Montag, 3. März 2014

Reine und unreine praktische Vernunft.


Arminius  / pixelio.de
 

Der theoretische Gebrauch der Vernunft beschäftigte sich mit Gegenständen des bloßen Erkenntnisvermögens, und eine Kritik derselben, in Absicht auf diesen Gebrauch, betraf eigentlich nur das reine Erkenntnisvermögen, weil dieses Verdacht erregte, der sich auch hernach bestätigte, daß es sich leichtlich über seine Grenzen, unter unerreichbare Gegenstände, oder gar einander widerstreitende Begriffe, verlöre.

Mit dem praktischen Gebrauche der Vernunft verhält es sich schon anders. In diesem beschäftigt sich die Vernunft mit Bestimmungsgründen des Willens, welcher ein Vermögen ist, den Vorstellungen entsprechende Gegenstände entweder hervorzubringen, oder doch sich selbst zu Bewirkung derselben (das physische Vermögen mag nun hinreichend sein, / oder nicht), d.i. seine Kausalität zu bestimmen. Denn da kann wenigstens die Vernunft zur Willensbestimmung zulangen, und hat so fern immer objektive Realität, als es nur auf das Wollen ankommt.

Hier ist also die erste Frage: ob reine Vernunft zur Bestimmung des Willens für sich allein zulange, oder ob sie nur als empirisch-bedingte ein Bestimmungsgrund derselben sein könne. Nun tritt hier ein durch die Kritik der reinen Vernunft gerechtfertigter, obzwar keiner empirischen Darstellung fähiger Begriff der Kausalität, nämlich der der Freiheit, ein, und wenn wir anjetzt Gründe ausfindig machen können, zu beweisen, daß diese Eigenschaft dem menschlichen Willen (und so auch dem Willen aller vernünftigen Wesen) in der Tat zukomme, so wird dadurch nicht allein dargetan, daß reine Vernunft praktisch sein könne, sondern daß sie allein, und nicht die empirisch-beschränkte, unbedingterweise praktisch sei.

Folglich werden wir nicht eine Kritik der reinen praktischen, sondern nur der praktischen Vernunft überhaupt zu bearbeiten haben. Denn reine Vernunft, wenn allererst dargetan worden, daß es eine solche gebe, bedarf keiner Kritik. Sie ist es, welche selbst die Richtschnur zur Kritik alles ihres Gebrauchs enthält. Die Kritik der praktischen Vernunft überhaupt / hat also die Obliegenheit, die empirisch bedingte Vernunft von der Anmaßung abzuhalten, ausschließungsweise den Bestimmungsgrund des Willens allein abgeben zu wollen. Der Gebrauch der reinen Vernunft, wenn, daß es eine solche gebe, ausgemacht ist, ist allein immanent; der empirisch-bedingte, der sich die Alleinherrschaft anmaßt, ist dagegen transzendent, und äußert sich in Zumutungen und Geboten, die ganz über ihr Gebiet hinausgehen, welches gerade das umgekehrte Verhältnis von dem ist, was von der reinen Vernunft im spekulativen Gebrauche gesagt werden konnte.

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Kant, Kritik der praktischen Vernunft, A 29ff

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