Lothar Sauer
Bestimmt und unbestimmt haben nur in Bezug aufeinander einen Sinn. Nichts ist absolut bestimmt, nichts ist absolut unbestimmt. Jedenfalls nichts, was ich mir vorstellen kann.
Zu welchen Operationen eine Vorstellung taugt, kann ich nur prüfen, wenn ich sie bestimme, nämlich zum Begriff vereindeutige. Ich stelle mir die Figur eines Quadrats vor. Um sie zu begreifen, nämlich so, dass ich sie in meiner Vorstellung willkürlich wieder hervorrufen und sie womöglich einem Andern erklären kann, müsste ich sagen: eine geschlossene Figur aus vier gleichlangen Schenkeln. Dass sie nur zwei Dimensionen hat, dass sie vier rechte Winkel hat, muss ich nicht hinzufügen, es folgt aus der Prämisse. Mit dem so gefassten Begriff kann ich gedanklich operieren, dafür ist er hinreichend bestimmt.
Um praktisch zu konstruieren - ein Haus etwa -, muss ich im Fortbestimmen den Begriff überschreiten und eine wirkliche Figur zeichnen, indem ich nämlich eine bestimmte Länge angebe, 23 mm zum Beispiel. Das ist nun kein Begriff mehr, sondern ein wirkliches Quadrat; ein Bild. Als ein solches kann ich es mir aber nicht vor- stellen; 23 mm, 53 mm, 87 mm? Das geht nur noch ungefähr, und auch nicht absolut, indem ich die Augen schließe, sondern nur relativ, indem ich auf ein vorhandenes Ding schaue und es zum Maßstab nehme. In der Wirklichkeit, als Bild, kann ich mir ein Quadrat nicht vorstellen, sondern muss es anschauen.
Mein Bestimmen hat seine Außengrenze in den Singulariis, die bestimmt sind wie alles Wirkliche, und seine Vordergrenze in dem Zustand, wo ich mir nichts mehr vorstelle - weil ich entweder mein Bewusstsein ruhen lasse oder weil ich mich ganz ins Anschauen versenke. Letzteres ist, was Schiller den ästhetischen Zustand nennt.
Wo nichts vorgestellt wird, gibt es nichts zu bestimmen. Wo schon alles bestimmt ist, gibt es nichts vorzu- stellen.
Was immer zwischen Subjekt und Objekt geschieht, ist Bestimmung. Sie selber liegen außerhalb; es ist das Bestimmen, das sie zu dem macht, was sie sind.
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