Dienstag, 31. Januar 2017

Das Schema ist ein praktisches Ding.


 
Im Schema wird von allem abgesehen, was nicht zum Wesen der Sache gehört. 
Was ist das Wesen der Sache? 
Dasjenige an ihr, worauf ich es jeweils abgesehen habe. 

Im Schema fallen Abstraktion und Reflexion zusammen. 
Denn merke: Das Schema ist ein praktisches Ding (und so das Wesen der Sache). 


Nachtrag, 31. 1. 17

Das muss man sich klarmachen: Eine Schere zum Beispiel ist, für sich betrachtet, auch nur ein Schema; das Schema einer Handlung: des Schneidens. Zu einer wirklichen Schere wird sie erst, wenn einer mit ihr schneidet. Wenn er sie aber als Briefbeschwerer verwendet, ist sie ein Briefbeschwerer.









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Sonntag, 29. Januar 2017

Das Transzendentale ist rein noumenal.


isha.sadhguru

Dass Transzendenz nicht in die Wissenschaft und also auch nicht in die Philosophie gehört, hat sich als stille Selbstverständlichkeit durchgesetzt, wenn auch an theologischen Fakultäten pro forma noch das Gegenteil gesagt wird und Astrophysiker, wenn sie die Siebzig überschritten haben, ihre Phantasie auch gern mal hinter den Urknall zurückschweifen lassen. Wirklich ist bloß die Wirklichkeit.

Wie ist das mit dem Transzendentalen? Die paar verbliebenen trotzigen Kantianer - Fichtianer gibt es auch wieder - meinen, dass die Positivismen verschiedener Couleur sie noch nie überholt, nicht einmal eingeholt haben. Doch ob das Transzendentale nun zur Wirklichkeit gehört oder doch nicht mehr, darf man sie nicht fragen: So einfach wär das nicht! Vielleicht sei es ja eine Realität sui generis, der Erfahrng zwar nicht zugäng- lich, kann dank passender Verrichtunger aber vielleicht doch spekulativ erschlossen werden? Nicht zu jeder Zeit und nicht durch jedermann, man kann gar nicht recht sagen, was es ist, man muss es selber ausprobiert, gewis- sermaßen erfahren haben wie das Mystische, sonst fasst man es nie...


Es wundert nicht, dass Studenten, die ein Faible für die Schärfe des Begriffs haben, die Transzendentalphiloso- phie unbeachtet links liegenlassen.

Man muss ein für allemal klarstellen: Das Transzendentale hat keine Realität, es ist rein noumenal; und um den Schlaumeiern zuvorzukommen: Auch als Begriff hat es keine Realität.

Es ist nicht ratsam, mit der Transzendentalphilosophie an ihrem historischen Ursprung bei Kant anzufangen. Kant ist nicht zuende gekommen und auf halbem Weg stehen geblieben. Nach einem ganzen Leben Kant- studium hat noch jeder mehr Fragen übrigbehalten als Antworten bekommen. Bis zum Schluss ist Fichte ge- gangen, oder doch beinahe, er hat kurz vorher doch noch kalte Füße bekommen und sich in die Büsche ge- drückt: Jacobi hatte ihm gesagt, er habe zwar gegen Kant völlig Recht, aber seine Philosophie könne lediglich den Nihilismus begründen, und egal, ob richtig oder falsch, sei sie daher zu verwerfen. Davor ist Fichte zurück- geschreckt.

Das hätte er aber nicht müssen, man kann auch als Nihilist ein anständiger Mensch bleiben, es kommt bloß drauf an, was man draus macht: Man hat ja jetzt Freiheit, und darum ging es ihm doch. Und dass einen das umso stärker in die Pflicht nimmt, hätte ihm gefallen müssen.

*

Wenn ich also ohnehin an mich selbst und meine leere Freiheit verwiesen bin, wenn ich mir alles, was Wert hat, doch ganz alleine einbilden und vorstellen muss; wenn ich gar noch selber entscheiden soll, was es jeweils wert ist - wozu bräuchte ich die Transzendental- oder sonst eine Philosophie überhaupt?

Das Noumenon ist nach Kant ein "Grenzbegriff", der die Selbstherrlichkeit der Sinnlichkeit, die alles gelten lässt, was sie mit eignen Augen sieht, sonst aber nichts - der ihre Selbstherrlichkeit in die Schranken weist: Was ich soll, kann ich aus dem, was ist, nicht herauslesen. Das Noumenon ist ein bloß-Gedachtes, das auf ein Da- sein in der Welt gar keinen Anspruch macht, das lediglich gelten will - nämlich im Verkehr der anderen Gedach- ten untereinander. 

Auch den Anmaßungen meiner Einbildungskraft ziehen die Noumena nämlich Grenzen, besser gesagt: Nur Noumena können meine Einbildungskraft in den ihr zukommenden Grenzen halten, denn außerdem ist sie ganz frei. Was ich soll, kann ich nämlich auch durch bloßes Einbilden nicht wissen. Ich werde es entscheiden müssen, aber dazu brauche ich Maße, die ich wiederum nirgends finde als in mir. Das Transzendentale ist rein noumenal heißt: Die Transzendentalphilosophie ist das immanente Maß unserer Vorstellung. Das Maß hat selber kein Sein. Es ist immer nur dann und da, wenn und wo gemessen wird, denn das geschieht in der Wirklich- keit.

Ein Maß braucht sie freilich nur, wenn und sofern sie vernünftig sein will; das heißt: nicht immer und überall. Wenn ich nur für mich allein wäre, bräuchte ich keine Vernunft, da könnte ich tun, wonach mir eben ist.




Samstag, 28. Januar 2017

Die Transzendentalphilosophie wird positiv, indem sie kritisch ist.



Als einzig mögliche Weise des Philosophierens ist nach Kants Kritiken die Transzendentalphilosophie übriggeblieben: die Frage nach der Möglichkeit und den Bedingungen des Wissens. Des Wissens von den Dingen, wovon denn sonst? Doch nicht von den Dingen selber handelt sie, sondern von ihnen als - Bedin- gungen des Wissens von ihnen.

Mit andern Worten, sie ist Kritik und sonst nichts.

Positiv wird sie nur als Kritik: Wo sie sich mit Wirklichem beschäftigt, beschäftigt sie sich mit dem Wissen von ihm. Wo sie sich zum Beispiel mit der Moral beschäftigt, untersucht sie Morallehren und überprüft sie nach ihrer jeweiligen Möglichkeit und nach ihren Bedingungen. Das ist ihr positiver Beitrag zur Morallehre: dass sie kritisch und, wo sie selber etwas auszusagen findet, negativ ist. 


Die Transzendentalphilosophie ist nicht prima philosophia. Sie hat zur Voraussetzung vielmehr das wirkliche Wissen. Erst wenn dieses einen gewissen Umfang angenommen hat, wird sie überhaupt möglich, und zwar nicht bloß in historischem, sondern in materaillogischem Sinn. Was sie an ihm übriglässt, mag gelten. Prima philosophia wird sie erst ex post.






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Donnerstag, 19. Januar 2017

Hat die Evolution unserem Wissen Grenzen gezogen?


zupaylakao

Selbstverständlich ist nichts, was in der Natur vorkommt, für uns restlos verstehbar. Wenn ich unter Verstehen die Einsicht in eine allerletzte Ursache 'verstehe'. Wenn es eine allerletzte nicht gibt, gibt es keine Ursache. Wenn es eine allerletze gibt, gehört sie nicht mehr zur Natur, die unserer Vorstellung nach etwas Hervorgebrachtes ist. Die allerletzte müsste also ein übernatürlicher Hervorbringer sein.

Und das ist ja der Gedanke, den sie uns immer zumuten wollen, weil sich die Menschen das "immer schon so gedacht" haben. Warum? Weil es der Erfahrung entspricht, die ihre Gattung seit ihrem ersten Auftreten schon immer gemacht hat: keine Folge ohne einen Verursacher
, der sie bewirkt. Wenn es eine Vorstellung gibt, von der wir in Wirklichkeit niemals abstrahieren können, dann ist es die. Das ist die Grenze, die die Evolution unserem Verstehen gezogen hat. 


* 

Das Wissen hat Grenzen; das, was wissbar ist. Wissen als Zeitwort wissen ist unbegrenzt. Es ist das tätige Ver- halten zu allem, was mir begegnet. Wie könnte das eine Grenze haben?

Was heißt wissen? Es heißt, etwas Unbestimmtes ein wenig bestimmter machen. Unbestimmt - das sind die Reize, die unsere Sinneszellen an ihre Supervisoren im Gehirn, die Neuronen, melden. Diese Sinnesdaten zu- sammenführen und mit einer Bedeutung ausstatten heißt bestimmen. Und was ist eine Bedeutung? Bedeutung ist dasjenige an einem Ding, was mich veranlassen kann, mein Verhalten so oder so zu... bestimmen, nämlich auf einen Zweck zu richten. Die Zwecke muss ich mir freilich selber setzen.

Wie könnte ich damit je zu einem Ende kommen? Nicht nur begegnen mir an allen Ecken und Enden neue Dinge, sondern an den bekannten Dingen bemerke ich immer wieder 'Merkmale', die es noch zu bestimmen gilt. Aber das ist trivial. Entscheidend ist, dass ich, wenn ich es so will, meine Zwecke ändern kann. Das Be- stimmen ist ohne Ende.

Denn ein Ende wäre noch nicht, wenn ich alle Dinge so genau bestimmt hätte, dass ich nichts mehr hinzufügen kann: wenn alle seine Zwecke restlos erfüllt sind. Ein Ende wäre, wenn ich einen allerletzten Zweck wie einen Spatz in meiner Hand hielte und nicht sehnsüchtig betrachten müsste wie eine Taube auf dem Dach. Doch da- mit soll es wohl noch eine gute Weile haben. Insofern hat wissen keine Grenze.


Mittwoch, 18. Januar 2017

Pragmatisch und spekulativ.


W. Busch 

Herauszufinden was ist, ist Sache der wirklichen Wissenschaften, etwa der Physik. Nicht aber der Metaphysik: Noch wirklicher als das, was erscheint, ist gar nichts, und was nicht irgendwie wirklich ist, kann auch nicht wahr sein.

Darüberhinaus gibt es die Philosophie. Die will in dem, was ist, einen Sinn ergründen. Ergründen, indem sie mit der Lupe danach sucht oder dem Elektronenmikroskop? Ergründen, indem sie dem, was man sieht, einen Sinn unterstellt - und ausprobiert, ob das Fundament reicht, um das Gebäude zu tragen. Sie ist pragmatisch, weil sie weiß, worauf sie hinauswill. Sie ist spekulativ, indem sie versucht, wie es geht.



Mittwoch, 11. Januar 2017

Wirklich ist, was...



...in Raum und Zeit vorkommt. Das hat auch Kant nicht anders gesehen. Und das Denken bringt es erst zu was, wenn es einsieht, dass Begriffe ohne Anschauung leer sind. Unter Anschauung verstand er alles, was sinnlich ist, und sinnlich ist, was... in Raum und Zeit vorkommt.

Radikalisiert wurde Kant von J. G. Fichte. Der nennt, was sinnlich ist, geradewegs Gefühl. Anschauung sei dage- gen schon eine intellektuelle Leistung, durch die nämlich ein Gefühl erstens als dieses und zweitens als meins be- stimmt wird. Doch was es ist und was Ich heißen kann, bestimme ich erst durch meine Arbeit des Begreifens (und die geschieht durch Setzen und Entgegensetzen). Denn ohne Begriff bliebe meine Anschauung blind.

aus einem Kommentar



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Montag, 9. Januar 2017

Der Realist ist nicht naiv.


Quentin Massys, Der Geldverleiher

Naiven Realismus nannten die Neukantianer vor anderthalb Jahrhunderten das, was Kant selbst die dogmatische Sicht der Welt genannt hatte, weil sie glaubt; nämlich glaubt, dass das, was in ihrem Bewusstsein vorkommt, das- selbe ist wie das, was außerhalb ihres Bewusstseins da ist. Die Frage, wie es dort hineingekommen ist, stellt sie sich naiverweise nicht: Im Bewusstsein spiegelt sich die Welt. 'Abbildtheorie' hat man das später genannt, denn es war das Glaubensbekenntnis der "wissenschaftlichen Weltanschauung" alias DIAlektischer MATerialismus, da war Respekt geboten, denn Sibirien lag näher, als es auf der Landkarte schien.

Die Hirnphysiologie bringt uns aber nicht weiter. Zwar kann der Forscher uns zeigen, dass die Neurone in unserm Hirn nicht einfach die Reize, die ihnen die Sinneszellen übermitteln, einsammeln und zu Einheiten zusammensetzen (wie und warum?), sondern umgekehrt aktiv Fragen an sie stellen  und dadurch vorab immer schon seine Auswahl getroffen haben, die eine Hypothese darstellt, mit der die Daten verglichen werden. Auch hier findet also nicht einfach Widerspiegelung statt.

Aber das beweist noch nicht viel. Unser Bewusstsein erschöpft sich nämlich nicht darin, dass wir 'Sachen wissen'. Das tun ja offenbar die Tiere auch. Doch anders als sie wissen wir, dass wir Sachen wissen - sonst könnten wir uns ja nicht fragen, wie es dazu kommt. Wir reflektieren, und in wachem Zustand nehmen wir nichts wahr, worauf wir nicht reflektierten: Etwas 'merken' heißt darauf reflektieren.

Für die Reflexion hat die Hirnforschung nicht nur keine Erklärung. Sie kann mit all ihren Bildgebenden Ver- fahren nicht einmal sagen, wann, wo oder wie sie geschieht.

Das ist allerdings auch nicht ihres Amtes, denn das könnte sie nicht ohne die Voraussetzung eines 'immer schon' wollenden Ichs, und das gehört nicht in die Physiologie, sondern in die Philosophie.

 aus einem Kommentar 


Nachzutragen wäre noch dies: Naiv ist an diesem Realismus gar nichts. Das französische Wort naïf stammt ab von dem lateinischen nativus, und das bedeutete soviel wie 'neugeboren'. Naif wäre also einer, der sich dem Augenschein hingibt wie der, der eben das Licht der Welt erblickt. Schiller hat dagegen bemerkt, naiv sei nicht das Kind, sondern der, der kindlich ist, obwohl man es nicht mehr von ihm erwarten sollte; ein Erwachsener, der nicht zur Vernunft gekommen ist und seinen Vorteil abwägt, sondern unschuldig geblieben wie ein Neu- geborenes.

Nichts von beidem hat der dogmatische Realismus. Unschuldig ist er gar nicht, sondern schlau und selbstge- fällig. Und kindlich wäre es, die Dinge, die mir begegnen, zuallererst einmal für meinesgleichen zu halten, bis ich merke, dass sie anders sind. Naiv ist nicht der Realismus des geschäftssinnigen Bürgers, sondern der Ani- mismus des Wilden. Was wir als die Phantasie des Kindes wehmütig bestaunen, ist seine Bereitschaft, alles, was vorkommt, irgenwie für belebt zu halten. Zu unterscheiden zwischen dem, was es sieht, und dem, der es sieht; zwischen dem Ding und dem Gedanken; zwischen Subjekt und Objekt käme ihm nicht in den Sinn. Nicht das Kind denkt realistisch, sondern Ebenezer Scrooge.

(Und selbstverständlich auch der idealistische Philosoph, sobald er vom Katheder steigt, sagt Johann Fichte.)



Freitag, 6. Januar 2017

Wittgensteins Ding an sich.


Lawrence Olivier, Hamlet

Wittgenstein sagt, das Ding an sich ist das Sprachspiel; die Bedeutung der Wörter ist ihre Verwendung in dem- selben. Aufgabe der Philosophie ist, ihre Verwendung zu regulieren.

In Wahrheit sind die Wörter nichts ohne die Vorstellungen, die sie mehr oder weniger genau bezeichnen.

Wittgenstein meint, das Sprachspiel sei ein Bild der Welt, die Welt sei aber "alles, was der Fall ist". Gemeint ist: was logisch der Fall ist. 

Das ist zum einen eine naive Abbildtheorie, zum andern bleibt das Logische bei sich selbst. Was gemeinhin als die Welt verstanden wird, nämlich all das, was dem Logischen als sein Gegenstand entgegen steht, kommt über- haupt nicht vor.

Es kommt nicht vor, 'was die Welt wirklich ist'; zu Recht, denn was wir von ihr wissen, ist nur, was in unserer Vorstellung vorkommt. Aber bei Wittgenstein kommt die Vorstellung nicht vor.



Donnerstag, 5. Januar 2017

Form und Inhalt.



Es ist eine Schluderei, die sich dem Hegeljargon verdankt, wenn immer wieder von einer Dialektik von Form und Inhalt geredet wird, so als ginge es um ein Match zweier Boxer, wo mal der eine, mal der andere die Oberhand hat. 

Form und Inhalt gehören gar nicht zu einander. Zum Inhalt gehört das Gefäß, das ihn fasst. Beide könnten ohne einander sein, wennauch der Inhalt womöglich verrinnen müsste.

Zur Form gehört der Stoff. Der Stoff wäre auch ohne eine Form; zwar noch nicht Stoff, aber etwas wäre er schon. Die Form dagegen kommt (realiter) nur am Stoff vor. Ohne ihn gäbe es sie nicht. Man darf höchstens sagen: Erst die Form kann das Etwas zum Stoff bestimmen. Nämlich einer, der sich die Form (idealiter) ausgedacht hat, hilft sie dem Etwas über und macht es damit zu Stoff. 

Was wäre daran dialektisch? Die Initiative läge immer außerhalb; bei einem dritten, der will, ausdenkt und macht. 

(In der Schulsprache ausgedrückt: Stoff ist das Bestimmbare, Form ist die Bestimmung. Vorausgesetzt ist immer einer, der bestimmen will.)


 



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Mittwoch, 4. Januar 2017

Und was ist mit der tierischen Intelligenz?



Gestern schrieb ich hier:

"Es geht um Einbild ung. Sind deren Möglichkeiten wirklich ohne Grenzen? Dann wäre die menschliche Intel- ligenz der künstlichen theoretisch doch überlegen. Praktisch würde sie freilich bei jedem möglichen Wettbe- werb vor ihr schlappmachen; wie oben im Go-Spiel."

Das muss man ergänzen: Die Überlegenheit der menschlichen über die tierische Intelligenz wäre nur eine faktische und, evolutionär betrachtet, zufällige: Träumen werden Tierkinder auch müssen, denn sie können sowenig sehen wie Menschenföten. Es habe keinen evolutionären Grund gegeben, das Träumen nach der Geburt wieder abzuschaffen, sagt Ernst Pöppel. Reicht das aus: dass kein Grund da war? Nimmt man nicht an, dass Fähigkeiten, die nich gebraucht werden, schließlich verkümmern? 

Es sollte einen Grund gegeben haben, die Fahigkeit zum Träumen bei den erwachsenen Menschenindividuen nicht absterben zu lassen; nämlich den, dass sich die Fähigkeit, noch nie Gesehenes einzubilden, in der befremd- lichen 'Welt' bewährt hat, nachdem die Menschen ihre angestammte 'Umwelt' im Regenwald verlassen hatten.

Eine solche Bewährungsprobe gab es für andere Tierarten nicht. 

Aber dass Tiere im künstlichen Milieu des Beobachtungslabors gelegentlich Fähigkeiten entwickeln, die bei ihren freilebenden Artgenossen nie zuvor beobachtet wurden, könnte darauf hinweisen, dass auch bei ihnen die Fähigkeit zu freiem Einbilden noch nicht wieder völlig abgestorben ist.






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Dienstag, 3. Januar 2017

Aber was unterscheidet die 'künstliche' von natürlicher Intelligenz?


attisch, ca. 630 v. Chr

Es gibt eine Mode in der zeitgenössischen Philosophie, die nennt sich die systematische, sie kommt aus Amerika und knüpft an die "analytische" Philosophie Wittgensteins an. Deren Kernaussage ist in etwa: Alle Probleme der früheren Philosophie kamen daher, dass die Begriffe nicht eindeitig genug bestimmt waren; eigentlich bestehen sie nur in Missverständnissen, die sich bei sorgfältigem Wortgebrauch vermeiden ließen.
 

Das klingt blöde und ist es auch, aber seinen derzeit weltweiten Erfog verdankt es dem Umstand, dass es nicht nur blöde ist. Die 'künstliche Intelligenz' ist ein Begriff, der ihr Recht zu geben scheint.

Intelligenz ist, was der IQ-Test misst - das ist ein pragmatischer Begriff, der in neun von zehn Kommunika- tionssituationen ausreichen dürfte. Aber bei der künstlichen Intelligenz vermutlich nicht. Der IQ-Test legt zugrunde eine Menge von Leistungen, die einer im täglichen Leben erbringen muss, wenn er als 'intelligent' gelten soll. Wo es um künstliche Intelligenz geht, geht es aber nicht um das tägliche Leben. Sondern zum Beispiel um die Meisterschaft im Go-Spiel. Das ist etwas, das auch für unsere natürliche Intelligenz an der Grenze liegt. Mit andern Worten: beim Vergleich von natürlicher und künstlicher Intelligenz geht es darum, welche die engeren und welche die weiteren Grenzen hat.  

Das klingt, als ginge es um die Menge der Probleme, die zu lösen sind. Die Leistungs fähigkeit des mensch- lichen Gehirns ist, so muss man annehmen, begrenzt: Erstens durch die Verschaltungen, die zwischcn den Neuronen möglich sind. Faktisch wird es nicht möglich sein zu berechnen, wie viele das sind, faktisch dürften sie "so gut wie unendlich" sein. Aber eben nur so gut wie. Theoretisch, nach dem Begriff, sind sie es nicht. Und ob in dieser Hinsicht das künstliche Gehirn dem menschlichen überlegen ist, ist eine rein technologische Frage, die sich im Lauf der Zeit von allein zugunsten der KI entscheiden wird.  

Nun kann man einwenden: Aber die KI kann ihre Problem nur 'erfinden' aus dem Fundus der Daten, die ihr eingegeben wurden und die sie aufgrund ihres Programms ermitteln konnte. Das mögen unvorstellbar viele sein; aber erfinden kann sie nichts. 

Kommt sogleich der Einwand: Der Mensch kann sich auch nichts andres einbilden, als was in seinem Erfahrungsschatz schon irgendwann mal vorgekommen ist. Eben das wird bestritten - allen Ernstes mit dem Hinweis auf einen Umstand, den schon Kant in Erwägung zog: Im "Spiel der Einbildungskraft" beruft er sich auf den Traum; was nur philogogisch von Interesse wäre, wenn nicht die Hirnphysiologie heute ebendort ansetzte: "Ich vertrete die These, dass die vorgeburtliche Phase des Menschen entscheidend ist für die Prägung des visuellen Systems. Das Sehsystem ist das einzige, das vor der Geburt nicht gereizt wird. Damit es aber gleich nach der Geburt funktionieren kann, wird das visuelle System im Gehirn mit Hilfe von Träumen gleichsam eingefahren. Mehr als 50 Prozent der Zeit verbringen Kinder im Mutterleib in der Traumphase. Es hat dann keinen evolutionären Grund gegeben, die Träume nach der Geburt wieder abzuschaffen", sagt Ernst Pöppel. 

Es geht um Einbild ung. Sind deren Möglichkeiten wirklich ohne Grenzen? Dann wäre die menschliche Intel- ligenz der künstlichen theoretisch doch überlegen. Praktisch würde sie freilich bei jedem möglichen Wettbe- werb vor ihr schlappmachen; wie oben im Go-Spiel.
 

Mit andern Worten: Ob menschliche oder künstliche Intelligenz überlegen ist, ließe sich schlechterdings nicht beurteilen.
 

Wenn wir nämlich nach dem Menge der Einfälle fragen. Haben wir es aber nicht mit der Frage nach der Qualität der Einfälle zu tun?

Das ist offenbar nicht eine Frage des Auszählens, sondern der Urteilens. Die Frage ist hier: Kann künstliche Intelligenz urteilen? - Natürlich; sofern ihr Urteilsmaßstäbe einprogrammiert wurden - womöglich so, dass sie subtilere Maßstäbe daraus selber destillieren kann. Aber kann sie letztendlich urteilen, auch über das, was ihr einprogrammiert wurde? Klipp und klar gesagt: Kann sie gut und böse unterscheiden?


Kann sie nicht.

Das ist nämlich der springende Punkt bei der Abwägung von menschlicher und künstlicher Intelligenz. Menschliche Intelligenz kann nicht nur, sondern sie kann nicht anders.


Zur Erläuterung noch dies: Bei der Fähigkeit, gut und böse zu unterscheiden, der Fähigkeit zu werten, geht es nicht um das rein technische Urteil: Wie kann ich meinen Zweck erreichen? Es geht um das allerpraktischste Urteil: Welchen Zweck will ich erreichen? Wir unterscheiden uns von den Tieren nämlich in dere Hauptsache dadurch, dass wir auch Zwecke verfolgen, die nichts mit unserer Erhaltung - Selbst- und Arterhaltung - zu tun haben, sondern nur um ihrer selbst willen gewählt werden können; können, wenn man es kann. Es ist eigentlich die ästhetische Urteilskraft.