicht nach unendlich ist, wird die Aufgabe… unendlich sein. Mit andern Worten, als ein Ganzes würde sich das System auf diesem Wege niemals darstellen lassen.
Nun könnte man auf die Idee kommen, die Ganze Gestalt des Systems so, wie es sich – ob vollendet oder nicht – von außen präsentiert, ihm als seinen In-Begriff zu Grunde zu legen; den Umfang in sein Zentrum zu verkehren. Dann müssten sich alle einzelnen Sätze aus diesem her- und zu diesem hinleiten lassen.
Allerdings läge dieses logische 'Zentrum' dann außerhalb des Systems! Jenes mag 'in sich schlüssig' sein. Aber ob und wozu es was taugt, bleibt ganz offen.
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Dass ein Denken Anspruch auf Systematik erhebt, ist in der Wissenschaften heute ohnehin sittenwidrig. Wozu also diese Erörterung?
Ich bin in der glücklich unglücklichen Lage, ein System vortragen zu können – also zu sollen, wie mir scheint. Ich habe einmal die Neigung, in alles, was in meiner Vorstellung vorkommt, Ordnung zu bringen; nicht um der Ordnung willen, sondern um die Übersicht nicht zu verlieren. Die Solidarität der andern Gedanken möge mich daran hindern, mich von dem einen Gedanken in den Abgrund ziehen zu lassen. Darauf, ein System hinein zu bringen, habe ich es nie angelegt. Aber es ist im Lauf der Jahre und Jahrzehnte so gekommen. Es traf sich, dass manche Denkfigur sich auf dem einen wie auf dem anderen Gedankenfeld aufnötigte und bewährte – und mich einen logischen Zusammenhang zwischen ihnen vermuten ließ.
So trage ich sie nun vor; als Fragmente eines unvollendeten Ganzen, von denen sich jedes selbst behaupten muss und doch auf die Solidarität der andern rechnen kann; als Wendeltreppe. Ob es nun ein vollendetes System und Ganzes ist, davon hängt gar nichts ab. Es mag so sein oder anders. Wer meinen Vortrag auf dieser oder jener Windung kritisiert, weil ich da eine durch nichts belegte Prämisse verwende, muss sich lediglich gefallen lassen, dass ich ihn auf diese oder jene (synchrone) Windung verweise, wo eben jene Prämisse begründet wird.
Und wenn der Leser auf der vierten absteigenden Windung eine Denkfigur wieder zu erkennen meint, die ihm auf der achten aufsteigenden Windung schon einmal begegnet ist, bin ich’s zufrieden.
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