Das ist eine pragmatische Definition, keine substanziale. Sie besteht aus zwei Gliedern: Wissenschaft ist jene Art des Gewärtigseins, das auf seine Gründe hin überprüft wurde. (Wobei am Problem des 'letzten Grundes' deutlich wird, dass dies wiederum eine pragmatische, nämlich relative [graduelle] Unterscheidung ist.)
Öffentlich ist das Wissen dann, wenn die Überprüfung der Gründe grundsätzlich jederzeit von jederman nach-vollzogen werden kann.
Hier schon zeigt sich, dass auch die Unterscheidung zwischen Natur- und Geisteswissenshaften lediglich eine pragmatische ist:* bezogen darauf, wie das Wissen erlangt wird, nicht darauf, dass 'Natur' und 'Geist' verschiedene Substanzen wären.
Mit "Fakten" hat es jede Wissenschaft zu tun, wenn sie denn eine ist. Aber auch die Fakten unterscheiden sich nicht nach ihrer Substanz, sondern nach der Art und Weise, wie sie fest-gestellt werden; wie ein "Erlebnis" alias Wahrnehmungsphänomen aus der Erlebnisflut oder dem Rauschen der Phänomene isoliert und sistiert wird. (Das geschieht immer durch Begriffe. Aber wie kommt ein Begriff "zu Stande"?!)
Der springende Punkt für die Unterscheidung von Natur- und Geisteswissenschaft ist das Experiment. Dessen Spezifikum ist, dass es jederzeit von jedermann wiederholbar ist. Auch hier betrifft die Prüfung nicht die "Substanz" der "Fakten" selbst, sondern die Art und Weise, wie sie gewonnen wurden: die Versuchsanordnung. Jeder muss die Versuchsanordnung selber überprüfen können, indem er sie selbst praktiziert. Praktisch kann er sie prüfen. Und es ist klar: Irgendetwas muss immer als gewiss vorausgesetzt werden. (Auch die Frage nach dem letzten Grund kann nur "pragmatisch" beantwortet werden: durch praktische Setzung.)
"Geisteswissenschaften" nennen wir jenen Bereich öffentlichen Wissens, in dem reelle Experiment nicht machbar sind. Hier muss man sich mit einem Analogon behelfen: dem Gedankenexperiment; der Frage (in der Historiographie), "was wäre gewesen, wenn" {vgl. Max Weber}{Unmöglichkeit reeller Experimente in Geschichts- und Gesellschaftswissenschaft: vgl. Marx}.
Das Gedankenexperiment unterscheidet sich vom reellen Experiment seinerseits nur pragmatisch, nämlich graduell: sofern hier sehr viel mehr "als gewiss" vorausgesetzt werden muss - und darum selber umstritten bleiben kann.
*) so wie die zwischen idiographisch und nomothetisch; aber die ist bereits abgeleitet.
aus e. Notizbuch, 25. 6. 06
Auch die Unterscheidung 'nomothetisch' und 'idiographisch' war eine pragmatische: bezogen auf die Erkenntnisabsicht, nicht auf die (vorausgesetzte) "Natur" des Gegenstands.
Oder etwa doch? Denn wenn ich voraussetze, dass sich mein Gegenstand unter ein 'Gesetz' fassen lässt, mache ich eine metaphysische Annahme!
Was heißt Gesetz? Es ist eine Analogie zur menschlichen Gesellschaft. Prämisse: Die Subjekte handeln alias bewegen sich sponte sua, de motu proprio usw. Dann greift ein Gesetzgeber ein, der ihnen einen Rahmen setzt, innerhalb dessen sie sich bewegen "dürfen" (aber weiterhin de proprio motu). Diese Vorstellung von einem Gesetz hat die Naturwissenschaft nun gerade nicht. Wenn das Wort vom Gesetz ernst genommen werden kann, muss es eine wirkende Kraft bedeuten. Denn das wäre ein inkosistentes Bild: Zuerst wären 'Teile' da, die "machen, was sie wollen", dann tritt ein Schöpfer auf, der eine 'Ordnung zum Ganzen' hinzufügt. Wenn schon Schöpfer, dann ganz Schöpfer, und seien es gar mehrere: "Naturgesetze" - die sich "autopoietisch" zu einander gefunden haben?!
Freilich ist die Annahme von wirkenden Naturgesetzen in den modernen Naturwissenschaften nur als ob. Eine heuristische Fiktion - und also doch 'pragmatisch'.
ebd., 6. 7. 06
Und nur, weil sie 'heuristisch fingiert' ist, können alle Wissenschaftler sie bedenkenlos teilen, ohne in metaphysischen Streit zu geraten: Diese Annahme muss, qua pragmatisch, nicht bewiesen werden, es genügt, wenn sie sich bewährt - im Experiment. Das 'Gesetz' ist nur ein semantischer Rahmen für den ansonsten wissenschaftlich unaussprechlichen Gedanken: "Es passiert mit Notwendigkeit immer so und nie anders".
ebd., 9. 7. 06
Nachtrag.
Die Annahme, das Gesetz bezöge seine Gültigkeit aus der vertraglichen Verfassung des Gemeinwesens, ist durchaus nicht naturwüchsig, sondern modern. Naturwüchsig ist die Vorstellung, Gesetze entsprängen dem Willen eines Souveräns.
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