Sonntag, 17. Januar 2016
Und nochmal: Analytisch oder kontinental?
Unter der Überschrift Was ohne Deutung bleibt, ist leer veröffentlichte die FAZ gestern einen kurzen Beitrag des kanadischen Philosophen Charles Taylor zu der von ihr begonnenen Kontroverse zwischen 'analytischer' und 'kontinentaler' Philosophie. Diese Gegenüberstellung sei nur die Oberfläche, meint Taylor. Wichtiger sei viel mehr der "Unterschied, der sich aus den verschiedenen Antworten auf die Frage ergibt, ob die Philosophie eine autarke Fachdisziplin ist; ob Philosophen also ihre Fragen ohne Rückgriff auf die Erkenntnisse anderer Fach-gebiete beantworten können oder nicht."
Er knüpft dabei an den Kernsatz aus dem Beitrag von Tobias Rosefeldt an: Zweck der Philosophie sei es, eine eigene Sprache zu entwickeln, "deren Bedeutung so klar ist, dass sie nicht erst der Interpretation bedarf." Sind die Begriffe scharf genug definiert, bleiben keine Probleme übrig. Das meint Taylor mit der "verhängnisvollen Vorliebe vieler analytischer Philosophen für das selbstgenügsame Philosophiemodell". Wenn schon innerhalb des Fachs kein Raum für Interpretation bleiben soll, dann ist ein Aus-, Zurück- und Übergreifen auf andere Fächer – Geschichte, Ethik, Soziologie – schon gar nicht mehr statthaft.
Dies wiederum beruhe auf "einem positivistischen Weltbild, das die Hermeneutik unter Generalverdacht stellt". Was immerhin eine originelle Wende wäre, denn bislang hatte man den Positivismus so verstanden, als würde er die ganze Philosophie als bloße Hermeneutik abtun und ins Reich der Fabeln verweisen. Dies hätten die 'Analytiker' mithin überwunden, indem sie die Philosophie selber zu einer autarken positiven Wissenschaft 'von den Begriffen' purifiziert und gerettet hätten.
An dem Punkt bricht Charles Taylor ab. Für ihn ist damit das Terrain abgesteckt, und auf welcher Seite er steht, ist ja außer Frage, weshalb ihn die Redaktion der FAZ auch ohne Zögern einen Sozialphilosophen nennt.
Der Beitrag schafft mehr Verwirrung, als dass er zur Klärung beitrüge. Ob die Philosophie 'ein Fach' ist – oder vielleicht das öffentliche Forum aller andern Fächer –, ist eine Frage; wie weit dieses Fach reicht, bedürfte gege-benenfalls einer eigenen Erörterung. Darf es übergreifen? Darf es Anleihen machen? Worauf darf es sich beru-fen?
Letzeres kommt dem Kern der Sache näher. Wenn sie ein Fach ist – ein wissenschaftliches, denke ich wohl –, dann muss sie auf eigenen Prämissen beruhen. Dann aber muss ihre Kritik – immanent – von diesen Prämissen ausgehen. Von anderen, äußeren Prämissen aus ließe sich bestreiten, dass sie ein Fach und dass sie eine Wis-senschaft ist. Das eine ist Kritik, das andere Metakritik, das sind zwei Paar Schuhe.
Soviel gegen Taylor. Es geht aber auch gegen die Analytischen. Denn Prämissen, die das Philosophieren zu einem Fach konstituieren könnten, kennen sie nicht und wollen sie nicht kennen. An denen müssten sich die scharf definierten Begriffsmoleküle ja überprüfen lassen – und das hieße interpretieren. Ein Fach kann ihr Philoso-phieren daher nicht sein, und eine Wissenschaft schon gar nicht. Jeder Begriff für sich und aus eignem Rechts-grund (vermutlich der "Anschlussfähigkeit" im jeweiligen Kontext): Das ergäbe gerade kein 'Fach', sondern nur eine pragmatische Hilfsdisziplin der realen Wissenschaften. Womit wir dann doch wieder beim "positivisti-schen Weltbild" wären.
Das positivistische Weltbild beruht – nach Kant muss man es genau so formulieren – auf dem Verbot jedweder Wissenskritik. Die Dinge sind, was sie sind, wo ist da das Problem? Die Transzendentalphilosophie hat ein für allemal geantwortet: Von der Wirklichkeit weiß du gar nichts, sondern nur von dem, was in deinem Bewusst-sein vorkommt, und das sind Vorstellungen. Die mögen ja richtig sein, das wollen wir gerne unterstellen. Aber wie das möglich ist – das würden wir doch schon herausfinden wollen. Dieses Herausfinden heißt Philosophieren.
Hieße die Frage: Ist diese oder jene Vorstellung berechtigt? – so müsste auf reales Wissen von außerhalb der Philosophie zurückgegriffen werden. Aber wo es um das Vorstellen selber geht, kann nicht auf reales Wissen von außerhalb zurückgegriffen werden; denn dessen Begründetheit steht ja hier in Frage, und das gilt auch von der empirischen Psychologie: Deren Wissen kann höchstens so begründet sein, wie Wissen überhaupt, also kann sie es nicht selber begründen.*
Das ist ein eng gefasster Begriff von Philosophie, er ist rein kritisch; aber er ist hart und haltbar. Unmittelbar taugt er zu nichts, da haben die Nörgler Recht. Doch mittelbar taugt er zu allem und ohne ihn taugt nichts: Er ist der Prüfstein, an dem sich Alles bewähren muss. Aber um das Vorstellen selber geht es. Die brauchbaren Be-griffe sind bloß Derivate, die seien euch geschenkt.
*) Sollte die Hirnphysiologie eines Tages bildgebend sichtbar machen, wie aus einem Sinneseindruck eine Vor-stellung entsteht, so könnte das nur beweisen, dass sich diese Praxis gattungsgeschichtlich als nützlich bewährt hat; aber wir wollten mehr wissen.
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