'Bedürfnis' ist bei Marx eine dynamische Kategorie. Es ist das poietische Vermögen, durch welches das Subjekt sich selbst als Subjekt 'setzt':
1. Landläufig ist 'Bedürfnis' ein Mangel, der aufgefüllt, ein Loch, das noch gestopft werden muss. Je bedürftiger der Mensch, umso ärmer. Aber nicht bei Marx: "Der Reichtum besteht stofflich betrach- tet nur in der Mannigfaltigkeit der Bedürfnisse." Grundrisse, S. 426. Bedürfnis ist kein Mangel, sondern ein Vermögen.
2. Die Erzeugung des neuen Bedürfnisses "ist die erste geschichtliche Tat": Deutsche Ideologie (Feuer- bachkapitel), MEW 3, S. 28. Einige Zeilen zuvor hatten Marx/Engels schon einmal eine 'erste ge- schichtliche Tat' vermerkt, nämlich den Gebrauch von Werkzeugen. Zwar nicht logisch, aber doch historisch verstanden, läuft es freilich auf dasselbe hinaus. Es sind die Erfindung und der Gebrauch von Werkzeugen, die es dem Menschen erlauben, sein vor-gesetztes Naturbedürfnis über-zu-erfüllen – und Raum schaffen für das Erfinden neuer Bedürfnisse. "Ihre Bedürfnissse, also ihre Natur", heißt es später in der Deutschen Ideologie, und von einer selbsterzeugten Natur ist also die Rede: generatio aequi- voca.*
'Bedürfnis' nimmt bei Marx systematisch denselben Platz ein wie bei Fichte Trieb bzw. Streben [Wollen], und entspricht der Husserl'schen Intentionalität.**
*) MEW 3, S. 44
in 2010
**) Und nicht zu vergessen: Platos Eros, der ewig 'nach Schönheit strebt, weil er sie nicht hat'.
Nachtrag, Juni 2015.
In den während der sechziger Jahre zu einiger Prominenz gelangten Pariser Manuskripten zeigte Marx sich unverholen als Feuerbachianer, in der Heiligen Familie stellten Marx und Engels ihren 'Materialis- mus' groß heraus; doch über Feuerbach hinaus gegangen sind sie erst in der Deutschen Ideologie, und zwar an ebendiesem Punkt: Bei Feuerbach heißt Bedürftigkeit leidend sein. Nur als Leidenden habe der bisherige Materialismus den Menschen auffassen können, die tätige Seite sei ausschließlich von den idealistischen Philosophen entwickelt worden. Die neu eingeführte Auffassung vom Bedürfnis als einem produktiven Vermögen war der erste genuin 'marxistische' Gedanke.
Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.
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