Freitag, 25. August 2017

Das Vorstellen vorstellen ist das Wesen der Transzendentalphilosophie.



Geist überhaupt ist das Vermögen der produktiven Einbildungkraft, Gefühle zu Vorstellungen zu erheben. In diesem Sinne ist allen Wesen, die Vorstellungen haben, Geist zuzuschreiben. Geist in der besondern Bedeu- tung, in welcher man allerdings berechtigt zu sein scheint, manchen Menschen denselben gänzlich abzuspre- chen, ist das Vermögen, die tiefer liegenden und unsre auf die Sinnenwelt sich beziehenden Gefühle begrün- denden, auf eine übersinnliche Ordnung der Dinge sich beziehenden Gefühle zum Bewusstsein zu erheben; oder kürzer, das Vermögen, Ideale und Ideen vorzustellen. 

Ich habe gezeigt, wie diese Vorstellungen des rein Geistigen zum Behuf der Mitteilung unter geistigen Wesen in Körper gekleidet und darin, soweit dies möglich ist, ausgedrückt werden; wie der Geistlose an diesem toten Körper hängen bleibt, ohne sich dadurch zum Anschauen des in ihm ausgedrückten Idealen zu erheben; und wie er dann, wohl auch zur Nachahmung, Körper bildet, die aber keinen Geist haben. ... /

Der Stoff der gesamten Philosophie ist selbst der menschliche Geist in allen seinen Verrichtungen, Geschäften und Handlungsweisen, und erst nach vollständiger Erschöpfung diese Handungsweisen ist die Philosophie Wissenschaftslehre.
 
Der menschliche Geist ist Tätigkeit und nichts als Tätigkeit. Ihn kennenlernen heißt, seine Handlungsweisen kennen lernen, denn weiter ist an ihm nichts zu kennen. ...

Wir sind uns unsers Handelns nur mittelbar, nur vermittelst des Objekt des Handelns, nur vermittelst des Ge- genstandes, auf den unsre Handlung geht, bewusst. Des Handelns als solchen sind wir uns nie bewusst und können wegen der Gesetze des menschlichen Denkens uns desselben nicht bewusst werden. Nun wollen wir uns [aber] desselben bewusst werden. Das ist nur unter der Bedingung möglich, dass auf dieses Handeln wieder gehandelt werde; dass es selbst Objekt einer Handlung / werde; und eine solche Handlung nennt man Refle- xion. 

Ich stelle mir eine Körperwelt vor, und insofern bin ich mir lediglich der Körperwelt bewusst. Soll ich meiner Tätigkeit in jenem Vorstellen mir bewusst werden, so ist es nur dadurch möglich, dass ich mein Vorstellen der Körperwelt vorstelle. Hier stehe ich auf einem höhern Punkte; ich reflektiere meine in der eignen Vorstellung vorhandne Tätigkeit, und eine solche Reflexion ist möglich.

Hierin nun, welches ich bloß im Vorbeigehen vor [für] die, denen es nötig sein könnte, erinnere, besteht das Wesen der transzendentalen Philosophie, dass nicht geradzu vorgestellt, sondern dass das Vorstellen vorgestellt werde; dass nicht, nach der Art des gemeinen Menschenverstandes, unmittelbar über das Vorgestellte, sondern über das Vorstellende, und erst vermittelst dieses über das Vorgestellte reflektiert werde. 
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 J. G. Fichte, "Über den Unterschied des Geistes und des Buchstabens in der Philosophie" in Von den Pflichten der Gelehrten, Hamburg 1971 [Meiner], S. 66/69  



Nota. -  An dieser Stelle gibt es manches anzumerken. Zunächst: Geist ist nichts als Tätigkeit. 'Nichts als' - also auch nicht etwas der Tätigkeit als ihre Substanz zu Grunde Liegendes.

Und dann: Mich selbst kann ich nur vorstellen, indem ich mein noumenales 'reines' Ich verunreinige und als empirische Person in die Körperwelt versetze. Erst in der Reflexion, im Vorstellen des Vorstellens, kann ich mein 'reines' Ich "wiederherstellen". Es ist freilich ein wieder-Wiederherstellen, denn es 'ist' ja überhaupt nur als Noumenon, nur für den Philosophen scheint es das Erste zu sein. Allerdings: nach 'dem Ersten' fragt auch nur der Philosoph. Das wirkliche Individuum kommt ohne zu fragen auf die Welt.

Nebenbei sei darauf aufmerksam gemacht, dass F. die Sprache - Wörter und Begriffe - als eine "Verkörperli- chung des Geistigen" - der Vorstellungen - zum Zweck der Mitteilung bestimmt.


Und schließlich: Während meiner online-Bearbeitung der WL nova methodo habe ich mich über weite Strecken damit herumgeschlagen, dass Fichte zwar das real-Geistige, das wirkliche Vorstellen ausschließlich auf das Gefühl zurückführt, aber auch den Denkzwang, die Denkgesetze auf ein - offenbar geistiges! - Gefühl gründet und ihnen ipso facto wie den Erfahrungsbegriffen anschauliche Realität zuschreibt. Bei Fichte muss doch alles hergleitet werden aus Voraussetzungen, die er ihrerseits aus seinem Eingangspostulat hergeleitet hat; doch an dieser Stelle fehlt die Herleitung! Und hier in den ersten Vorträgen seiner Lehrtätigkeit finden wir eine Art Begründung, die allerdings eine problematische Tatsachenbehauptung ist: "Wer sieht nicht, dass die Gefühle...?" 

Seien wir ehrlich: Es ist ein Trick. Was er herleiten müsste, aber nicht kann, schiebt er stattdessen nachträglich unter. Das 'Gefühl' fürs Geistige wird nicht aus den sinnlichen Gefühlen destilliert und raffiniert, sondern ihnen zu Grunde gelegt. Er hat das niemals weiter ausgeführt, in den Rückerinnerungen... spricht er - mitten im Atheismusstreit - von einem "intellektuellen Gefühl", das ihm die Gewissheit, dass es Wahrheit geben muss, verbürgen soll. 

Das Problem ist dies: Wenn es ein Gefühl sein soll, muss es in etwas Empirischem gründen. Wenn es etwas Intellektuelles sein soll, muss es ein Geistiges zum Gegenstand haben. Da der Gegenstand geistiger Art sein soll, muss eine empirisch-geistige Voraussetzung behaupten.

Für eine rationelle Lösung des Problems waren die empirischen Humanissenschaften längst noch nicht ent- wickelt. Die Verbindung von Sinnlichem und Geistigem ist das Ästhetische, das wusste Fichte. Er hätte aber den Begriff des Ästhetischen weiter fassen müssen, als nicht nur Schiller, sondern er selbst es sich vorstellen konnte.
JE


 

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