Dienstag, 28. Mai 2019

Absehen und finden.

Moulin, Objet trouvé à Pompéi

Wie ist das nun mit dem Finden und der Absicht? Wenn ich nicht auf irgendwas absähe, würde ich nie etwas finden: Fichte hat das ursprüngliche Wollen des Menschen an den Anfang der Wissenschaftslehre gesetzt. Was immer Eingang ins Bewusstsein findet - das Absehen ist die Bedingung. 

So sagt der Transzendentalphilosoph, doch sobald er das Katheder verlässt, ist er Realist wie alle andern: Die Menschen wären nie aufs Absehen verfallen, wenn sie nicht tatsächlich Etwas gefunden hätten; etwas, das ihnen fremd, also unbestimmt war und zum Bestimmen herausforderte. 

Es ist immer alles dasselbe, das wiederholt er oft genug; aber eben immer wieder von der nächsthöheren Stufe aus betrachtet.


14. 6. 17


Das realgeschichtliche Spezifikum:  Der Mensch lebt nicht mit seiner Umwelt im Einklang. Er hat den Urwald verlassen, in dem er zuhause war, und ist in die ihm fremde Savanne ausgebrochen. Eine neue Wachheit gegen das unbekannte Feld, in dem er sich bewegt - nomadisch - ist das mental substanziell Neue, das ihn gegen die andern Tiere auszeichnet und von dem eine rationelle Anthtropologie auszugehen hat.

Nach der Wissenschaftslehre ist das erste, elementar Wirkliche für den Menschen das Gefühl. Im Fühlen ist er rein leidend. Indem er aber sein Gefühl anschaut und sogleich in seiner Bedeutung für ihn bestimmt, wird das Lei- den in Tätigkeit aufgenommen - und so fängt alles an.

Fängt die Ausbildung der Vernunft an, nämlich unter den Menschen. Unter den Tieren nicht. Warum? Sie haben kein Bedürfnis, das Leiden in eigene Tätigigkeit aufzunehmen.

Ist das eine Erklärung?

Nein, es ist eigentlich das, was der Anthropologe zu erklären hätte; siehe oben. 

Die Wissenschaftslehre setzt es dagegen voraus: indem sie das Gefühl, durch das die Dinge sich dem Menschen kundtun, auffasst als den Widerstand, den sie seinem primären Tätigsein entgegensetzen. 

Dies ist wahr: Wann immer wir wirklich etwas tun, stoßen wir auf die Dinge der Sinnenwelt und erleiden ein Ge- fühl. Doch nicht immer, wenn wir etwas fühlen, haben wir - willentlich, versteht sich - etwas getan, das ist gar nicht wahr. Lassen wir diese Feinheit als vernachlässigbar beiseite?

Für den Mediziner wäre das ohne Sinn, aber die Transzendentalphilosophie entwirft nicht das Bild des Ganzen Menschen, sondern will die Vernunft aus ihrem Entwicklungsgang verstehen. Sie beachtet nicht Alles, sondern all das, was in ihre Entwicklung eingeht. Das sind nicht die Halsschmerzen beim Schnupfen, sondern die Erfahrun- gen, die ich - mache. Es wird nicht gesagt: Alle Gefühle werden angeschaut und bestimmt, weil sie ursprünglich von der Tätigkeit des Subjekts verursacht wurden, und werden zu Erfahrungen fortbestimmt; sondern: Zu Erfah- rungen werden solche Gefühle, die das Subjekt anschaut und bestimmt, weil sie ihm als Resultat seiner eigenen ursprünglichen Tätigkeit widerfahren, und aus den Erfahrungen wird die Vernunft.

Das bestimmen- und Erfahrungen-machen-Wollen ist vorausgesetzt. Der Transzendentalphilosophie reicht aus, dass sie es offenkundig voraussetzen darf. Woher es kommt und warum sie es darf, muss und kann sie nicht sel- ber klären. Das ist Sache der historischen Realwissenschaften.
JE

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