Chris Burkhardt, isländ. Gletscherfluss
Eduard Kaeser veröffentlicht in der Neuen Zürcher immer wieder mal Aufsätze zu Tehmen aus dem Grenzbereich von Physik und Philosophie. Am 10. 5. 2018 erschien unter dem Titel Die seltsame Wiederkehr der Weltseele ein kritischer Beitrag über das modische Aufleben des "Pan- psychismus". Er sieht darin den Nachhall alter religiöser und vorwissenschaftlicher mentaler Bil- der. Aber ernst zu nehmen sei der Panpsychismus dennoch:
"als Symptom eines Bedürfnisses nach metaphysischem Trost." Zum Abschluss zitiert er den Münchneer Philosophen Godehard Brüntrup: "Wäre es nicht faszinierend, wenn die einfachste und eleganteste
Erklärung des Uni- versums gleichzeitig eine wäre, die mit dem
Schöpfungsglauben harmoniert?"
Unterm Titel Wer metaphysische Fragen stellt, muss kein Verächter der Physik sein
antwortet ihm Brüntrup am 26. 5. 2018 ebenfalls in der Neuen Zürcher:
Der
theoretische Physiker Roger Penrose wurde unter anderem bekannt durch
seine zusammen mit dem jüngst verstorbenen Stephen Hawking verfertigten
Arbeiten zu Singularitäten in der Raumzeit. Penrose ist der Meinung,
dass komplexe Konfigurationen von physikalischen Bausteinen allein nicht
in der Lage seien, das Entstehen von Bewusstsein zu erklären. Für jede
materielle Struktur, die in unserer Welt mit Bewusst- sein korreliert ist,
kann man sich eine funktional bedeutungsgleiche Struktur vorstellen,
die kein Bewusst- sein hervorbringt. Man nennt dies «das harte Problem des
Bewusstseins». Es wird als Fragestellung selbst von reduktionistischen
Materialisten gemeinhin akzeptiert.
Penrose hat zusammen mit Stuart Hameroff eine Theorie vorgelegt,
nach der es einen Zusammenhang zwischen Quantenmechanik und Bewusstsein
gibt. Demnach ist jeder Kollaps der Wellenfunktion (also der Übergang
von einem Überlagerungszustand in einen Eigenzustand des Systems)
identisch mit einem winzigen Bewusstseinsereignis. Aus dieser Theorie
folgt, dass sich Spuren von Bewusstsein bereits in der raumzeitlichen
Grundstruktur des Kosmos antreffen lassen. Diese Theorie ist umstritten,
aber niemand hält einen hochdekorierten Physiker wie Penrose für einen
Verächter der Naturwissenschaften.
Der
Physiker Arthur Eddington vertrat die These, dass die Physik ein
komplexes Netzwerk von mathematisch-formal erfassbaren Relationen und
Funktionen beschreibe, dass sich hinter diesem Aspekt der Materie aber
ein «unbekannter Gehalt» verberge, der die Grundlage unseres
Bewusstseins sei. Nach Bertrand Russell greift die physikalische
Beschreibung nur bestimmte abstrakte Strukturen der Raumzeit heraus. Was
die Natur der raumzeitlichen Dinge ist, wird durch die physikalische
Beschreibung nicht vollständig erfasst.
Formeln genügen nicht
Dieser
Gedanke ist nicht neu. Descartes war einer der Begründer des
neuzeitlichen Begriffs des Physischen. Materielle Dinge waren für ihn
mathematisch beschreibbare Objekte im Raum. Schon Leibniz hatte
erwidert, dass diese Bestimmung des Physischen etwas Wichtiges auslasse.
Ausdehnung oder Struktur allein reicht nicht, um zu bestimmen, was
ausgedehnt oder strukturiert wird. Hawking hat es in der Gegenwart so
formuliert: Selbst wenn wir die Physik mit einer grossen
vereinheitlichten Theorie vollendet hätten, so hätten wir doch nichts
anderes als Formeln. Wie aus diesen formalen Strukturen eine konkrete
Welt werden kann, bleibt noch immer rätselhaft. Hawking fragte: Was
haucht den Gleichungen Feuer ein, damit ein konkretes Universum
entsteht? Erwies er sich als Verächter der Physik, weil er diese
metaphysische Frage stellte? ...
Für
den Gegner des Panpsychismus wäre es vielversprechender, zu behaupten,
dass es gar keiner intrinsischen Naturen des Physischen bedarf. Es gibt
nichts hinter der formalen Struktur. Die ganze Welt ist nur ein System
mathematisch beschreibbarer Strukturen. Es gibt nichts, was durch diese
Strukturen strukturiert wird. So wie Descartes sagte, dass alles
Ausdehnung sei, so kann man sagen, dass alles Struktur sei. Die Fragen
«Ausdehnung wovon?» oder «Struktur wovon?» könnte man dann getrost
vergessen. Hawkings Frage nach dem, was Feuer in die Gleichungen haucht,
geht ins Leere. In letzter Konsequenz besteht die Welt nur aus
mathematischen Strukturen und sonst nichts.
In
der heutigen Debatte nennt man diese Position den «ontischen
strukturalen Realismus». Ich halte diese Position für eine bessere
Kritik am Panpsychismus. Sie hat grosse Vorläufer in der Geschichte,
etwa den Pythagoreismus, wonach die letzte Grundlage der Welt
mathematische Symmetrien und Harmonien sind. Aber: Wie kann aus
mathematischen Symmetrien Bewusstsein hervorgehen? Nehmen wir an, wir
konstruierten eine hinreichend komplexe virtuelle Welt in einem
Computer, die auf eleganten mathematischen Symmetrien beruhte. Wäre
damit sichergestellt, dass der Computer etwas erleben könnte? Der
nagende Verdacht bleibt bestehen, dass formal-funktionale Struktur
allein nicht ausreicht, um Bewusstsein hervorzubringen.
Wenn
das aber korrekt ist, dann sind wir durch unser eigenes Bewusstsein mit
einem Aspekt des Universums vertraut, der mehr ist als Struktur. Wir
wissen nicht genau, was dieses «Mehr» ist. Wir haben bis jetzt keine
überzeugende Theorie darüber, wie Bewusstsein in der physikalischen Welt
möglich ist. Aber wenn Eddington, Russell und andere recht haben, dann
hängt die Beantwortung von Hawkings Frage nach dem Feuer, das in die
Gleichungen gehaucht werden muss, mit der Frage nach dem Bewusstsein
zusammen. Vielleicht irren sie sich. Aber die Grösse des Gedankens
sollte auch der kritische Beobachter zu erkennen vermögen.