Donnerstag, 17. Januar 2019

Vernunftwesen und Übermensch.

Hercules Farnese

Ein »Ding an sich« ebenso verkehrt wie ein »Sinn an sich«, eine »Bedeutung an sich«. Es gibt keinen »Tatbe- stand an sich«, sondern ein Sinn muß immer erst hineingelegt werden, damit es einen Tatbestand geben kann. 

Das »was ist das?« ist eine Sinn-Setzung von etwas anderem aus gesehen. Die »Essenz«, die »Wesenheit« ist etwas Perspektivisches und setzt eine Vielheit schon voraus. Zugrunde liegt immer »was ist das für mich?« (für uns, für alles, was lebt usw.).

Ein Ding wäre bezeichnet, wenn an ihm erst alle Wesen ihr »was ist das?« gefragt und beantwortet hätten. Ge- setzt, ein einziges Wesen mit seinen eignen Relationen und Perspektiven zu allen Dingen fehlte, so ist das Ding immer noch nicht »definiert«.

Kurz: das Wesen eines Dings ist auch nur eine Meinung über das »Ding«. Oder vielmehr: das »es gilt« ist das eigentliche »es ist«, das einzige »das ist«.

Man darf nicht fragen: »wer interpretiert denn?« sondern das Interpretieren selbst, als eine Form des Willens zur Macht, hat Dasein (aber nicht als ein »Sein«, sondern als ein Prozeß, ein Werden) als ein Affekt.

Die Entstehung der »Dinge« ist ganz und gar das Werk der Vorstellenden, Denkenden, Wollenden, Empfinden- den. Der Begriff »Ding« selbst ebenso als alle Eigenschaften. – Selbst »das Subjekt« ist ein solches Geschaffe- nes, ein »Ding« wie alle andern: eine Vereinfachung, um die Kraft, welche setzt, erfindet, denkt, als solche zu be- zeichnen, im Unterschiede von allem einzelnen Setzen, Erfinden, Denken selbst. Also das Vermögen im Unter- schiede von allem Einzelnen bezeichnet: im Grunde das Tun in Hinsicht auf alles noch zu erwartende Tun (Tun und die Wahrscheinlichkeit ähnlichen Tuns) zusammengefaßt.
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Nietzsche, Aus dem Nachlass  (XII)


Nota. - Und wieder schleicht er um den Eingang zur Transzendentalphilosophie herum. Aber mehr auch nicht. Wenn "alle" ihre - zufälligen? - Meinungen über das Wesen des Dings zu Protokoll gegeben hätten - dann wäre es "definiert"? Nicht ein einziger dürfte fehlen, schiebt er als Einschränkung nach, aber dadurch wird es nicht besser. Denn "alle" ist genauso zufällig wie "alle minus einem".

Nämlich wenn es um empirische Subjekte geht. Doch was die meinen, ist ohnehin zufällig, wie viele sie auch wären. Geltend - 'geltend an sich' - könnte ihre Meinung nur sein, wenn sie selber als nicht zufällig gedacht würden, sondern in irgendeiner Weise als notwendig. Was ist aber das einzig überindividuell und gewissermaßen notwen- dig Geltende an Nietzsches empirischen Subjekten? Ihre Teilhabe am Willen zur Macht. Die geschieht aber im- mer nur als ein Willen zu seiner eignen Macht. Es ist sein Wille zur Übermacht - über die andern. Es ist etwas, was sie trennt, sogar feindlich gegeneinander werden lässt. Welche Art von Notwendigkeit könnte daraus ent- stehen?

Angenommen, zum Schluss bleibt ein einziger Übermensch übrig. Dann aber nicht aus Notwendigkeit, son- dern durch Kampf - Sieg und Niederlage. 'Nicht bloß Zufall, sondern natürliche Auslese', sagt der Darwinist. Da hätte er aber gleich sagen können: Der Stärkere hat Recht. Nietzsche, dafür wären Ihre Abstecher zur kri- tischen (transzendentalen) Philososophie nicht notwendig, sondern ganz überflüssig gewesen.

Notwendig ist an den empirischen Subjekten derjenige Anteil, der sie zu Vernunftwesen macht. Nicht, weil sie vernünftig sein sollen (wer könnte das bestimmt haben?), sondern weil der Mensch der Gegenwart das faktisch von sich voraussetzt: indem er mit Andern verkehrt wie mit seinesgleichen - nämlich solchen, die miteinander vernünftige Zwecke auf venünftige Weise ermitteln und teilen. Vernünftig sind sie nicht überhaupt, sondern ledig- lich in dem Maße, wie sie so verfahren: Das ist das Kriterium. Es ist eine historische Gegebenheit. In logischer Hin- sicht ist sie daher zufällig. Aber für die historischen Subjekte unserer Tage ist sie gegeben. Für ihre Selbstbewusst- heit ist es notwendig.

Je mehr vernünftige Zwecke sie auf diese Weise gemeinsam bestimmen, umso weiter reicht das Reich der Ver- nunft und reicht die Geltung ihrer Bestimmungen.* Sie werden auf diese Weise nie zu einem Schluss kommen? Nein. Wozu auch? Dann bliebe der Vernünftigkeit ja nichts mehr zu tun.

*) Dass es ständig Streit darüber gibt, was vernünftig ist, versteht sich. Aber nicht anders geschieht das Ermit- teln.
JE

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