Sonntag, 27. Oktober 2013

"Stoff und Form" und "Sein und Gelten"...


Die alte "Dialektik von Stoff und Form" findet ihre Lösung in der modernen Schein-Dialektik von 'Sein' und 'Gelten'. Die systematische Unterscheidung von beiden ist durch Lotze eingeführt worden; bei dem jedoch die Dreigliederung: Sein - Geschehen - Geltung. "In Wirklichkeit" "besteht" die Wirklichkeit "aus"... Geschehen, sonst nichts. Oder richtiger, da 'Wirklichkeit' immer nur eine Prädikation, terminus ad quem, nicht a quo ist, ist real immer nur "Erleben"; "Geschehen" ist schon eine durch Reflexion 'gesetzte' Objektivation, die dann noch- mal in zwei Pole auseinandergezogen wird: das, was ist, und das, was es bedeutet. 'Wirklich' sind aber die 'Tat- sachen' und deren 'Sinn' im Erleben immer schon ein und dasselbe: 'Es gibt' keine Tatsache, die ganz und gar nichts zu bedeuten hätte: Allenfalls wird der Mangel erlebt, daß die Bedeutung fraglich ist. Daß andererseits Be- deutung immer nur einem - actualiter oder virtualiter - Faktischen zukommt, ist zu banal, um es öffentlich auszusprechen. [Faktisch von facere, n'est-ce pas.]

Nicht anders die Begriffspaarung Stoff und Form, die nichts anderes aussagen soll als die beiden 'Seiten', Hin-Sichten, von denen aus auf den Gegenstand 'geblickt', also reflektiert werden kann - nachdem man zuvor be- reits auf das Gegenständliche am Gegenstand reflektiert hatte (i.e. dessen "Tauglichkeit für menschliche Zwe- cke"). Denn 'zuerst' war 'das Zeug' der Dinge 'zuhanden' und 'erst dann' die Dinglichkeit 'da'! Kein Wunder also, dass die ersten Philosophen (Elea bis Plato) dazu neigten, die Stofflichkeit der Dinge für Nichts zu halten, und bei dem systematischen Reflexionsphilosophen Aristoteles der Stoff überhaupt nur als Möglichkeit zur Form in den Blick kommt; capacitas formarum bei Eckhart, hypokeimenon eidoôn bei Plotin, "Bestimmbarkeit" bei JGF.

Dazu: E. von Bracken, "Mr Eckhart und Fichte", S. 12ff.

Aristoteles: "Alles, was wird, wird aus einem solchen, das nur beziehungsweise ist und beziehungsweise nicht ist." Physik I/8

[Karl Kraus: "Nur in der Wonne sprachlicher Zeugung wird aus dem Chaos eine Welt." Heine und die Folgen in Der Untergang der Welt durch schwarze Kunst, S. 205. - Die "sprachliche Zeugung" ist das Festhalten, Festsetzen einer Geltung durch ein "Zeichen" - das seinerseits festgehalten wird durch seinen "Verweisungszusammen- hang" ("System") mit "den andern" Zeichen...]

aus e. Notizbuch, 21. 9. 94


 

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