Freitag, 25. September 2015

Vierzehnte Windung: Die Naturgeschichte des Kausalitätsprinzips.

Schamane, nordamerikan. 

Der Entschluss, Naturwissenschaft zu betreiben, und der Entschluss, alles, was erscheint, als Einzelfall eines Gesetzes anzusehen, sind ein und dasselbe. Denn durch diesen Entschluss Galileo Galileis wurden die Natur-wissenschaften begründet.

Die Grundform des Naturgesetzes ist das Kausalprinzip. Es bedeutet, alles, was ist, als ein Ereignis aufzufas-sen, das mit Notwendigkeit aus einem vorangegangenen Ereignis folgt. Dieses Prinzip ist nicht aus der For-schung gewonnen, sondern liegt ihm zu Grunde. Es ist eine heuristische, „regulative“ Annahme, durch die For-schung erst möglich wird. Dass sie sich im Verlauf der Forschung bewährt, macht den Erfolg der Forschung überhaupt erst aus: Die Natur der Wissenschaft ist definiert als das Reich, wo Kausalität herrscht. Es ist eine Petitio principii. Wenn etwa die Hirnphysiologie findet, dass ein freier Wille nicht statt hat, holt sie aus ihrer Forschung nur heraus, was sie vorab hineingetan hat.


Solange sie es dabei bewenden lässt, ist alles in Ordnung. Wenn sie aber aus einem regulativen Prinzip ein konstitutives Prinzip macht, betreibt sie Metaphysik und verlässt den Boden der Naturwissenschaft.

Das Kausalprinzip ist kein Fund der Wissenschaft, sondern ein Selektionsprodukt der Lebenswelt. Es beruht auf der im Laufe einer millionenjährigen Gattungsgeschichte angehäuften Erfahrung, dass ich, wenn ich einen noch nicht vorhandenen Zustand wünsche, zu dem vorhandenen Zustand etwas hinzufügen muss, nämlich einen Akt. Ich muss wirken.

Die Urform des Kausalprinzips ist der Animismus. Nämlich die Annahme, dass alle Dinge, die mir begegnen, so sind (und selbst, dass sie sind), weil sie es wollen. Sie wirken, weil sie so wirken wollen. Eine Unterscheidung zwischen ‚zufälligen’ und ‚notwendigen’ Ereignissen ist noch gar nicht möglich, denn zu jedem unerwarteten Ereignis kann ein noch unbekanntes beseeltes Subjekt hinzugedacht werden.

Doch die Erfahrung lehrt, dass viele Ereignisse sich vorhersehen lassen, und einige eben nicht. Der Mythos löst diesen Widerpruch, indem er an die Stelle der ganz individuellen immer allgemeinere Subjekte setzt. Gottheiten und Dämonen sorgen für Regelmäßigkeiten, von denen sie willkürlich abweichen können. Nicht mehr die Dinge selber wirken, sondern werden bewirkt. Und so der Mensch.

Die Form des Mythos ist die (positive) Erzählung, nicht die (fragende) Untersuchung. Man muss ihn glauben, fürs Wissen ist er ungeeignet. Die Fragen fernzuhalten ist sein eigentlicher Zweck. Die mythische Epoche ging unter mit dem Aufkommen der griechischen Philosophie. Ist das, was erscheint, so wie es ist, oder ist es in Wahrheit etwas anderes? Es beginnt das Zweifeln.

Es gibt nichts als Schein, meint Heraklit von Ephesos, und Parmenides von Elea entgegnet: Nur was erscheint, ist Schein; das Wahre ist nicht sichtbar, sondern nur dem Denken zugänglich. Ist oder ist nicht; Werden ist Täuschung. Der eine verneinte die Notwendigkeit, der Andere den Zufall. Hier griff Platos Ideen-Lehre ein. Die Ideen lagen nunmehr jeweils einer ganzen Klasse von Ereignissen zugrunde, sie waren ‚vor’ den Göttern auf dem Olymp. Sie waren das eigentliche Sein. Das Werden, das wir auf der Erde beobachten, ist uneigentlich, es ist das Wirken des Wahren in der Erscheinung. Zufall ist nur Schein, und doch die Erscheinungsweise des Not-wendigen. Wissen – im Unterscheid zu bloßem Meinen – ist: im Zufälligen das Notwendige ergründen.

Aristoteles’ Gedanke der Entelechien, deren jede ihr Entwicklungsgesetz ganz allein in sich trägt, war demge-genüber ein Rückgriff auf animistische Vorstellungen. Er behinderte die Ausbildung einer systematischen For-schung so lange, bis Galileo Platos Ideenlehre umformte in die Lehre von allgemeinen Naturgesetzen. Seither ist eine Kausalbetrachtung möglich und experimentell bewährte Wissenschaft.

Ein Gesetz muss gesetzt worden sein. Die Vorstellung von einem Schöpfergott wird nötig – ein unbegründeter Grund, causa sui, ein unbewegter Beweger. Kein Problem für die Theologie, aber unbefriedigend für den For-scher. Wenn Gott die Naturgesetze erlassen hat – ist er ihnen dann selber unterworfen? Dann wäre er nicht länger Gott. Er hätte am Anfang lediglich einen Fingerschnipp, une chiquenaude getan, um die Maschine in Bewe-gung zu setzen, dann setzte er sich zur Ruhe. So spöttelte Blaise Pascal über das ‚System’ des Descartes.*

Spinoza hat es radikal gelöst: Gott ist selber Naturgesetz, deus sive natura. Das ist im Wesentlichen Stand der Wissenschaft. Die Annahme, die Naturgesetze seien im Urknall erst entstandenen, macht lediglich den Urknall selbst zur causa sui. Alles bleibt im Rahmen des Gesetzes von Ursache und Wirkung, und auf dem Boden der Wissenschaft. Denn das Kausalprinzip reicht immer nur bis ganz dicht an den Urknall heran und nicht in ihn hinein und schon gar nicht hinter ihn zurück. Die Frage, was vor dem Urknall war, entzieht sich der Kausalbe-trachtung und gehört nicht zur Naturwissenschaft. Man mag sie spekulativ und experimentell in mythischen Bildern behandeln, und sie dann nach ihrer Plausibilität bewerten. Aber positiv erforschen lässt sich da nichts.

Und jedem Wissenschaftler steht es frei, den Urknall selbst für den Sitz des Schöpfergottes zu halten – solange er das privat für sich tut und nicht die Öffentlichkeit damit behelligt.

*

Bleibt eines hinzu zu fügen. Niemand ist gehalten, die ganze Welt naturwissenschaftlich zu betrachten. Das tut auch der Naturwissenschaftler nicht, denn damit würde er nicht einen Tag im wirklichen Leben überstehen. Naturwissenschaftlich denkt er im Labor, nur da ist es am Platz.
  

*) …das Malebranche daher um die Zutat ergänzte, dass Gott die Freiheit bleibt‚ ’bei Gelegenheit’ immer wieder mal steuernd einzugreifen – womit aller Wissenschaft der Garaus gemacht ist.

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