Sonntag, 30. April 2017

Vorstellen und begreifen.



Die ganze Wissenschaftslehre steht unter dem doppelten Vorzeichen, dass erstens Begriffe ohne Anschauung leer und zweitens Anschauungen ohne Begriffe blind sind.

Fichte will nun nicht aus (von wem?) vorgegebenen Begriffen ein System konstruieren, sondern uns veranlas- sen, in der Vorstellung fortschreitend vom Bestimmbaren zum Bestimmten überzugehen: Das Bestimmte ist ein Begriff, nur was bestimmt wurde, kann begriffen werden; doch ohne Anschauung - das Bestimmbare - ist nichts da, was zu bestimmen wäre.

Die ganze Wissenschaftslehre ist ein ewiges (sic) Hin und Her zwischen beiden Polen. Es soll aus einer Vor- stellung die daraus folgende entwickelt werden, doch dazu muss sie erst bestimmt und begriffen werden; nun wird die zum Begriff bestimmte Vostellung fortbestimmt: durch Entgegensetzen. Und so ins Unendliche fort. Und auf jeder Etappe bleibt ein toter Begriff zurück als das Bild von der lebendigen Vorstellung, die in ihm gefasst wurde.



Samstag, 29. April 2017

Das Absolute; a quo und ad quem.



Am Anfang steht die Freiheit; absolut. Ihre Tätigkeit ist übergehen vom Bestimmbaren zum Bestimmten. Das ist unendlich fortschreitende Einschränkung der Freiheit. Unendlich, weil, wenn sie irgendwann erschöpft sein könnte, sie niemals Freiheit gewesen wäre. Doch ist am Ende das Absolute so absolut wie am, d. h. vor dem Anfang. Die Bestimmungen sind immer quantitativ, sie ziehen Quanta vom Absoluten ab. Doch wenn es ab- solut war, wird es nicht weniger.

In der späteren WL will Fichte ein Absolutes, das "niemals Objekt wird"; natürlich, denn dann hörte es auf, absolut zu sein. Dann kann es aber auch nicht real werden - und schon gar nicht ex ante gewesen sein.


Das Absolute ist ein bloßes Gedankending. Als Anfang wird es aufgefunden, als Fluchtpunkt wird es postuliert.










Nota. Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.

Samstag, 22. April 2017

Die Substanz wird zur Erscheinung hinzugedacht.



Alle Erscheinungen sind in der Zeit, in welcher, als Substrat, (als beharrlicher Form der inneren Anschau- ung,) das Zugleichsein sowohl als die Folge allein vorgestellt werden kann. Die Zeit also in der aller Wech- sel der Erscheinungen gedacht werden soll, bleibt und wechselt nicht; weil sie dasjenige ist, in welchem das Nacheinander- oder Zugleichsein nur als Bestimmungen derselben vorgestellt werden können. 

Nun kann die Zeit für sich nicht wahrgenommen werden. Folglich muß in den Gegenständen der Wahrneh- mung, d. i. den Erscheinungen, das Substrat anzutreffen sein, welches die Zeit überhaupt vorstellt, und an dem aller Wechsel oder Zugleichsein durch das Verhältnis der Erscheinungen zu demselben in der Appre- hension wahrgenommen werden kann. Es ist aber das Substrat alles Realen, d. i. zur Existenz der Dinge Gehörigen, die Substanz, an welcher alles, was zum Dasein gehört, nur als Bestimmung kann gedacht werden.
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Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 222 







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Mittwoch, 19. April 2017

Eine neue Denkepoche?

Wolfgang Dirscherl, pixelio.de

Unter der Überschrift Wahrheit und Lüge veröffentlicht die Neue Zürcher heute einen großen Essay, in dem Karl-Heinz Ott ausführlich den Gedanken entwickelt, dass die Wahl von Donald Trump zugleich Höhepunkt und Todesstunde der Postmoderne ist: Der gebildete linke Liberale, der ein paar Jahrzehnte lang eitel-leicht- sinnig mit den Foucaults, Derridas und Deleuzes getändelt hat, suche verschreckt Zuflucht beim altmodischen Habermas und seiner vernünftigen, ordentlichen, konsens- und diskutierfreudigen Wahrheitsliebe.

Das war vor zwei Jahrhunderten das Ergebnis der Transzendentalphilosophie: dass es Wahrheit 'nicht gibt'. Dann brach das Zeitalter des Positivismus aus und nach Wahrheit musste nicht länger gefragt werden, Erfolg und Anschlussfähigkeit waren weit belastbarer. Bis vor drei-, vier Jahrzehnten, da gings uns zwar noch gold, aber doch nicht mehr so recht vorwärts. Es kam ein vornehmer Skeptizimus auf, der spöttisch flötete: "Any- thing goes!" (Paul Feyerabend  erwähnt K.-H. Ott nicht.) Es war eine Art Transzendentalphilosophie für arme Leute.

Für ganz arme. Denn den zweiten Satz der Transzententalphilosophen hatten sie nicht wiederbelebt: "Wahrheit muss sein, wenn Vernunft sein soll.

Nun sollte die Zeit reif sein, dass er in die Köpfe der großen Zahl der Gebildeten endlich, endlich Eingang findet - nicht trotz, sondern wegen der Paradoxie: Wahrheit gibt es nicht, aber Wahrheit muss es geben. Näm- lich Wahrheit nicht als Ausgangspunkt, sondern als Fluchtpunkt der Vernunft: da, wo alles einmal hinführen soll. Denke, rede, handle so, als ob es Wahrheit gäbe, und wenn das alle tun, werden wir ihr schon näherkom- men. Sie ist nicht etwas, das da ist, sondern etwas, das zu machen wäre.

Montag, 17. April 2017

Rationelle Ontologie, oder Der dialektische Schein.




Nur in der Vorstellung von irgendwem gibt es irgendwas.

Das macht drei semantische Daten: irgendwer, irgendwas, Vorstellung.

Genauso richtig wäre: irgendwer, irgendwas, es gibt.

Irgendwer und irgendwas bleiben, austauschbar sind dagegen Vorstellung und es gibt. Es scheint, als seien irgendwer und irgendwas gegeben, und es gibt beziehungsweise Vorstellung kämen als Kopula erst hinzu: als ein Verhältnis zwischen beiden; ein Schnittpunkt, in dem sie sich berühren.

Das stellt den Satz auf den Kopf, er müsste jetzt lauten: Es gibt irgendwen, es gibt irgendwas; und eventuell treten sie zu einander in ein Verhältnis. Er lautete aber:  Es gibt sie beide nur in diesem Verhältnis.

Dogmatisch gesehen liegen irgendwer und irgendwas ontologisch dem Verhältnis zu Grunde. Kritisch gesehen liegt ontologisch das Verhältnis es gibt dem Irgendwer und Irgendwas zu Grunde; mit andern Worten, die Vor- stellung. 


Vorstellung bedeutet auf der zweiten semantischen Ebene dasselbe wie es gibt auf der ersten.









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Donnerstag, 13. April 2017

Immanenz, oder Der archimedische Punkt.


 
Archimedes wünschte sich einen festen Punkt außerhalb der Welt, von dem aus er sie aus ihren Angeln heben könne. Den konnte ihm keiner geben. Weder konnte er zeigen, worauf sie beruhte, noch dass sie überhaupt auf etwas beruhte. So musste er sich bescheiden, die Welt so zu beschreiben, wie er sie in ihren Angeln vorfand. 

Das realistische Denken des gesunden Menschenverstandes setzt arglos voraus, dass es außerhalb seiner einen solchen festen Punkt gibt, und es ist damit immer gut gefahren. 

Die Wissenschaftslehre nun weist nach, dass es ihn doch nicht gibt, und ist bis heute nicht gut damit gefahren. Sie zeigt, wie das Vorstellen nur in sich selbst begründet ist wie eine Tat aus freien Stücken. Theoretisch bringt das keinen Gewinn, aber praktisch, wenn man es will.