El Capitán. Yosemite valley
Die obige Erklärung kann auch so ausgedrückt werden: Erhaben ist das, mit welchem in Vergleichung alles andere klein ist.
Hier sieht man leicht: daß nichts in der Natur gegeben werden könne, so
groß als es auch von uns beurteilt werde, was nicht in einem andern
Verhältnisse / betrachtet bis zum Unendlichkleinen abgewürdigt werden könnte; und
umgekehrt, nichts so klein, was sich nicht in Vergleichung mit noch
kleinem Maßstäben für unsere Einbildungskraft bis zu einer Weltgröße
erweitern ließe. Die Teleskope haben uns die erstere, die Mikroskope die
letztere Bemerkung zu machen reichlichen Stoff an die Hand gegeben.
Nichts also, was Gegenstand der Sinnen sein kann, ist, auf diesen Fuß
betrachtet, erhaben zu nennen. Aber eben darum, daß in unserer
Einbildungskraft ein Bestreben zum Fortschritte ins Unendliche, in
unserer Vernunft aber ein Anspruch auf absolute Totalität, als auf eine
reelle Idee liegt: ist selbst jene Unangemessenheit unseres Vermögens
der Größenschät- zung der Dinge der Sinnenwelt für diese Idee die
Erweckung des Gefühls eines übersinnlichen Vermögens in uns; und der
Gebrauch, den die Urteilskraft von gewissen Gegenständen zum Behuf des
letzteren (Gefühls) natürlicher Weise macht, nicht aber der Gegenstand
der Sinne, ist schlechthin groß, gegen ihn aber jeder andere Gebrauch
klein. Mithin ist die Geistesstimmung durch eine gewisse die
reflektierende Urteilskraft beschäftigende Vorstellung, nicht aber das
Objekt erhaben zu nennen.
Wir können also zu den vorigen Formeln der Erklärung des Erhabenen noch diese hinzutun: Erhaben ist, was auch nur denken zu können ein Vermögen des Gemüts beweiset, das jeden Maßstab der Sinne übertrifft.
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I. Kant, Kritik der Urteilskraft, § 25, [S. 170f.]