Was uns “erscheint”, ist nicht einfach, sondern ungeordnet chaotisch.
Wir nehmen nicht die einzelnen Sinnesreize wahr, sondern immer schon das, was unser Sensorium daraus gemacht hat. Ein vorsorglicher Filter, in dem die Erinnerung an Millionen Jahre Gattungs-erfahrungen operationalisiert ist, hat schon das (ihm) Bedeutende von dem Unbedeutenden geschie-den. Was uns ‘erscheint’, sind immer schon mehr oder minder bestimmte Bilder; ‘Figuren’ vor einem ‘Hintergrund’, die – zusammengesehen – etwas ‘bedeuten wollen’.
Das Bewusstsein alias die Reflexion tritt hinzu und fragt: Was soll das bedeuten? Das ist eine Frage ans Gedächtnis, dort ist allerhand gespeichert, mit dem die eingehenden Bilder verglichen und geordnet werden können nach dem Muster passt oder passt nicht. Passt es nicht, muss Neues hinzu erfunden werden.
Das ist ein ganzer komplizierter Apparat, der da in Bewegung getreten ist und, bevor ich irgendwas davon bemerkt habe, ins ungeordnete Gewimmel der Sinneszreize eine Ordnung gebracht hat. Was er hervor gebracht hat, ist nicht Dieses oder Das, sondern ein Tableau von beweglichen Figuren vor einem nicht minder beweglichen Hintergrund.
Mein Denken im eigentlichen Sinne – das Anwenden von vorgehabten Begriffen auf noch nicht gehabtes Anschauungsmaterial, das Vergleichen von Unbekanntem mit Bekanntem – greift in ein schon vorbearbeitetes Vorstellungsfeld. Es sortiert nach Begriffen: Was fällt darunter und was fällt daneben? Für das, was daneben fällt, müssen gegebenenfalls neue Begriffe angefertigt werden – oder es wird, als Einzelnes, bildhaft und analog gespeichert; in der ständigen Gefahr, zwischen den Registern der digital abgespeicherten Begriffe unauffindbar verloren zu gehen. Das Ideal meines Gedächtnisses ist: das Vorgefundene so klar und eindeutig (clare et distincte) im Register zu bewahren, dass es ohne Zeitverlust ad hoc auffindbar ist.
Mein Gedächtnis will vereinfachen.
Das trifft sich gut. Meine Urteilskraft will auch vereinfachen. Dann muss sie nur noch ja oder nein sagen; nicht zwar, vielleicht, aber unter diesen Umständen, doch eventuell, und andererseits; sondern einfach nur: so oder so. Meine Urteilskraft will genau so ihre Ruhe haben wie mein Gedächtnis. Unermüdlich ist lediglich meine Einbildungskraft. Die hat’s gern üppig und sprudelt.
Das ist das Kreuz: Die Einbildungskraft will nicht das Altvertraute, sondern das Verwunderliche. Sie hat sogar die Kraft, mein Sensorium dahin zu verführen, auf das, was gattungsgeschichtlich längst als unerheblich ausgemustert war, dennoch aufzumerken und es wahr- und wertzunehmen.
Mit andern Worten, ich kann Absichten fassen und danach das ungeordnet Mannigfaltige neu ordnen.
Denken heißt, wie gesagt, vereinfachen.
•Februar 18, 2009
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