Die kategorische Unterscheidung philosophischer und psychologischer Betrachtung ist nichtsdestoweniger nur eine operative. Es geht ja in jedem Fall um das wirkliche Wissen.
Die Unterscheidung betrifft die Frage nach der Notwendigkeit. Die Psychologie beobachtet, wie soundsoviele Menschen unter ihren je gegebenen Lebensumständen (ggf. im Labor) tatsächlich denken. Die philosophische Fragestellung will ergründen, ob sie mit Notwendigkeit so denken oder nur zufällig; also ob sie auch anders denken könnten, wenn... wahre Ergebnisse erzielt werden sollen. Die Frage nach der Wahrheit der Denkresultate und die nach der Notwendigkeit sind der Sache nach ein und dasselbe.
Nur unter der Voraussetzung, dass wahre Denkergebnisse überhaupt möglich sind, lässt sich richtiges von falschem Denken unterscheiden. Die psychologische Untersuchung kann sich allenfalls auf die Pragmatik des Denkens erstrecken: wie und wieweit aus Erfolg und Misserfolg des Denkens "im praktischen Leben" gelernt wird.
aus e. Notizbuch, 7. 12. 1994
Nota. Das
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blancan
Unser Wissen ist uns nicht durch die Sachen selbst gegeben, sondern durch unser Erleben, in dem die Sachen 'vorkommen'. Ob die Sachen auch außerhalb meines Erlebens vorkommen, ist davon noch gar nicht berührt. Wenn ich erfahre, dass die Sache auch im Erleben eines andern vorkommt, gewinnt die Annahme, dass sie 'an sich' sei und unabhängig von ihrem Erlebtwerden ("esse est percipi"), eine gewisse lebenspraktische Plausibi- lität, oder richtiger: Ich bin gut beraten, wenn ich in meinem Verkehr mit anderen davon ausgehe, dass die Sachen, die ich und sie gemeinsam erleben, "wirklich" sind.
Allerdings gehört die Frage, ob... nicht zu meinem Erleben; gehört nicht in die Weise ihrer Gegebenheit in meinem Erleben. Sie entstammt der Reflexion, durch die ich mich außerhalb meines Erlebens, neben mein Erleben stelle, um gewissermaßen mein Erleben zu erleben. Es ist ein Erleben zweiten Grades, das nicht "ge- geben", sondern gemacht, "hervor-gerufen" ist ex sponte mea. Erst auf diesem zweiten Grad, der Verdoppe- lung meines Erlebens im Spiegel meines Erlebens, kommen überhaupt 'Sachen' vor.
Denn im unmittelbaren Erleben, das die Weise der Gegebenheit hat, kommen Akte vor, nicht Dinge. Das ist eine vorläufiger Ausdruck, der lediglich bezeichnen soll, dass hier eine Veränderung gemeint ist: Auf Zuständ- lichkeit a folgt Zuständlichkeit b, 'Zeit' nenne ich "das, was" zwischen den beiden liegt, und wenn ich Zustand b nicht anders erlebte, als ich Zustand a erlebt habe, dann wäre nichts zwischen ihnen und gäbe es keine Zeit.
(Also kommt Zeit in meinem Erleben unmittelbar vor, wenn auch nicht gleich 'als' solche; ebenso wie 'Raum', der kommt ursprünglich nur als Umfang meines Gesichtskreises vor, als 'Feld', in dem Veränderung von Zu- ständen Statt-findet; aber hier nur die Veränderung äußerer Zustände, das Erlebnis meiner inneren Zustände hat keinen Raum zu seiner Statt, sondern 'mich'.
Der Einwand, 'mir selbst' sei ich ursprünglich als Körper und ergo als 'Raum' gegeben, ist unangebracht. Mir 'selbst' bin ich überhaupt erst in der Reflexion gegeben, im Erlebnis zweiten Grades, wo ich mein Erleben "als meines erlebe". 'Raum' ist also dem Erleben nicht ebenso unmittelbar gegeben wie 'Zeit'.)
'Zeit' ist der 'Raum', "in dem" die Veränderung meiner Erlebenszustände "stattfindet". Sie ist Ort des Geschehens.
Geschehen als Veränderung von Zuständen ist in unserer Erlebenweise "eingefärbt" als Wirkung. (Ob diese Färbung 'urprünglich' ist oder eine gattungsgeschichtlich erworbene Rückprojektion meiner eigenen Wirksam- keit (Nietzsche: "die Natur bei ihrer Arbeit belauscht") in alles, was ich 'überhaupt' erlebe, ist hier noch nicht zu erörtern.
Also im unmittelbaren Erleben kommen keine 'Punkte' - weder Zeit-Punkte noch Raum-Punkte (=Dinge) - vor, sondern Zeiträume als Bühne der Veränderung von Zuständen.
Allerdings sind Räume von Punkten begrenzt. Wer oder was setzt die Punkte, die den Zustand a als diesen, den Zustand b als den anderen de/finieren? Sicher ist es die jeweilige "Erlebnisqualität", die den Fluss des Erlebens zu diskreten Zu-Ständen interpunktiert. Aber die Qualitäten meines Erleben entsprechen ebensovielen Erlebnis- bereitschaft "in" mir: Ich muss sie "irgendwie" schon 'erwartet' oder 'gemeint' haben, es muss eine 'Absicht' dagewesen sein (und sei es als eine - ja übrigens auch naturgeschichtlich erworbene - physiologische Disposi- tion meiner Körperorgane).
Also alles, 'was' erlebt wird, wird so (oder anders) erlebt. Und dass es so (und nicht anders) erlebt wird, antwortet auf eine vor-gegebene Erwartung.
Oder anders - alles, was uns in unserem Erleben als dieses gegeben ist, war als solches immer schon 'gemeint'. 'Intentionalität' ist nicht erst ein noetisches Phänomen. Schon der sinnliche Wahrnehmungsapparat wählt die 'Reize' aus, denen er sich 'zuwenden' will; und reagiert nicht nur auf deren (physikalisch messbare) Stärke.
Das eigentliche Problem sind diese Disponiertheiten; nicht zunächst die physiologisch verketteten Reiz-Reak- tions-Folgen natürlich, obwohl auch die selekiv erworben sind...; sondern sie sozusagen mentalen 'Reizbarkeiten' (dass sie sich von den ersteren nicht immer sauber scheiden lassen, mag sein; aber logisch gehts immerhin, und daruf kommt es an).
aus e. Notizbuch, 27. 11. 1994
Hier müsste anschließen ein Absatz über die produktive Einbildungskraft.
Aber der könnte nicht mehr phänomenologisch vorgehen, sondern müsste sich auf spekulatives Gelände wagen. Ich hab's immerhin versucht.
Was "die Sache selber" ist, lässt sich nicht beschreiben, sondern nur zeigen. Beschreiben lassen sich nicht die Dinge, sondern nur ihre Verhältnisse; nämlich wie sie sich zu andern Dingen - die man 'als solche' Auch nicht beschreiben kann - verhalten.
Es sieht anders aus, wenn das Ding im Grunde nicht "es selbst", sondern aus so und soviel Bestandteilen zu- sammengesetzt ist. Dann kann man berichten, wie sie sich zueinanander, untereinander "verhalten", und das heißt Analyse. Doch wenn immer man zu dem Ergebnis kommt, dass "das Ganze" doch mehr sein soll als nur die Summe seiner Teile, steht man schon wieder von dem Dilemma, nicht sagen zu können, "was" dieses Mehr sei - ohne es gleich wieder auf Anderes beziehen und so seinerseits wie ein "Teil" darstellen zu müssen, das nicht an sich selber, nur um seiner selbst willen "da" und "so" ist, sondern durch die und wegen der Andern.
Das ist nämlich das Paradox an der Idee vom rein-Qualitativen: dass es als Absolutum vorgestellt werden muss, als μὁνας, individuum, das sehr gut auch ganz allein "an und für sich" sein könnte (wobei da-sein schon zu viel gesagt wäre); dass es aber doch nur vorgestellt werden soll. Also durch Zeichen, die ich schon kenne, während doch das so als reines Selbt vorgestellte Quale mir schlechterdings nicht bekannt sein kann - wenn es denn ein solches ist.
Entweder ich kann es auflösen in Elemente, die ich mir allbereits zueigen gemacht habe; dann ist es kein Quale. Oder es ist ein Quale - dann kann ich es nicht in Bekanntes zerlegen. Ich muss es in toto "wahrnehmen", nicht begreifen - einen Schritt nach dem andern, eine Bestimmung auf die andere setzend, zerlegen und wieder zusammensetzen, diskursiv; sondern "anschauen", intuieren, "hineinsehen", "hineintreten".
Das so Gesehene lässt sich freilich nicht so, wie es "erscheint", mit-teilen, es lässt sich gar nicht teilen. sondern immer nur zeigen - per analogiam.
aus e. Notizbuch, 27. 10. 1995
Nachtrag. 'Die Dinge selber' verhalten sich natürlich nicht; sie sind und basta. Gemeint ist: das Verhältnis, in die ich sie - weil ich es will und weil sie sind, was und wie sie sind - setzen kann. Verhältnisse werden bezeichnet von Begriffen; Begriffe sind die eingefrorenen Anschauungen von lebendigen Handlungen. Anschauung unter Ab- sehung von allem Verhältnismäßigen (allem Begreiflichen) ist die Modalität des Ästhetischen.
Ach, und muss ich es noch hinzufügen? Natürlich ist es nicht unerkenn- und unmitteilbar, weil es qualitativ ist, sondern weil es weder erkenn- noch mitteilbar ist, nennen wir es qualitativ.
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Matisse, La danse II
Mit der Frage, wie die Vernunft (der Geist, der Sinn...) in die Welt gekommen ist, hat es eine ähnliche Be- wandtnis wie mit der Frage, wie der Wert (das Kapital) in die Welt gekommen ist.
Im ersten Falle brauchte, da aus nichts nichts wird, Fichte sein vorgeschichtliches Normalvolk, das dann wie die Abderiten in alle vier Winde zerstreut ward, um unmerklich hier und da und schließlich überall das Licht unter den Leuten anzuzünden. Wie als Echo darauf führt Max Scheler den "Genotyp des Bourgeois", d. h. den Juden ein, der den Kapitalismus als Naturanlage "mitgebracht" und dann über die Erde verstreut hat.
Tatsächlich sind beide Fragen im Wesen verwandt. Sie lösen sich, wenn man aufhört, Wert und Vernunft als seiende Sachen aufzufassen, sondern als Verhältnis begreift - das als solches allerdings erst "in Erscheinung tritt", sobald es 'entwickelt' ist. Aber eben: Es ent wickelt sich aus vorangegangenen Verhältnissen.
Und da erhellt plötzlich, dass es sich beidemal wirklich "irgendwie" um dasselbe handelt: nämlich um das Setzen dessen, was vor allem andern gelten soll. Vernunft nennen wir ein solches Verhalten der Menschen zu sich und den Dingen, das sich an den wahren Werten der Dinge orientiert. (Und welches der wahre Wert der Dinge ist, lässt sich immer nur - ex post - praktisch ermitteln aus dem vernünftigen Verhalten...)
Ist das ein verbaler Trick, Verhältnis aus Verhalten abzuleiten? Mitnichten; nur solche, die sich zueinander verhalten, haben ein Verhältnis. Von Verhältnis ist gar nicht zu reden, als wenn die Teilnehmer als Handelnde vorgestellt werden. Richtig, Teilnehmer: Denn an einem Verhältnis nehme ich teil - oder ich habe keines. Ver- nünftig nennen wir Verhältnisse, in denendie wahren Werte den Ausschlag geben. Wie wir die Werte setzen, bestimmt jeweils unser Urteil über die Vernünftigkeit (oder andersrum - aber das erst, wenn sich die Wert zu einem "System" sozialisiert haben, dessen Kohärenz Maßstab für die Gültigkeit einzelner Werte wird.)
Aber in der Wirklichkeit erscheinen 'Werte' zuerst individuell - und zwar im Gegensatz zu den physiologischen Erhaltungserfordernissen. Jedes Handeln, das sich an Anderem als den Bedürfnissen der Selbst- und Arterhal- tung orientiert, ist ipso facto werthaft. Denn es wählt.
In der Geschichte erscheint es punktuell, nämlich kultisch.
Die erste Stelle, wo regelmäßig ein Verhalten aufgetreten ist, das keinerlei Bezug zu den physiologischen Er- haltungsfunktionen mehr hat - und das darum als Abschluss der Hominisation gilt -, ist die Haltung zum Tod.
Die Menschen wissen, dass sie sterben werden; vorher waren sie keine. Man kann überhaupt sagen: Es ist ihr erstes Wissen. Sobald sie es wissen, hört der Tod auf, ein bloßes Naturgeschehen zu sein - und sie setzen einen Fuß aus der Naturgeschichtlichkeit ins Reich der Freiheit. Nur weil sie sterben müssen, bekommt ihr Leben einen Sinn.
31. 12. 1994
Nachtrag. Hier ist die Frage realphilosophisch, d. h. anthropologisch gestellt, nämlich: wie die Vernunft in die Welt gekommen ist. Noch nicht die Rede ist davon, worin sie besteht. Das ist erst eine Frage der Transzendental- philosophie.