In der Folge einer Umdeutung der Dialektik von einer einer Argumentationstheorie zu einer Entwicklungstheorie lässt sich auch die Konzeption der D. als einer Logik der Widersprüche verstehen: Die im Subjekt-Objekt-Schema formulierte Aufgabe, den Grund unserer Erkenntnis herauszufinden, lässt sich auch als die Frage danach lesen, wie es dem Subjekt (dem Ich, dem Selbst oder dem Denken) möglich ist, sich ein Objekt (das 'Nicht-Ich' das Andere seiner selbst oder das Sein) in der Erkenntnis so zu eigen, so zu einem Teil von sich selbst zu machen, dass es zu der in der Wahrheitsdefinition geforderten Subjekt-Objekt-Identität kommt.
Schon diese Frage lässt sich in eine widersprüchliche Formulierung bringen. Die Antworten der idealistischen Philosophie auf diese Frage machen das Herstellen von Widersprüchen zur Methode. Für J. G. Fichte ist Erkenntnis 'Entgegensetzung': Das 'Ich' setzt sich das 'Nicht-Ich' auf verschiedenen Stufen des Erkenntnispro-zesses entgegen und bildet über die Reflexion auf diese 'Entgegensetzungen' seine Erkenntnis von diesem 'Nicht-Ich', d. h., pragmatisch interpretiert, die Erkenntnisse von uns selbst und von unserer Welt erlangen wir über die Anerkennung der (prinzipiellen) Widerständigkeit, die sich für unser Handeln und erst in ihm ergibt. Die 'Setzungen' des Willens erzeugen durch das Handeln und seine Bedingungen 'Entgegensetzungen', deren Anerkennung wiederum eine einen Erkenntnisschritt darstellende 'Setzung' unseres Willens ist.
In diesem Sinn lässt sich das Schema des Dreischritts von These über die Antithese zur Synthese, das Fichte (zunächst noch, ohne von D. zu reden) als erster für die Wissensbildung benutzt, als die dialektische Struktur der Erkenntnis-genese verstehen.
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Oswald Schwemmer in Stichwort "Dialektik" in Mittelstraß, Jürgen (Hg.), Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Stuttgart 2004, Bd. I, S. 465
Nota. – In Verruf gekommen war die Dialektik nicht zuletzt durch die mittelalterlichen Scholastik, an der spätere Jahrhunderte nur noch die Spitzfindigkeit erkannten; nicht aber den ganz ernst gemeinten Anspruch, im menschliche Denken den einzigen Weg zu gültiger Erkenntnis gefunden zu haben - und die Offenbarungen der Religion ins Reich des bloßen Glaubens zu verweisen. An diese Tradition knüpft Fichte, der das Wort Dialektik gar nicht benutzt, über Kant an: indem er das Denken eben nicht dogmatisch, sondern kritisch betreibt. Und das bedeutet, dass das thetisch-antithetisch-synthetische Verfahren nie anders denn als Gang der Vernunft auf-gefasst wird, nie aber als Bewegungsgesetz des 'Seins'.
JE
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