Donnerstag, 30. Juni 2016

Das Naturgesetz und die Schöpfung.

rundumkiel.de  / pixelio.de

Der Gegenstand der Naturwissenschaft ist dadurch definiert, dass der Natur ein Gesetz zugeschrieben wird: Was durch ein Gesetz bestimmt/geregelt ist, will ich als 'die Natur' auffassen; bzw. Naturwissenschaft ist Suchen nach Gesetzmäßigkeiten. 

Impliziert: Das Gesetz lässt sich von den realen Vorgängen selber unterscheiden und so darstellen, als ob es 'an sich selber' gälte. Dann kann es auch so gedacht werden, als ob es 'vor' den Vorgängen 'da war'. Dann muss man sich zum Gesetz einen Gesetzgeber vorstellen – oder das Gesetz als ein Subjekt, das 'sich selber setzt'; was auf dasselbe hinausläuft:  "Schöpfung", intelligent design. 

Man gerät logisch zur Annahme von einem Schöpfer; was die Vorstellung von einer Schöpfung und einem Gesetz suggeriert. Notwendig aber ist keins von beiden. Es fragt sich nur: "Warum sollte der Schöpfer sich die Mühe gemacht haben…?" Allerdings ist die Frage nach einer Ursache der Schöp-fung logisch ebenso ungehörig wie theo-logisch. 

5. 1. 13

Dienstag, 28. Juni 2016

Gab es denn eine wissenschaftliche Revolution im 17. Jahrhundert?

Newton; aus dem Ms. der Optik

So manche liebgewordene Selbstverständlichkeit aus unsern Schultagen ist in den vergangenen Jahrzehnten "auf den Prüfstand gekommen"; meist mit dem Ergebnis, dass in Wahrheit 'alles doch ein bisschen komplizier-ter' ist. Das ist wirklich nicht überflüssig, gerade die Binsenweisheiten müssen immer wieder überprüft und gegebenenfalls wieder neu ausgesprochen werden. Doch auch die Kritik bedarf der kritischen Sichtung, nichts ist nur deshalb klug, weil es neu ist.

Dass der Charakter und die Folgen der wissenschaftlichen Revolution des 17. Jahrhunderts nicht ganz genau die waren, von denen unsere Schulweisheit geträumt hat, ist glücklich selbst zu einer Binsenweisheit geworden. Und die kann man, wie alles Gute, auch übertreiben. Zum Beispiel: Ob es sie überhaupt gab; oder ob sie nicht vielleicht erst im 19. Jahrhundert...? So unlängst im Potsdamer Einstein-Forum.


Das habe ich kommentiert:

Der Siegeszug der Wissenschaften im 17. Jahrhundert sei "das politische Ereignis par excellence" gewesen, schrieb ich andernorts, er hat im Reich der Parteienkämpfe ein - kontinuierlich wachsendes - Feld geschaffen, wo nicht länger der Stärkere entscheidet, sondern der geprüfte Grund

Wenn auch faktisch die Physik die treibende Kraft war, betraf diese 'Wissenschaftliche Revolution' nicht bloß die Naturwissenschaften im Besondern, sondern die Geisteshaltung einer ganzen Zivilisation: Als rational gilt seither nur noch solche Erkenntnis, die eine Erscheinung als Wirkung einer Ursache darstellen kann; und zwar ein geschichtliches Ereignis nicht minder als ein Laborexperiment. Auch politische Probleme sollten seither, so weit irgend möglich, durch Vernunft lösbar sein, ohne Waffen. (Der Aufstieg der Wissenschaften begann nach dem Ende des 30jährigen Kriegs und der englischen Revolution - in der Hoffnung auf ewigen Frieden, nach-dem die Religion Ewige Zwietracht gesät hatte.) 

Allerdings beschränkte er sich auf den (seither stetig wachsenden) engen Kreis der Gelehrten.

Dass es sich im Besondern um Naturgesetze handeln sollte, wurde erst im Lauf des 19. Jahrhunderts deutlich, als die Siege der Exakten Wissenschaften in Gestalt der technisch-industriellen Revolution auch den Durch-schnittsmenschen anzugehen begannen. Dass es für alles einen hinreichend Grund geben müsse, scheidet seither den gesunden Menschenverstand von allen Arten des Irrsinns. (Und seither gewinnen die 'Geisteswis-senschaften' ihr eigenes Profil, weil sie sich gegen die 'harten' Fächer legitimieren müssen.) 

Doch das Dogma der Kausalität ist inzwischen zu einem - pragmatisch vertretbaren - Aberglauben des Gesun-den Menschenverstands herabgesunken; es begann mit den Revolutionen der Thermodynamik und hat mit der Quantenphysik einen einstweilen Höhe-, aber längst keinen Schlusspunkt gefunden. 

Dass die exakten alias 'Natur'-Wissenschaften an ihren Grundlagen zu zweifeln beginnen, ist löblich, aber auch das mindeste, was man erwarten darf. Nun wenden sie sich in neuer Bescheidenheit an die 'weiche' Philosophie zurück. Wobei sie viel Zeit sparen können, wenn sie sich erinnern, dass die Philosophie ihnen schon vor zwei-hundert Jahren in Bescheidenheit vorangegangen ist und sich mit Kants Kopernikanischer Wende selber die Schranken gezogen hat, die sie von den Realwissenschaften trennen - und die Realwissenschaften von ihr! Erkenntnisfortschritt können beide nur erhoffen, wenn sie die Schranken klug beachten und nicht "interdiszi-plinär" wieder alles miteinander verrühren. Wenn ihr Interesse eben der Andersheit des andern gilt und sie Konsens und Gemeinsamkeit den profanen Alltagsmenschen überlassen.




Montag, 27. Juni 2016

Auch das hat er bei Fichte geklaut.



"...indem sie"- die Wissenschaftslehre - "zeigt, daß sie und ihr ganzes Schicksal lediglich von sich selbst abhängen; indem sie den Menschen auf seine eignen Füße stellt."
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Fichte, Rückerinnerungen, Antworten, Fragen [S. 123] 


Ungebildete glauben, die Rede vom 'aufrechten Gang' stamme von Ernst Blech. Halbgebildete meinen, sie stamme von Hegel. Die Gebildeten wissen: Selbst das hat er bei Fichte geklaut.







Samstag, 25. Juni 2016

Reflexion ist Beweg-Grund.

Liza Litsch  / pixelio.de

Reflexion kommt nicht 'nach' der Anschauung, sondern geschieht mit ihr uno actu. Sie ist sozusagen deren innere Spannung: Sie ist Absicht; ist Aufmerken; ist Absehen auf… Intentionalität, sagt Husserl: eine primäre Erwartungshaltung. Was wird erwartet? Eine Bedeutung in den Erscheinungen; dasjeni-ge, was die Erscheinung zum möglichen Gegenstand einer Tat macht.

Reflexion ist das, was in der Wissenschaftslehre Trieb hieß; ist die Kraft des Anschauens.
Mai 5, 2009


Nota. - Inzwischen weiß ich's besser, ich habe mehr gelesen und gründlicher verdaut. Reflexion ist, was Fichte ideale Tätigkeit nennt; die allerdings nicht 'etwas anderes' oder auch nur 'der andere Teil' der realen Tätigkeit ist, sondern gewissermaßen bloß deren andre Seite: Während die 'reale' Tätigkeit, wenn sie auf ein Objekt gestoßen ist, versucht sein könnte, damit Vorlieb zu nehmen, drängt die 'ideale' Seite immer wieder darüber hinaus und hält nach neuen Ufern Ausschau. Zwei Seiten sind sie von dem, was bei Fichte auf verschiedenen Abstraktions-ebenen nacheinander als Trieb, Streben und schließlich als Wollen vorkommt.




Freitag, 24. Juni 2016

An sich.

Thomas Hein  / pixelio.de

Sobald das wirkliche Denken sich selber denkt, unterscheidet es sich von sich selbst – als ein Objektives unabhängig von einem Subjekt; als ein Immerdenkbares von einem jetzt Wirklichge-dachtwerdenden. Seine jeweiligen Bestimmungen können darum als außerhalb der Zeit (und des Raumes) vorgestellt werden – richtiger: können nur außerhalb der Zeit und des Raumes vorgestellt werden; sobald sie nämlich als Bestimmt- heiten vorgestellt werden und nicht als das wirkliche Bestimmen eines Bestimmenden. Letzteres wäre das historische, wirkliche Denken; aber nicht das, was im Denken des Denkens gedacht wird. 

Nur so gibt es ein An-sich.

aus e. Notizheft 




Donnerstag, 23. Juni 2016

Wozu braucht man Philosophie?

Alexander Zick

Die Philosophie ist keine Wissenschaft, die unsere Erkenntnis um ein Großes bereichert. Sie tut fast weiter nichts, als dass sie unsere Erkentnis verdeutlichet und berichtiget. Man hat freilich von der Philosophie viele Aufschlüsse gefordert und erwartet über Dinge, die jenseits des Gebiets der Erfahrung in einer Welt liegen sollen, die nur dem Verstande und mich den Sinnen zugänglich sei; aber die Philosophie hat bisher wenigstens diese Erwartungen niemals erfüllt und wird sie auch - wie wir uns in der Folge überzeugen werden - niemals erfüllen.

Wer daher wissen will, wie es um seine philosophische Erkenntnis stehe, der darf sich nicht fragen: wie viel weiß ich mehr als andere, die keine Philosophen sind? (Auf diese Frage würde die Antwort, wenn er aufrichtig sein will, keine andere sein können als die: ich weiß eigentlich nichts mehr, als jeder bloß durch seine gesunde Vernunft ohne Wissenschaft wissen kann): sondern er muss sich fragen: wie viel weiß ich besser als andere, die keine Philosophen sind?
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Friedrich Carl Forberg, Fragmente aus meinen Papieren, Jena 1796, S. 93f.






Von wie viel Dingen habe ich jetzt eine bestimmte und deutliche Erkenntnis statt der ungewissen und verwor- renen, die der große Haufe davon hat? ist in der Masse meines Wissens Licht und Ordnung? hat jedes darin seine rechte Stelle? greifen meine Erkenntnisse in einander ein? ist die eine die Stütze von den andern, während sie selbst von einer dritten gestützt wird? würde, wenn eine ausfiele, sogleich das System der übrigen in Verwirrung geraten, oder würde alles bleiben, wie es ist, ohne dass man etwas vermisste? 

Bin ich bloß der Besitzer meines Erkenntnisse, oder bin ich Herr darüber? kann ich mit meinen Begriffen machen, was ich will? oder muss ich es mir zuweilen gefallen lassen, dass sie mit mir machen, was ich nicht will? - Beherrsche ich mein System und bin ich fähig, es aufzugeben, so bald ich ein besseres finde? oder beherrscht vielmehr mein System mich und hat es sich mir unentbehrlich gemacht? Kann ich den Gedanken ertragen, alle meine Meinungen fahren zu lassen und andere anzunehmen, die bisher nicht die meinigen waren? ... 

Kann ich mir von allem, was ich denke und annehme und behaupte und meine und weiß, Rechenschaft geben, warum ich das alles tue? oder finde ich vielmehr eine ganze Menge von Meinungen in mir, von denen ich durchaus nicht anzugeben weiß, wie ich zu ihnen gekommen bin, und die sich bei all dem sehr unentbehrlich, mitunter auch sehr unnütz gemacht haben?
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Friedrich Carl Forberg, Fragmente aus meinen Papieren, Jena 1796, S. 94f.





Città del Sole

Kann ich alle diese Fragen zu meinem Vorteil beantworten, so hat meine Erkenntnis den Rang einer philosophischen Erkenntnis, und ich selbst kann mich, wenn ich will, als Mitglied des Ordens der Philosophen betrachten, d. h. ich kann mich zu der Klasse der denkenden Menschen rechnen, die von Natur dazu bestimmt sind, die Vormünder der übrigen zu sein, das Geschäft des Denkens für sie zu übernehmen, für ihre Kultivierung, ihre Zivilisierung und ihre Moralisierung Sorge zu tragen, und wo nicht ihre Hände und Füße, doch ganz unfehlbar ihre Geister zu beherrschen.
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Friedrich Carl Forberg, Fragmente aus meinen Papieren, Jena 1796, S. 95f. 


Nota. - Das kommt etwas überraschend. Man hätte erwartet, er sagt uns, welche Vorteile es für seine eigene Lebensführung bringt, alles so viel genauer und so viel sicherer zu wissen als der große Haufe; oder welche Vorteile es für die andern Wissenschaften und das Wohl der Gemeinschaft überhaupt hat, wenn die Philosophie den Platz, der ihr öffentlich eingeräumt wird, in dem von ihm beschriebenen Sinn ausfüllt. 

Lebensweisheit hier, Wissenschaftstheorie und -politik da - das war noch nicht zur Bestimmung der Philosophie geworden, schon gar nicht zur ausschließlichen. In einer noch ständisch geprägten Gesellschaft ist die Gelehrsamkeit der einzige Weg, auf dem man weiter nach oben kommen kann - Kant und Fichte waren durchaus repräsentativ in diesem Sinn. Bei Plato war die Idee einer von den Weisen regierten Polis vom Heimweh nach der vormaligen Adelsherrschaft geprägt. Bei Forberg umgekehrt gegen einen Adel gerichtet, dessen Herrschaft weder durch Erkenntnis noch Tugend, sondern lediglich durchs ererbte Privileg begründet war. 

Doch während Fichtes platonisierende Träume von einer "Republik der Deutschen" ausdrücklich für den Übergang gedacht waren, für eine Epoche, in der auch "die Übrigen" zu Freiheit und Selbstbestimmung gelangen sollen, ist für Forberg die Klassenherrschaft der Gelehrten "von der Natur" vorherbestimmt; und wenn nicht anstelle des Adels, dann notfalls in seinem Dienst. Er hat denn auch den größeren Teil seines Lebens als Bibliothekar an einem Adelshof verbracht.
JE





Weichensteller 











Eigentliche Philosopheme einer Transzendentalphilosophie sind an sich tot und haben gar keinen Einfluß in das Leben, weder guten noch bösen; ebenso wenig als ein Gemälde gehen kann. Auch ist es ganz gegen den Zweck dieser Philosophie, sich den Menschen als Menschen mitzuteilen. Der Gelehrte als Erzieher und Führer des Volks, besonders der Volkslehrer, soll sie allerdings besitzen, als Regulativ, als pädagogische Regel, und nur in ihm werden sie insofern praktisch; nicht aber sie ihnen selbst mitteilen, welche sie gar nicht verstehen noch beurteilen können. (Man sehe meine Sittenlehre.) 

Aber daß er sie treu und mit Eifer anwende, wird dieser gute Wille schon vorausgesetzt, aber nicht etwa durch sie hervorgebracht: ebenso wie bei dem Philosophen von Profession Unparteilichkeit, Wahrheitsliebe [und] Fleiß schon vorausgesetzt, nicht aber durch sein Philosophieren erst erzeugt wird.
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Johann Gottlieb Fichte, Rückerinnerungen, Antworten, Fragen in: Gesamtausgabe Bd. II/5, S. 134




weg    aus Die Wendeltreppe, oder Philosophische Propädeutik.

Und das war alles – dass das Wahre ein Problem ist? Das wussten wir vorher. Mehr hat die Philosophie nicht zu bieten? Keine Lösung?

Na ja – jetzt wissen wir es mit Gewissheit. Das ist ja auch schon was: Das Wahre ist kein Problem, das wir noch lösen werden, sondern eins, das bleibt. Nein, positiv ist die Philosophie nicht. Sie kommt zu keinen Ergebnissen, an die man sich halten kann – und nur 'auf die Praxis anwenden' muss. Sie ist keine Lehre, und darum kann man sie nicht lernen. Philosophieren kann man lernen; wenn man will.

Muss man wollen?

Man kann nicht philosophieren, ohne zu leben, aber man kann leben, ohne zu philosophieren, und womöglich bequemer. Allerdings ist das Zusammenleben der Menschen darauf angewiesen, dass nicht stets alle das Bequemere wählen. Ein paar Leute, die philosophieren, werden immer gebraucht, und so trifft es sich günstig, dass es immer ein paar Leute gibt, die das Philosophieren brauchen.

Der Nutzen "ist negativ und kritisch", sagt mein Gewährsmann. Wenn der Mensch etwas braucht, woran er sich halten kann, muss er bei sich selber suchen. Sie ist "kritisch und pädagogisch", denn sie lehrt ihn – das doch! -, dass er es dort auch suchen soll. "Ihr Einfluss auf die Gesinnung des Menschengeschlechts überhaupt ist, dass sie ihnen Kraft, Mut und Selbstvertrauen beibringt, indem sie zeigt, dass sie und ihr ganzes Schicksal lediglich von sich selbst abhängen; indem sie den Menschen auf seine eignen Füße stellt." 

Welch tiefere Lebensweisheit es sonst noch geben soll, kann ich mir nicht vorstellen. Und welch gründlichere Pädagogik auch nicht.

JE



J.-Fr. Millet                                                                                                                                 Vorbemerkung zu Abstieg; II. Teil meiner Wendeltreppe

Mit meiner Wendeltreppe wollte ich darstellen, wie das praktische Interesse der Menschen an einem "rechten Leben" der Urheber für die theoretischen Betrachtungen über den Sinn und die Beschaffenheit ihrer Welt wurde – und wie die daraus hervorgegangene Philosophie ihrerseits den Grund für die positiven Wissenschaften der Neuzeit gelegt hat.

Dabei war die Philosophie 
lange von ihrem Weg abgekommen. Wenn der Mensch als Teil eines sinnvoll geordneten Kosmos angesehen wird, dann wird wohl der Sinn jener Ordnung des Ganzen auch dessen Teile durchdringen, so musste es scheinen. Die umfassende Einsicht in die Gesetze der Natur würde mir die Stelle anweisen, wo ich hin gehöre; und wer und was ich bin, würde darüber bestimmen, was ich in der Welt soll. Meine Freiheit beschränkte sich dann auf meine Einsicht in die Notwendigkeiten. 

Das kann dem Menschen nicht genügen, und darum fand er auch bald den Fehler darin: Er ist nicht nur Objekt der Naturgesetze, sondern auch Subjekt seines Wollens. Seine Freiheit in einer objektiven Welt von Zufällen und Notwendigkeiten mag nur eine ganz kleine sein; aber sie ist es, worauf es ihm ankommt. Die Kritische oder Transzendentalphilosophie hat dem wissenschaftlichen Denken gezeigt, bis wo es reicht. Was wahr ist, kann sie nur kritisch prüfen. Positiv herleiten kann sie es nicht. Dass 'es Wahrheit gibt', ist zwar seine unverzichtbare Prämisse, aber es muss vorausgesetzt werden und lässt sich nicht nachweisen. So weit sie selber Wissenschaft ist, kann die Philosophie auf die Frage nach dem rechten Leben, die sie doch hervor-gerufen hatte, gerade nicht antworten. 



Allerdings kann sie, gerade weil sie Wissenschaft ist, zeigen, was unter den zahllosen Sinn-Angeboten, die schon immer auf den Märkten gewimmelt haben, der Kritik nicht standhält und als Scharlatanerie und Bauernfängerei zum Tempel hinaus gepeitscht gehört.

Insofern hat die wissenschaftliche Philosophie ihr Geschäft noch lange nicht erledigt. Je mehr Weisheitschulen auf dem öffentlichen Platz sich tummeln und um die Gunst des Publikums buhlen, um so mehr bekommt sie zu tun. Ihr "praktischer" Teil geht überhaupt erst richtig los!


JE


Dienstag, 21. Juni 2016

Apologie des gesunden Menschenverstands.



... Blindlings auf unsere Sinneseindrücke vertrauen - das tun nur ganz kleine Kinder. Schon Schulkinder wissen, dass manches auch täuschen kann. Aber im täglichen Leben ist das doch die Ausnahme, im Alltag reichen un- sere fünf Sinne schon aus. Erst wenn man sich an was Gesuchtes und Ausgefallenes macht, muss man auf der Hut sein; und natürlich in Gesellschaft von Taschenspielern.

Es ist nicht der gesunde Menschenverstand, der den Alltagsmenschen vom Wissenschaftler unterscheidet.



Es ist dies, dass sich der Wissenschaftler regelmäßig mit Gesuchtem und Ausgefallenen beschäftigt und zu methodischer Skepsis angehalten ist - weshalb er die stete Konkurrenz der Kollegen braucht, die ihm missgün- stig auf die Finger schauen.

Aber Achtung! Das Gesuchteste und Ausgefallenste ist nicht unbedingt das Verborgenste. Es ist im Gegenteil regelmäßig das, was allzu flach auf der Hand liegt: das Gewöhnliche, das Selbstverständliche.Wissen heißt - im Unterschied zum Glauben und allen andern Arten des Fürwahrhaltens - für seine Meinungen geprüfte Gründe haben. Das Selbstverständliche versteht sich von selbst und braucht keine Gründe. Wenn wir für jedes, buch- stäblich jedes unserer Urteile geprüfte Gründe bräuchten, würden wir keine vierundzwanzig Stunden durchste- hen, vielleicht nicht einmal eine halbe. Wir meistern das tägliche Leben nur, weil wir (ungefähr) neunundneun- zig Prozent der Dinge, die wir wahrnehmen, als selbstverständlich behandeln - weil sie im Großen und Ganzen immer so sind und es auf die feinen Unterschiede im Alltag nicht ankommt.

Die Selbstverständlichkeiten unseres Sensoriums sind die Erbschaft von fast vier Milliarden Jahren Anpassung - so wie all unsere Hirnleistungen. So wie unser Denkvermögen, das gewissermaßen ihr Filetstück ist. Davon leben die täglich akribisch kritischen Wissenschaftler ebenso wie der unbefangene gesunde Menschenverstand. Sie unterscheiden sich nicht in ihrer Substanz, sondern lediglich nach der Art und Weise und nach den Gegen- ständen, wie und worauf sie angewendet werden.

Was sich wirklich vom gesunden Menschenverstand unterscheidet - allerdings auch nur nach dem Gegenstand und der Art und Weise, wie sie angewendet werden -, ist die Kritische alias Transzendentalphilosophie, die nach den Gründen nicht dieses oder jenes Wissensakts, sondern nach dem Grund unseres Wissen überhaupt fragt und sozusagen hinter sich greift. Da muss der gesunde Menschenverstand über seinen Schatten springen.


21. 6. 2016







Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE 

Montag, 20. Juni 2016

Ein Philosoph des gesunden Menschenverstands.


Markus Gabriel

Wer dieser Tage aus dem Tross der Universitätsphilosophie hervorragen will, muss sich von post-modernerer Laufstegtänzelei ebenso absetzen wie von analytisch-atomistischem Erbsenzählen. Frisch und unbefangen muss er auf die Pauke hauen; Realismus ist da verführerisch. Und mindestens rhetorisch hat man gegen beide leichtes Spiel. Sie sind inzwischen so durchgekaut, dass der gesunde Menschenverstand wie eine Erlösung vorkommt. 

Freilich war der Konstruktivismus nur eine späte zaghafte Aufwärmung der Kritischen alias Transzentdental-philosophie - für arme Leute sozusagen, die sich und den andern nichts allzu Schweres zumuten mochten. Dass es die Wirklichkeit in Wahrheit - "Was ist Wahrheit?!" - vielleicht gar nicht gäbe, war aber seine eigne eitle Zutat. Die Transzendentalphilosophie hat so eine Frage nie gestellt. Selbst der idealistische Philosoph glaube an die Realität der Welt, sobald er nicht mehr auf dem Katheder steht, sagt Fichte, und wenn das einer wissen konnte, war er's. Allerdings meinte er, dieser Glaube sei erklärungsbedürftig. Diese Erklärung wollte die Transzenden-talphilosophie liefern. 

Die Aussage, dass es ein Ding an sich 'nicht gibt', ist ebenso dogmatisch - beruht auf Glauben statt auf begrün-detem Wissen -, wie der Glaube an Dinge-an-sich. Ein Ding, das keine Merkmale hat - und die hat es immer nur "für mich" -, ist gar kein Ding.  Nämlich kein reales, sondern lediglich ein gedachtes. Denken kann ich mir auch den Teufel und seine Großmutter. Fragt sich nur, wozu das gut sein mag. Wozu ist es gut - zweckmäßig, nütz-lich, hilfreich -, sich ein Ding-an-sich zu denken? Es führt von nichts durch nichts zu nichts, will sagen: Streng genommen lässt sich gar nichts dabei denken. In unsern Tage lässt sich (aber auch nur in interessierten Kreisen) damit allerdings Aufmerksamkeit erregen. Insofern passt der Neue Realismus nur zu gut zu seinen konstrukti-vistischen Popanzen.

Dass die Transzendentalphilosophie bislang noch nie ins Standardbewusstsein der akademischen Zunft dringen konnte, ist ein Problem für sich, und kein kleines, sondern ein eminentes. Wahr ist, dass ihre Ergebnisse unterm Strich nur negativ und kritisch sind. Sie führten geradewegs in den Nihilismus, hat Heinrich Jacobi dem Fichte an den Kopf geworfen, und der hat sich davon ins Bockshorn jagen lassen (einer der faktischen - nicht gedanklichen - Gründe, weshalb die Transzendentalphilosophie nach ersten spektakulären Siegen in der Versenkung versch-wand).


Doch die Zeit ist reif, einen neuen Anfang zu wagen. Der Nihilismus muss kein eitler, gezierter sein. Er kann fröhlich und heroisch werden, wenn er ästhetisch wird - "Artistenmetaphysik", gaya scienza. Und wenn er kämp-ferisch ist, kann er eine ernste Sache werden.



Erst in der Sprache existiert mein Bewusstsein für mich selbst.




Die Sprache ist so alt wie das Bewußtsein – die Sprache ist das praktische, auch für andre Menschen existieren-de, also auch für mich selbst erst existierende wirkliche Bewußtsein, und die Sprache entsteht, wie das Bewußt-sein, erst aus dem Bedürfnis, der Notdurft des Verkehrs mit andern Menschen.
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Die Deutsche Ideologie, MEW 3, S. 30 







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Sonntag, 19. Juni 2016

Reden könnten die Affen; sie wissen nur nicht, worüber.


Süddeutsche

"Das grundlegende Interesse am Anderen ist etwas Menschentypisches" - da hat wohl ein Wissenschaftler seiner Sentimentalität den Vortritt gelassen. Das Interesse am Andern - wie geht es dir, was empfindest du im Hier und Jetzt? - hatten alle Tiere, bevor sie die ersten gestischen oder tonalen Symbole erfanden, längst in Mimik und Körpersprache gepackt, wo sie nicht nur ausreichen, sondern sogar deutlicher sind als Worte, die lügen können. 


Gleich fällt auch die Rolle der sozialen Kommunikation beim Nahrungserwerb ein, namentlich der gemein-samen Jagd. Doch so viele Tierarten jagen in Gruppen, ohne auf Worte angewiesen zu sein!

Wie geht das?

In den Umwelten, in denen sie sich seit Jahrtausenden eingerichtet haben, hat alles, was begegnet, seine ange-stammte Bedeutung. Eigentlich verständigen muss man sich da nicht, sondern allenfalls auf das eine oder ande-re hinweisen. Die Kommunikation ist rein demonstrativ, zum Fragen, Erwägen und Verneinen gibt es kaum Anlass.

Ganz anders unsere Vorfahren, als sie sich auf die Hinterfüße stellten und ihre angestammte Urwaldnische im afrikanischen Graben verließen. Sie hatten nicht eine Nische gegen eine andere Nische getauscht, sondern hatten sich als Vaganten eine weite Welt eröffnet, in der nichts eine angestammte Bedeutung hatte, wo man für alles eine Bedeutung erst neu erfinden musste - und sich mit andern darüber austauschen. Dafür ist die Entwick-lung von komplexer artikulierter Sprache nötig. Es geht um die Verständigung über die Bedeutungen in der Welt. Und kein anderes Lebewesen braucht das; nur wir.

Samstag, 18. Juni 2016

Vom Sprechen und dem Vergessen.





Der Mensch fragte wohl einmal das Tier: warum redest du mir nicht von deinem Glücke und siehst mich nur an? Das Tier will auch antworten und sagen: das kommt daher, dass ich immer gleich vergesse, was ich sagen wollte – da vergaß es aber auch schon diese Antwort und schwieg: so dass der Mensch sich darob verwunderte.
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Friedrich Nietzsche, Unzeitgemäße Betrachtungen. 
Nietzsche-Werke (ed. Schlechta) Bd. 1, S. 211


Fritz Mauthner meinte, Gedächtnis sei das Wesen der Sprache: Nur durch Sprache sei Erinnern möglich, und Erinnerung sei die Voraussetzung für alles weitere. Ist es also richtig zu sagen, das Tier habe keine Sprache, weil es kein Gedächtnis hat? Ist es nicht eher so, dass das Tier kein Gedächtnis hat, weil ihm dazu die Wörter fehlen?

Die Auflösung ist salomonisch. Sie werden sich wohl mit einander und durch einander ausgebildet haben.






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Freitag, 17. Juni 2016

Wenn die Welt erkennbar sein soll.

daniel stricker  / pixelio.de 

Wenn in dem beständigen Flusse aller Dinge nichts Festes, Ewiges beharrte, würde die Erkennbarkeit der Welt aufhören und Alles in Verwirrung stürzen.
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Gottlob Frege, Die Grundlagen der Arithmetik. Eine logisch-
mathematische Untersuchung über den Begriff der Zahl. 
Breslau 1884, Vorwort, S. VII


Nota. - Richtig musste es heißen: Damit die Welt erkennbar wird und nicht Alles in Verwirrung bleibt, müssen wir ihr etwas Festes, Ewiges, Beharrendes voraussetzen.
JE 





Donnerstag, 16. Juni 2016

Wovon handelt Transzendentalphilosophie?

M. Sowa, Der Verdacht

Wenn die Transzendental- alias Kritische Philosophie nicht dazu taugte, im anthropologischen Feld die Spreu vom Weizen zu trennen, wäre sie überflüssig.

*

Die Transzendentalphilosophie fragt nach der Bedingung der Möglichkeit.

Möglichkeit ist eine rein logische Kategorie; eine Kategorie eben.

Eine Bedingung kann dagegen auch real sein. Was die Transzendentalphilosophie als Bedingung aufgefunden hat, muss sich auch historisch auffinden lassen. Wenn die Bedingung real ist, ist die Möglichkeit logisch wirklich.

*

Die Transzendentalphilosophie handelt von dem, was im Wissen vor sich ging, bevor es seiner bewusst wurde.

In ihr betrachtet sich das Wissen "von hinten und von vorn": Von hinten – a posteriori – als Reflexion; indem es sich bei seinem Tun zuschaut[Bei Fichte: ideale Tätigkeit.]

Von vorn – apriori – als Spekulation; indem sie es re-konstruiert, 'wie es gewesen sein muss, bevor…' [Bei Fichte: reale Tätigkeit.]

Wenn wir von dem, was im Wissen vorging, bevor es von sich wusste, Erfahrung  haben können, brauchen wir keine transzendentale Spekulation.

Würde also die Hirnphysiologie empirisch beschreiben können, wie es geschieht, dass unser Meinen und Dafürhalten "zu sich selber kommt", so dass es seine Gültigkeit selber beurteilen kann, und wäre sie gar selber dieses Zusichkommen  – dann hätte sich die Transzendentalphilosophie erübrigt. Sie kann aber – im besten Fall – nur die neuronalen Prozesse beschreiben, in denen "etwas geschieht". Aber was geschieht, weiß sie nicht. Dazu muss sie einen Begriff von Denken, Meinen, Wissen bereits haben;  woanders her, nicht aus ihren Laboren.

*

Das ist keine Sache der Tiefenpsychologie: dort kann es Erfahrungen geben, sogar (wenn auch nicht eindeutig) mitteilbare. Keine Erfahrung kann ich haben von meinem Denken, bevor ich es durch Symbolisieren festgestellt habe. Ich kann nur rekonstruieren, "wie es gewesen sein muß", indem ich es so beschreibe, wie es gewesen wäre, wenn es in unserer Welt stattgefunden hätte, als Schema. Das ist Transzendentalphilosophie. Kein Tatsachenerweis, sondern eine Sinnbehauptung. Ein endgültiger und "letzter Mythos" – die "Geschichte, die von dem spielenden oder abenteuernden oder bildnernden Ursubjekt handelt" (H. Blumenberg). 

irgendwann nach 2001

Dienstag, 14. Juni 2016

Wahr und absolut.



Wahr ist, was absolut gilt.

Das Absolute ist wie das Wahre ein Noumenon. Noumena werden lediglich vorgestellt - nämlich als (unter festzustellenden Bedingungen) geltend. Die Absolutheit des Absoluten und die Wahrheit des Wahren beziehen sich lediglich auf ihre Geltung: Sie ist in beiden Fällen unbedingt. Das Wahre und das Absolute sind Wechsel-begriffe.







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