Das Älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus ist der von späteren Herausgebern gewählte Titel eines kurzen, vermutlich im Jahr 1797 entstandenen Textbruchstücks, das erst im 20. Jahrhundert an die Öffentlichkeit kam und dessen Verfasser nicht zweifelsfrei feststeht.
Die Handschrift des Manuskripts lässt sich eindeutig Hegel zuordnen. Wortwahl und Inhalt aber passen nicht zur Philosophie des jungen Hegel. Daher ist anzunehmen, dass es sich um eine Abschrift Hegels von dem Text eines seiner Tübinger Freunde und zeitweisen Zimmergenossen Schelling oder Hölderlin handelt; wobei mir der Dichter wahrscheinlicher vorkommt als der dilettierende HansDampfinallenGassen.
Der Verfasser geht offenbar von Fichtes transzendentalistischen Ich-Philosophie aus, um mit einem ästhetischen Postulat des Absoluten zu schließen. 1794 bis 1795 besuchte Hölderlin in Jena Fichtes Vorlesungen. In diese Zeit fällt Fichtes Kontroverse mit Schiller um die Veröffentlichung von Fichtes Über Geist und Buchstab in der Philosophie in Schillers Zeitschrift Horen. Und am 25. Juli 1795 schrieb Fichte an Schiller, dieser begriffe ihn nicht, „weil Sie die Ausdehnung dessen, was ich einstweilen ästhetischen Trieb genannt habe, nicht vermuten.“ Fichtes Studenten werden in dessen Privatkorrespondenz kaum Einblick gehabt haben. Aber es ist anzunehmen, dass sie über die Entwicklung seines Denkens auf dem Laufenden waren.
Weder Schelling noch gar Hegel waren damals in Jena.*
Das älteste Systemprogramm des
deutschen Idealismus
...eine Ethik. Da die ganze Metaphysik künftig in die Moral fällt – wovon Kant mit seinen beiden praktischen Postulaten nur ein Beispiel gegeben, nichts erschöpft hat -, so wird diese Ethik nichts anderes als ein vollständiges System aller Ideen oder, was dasselbe ist, aller praktischen Postulate sein. Die erste Idee ist natürlich die Vorstellung von mir selbst als einem absolut freien Wesen. Mit dem freien, selbstbewußten Wesen tritt zugleich eine ganze Welt – aus dem Nichts hervor – die einzig wahre und gedenkbare Schöpfung aus Nichts.
Hier
werde ich auf die Felder der Physik herabstei- gen; die Frage ist
diese: Wie muß eine Welt für ein moralisches Wesen beschaffen sein? Ich
möchte unserer langsamen, an Experimenten mühsam schreitenden Physik
einmal wieder Flügel geben.
So,
wenn die Philosophie die Ideen, die Erfahrung die Data angibt, können
wir endlich die Physik im Großen bekommen, die ich von späteren
Zeitaltern erwarte. Es scheint nicht, daß die jetzige Physik einen
schöpferischen Geist, wie der unsrige ist oder sein soll, befriedigen
könne.
Von der Natur komme ich aufs Menschenwerk.
Von der Natur komme ich aufs Menschenwerk.
Die Idee der Menschheit voran, will ich zeigen, daß es keine Idee vom Staat gibt, weil der Staat etwas Mechanisches ist, so wenig als es eine Idee von einer Maschine gibt. Nur was Gegenstand der Freiheit ist, heißt Idee. Wir müssen also über den Staat hinaus!
Denn jeder Staat muß freie Menschen als mechanisches Räderwerk behandeln; und das soll er nicht; also soll er aufhören. Ihr seht von selbst, daß hier alle die Ideen vom ewigen Frieden usw. nur untergeordnete Ideen einer höheren Idee sind.
Zugleich will ich hier die Prinzipien für eine Geschichte der Menschheit
niederlegen und das ganze elende Menschenwerk von Staat, Verfassung,
Regierung, Gesetzgebung bis auf die Haut entblößen. Endlich kommen die
Ideen von einer moralischen Welt, Gottheit, Unsterblichkeit,- Umsturz
alles Afterglaubens, Verfolgung des Priestertums, das neuerdings
Vernunft heuchelt, durch die Vernunft selbst.
Absolute Freiheit aller Geister, die die intellektuelle Welt in sich tragen und weder Gott noch Unsterblichkeit außer sich suchen dürfen.
Zuletzt die Idee, die alle vereinigt, die Idee der Schönheit, das Wort in höherem platonischen Sinne genommen. Ich bin nun überzeugt, daß der höchste Akt der Vernunft, der, in dem sie alle Ideen umfaßt, ein ästhetischer Akt ist und daß Wahrheit und Güte nur in der Schönheit verschwistert sind. Der Philosoph muß ebensoviel ästhetische Kraft besitzen als der Dichter. Die Menschen ohne ästhetischen Sinn sind unsere Buchstabenphilosophen. Die Philosophie des Geistes ist eine ästhetische Philosophie. Man kann in nichts geistreich sein, selbst über Geschichte kann man nicht geistreich raisonieren – ohne ästhetischen Sinn. Hier soll offenbar werden, woran es eigentlich den Menschen fehlt, die keine Ideen verstehen – und treuherzig genug gestehen, daß ihnen alles dunkel ist, sobald es über Tabellen und Register hinausgeht.
Die Poesie bekommt dadurch eine höhere Würde, sie wird am Ende wieder, was sie am Anfang war – Lehrerin der Menschheit; denn es gibt keine Philosophie, keine Geschichte mehr, die Dichtkunst allein wird alle übrigen Wissenschaften und Künste überleben.
Zu gleicher Zeit hören wir so oft, der große Haufen müsse eine sinnliche Religion haben. Nicht
nur der große Haufen, auch der Philosoph bedarf ihrer. Monotheismus der
Vernunft und des Herzens, Polytheismus der Einbildungskraft und der
Kunst, dies ist’s, was wir bedürfen.
Zuerst
werde ich hier von einer Idee sprechen, die, soviel ich weiß, noch in
keines Menschen Sinn gekommen ist – wir müssen eine neue Mythologie
haben, diese Mythologie aber muß im Dienste der Ideen stehen, sie muß
eine Mythologie der Vernunft werden.
Ehe wir die Ideen ästhetisch, d. h. mythologisch machen, haben sie für das Volk kein Interesse; und umgekehrt, ehe die Mythologie vernünftig ist, muß sich der Philosoph ihrer schämen. So müssen endlich Aufgeklärte und Unaufgeklärte sich die Hand reichen, die Mythologie muß philosophisch werden und das Volk vernünftig, und die Philosophie muß mythologisch werden, um die Philosophen sinnlich zu machen. Dann herrscht ewige Einheit unter uns. Nimmer der verachtende Blick, nimmer das blinde Zittern des Volks vor seinen Weisen und Priestern. Dann erst erwartet uns gleiche Ausbildung aller Kräfte, des Einzelnen sowohl als aller Individuen. Keine Kraft wird mehr unterdrückt werden. Dann herrscht allgemeine Freiheit und Gleichheit der Geister!
Ein höherer Geist, vom Himmel gesandt, muß diese neue Religion unter uns stiften, sie wird das letzte größte Werk der Menschheit sein.
*Nota.
Nachdem zeitweilig daran gedacht wurde, Schelling und Hölderlin könnten gemeinsam die Verfasser, Hegel jedoch nur der Kopist gewesen sein, wird nun in Erwägung gezogen, dass Hegel doch, nämlich gemeinsam mit Hölderlin, am Verfassen des Textes beteiligt gewesen sein könnte. Die Gedanken über den Staat als Mechanismus und über die Notwendigkeit einer mythologischen Ästhetisierung der Religion erinnern tatsächlich an Hegels Beschäftigungen in dieser Zeit; vgl. Galvano della Volpe, Hegel romantico e mistico, Florenz 1929.
JE
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