Wolfgang Dirscherl, pixelio.de
Unter der Überschrift Wahrheit und Lüge veröffentlicht die Neue Zürcher heute einen großen Essay, in dem Karl-Heinz Ott ausführlich den Gedanken entwickelt, dass die Wahl von Donald Trump zugleich Höhepunkt und Todesstunde der Postmoderne ist: Der gebildete linke Liberale, der ein paar Jahrzehnte lang eitel-leicht- sinnig mit den Foucaults, Derridas und Deleuzes getändelt hat, suche verschreckt Zuflucht beim altmodischen Habermas und seiner vernünftigen, ordentlichen, konsens- und diskutierfreudigen Wahrheitsliebe.
Das war vor zwei Jahrhunderten das Ergebnis der Transzendentalphilosophie: dass es Wahrheit 'nicht gibt'. Dann brach das Zeitalter des Positivismus aus und nach Wahrheit musste nicht länger gefragt werden, Erfolg und Anschlussfähigkeit waren weit belastbarer. Bis vor drei-, vier Jahrzehnten, da gings uns zwar noch gold, aber doch nicht mehr so recht vorwärts. Es kam ein vornehmer Skeptizimus auf, der spöttisch flötete: "Any- thing goes!" (Paul Feyerabend erwähnt K.-H. Ott nicht.) Es war eine Art Transzendentalphilosophie für arme Leute.
Für ganz arme. Denn den zweiten Satz der Transzententalphilosophen hatten sie nicht wiederbelebt: "Wahrheit muss sein, wenn Vernunft sein soll."
Nun sollte die Zeit reif sein, dass er in die Köpfe der großen Zahl der Gebildeten endlich, endlich Eingang findet - nicht trotz, sondern wegen der Paradoxie: Wahrheit gibt es nicht, aber Wahrheit muss es geben. Näm- lich Wahrheit nicht als Ausgangspunkt, sondern als Fluchtpunkt der Vernunft: da, wo alles einmal hinführen soll. Denke, rede, handle so, als ob es Wahrheit gäbe, und wenn das alle tun, werden wir ihr schon näherkom- men. Sie ist nicht etwas, das da ist, sondern etwas, das zu machen wäre.
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