Sonntag, 13. Oktober 2013

Wo die Logik herkommt.


Es ist nicht wahr, dass die Vernunft an den Wörtern hängt. Die Mitteilung der Vernunft hängt an den Wörtern: die Verständigung, der Verstand.

Auch die Bilder können mitgeteilt werden, im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit zumal. Aber es gibt keine Gewissheit, ob sie so 'ankommen', wie sie 'abgesandt' wurden: ob der Empfänger sie so 'versteht' wie der Absender. Das analogische Denken fordert die Einbildungskraft heraus, und auf die ist nur sehr unterschiedlich Verlass: bei dem einen schafft sie viel, vielleicht zu viel, bei dem andern wenig... Und ob, das lässt sich vom Sender gar nicht kontrollieren.

In einem Lebensverbund ("Gesellschaft"), der auf Arbeitsteilung beruht, kann aber das Gelingen der Mitteilung nicht dem Zufall überlassen bleiben. Die ganzen Bilder müssen - durch Abstraktion/Reflexion - in viele einzelne Zeichen zerlegt und mit einer Gebrauchsanleitung zu ihrer Rekomposition ausgestattet werden: lauter Bedeutungsatome ("Informationen"), die nach allgemeinen, d. h. öffentlichen, nämlich zwingenden und kontrollierbaren Denkgesetzen zusammengesetzt sind: der Logik.

Die Begriffe und die Logik sind in der Tat pragmatische Produkte: Sie bewähren sich - täglich aufs Neue - als Medien der Verständigung.

Aber das, worüber Verständigung geschieht; das, was mitgeteilt wird, das sind 1.) Anschauungen und 2.) Vorstellungen, die "zuerst" als Bilder "da sind". Mit den Zeichen und ihren Verbindungsregeln werden sie nur "beschrieben".

Und selbstredend kann es gelingen - nämlich diesem oder jenem -, dass aus dem freien Gebrauch der Zeichen und Verbindungsregeln neue Bilder sichtbar werden. Aber sie schaffen die Bilder nicht, sondern sie führen, d. h. verführen... die Einbildungskraft.

Der Verstand kann den Blick frei machen - nämlich durch die im zu langen Gebrauch opak gewordenen Bilder hindurch; aber sehen muss jeder selbst.

Allerdings ist es wahr - und insofern haben die Lamentationen der Postman & Co. was für sich -, dass es kaum noch ein Bild gibt, das nicht schon tausendmal "da war" - und darum tausendmal bezeichnet wurde. Der vergesellschaftete Einbildner kann gar nicht anders als die im Verkehr bewährten Zeichen "immer schon" in die Bilder mit hineinzusehen - was deren 'Gehalt' aber nicht vermehrt, sondern im Gegenteil schmälert: indem auf diese Bedeutung besonders abgesehen wird, wird von jener andern eben auch abgesehen.

Kritisches Denken ist nur in einem flachen Verständnis dasjenige, das sich auf die Prüfung beschränkt, ob die Zeichen auch wirklich alle nach den Regeln der Kunst (dem Denkgesetz) zusammengesetzt sind. Im ausgezeichneten Sinn ist das kritische Denken dasjenige, das den Gebrauch der im Verkehr bewährten Zeichen immer wieder mit dem Anblick der Bilder vergleicht. Das ist kein diskursiver, sondern ein intuitiver Akt. Ob in den Bildern "mehr", das heißt was andres zu sehen ist, als die konventionellen Zeichen herausholen, ist ein ästhetisches Urteil, kein logisches.

1. 11. 94


Nota I. - Ich behaupte nicht die Konventionalität des Logischen. Wenn eine bestimmte Zahl von Parteien sich auf etwas verständigt, ist das Ergebnis eine Partikularität - und als solche zufällig. Hier ist aber die Rede von einem endlosen Prozeß stetiger Ausmittelung - und dessen Resultat ist allgemein und notwendig. Die logischen Formen wurden nicht ersonnen und nicht vereinbart, sondern haben sich notwendig ergeben. Dass sie sich im täglichen Gebrauch als zwingend bewähren, ist kein Mysterium: denn so sind sie entstanden.

Nota II. - für Kenner und Liebhaber: Es handelt sich um denselben Prozess der 'Realabstraktion' wie bei der Ausbildung des Tauschwerts im Zirkulationsprozess auf dem Markt. 
JE

13. 10- 13



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen