Sonntag, 31. Mai 2015

Die Widersprüche im System auflösen.



In einem philosophischen System der alle Widersprüche auflösen wollen ist unvernünftig. Jede Lösung eröffnet ein Feld für neue Widersprüche: Setzen ist Entgegensetzen.

Versuchen muss man es doch, wie will man sonst vorankommen?

*

Fichte sagt, man müsse von jeder Stelle im System aus zu jeder anderen gelangen können, so dass eine jede ebensogut Anfang und Mittelpunkt des System sein könne wie alle jene. Dabei handelt es sich offfenbar um das logische System der wechselseitig durcheinander bestimmten Begriffe; "alles, was der Fall ist". Als solches lässt es sich in der Tat nicht darstellen. Man fände keinen Anfang, aber auch keinen Abschluss. Es ist in jeder Richtung offen.


Das System der Transzendentalphilosophie ist eine genetische Abfolge von Vorstellungen, wo eine jede nur aus den vorangegangenen entstehen kann. Es ist ein Fortschreiten, wenn auch nicht linear, so doch systemisch. Während im logischen System alles gleichzeitig, synchronisch (eigentlich a-chronisch) ist, hat das System der Transzendentalphilosophie einen (diachronischen) Verlauf. Nur in der Reflexion lässt er umkehren, nicht reell.

Es ist "nach außen", seinem Umfang nach, abgeschlossen. Es hebt an mit dem Wollen und endet beim fiktiven Schlussstein des Absoluten. Davor, daneben und dahinter ist nichts. "Nach innen", in die Tiefe, kann es gar nicht abgeschlossen werden, denn innen reproduzieren sich die Widersprüche in dem Maß, wie sie aufgelöst werden. Es ist nicht unendlich, aber genzenlos.

Das System der Transzendentalphilosophie ist unverzichtbar, denn es begründet alles reale Wissen. Ein System der Welt* wäre zu nichts zu gebrauchen.


*) Das physikalische Universum ist nicht die Welt. Eine Kosmologie, die die Möglichkeit anderer Welten postulieren muss, lässt sich eo ipso nicht in ein System bringen.






Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.

Samstag, 30. Mai 2015

Der transzendentale Gedanke.


de Lotto, Narcissus

Der transzendentale Gedanke ist entgegen landläufiger Auffassung ganz einfach.

In meinem Bewusstsein - "Wissen" - kommen keine Dinge vor, sondern Vorstellungen.

Wie kämen Dinge in mein Bewusstsein? Klopfen sie an und sagen "Da bin ich, lass mich rein"? Nicht nur wollen sie das nicht, sondern sie können es gar nicht wollen, und sonst auch nichts. Meine Vorstellungen stammen nicht aus der Selbsttätigkeit der Dinge, sondern aus der Selbsttätigkeit meiner Einbildungskraft. Nicht die Dinge wollen etwas von der Vorstellung, sondern das Einbildungsvermögen will etwas von - oder mit - den Dingen. 

Verstehen heißt: die Tätigkeit der Einbildungskraft beobachten und herausfinden, wie sie verfährt, um zu Vorstellungen zu gelangen. Vorstellungen von den Dingen, ja ja. Aber nicht von denen geht die Aktion aus, sondern von der Einbildung. Bestimmen, etwas als Dieses setzen, kann nur sie. Die Dinge können bloß abwarten, was mit ihnen geschieht. Davon wollen sie aber gar nichts wissen.

Die andern Vorstellenden, denen ich im wirklichen Leben begegne, sind zwar auch Dinge, aber nicht ganz wie alle andern: Sie tun ja dasselbe wie ich. Mit ihnen habe ich doppelt zu tun; einmal als mit Dingen, das andre Mal als mit meinem Spiegel. Aber beide Male nur, sofern ich will. Von diesem Wollen hängt alles weitere ab.




Freitag, 29. Mai 2015

Wovon handelt Transzendentalphilosophie?


M. Sowa

Wenn die Transzendental- alias Kritische Philosophie nicht dazu taugte, im anthropologischen Feld die Spreu vom Weizen zu trennen, wäre sie überflüssig.

*

Die Transzendentalphilosophie fragt nach der Bedingung der Möglichkeit.

Möglichkeit ist eine rein logische Kategorie; eine Kategorie eben.

Eine Bedingung kann dagegen auch real sein. Was die Transzendentalphilosophie als Bedingung aufgefunden hat, muss sich auch historisch auffinden lassen. Wenn die Bedingung real ist, ist die Möglichkeit logisch wirklich.

*

Die Transzendentalphilosophie handelt von dem, was im Wissen vor sich ging, bevor es seiner bewusst wurde.

In ihr betrachtet sich das Wissen "von hinten und von vorn": Von hinten – a posteriori – als Reflexion; indem es sich bei seinem Tun zuschaut. [Bei Fichte: ideale Tätigkeit.]

Von vorn – apriori – als Spekulation; indem sie es re-konstruiert, 'wie es gewesen sein muss, bevor…' [Bei Fichte: reale Tätigkeit.]



Wenn wir von dem, was im Wissen vorging, bevor es von sich wusste, Erfahrung  haben können, brauchen wir keine transzendentale Spekulation.

Würde also die Hirnphysiologie empirisch beschreiben können, wie es geschieht, dass unser Meinen und Dafürhalten "zu sich selber kommt", so dass es seine Gültigkeit selber beurteilen kann, und wäre sie gar selber dieses Zusichkommen  – dann hätte sich die Transzendentalphilosophie erübrigt. Sie kann aber – im besten Fall – nur die neuronalen Prozesse beschreiben, in denen "etwas geschieht". Aber was geschieht, weiß sie nicht. Dazu muss sie einen Begriff von Denken, Meinen, Wissen bereits haben;  woanders her, nicht aus ihren Laboren.

*

Das ist keine Sache der Tiefenpsychologie: dort kann es Erfahrungen geben, sogar (wenn auch nicht eindeutig) mitteilbare. Keine Erfahrung kann ich haben von meinem Denken, bevor ich es durch Symbolisieren festgestellt habe. Ich kann nur rekonstruieren, "wie es gewesen sein muß", indem ich es so beschreibe, wie es gewesen wäre, wenn es in unserer Welt stattgefunden hätte, als Schema. Das ist Transzendentalphilosophie. Kein Tatsachenerweis, sondern eine Sinnbehauptung. Ein endgültiger und "letzter Mythos" – die "Geschichte, die von dem spielenden oder abenteuernden oder bildnernden Ursubjekt handelt" (H. Blumenberg). 

irgendwann nach 2001





Donnerstag, 28. Mai 2015

Philologen und Systematiker.



Dass die Philologen das philosophische Feld beherrschen, ist für einen wie mich ärgerlich; aber es ist unver- meidlich. Anders als zu Zeiten von Kant und Fichte ist Wissenschaft heute ein Betrieb. Das ist die Folge des Übergreifens wissenschaftlicher Erkenntnisresultate auf das ganze Leben in der industriellen Gesellschaft, und als solche war es nicht nur unvermeidlich, sondern auch begrüßenswert.

Nur in ihrer philologischen Bearbeitungsweise kann die Philosophie eine Erkenntnis- und Arbeits gemeinschaft sein. Sie können sich untereinander nur über das austauschen, was allen geläufig ist. Nur so gibt es prozessie- renden Zusammenhang. Wenn aber alle Philosophen Systematiker wären, müsste jeder – anders geht’s ja nicht – annehmen, dass er erkannt hat, was keiner vor ihm und keiner neben ihm eingesehen hat. Darauf müsste er bauen. Das Verständigen mit Andern wäre ihm allenfalls ein persönliches – charakterliches, temperamentliches  – Bedürfnis, aber ein sachliches Erfordernis wäre es nicht.

Damit ließe sich ein in Raum und Zeit kontinuierlicher Betrieb nicht unterhalten. In dem Maß, wie die Universi- täten nicht als isolierte Herde, sondern als akademisches Netz zur Stätte des Philosophierens wurden, konnte nur das Philologische ihren Zusammenhalt gewährleisten. Systematiker waren immer Eigenbrötler, je mehr einer beim Philosophieren systematisiert, weil er wissen will, was wahr ist, umso mehr isoliert er sich von allen andern. Dass ihm einer dreinredet, stört ihn und lenkt ihn ab. Er braucht die andern als Spiegel und Resonanz- kisten; weniger als Stichwortgeber und Besserwisser.

Will er die Folge nicht in Kauf nehmen, darf er die Ursache nicht wählen. Und muss schlimmstenfalls seine Wahl rückgängig machen: Noch jeder der Sache verschworene Philosophiestudent dürfte als anmaßlicher Systematiker begonnen haben. Aber mit erfolgreichem Eintritt in den akademischen Betrieb – und anders lässt sich Philosophie nicht zum Beruf machen - bleiben es die wenigsten. Dass sie ihre anfängliche Wahl im Lauf der Zeit tagtäglich ein bisschen revidiert und sich zu Philologen beschieden haben, merken die wenigsten; mit dem Ergebnis, dass hartnäckige Systematiker zu Außenseitern und Störern der Philosophie werden.



Dienstag, 19. Mai 2015

Vorstellen und begreifen.


A.Dreher  / pixelio.de 

Das Wunder ist, dass wir Sachen begreifen, die wir uns nicht vorstellen können.

Im bloßen Begriff geht der anschauliche Anteil der Vorstellung verloren. Das stammt offenbar aus der Refle- xion. In der Reflexion unterscheidet der Vorstellende sich-selbst von seiner Vorstellung; und die Vorstellung von ihm-selbst. Nicht nur das Subjekt wird verselbständigt, sondern sein Objekt: Im Vorstellen sind Ich und das Vorgestellte noch ungeschieden. Im Vorstellen2 des Vorstellens1 verdreifacht sich die Vorstellung: in das Vorgestellte, in den Vorstellenden und in den Vorstellungsakt – als dem tätigen Verhalten des einen zum andern. Dabei müssen die Anschauung als das Was und der Anschauende als der Wer der Vorstellung verloren gehen (können) und das Wie des Vorgestellten sich verselbständigen (können).

Der springende Punkt ist offenbar die Symbolisierung – als der Sprung aus dem analogen in den digitalen Modus der Repräsentation. Sie entsteht bereits im Übergang vom unmittelbaren Anschauen zum Wieder-Hervorholen aus dem Gedächtnisfundus; das nämlich so lange prekär und zufällig blieb, als der Gedächtnisspeicher nicht geordnet war. Wie soll ich eine gehabte Anschauung wiederfinden in all dem Chaos, ohne einen hervorstechen- den Anhaltspunkt? Das ist schwerer als ein Element in einem tausendteiligen Puzzle aufzufinden, von dem ich immerhin Größe und Umriss kenne.

Ob das Symbolisieren eher aus der Vorratshaltung oder eher aus den Erfordernissen der Mitteilung entstanden ist, ist unerheblich, weil die selber mit- und auseinander entstanden sein werden. Man könnte annehmen, dass die ersten Symbolisierungen aus dem Herausgreifen besonders augenfälliger 'Aspekte' hervorgegangen sind, die so zu Merkmalen werden – immer noch im analogen Modus.

Der Übergang zum bloßen Zeichen ohne anschaulichen Nachahmungsanteil macht die Digitalisierung der Vor- stellung in specie aus. Es handelt sich offenbar um Lautzeichen, um Wörter; um die Entstehung der Sprache. Denn zwar nicht für das Vorstellen selbst, aber sehr wohl für das diskursive Denken in Begriffen, das notfalls ohne jedes anschauliche Residuum auskommt, ist die Ausbildung von Sprachen die Bedingung: eines artiku- lierten Systems, eines "Spiels" mit vereinbarten Figuren und Regeln.

Wobei die Anschauung offenbar nicht wirklich verloren geht, sondern nur einstweilen abgelegt wird – in den Gedächtnisspeicher, wo es aufgehoben ist und aus dem es durch Aufrufen des zugeordneten digits zu jeder Zeit reaktiviert und vergegenwärtigt werden kann.

*

Der Übergang vom analogen in den digitalen Modus bleibt das eigentliche Mysterium des Geistes – von dem wir allerdings wissen, dass es wirklich stattgefunden hat. Der Schritt vom Lautzeichen zum Schriftzeichen und vom Wortzeichen zum mathema- tischen Symbol erscheint demgegenüber nur als die geschäftsmäßig Leistung eines tüchtigen Handwerkers. Auch das Übersetzen ganzer Operationsstränge in mathematische Formeln bleibt in diesem Rahmen.

Anschauung ohne Begriff sei blind, meinte Kant, aber Begriffe ohne Anschauung seien leer. Das bezog sich auf die Philosophie der Wolffs und Baumgartens, der er selber angehangen hatte und die so verfuhr, als wenn eine Sache schon verstanden sei, wenn man nur ein Wort durch so und so viele andere 'definiert' hatte; und die arg- los darauf vertraute, aus dem Kombinieren von Begriffen materiale Erkenntnisse synthetisieren zu können.

Nicht gedacht hat er an die moderne Physik, die sowohl im Makro- wie im Mikrobereich in mathematischen Formeln Sachverhalte beschreibt, die als wirklich gelten, bei denen sich aber niemand mehr etwas vorstellen kann, weil sie jenseits unserer Anschauungsmöglichkeiten liegen. Und es lassen sich daraus operativ Hypothe- sen entwickeln, die ihrerseits durch Experimente verifizierbar sind: Es lässt sich aus Begriffen materiales Wis- sen konstruieren! Allerdings immer nur mittelbar, durch Rückschluss; nie direkt.


Vorstellen können wir uns nur einen Raum mit drei Dimensionen – und die Zeit gesondert daneben. Ein vier- dimensionales Raum-Zeit-Kontinuum können wir im Begriff denken; aber wenn es sich einer vorstellen will, muss er hilfsweise auf ganz unzulängliche Analogien aus unserer dreidimensionalen Anschauung zurückgreifen. Dem theoretischen Physiker unserer Tage wird das Operieren mit mathematischen Symbolen und Formeln so geläufig geworden sein, dass er sich darin zu Hause fühlt und meint, er könne sich 'dabei was vorstellen'. Doch dann müsste er es einem Außenstehenden veranschaulichen können. Und das geht mit einem Partikel, das zu- gleich, aber ebenso ausschließend eine Welle ist, genau so wenig wie mit einem Raum, der selber Zeit ist.

Hier wird als Begriff im Gedächtnisspeicher etwas abgelegt, dem nie ein anschauliches Substrat zu- grunde lag. Es werden begriffliche Kombinationen der ersten Ordnung in mathematische Formeln gefasst und durch einen Begriff zweiter Ordnung ausgezeichnet, durch den sie ihrerseits abrufbar sind. Aber eine Anschauung, so residual sie sei, schiebt sich nicht dazwischen. Da wird nichts vor- gestellt.

*

Wenn Ihnen einer sagt, er könne sich unterm Urknall etwas vorstellen, erliegt er einer Täuschung. Er hat an die Stelle einer mathematischen Formel ein mythisches Bild geschoben, und das ist allerdings anschaulich. Überführen können sie ihn, wenn Sie ihn auffordern, sich die letzte Sekunde  
 oder Nanosekunde  vor dem Urknall vorzustellen. Da könnte er nämlich nur den flüchtigen Schatten von Gottvater 'anschauen'.

Und recht besehen reichen auch die mathematischen Formeln gar nicht bis in den Urknall hinein, sondern immer nur bis ganz kurz – 'unendlich nah' – davor. Drinnen lässt sich nicht einmal mehr etwas denken. Aber dass es in der Sekunde – oder Nanosekunde – davor Nichts gegeben haben sollte, können wir schon gar nicht denken, weil wir uns dabei… nichts vorstellen können. 


im Sommer 2013

Montag, 18. Mai 2015

Das Gedächtnis im Bewusstsein.



Dem naiven – nein: dem kindlichen Gemüt erscheint alles, was vorkommt, 'so, wie es ist'; d. h. als wenn es ist. Dabei unterscheidet es nicht zwischen 'außen' und 'innen': Alles 'kommt vor' mit gleicher Gewissheit.

Aber nur im ersten Moment. Denn sogleich zeigt sich ein Unterschied zwischen einem, das bleibt, und einem, das wechselt. Das Bemerken eines Unterschieds zwischen Bleibendem und Wechselndem ist der erste Akt der Reflexion: Denn es bedarf des Erinnerns an das, was bleibt, und an das Wechselnde. Das Gemüt achtet auf 'sich selbst'. Indes, auch diese Unterscheidung 'kommt' ihm 'vor'. Seine Erinnerung gehört zum Vorkommenden und ist nicht ich, sondern ein Es wie Alle Andern.

Sobald das Gemüt das Gedächtnis als sein eigenes wahrnimmt, hat es Sinn, von Bewusstsein zu reden. Ist es richtig, diese Einsicht in die Eigenheit des Erinnerns aus dem Verkehr mit den Andern her zu leiten? Das setzte voraus, dass die vorkommenden Andern als 'in gewisser Hinsicht mir gleich' erkannt und von dem toten Andern unter- schieden wurden. Eine Unterscheidung, die schlechterdings nicht anders als aus dem Verkehr her zu leiten ist! Eine Unterscheidung, die allerdings nicht Menschen und Dinge 'setzt', sondern Belebtes, d. h. Handelndes, und totes Vorkommnis. 

Wobei unklar ist, wo die Grenze verläuft: 'Handelt' das Wetter, handeln Sonne und Mond? Die Tiere handeln auf jeden Fall. Die erste Stufe des Bewusstseins kann nicht anders als animistisch sein. 'Das Animierte' wird sodann nur geordnet nach dem, was mir im Verkehr 'näher', und was mir 'ferner' steht. Die fremde Menschen- gruppe mag, je nach Grad der Feindseligkeit, mal als den Tieren und mal als 'uns selbst' näher wahrgenommen werden.

aus e. Notizbuch, um 2006




Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.

Sonntag, 17. Mai 2015

Über Kants Kategorien-Tafel.

Mosesbrunnen, München

...Es  geht nicht darum, ob etwas "nicht stimmt", sondern darum, dass seine Bestimmung der Kategorien nur im Rahmen der Transzendentalphilosophie sinnvoll ist; dann dürften sie aber nicht vorne stehen und die Lehre begründen.

Beispiel: dass das 'Sein' unter 'Modalität' gefasst ist. Eine ontologische ('Seins'-philosophische) Fragestellung würde andersrum verfahren; und würde (wie z. B. Hegel) dem Sein nicht das Nichtsein, sondern das Nichts gegenüberstellen. Das Wort von der 'Subjektivität' bezieht sich eben darauf: dass seine Antworten nur im Rahmen seiner Fragestellungen einen Sinn haben.

Das Wort 'Kategorie' wurde offenbar von Aristoteles in die Philosophie eingeführt und soll die 'allgemeinsten', allen besonderen Aussagen übergeordneten Bedeutungsfelder bezeichnen. A. selbst nennt zehn: Substanz, Quantität, Qualität, Relation, Ort, Zeitpunkt, Lage, Haben, Wirken, Wirken, Leiden; mal als offene, mal als geschlossene Liste. Von Standpunkt der kritischen Philosophie wirkt das ziemlich willkürlich, aber im Rahmen von A.'s Lehre war es das nicht. (Die ist nicht systematisch und logisch konstruierend, sondern anschaulich geprägt; und eben "ontologisch": Sie unterscheidet nicht vorderhand das Logische vom Onto-Logischen.) 'Falsch' ist sie nur, wenn man A.s Gesamtlehre 'falsch' nennen würde; und das wäre zwar nicht direkt 'falsch', aber blöd.

Ob Kants Kategorientafel 'falsch' ist, hängt seinerseits davon ab, für wie 'richtig' (oder "vollständig") man die 'Gesamtlehre' hält; wobei das Problem damit beginnt, dass K. eine Gesamtdarstellung seiner 'Lehre' ja nicht gegeben hat. Für J. G. Fichte beispielsweise, der sich als den Nachfolger und Vollender Kants betrachtete, war so eine Kategorientafel einfach überflüssig. Bedenke: Es soll sich nach K. ja nicht einfach um eine analytische Unterscheidung handeln, welche logischen Operationen tatsächlich vorkommen; sondern um eine begründende Unterscheidung, welche Erfahrungsurteile möglich sind…

aus e. online-Forum, um 2008




Montag, 4. Mai 2015

Zweck und Ursache.



Die Beherrschung unseres Bewusstseins durch den Kausalmythos schlägt sich nicht zuletzt auch darin nieder, dass wir dazu neigen, die historische Bedeutung eines Ereignisses ihm rückblickend als seine Zweckursache "zu Grunde" zu legen.

Dass unsere Vorfahren sich weiland auf ihre Hinterbeine aufgerichtet haben - sicher nicht als die einzige Gruppe ihrer Art, aber die einzige, für die es sich bewährt hat -, war "von vorne betrachtet" sicher nur ein Zufall. Dieser Zufall hat aber die Ausbildung des menschlichen Gehirns möglich gemacht. Und nachdem die Möglichkeit Realität geworden ist, sieht es so aus, als sei die Ausbildung der Vernunft der Zweck dieses 'Ur-Sprungs' gewesen. Die faktische Folge eines faktischen Ereignisses wird diesem Ereignis als seine 'Bedeutung' zugerechnet.

aus e. Notizbuch, im März 08


Nota. - Wie Kausalität nur eine verkehrte Teleologie ist, die sich erkenntnispraktisch allerdings bewährt hat, ist Teleologie nur eine verkehrte Kausalität. Sie hat einen erkenntnispraktischen Wert, wenn man sie regulativ, heuristisch auffasst und nicht konstitutiv und dogmatisch.
JE


Sonntag, 3. Mai 2015

Der Verstand ist eine Kümmerform des poietischen Vermögens.



... Historisch wird es andersherum gewesen sein. Das die Familie Homo vor allen Tieren auszeichnende poietische Vermögen, nämlich die Fähigkeit überhaupt, Qualitäten als solche aufzufassen, zu werten und gegeneinander zu gewichten, hat sich mit dem Übergang zu Sesshaftigkeit und Ackerbau, mit dem Auf- kommen der Arbeitsgesellschaft, zum verständigen Kalkül der kurz- und langfristigen Vor- und Nachteile vereinseitigt: zum Verstand. Darüber hinausgehende Urteile über das Gute und Schöne wurden als feier- täglicher Luxus beiseite getan und als legitimierendes Privileg von den herrschenden Klassen usurpiert. Mit der Entfaltung der Arbeitsgesellschaft zur Großen Industrie hat sich die Nützlichkeit dann auch die inzwi- schen herrschende Klasse, die Bourgeoisie, ganz unterworfen und hat der Vorteil auch Ethik und Ästhetik durchsetzt; sie überlebten als Erbauung und Erholung vom geschäftigen Alltag.

Mit der Folge, dass ästhetisches Wahrnehmen heute einen besondern Akt der Reflexion voraussetzt.


 1. 1. 2014

Samstag, 2. Mai 2015

Poietik oder Reflexion?


A. Canova, Orpheus

Eben höre ich den Einwand: Der spezifische Unterschied von menschlicher und tierischer Intelligenz läge nicht in unserer Fähigkeit zu qualifizierendem Urteil, sondern im Vermögen der Reflexion.

Dieses folgt aber aus jener. Mit der Wahrnehmung von Qualitäten jenseits meines Erhaltungswillens habe ich von mir abstrahiert. Abstraktion und Reflexion sind aber dasselbe, mal von vorn und mal von hinten. Wenn ich von meinem Naturbedürfnis abstrahiere, muss ich mich nur umdrehen, um auf mich selbst zu reflektieren.




Freitag, 1. Mai 2015

Aber was heißt Natur?

J. Chr. C. Dahl, Vom Lyshorn

Die Bereitschaft, einen Teil der Res extensa unter dem Namen "Natur" von ihrem Rest zu unterscheiden, geht auf das Erbe aus animistischer Zeit zurück. Sie ist nichts anderes als das Apriori, sie grundsätzlich als Subjekt denken zu wollen. Als ein Subjekt: das ist eine nachträgliche Beigabe einer Reflexion, die sich noch nicht bis zur Wurzel vorwagt.

In Wahrheit kann das Wort nichts anderes bezeichnen als all das, was nicht von Menschen geschaffen ist. Daß es ipso facto aber 'geboren' oder 'gebärend' wäre wie er, ist eine grundlose Voraussetzung, die uns lediglich 'natürlich' erschien – womit sich ein Zirkel schließt. Nicht die so oder so gearteten Definitionen von 'Natur' sind zu rechtfertigen, sondern diese Vorstellung selbst; nicht zu reden von ihrer Verwendung in wissenschaftlichen Zusammenhängen.

Notizbuch, Dez. 2012