Die ganze Wissenschaftslehre steht unter dem doppelten Vorzeichen, dass erstens Begriffe ohne Anschauung leer und zweitens Anschauungen ohne Begriffe blind sind.
Fichte will nun nicht aus (von wem?) vorgegebenen Begriffen ein System konstruieren, sondern uns veranlassen, in der Vorstellung fortschreitend vom Bestimmbaren zum Bestimmten überzugehen: Das Bestimmte ist ein Be- griff, nur was bestimmt wurde, kann begriffen werden; doch ohne Anschauung - das Bestimmbare - ist nichts da, was zu bestimmen wäre.
Die ganze Wissenschaftslehre ist ein ewiges (sic) Hin und Her zwischen beiden Polen. Es soll aus einer Vorstel- lung die daraus folgende entwickelt werden, doch dazu muss sie erst bestimmt und begriffen werden; nun wird die zum Begriff bestimmte Vostellung fortbestimmt: durch Entgegensetzen. Und so ins Unendliche fort. Und auf jeder Etappe bleibt ein toter Begriff zurück als das Bild von der lebendigen Vorstellung, die in ihm gefasst wurde.
30. 4. 17
Die Wissenschaftslehre muss, wie jede Rede, diskursiv verfahren, weil wir Menschen nun eben in der Zeit leben. Das macht ihre Darstellung unvermeidlich schief. Sie will zeigen, dass, um zu dieser Vorstellung zu kommen, ich mir jene Vorstellung zuvor schon gemacht haben muss. Was als eine logische Dependenz gemeint ist, wird erzählt wie eine zeitliche Folge.
Die Wissenschaftslehre ist jedoch ein Modell, ein Schema, in dem alles zugleich geschieht. Ganz irreführend, je- doch kaum vermeidbar ist die Vorstellung von einer wirklichen, lebendigen Intelligenz, die sich erst dieses, dann jenes vorstellt. Dann sähe es so aus, als ob beim Fortschreiten des Vorstellens und Bestimmens etappenweise im- mer mal wieder Begriffe abfallen, in denen einzelne Vorstellungsakte isoliert und eingefroren wurden, die aber... im Fortgang des vorstellenden Bestimmung zu gar nichts weiter gebraucht wurden.
Tatsächlich ist aber das System der sich wechselseitig bestimenden Begriffe nichts anderes als das, was im Ver- kehr der Reihe vernünftiger Wesen zu einer intelligiblen Welt gebildet wird. Und dies allerdings - in der Zeit. In der Zeit bleiben vom tätigen Vorstellen nur die Gedächtnisspuren im Speicher. Von dort können sie aufgerufen werden als die mehr oder minder vollständigen und mehr oder minder anschaulichen Erinnerungen an die ein- mal lebendig vorgestellten Bilder. Kein Wunder, dass es in der Reihe vernünftiger Wesen immer wieder Streit über ihre Genauigkeit gibt.
Man kann dann in den Bücher nachschlagen, wie die Alten die Begriffe verwendet haben, oder bei Google, wie's heute üblich ist. Man kann sich in zuverlässiger Runde einstweilen auf diesen oder jenen Gebrauch einigen. Wo die Kritik allerdings radikal sein will, wird sie zu den Vorstellungen selbst zurückgehen müssen.