Montag, 20. Juni 2016

Ein Philosoph des gesunden Menschenverstands.


Markus Gabriel

Wer dieser Tage aus dem Tross der Universitätsphilosophie hervorragen will, muss sich von post-modernerer Laufstegtänzelei ebenso absetzen wie von analytisch-atomistischem Erbsenzählen. Frisch und unbefangen muss er auf die Pauke hauen; Realismus ist da verführerisch. Und mindestens rhetorisch hat man gegen beide leichtes Spiel. Sie sind inzwischen so durchgekaut, dass der gesunde Menschenverstand wie eine Erlösung vorkommt. 

Freilich war der Konstruktivismus nur eine späte zaghafte Aufwärmung der Kritischen alias Transzentdental-philosophie - für arme Leute sozusagen, die sich und den andern nichts allzu Schweres zumuten mochten. Dass es die Wirklichkeit in Wahrheit - "Was ist Wahrheit?!" - vielleicht gar nicht gäbe, war aber seine eigne eitle Zutat. Die Transzendentalphilosophie hat so eine Frage nie gestellt. Selbst der idealistische Philosoph glaube an die Realität der Welt, sobald er nicht mehr auf dem Katheder steht, sagt Fichte, und wenn das einer wissen konnte, war er's. Allerdings meinte er, dieser Glaube sei erklärungsbedürftig. Diese Erklärung wollte die Transzenden-talphilosophie liefern. 

Die Aussage, dass es ein Ding an sich 'nicht gibt', ist ebenso dogmatisch - beruht auf Glauben statt auf begrün-detem Wissen -, wie der Glaube an Dinge-an-sich. Ein Ding, das keine Merkmale hat - und die hat es immer nur "für mich" -, ist gar kein Ding.  Nämlich kein reales, sondern lediglich ein gedachtes. Denken kann ich mir auch den Teufel und seine Großmutter. Fragt sich nur, wozu das gut sein mag. Wozu ist es gut - zweckmäßig, nütz-lich, hilfreich -, sich ein Ding-an-sich zu denken? Es führt von nichts durch nichts zu nichts, will sagen: Streng genommen lässt sich gar nichts dabei denken. In unsern Tage lässt sich (aber auch nur in interessierten Kreisen) damit allerdings Aufmerksamkeit erregen. Insofern passt der Neue Realismus nur zu gut zu seinen konstrukti-vistischen Popanzen.

Dass die Transzendentalphilosophie bislang noch nie ins Standardbewusstsein der akademischen Zunft dringen konnte, ist ein Problem für sich, und kein kleines, sondern ein eminentes. Wahr ist, dass ihre Ergebnisse unterm Strich nur negativ und kritisch sind. Sie führten geradewegs in den Nihilismus, hat Heinrich Jacobi dem Fichte an den Kopf geworfen, und der hat sich davon ins Bockshorn jagen lassen (einer der faktischen - nicht gedanklichen - Gründe, weshalb die Transzendentalphilosophie nach ersten spektakulären Siegen in der Versenkung versch-wand).


Doch die Zeit ist reif, einen neuen Anfang zu wagen. Der Nihilismus muss kein eitler, gezierter sein. Er kann fröhlich und heroisch werden, wenn er ästhetisch wird - "Artistenmetaphysik", gaya scienza. Und wenn er kämp-ferisch ist, kann er eine ernste Sache werden.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen