Dienstag, 5. Juni 2018

Fichte radikalisiert Kant.

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Kants Hauptwerk sind die Drei Kritiken. Darin analysiert ("kritisiert") er die tatsächlich zu beobachtenden Leistungen des menschlichen Geistes; die "reine" (theoretische) Vernunft, die "praktische Vernunft" (das moralische Wollen) und die Urteilskraft (worin er in kurioser Weise ästhetische Wertungen und Zweckerwä- gungen zusammenfasst).
 

Daraus, dass diese Leistungen tatsächlich geschehen, schließt er, dass ihnen jeweils ein "Vermögen" zugrunde liegen muss. Und ebenso, wie die Drei Kritiken offenbar ohne vorherigen Plan auf einander folgten, liegen Kants drei "Vermögen" unvermittelt neben einander, ohne dass ihr wechselseitiges Verhältnis klar würde. (Das ist ein ganz langes Kapitel für sich...)
 

Fichte "radikalisiert" Kant nun dahingehend, dass er überhaupt nur ein geistiges Vermögen voraussetzt, das an und für sich praktisch ist und das er in jeweils verschiedenen Hinsichten als "produktive Einbildungskraft", als schlechthinniges "Streben" oder eben als das (transzendentale) "Ich" bestimmt. Wobei festzuhalten ist, dass sein (einziges) "Vermögen" ebenso wenig wie Kants (drei) Vermögen naturalistisch oder psychologisch gemeint sind; so, als ob man sie durch empirische Forschung im Organismus "nachweisen" könnte. Sie sind "transzendental" gemeint: nicht als Tatsachenbehauptung, sondern als Sinnzuschreibung.

Auch in sittlicher Hinsicht radikalisiert Fichte Kant. Über jenen wurde gesagt, sein "kategorischer Imperativ" sei viel zu formal und inhaltsleer, als dass sich ein lebendiger Mensch daran ausrichten könnte. In Wahrheit ist er noch längst nicht formal genug und enthält noch viel zu viel Positives. Vernünftiger Weise lässt sich nur ein Imperativ aufstellen: Handle jederzeit nach deinem selbstverantworteten Urteil, Punkt.

aus e. online-Forum, 19. 10. 2007 


Nachtrag. - Er radikalisiert Kant sogar noch radikaler. Kants Programm war: Vernunftkritik. Wenn die erledigt war, wollte er zu einer positiven Darstellung dessen, was Vernunft ist, kommen.

Doch die Vernunftkritik hat er bloß bis zur Hälfte selber geschafft: bis zu den zwölf Kategorien und den zwei Anschauungsformen; die hat er das Apriori genannt. Von wo oder weshalb die auf uns gekommen wären, hat er nicht mehr eruiert. Das hat sich jedoch Fichte vorgenommen, und er hat hinter dem nur scheinbaren Apriori ebenso wie hinter den Erfahrungsbegriffen das Transzendentale Subjekt tätig erkannt. 

Der Vorstellung von der Vernunft liegt zugrunde, ob man sich dessen bewusst wird oder nicht, die Annahme eines (zu Anfang nur virtuellen und noch unbestimmten) Ich, das sich aus absoluter Freiheit als ein solches 'setzt', indem es sich und alles, was ihm begegnet, an frei gewählten Zwecke zu 'Diesem' bestimmt. Dies ist ein progressus in infinitum, man kann ihm zusehen und kann ihn beschreiben, aber abschließend fassen kann man ihn nicht. Vernunft ist auch als System kein Zustand, sondern allezeit in processu.
JE

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